Volltext Seite (XML)
machte, daß Händel sich auf der Orgel und er sich auf dem Klavizimbel hören lassen wollte. Wenn einer von ihnen beiden damals für weib liche Reize empfänglich gewesen wäre, hätte die Reise nach Lübeck vielleicht ein unvorhergesehenes Ergebnis gezeitigt. Herr Wedderkopp besaß einiges Urteil und scheint von dem Spiel beider eingenommen gewesen zu fein. Aber mindestens ebenso warm wie der Wunsch, inen guten Organisten an der Marienkirche zu haben, lag ihm der Wunsch am Herzen, den Steuerzahlern der Stadt, wenn es irgend ginge, einen Vorteil zu errin gen. In Lübeck war es Sitte, daß jeder neue Organist die Tochter oder Witwe seines Vorgängers zum Altar führte. Vom Standpunkt der Stadt aus war das eine ökonomische Maßnahme; denn die Stadt unterhielt die weiblichen Angehörigen eines toten Organisten und be grüßte es daher mit Freuden, wenn diese Ausgabe dadurch verringert wurde, daß irgendein wagemutiger Musiker des Weges daher kam und eine der Töchter als Buße oder Ehrenpreis im Zusammenhang mit dem Organistenposten übernahm. So hatte Buxtehude dis Tochter seines Vorgängers Franz Tunder geheiratet, .he man ihm den Posten an der Marienkirche über gab. Wedderkopp setzte mit einer für ihn charakteri stischen Pfiffigkeit Mattheson und Händel den Vor schlag klipp und klar auseinander: Wer von ihnen bei den die Tochter Buxtehudes heiraten würde, der sollte Organist an der Marienkirche werden. Buxtehude wurde alt; er litt an Rheumatismus und würde mut maßlich bald seinen Posten aufgeben müssen. Wie sich veransstellte, war die Tochter ein dralles Weibsbild und zwölf Jahre älter als Mattheson. Anscheinend waren Mattheson und Händel so entsetzt über diese Zumutung, daß sie gar nicht schwarteten, bis sie dre Dame zu Gesicht bekamen; denn sie machten sich schleu- nigst aus dem Staube und freuten sich, als sie Lübeck im Rücken hatten und sie nicht mehr in Gefahr kamen, ihre Junggesellensreiheit einzubüßen. Buxtehude ließ sich dadurch nicht abschrecken. Er wollte seine Tochter versorgt wissen, ehe ore Orgel an einen anderen überging; so bat er drei Jahre später den Kirchenrat um die Gunst, daß bei seinem Ab leben sein Nachfolger gezwungen würde, das Mädchen zu heiraten. Er wußte oder ahnte, daß seine Uhr bald abgelaufen war und verbrachte seine Tage im Werkhaus dicht bei der Kirche, wo er in einem klei nen Garten seine schmerzenden Glieder ausstreckcn konnte. Als er ein Jahr darauf starb, stürzte sich ein Musiker mit Namen Schieferdecker — einer von KeiserS liederlichen Spießgesellen — in das Wagnis, heiratete Buxtehudes Tochter und nahm den Posten seines Schwiegervaters an der Orgel der Marienkirche ein. Hätte Händel in diele Heirat gewilligt als Kauf preis für einen Posten, der" ihn bei seiner fortwähren den Geldnot gelockt haben muß, wäre der Verlauf sei nes Lebens ein anderer geworden; aber er blieb bis zum Ende seiner Tage unvermählt, und Mattheson, dessen Leben sich in dieser Beziehung ganz ähnlich gestaltete, entschloß sich erst am Ende seiner Laufbahn, als seine Glanzzeit bereits vorüber war, die Tochter eines englischen Geistlichen heimzusühren. Die letzte Ludwigsburger?«. Roman oon Leontine von Winterfeld-Pialrn. Copyright by Greiner L Co., Berlin NW S. (Nachdruck verboten.) 25. Fortsetzung. Wer gleich schämte sie sich ihrer törichten Scheu und lächelte. Es hatte die Aebtissin ja solch freundliches Ge- ücht, und heilig waren Nonnenkleid und Klostermauern. Sie wollte aufstehen von ihrem Stein und etwas er widern, aber als sie sich erhob, überkam sie ein solcher Schwindel, daß sie fast gefallen wäre. Da stützte die Aebtissin, der die Schwäche Herzeleides just willkommen kam, sie mit beiden Armen und führte die Schwankende Schritt vor Schritt über den Klosterhof, dem kühlen Kreuz- gaug zu. / „Es ist schwül heute abend, Ludwigsburgerin, das hat Tuch die Sinne benommen. Kommt, in der Kühle des Hauses wird Euch schon besser werden. Erst müßt Ihr Euch ein wenig ruhen, ehe Ihr weitergeht." , Und sie rief eine zweite Nonne, ihr behilflich zu sein bei der Schwachen. In eine kühle, dämmerige Zelle brachten sie Herze- lSe mid legten sie behutsam nieder auf e in Lager. Dann fehlte Herzeleide einen frischen, kühlen Trunk an ihren Lippen, den sie gierig sog, bis ihr die Sinne schwanden. — Lange harrte heute abend der bucklige Torwart an der Wegbiegung im Walde. Bis ihn eine Unruhe über kam und er weiterging bis vor die Pforte des Nonnen- vlosterS auf dem Hügel, wo sie sonst immer gestanden und Umschau gehalten. > Uber er konnte nichts sehen von Herzeleide. Da packte ihn eine wilde Angst, und er hob den schweren Klopfer an der Klosterpforte, daß es weithin hallte. . Nach langem Warten öffnete endlich eine alte ver schlafene Nonne. „Saht Ihr meine Herrin nicht, die Ludwigsburgerin? Jeden Abend stand sie hier auf Euerm Hügel, doch heute ist sie nicht zurückgekehrt." Die Alte hüstelte und sah scheu nach dem Gewitter am Himmel. „Macht, daß Ihr heimkommt unter ein Dach, Mann. Und'um Eure Herrin braucht Ihr nimmer in Sorge zu sein. Sie ist hier bei uns in sicherer Hut. Ein Schwindel überfiel sie, da betteten wir sie in eine unserer Zellen. So sie krank wird, hat sie hier bessere Pflege als bei Euch auf der einsamen Burg." Der Bucklige faltete die Lände. Sie gefährdete Luftfahrt. Eine Entschließung des Beirats für daS Luftfahrtdvesen. Der Beirat für das Luftfahrtwesen beschäftigte sich in einer dieser Tage abgehaltenen Sitzung mrt den Kürzungen am Lufthaushalt und nahm dazu folgende Entschließung an: „Der Beirat für das Luftfahrtwesen nimmt vou den Mitteilungen über die am Luftfahrtetat vorge sehenen Kürzungen und den sich daraus ergebenden schwerwiegenden Folgen mit großer Besorgnis Kennt nis und bittet den Herrn Reichsverkehrsminister, sei nen ganzen Einfluß bei der ReichSregterung und bei den gesetzgebenden Körperschaften für die berechtigtes Belange der deutschen Luftfahrt einzusetzen, an deren Aufrechterhaltung und planmäßiger Förderung alle Kreise des deutschen Volkes das stärkste Interesse haben. . , . - Berliner Luftyläne. Der Berliner Stadtbaurat Dr. Adler gab in einer Pressebesprechung der Hoffnung Ausdruck, daß es trotz der Kürzungen im Lufthaushalt möglich sein werde, die Versuchsanstalt für Luftfahrt doch noch in diesem Jahre in Britz unterbringen zu können, da das Ge lände in Adlershof, wo sich das Institut zur Zeit noch befindet, geräumt werden muß. Der Erwerb des Flug hafens Staaken steht kurz bevor, die Vorlage bedarf nur noch der Zustimmung der Stadtverordneten. Staa ken soll zum Zentralluftschiffhafen ausgebaut werden. Ferner besteht die Absicht, auch den Flughafen Johan nisthal zu kaufen, um in späteren Jahren den Zentral flughafen Tempelhof entlasten zu können. ilm die preußische Gewerbesteuer. Kommt eine Notverordnung? Am Dienstag soll im Preußischen Landtag die M» stimmung über die Gewerbesteuer wiederholt werden. Diese Wiederholung ist bekanntlich dadurch notwendig geworden, daß der Staatsrat gegen das Gesetz Ein, spruch erhoben hat. Nach den gesetzlichen Bestimmun, gen muß in der wiederholten Abstimmung eine Zwei, drittelmehrheit erzielt werden, sonst gilt das Gesetz als abgelehnt. Es würde' also für die Weitererhebung der Steuer die gesetzliche Grundlage fehlen und ein Zustand herbeigeführt werden, der für die Gemeinde etats nicht erträglich wäre. Der Interfraktionelle Ausschuß der preußische« Regierungsparteien hat sich deshalb schon in der vorigen Woche mit dieser Angelegenheit beschäftigt. Beschlüsse wurden jedoch noch nicht gefaßt, man will vielmehr erst das Ergebnis der Abstimmung abwarten. Sollte das Gesetz abgelehnt werden, so wird der Inter fraktionelle Ausschuß erneut zusammentreten, um einen Ausweg zu finden. Voraussichtlich wird für diesen Fall ein Antrag der Regierungsparteien erngebrucht werden, über den die Vollversammlung des Landtags sodann zu entscheiden haben wird. Ob schließlich der Weg der Notverordnung beschritten wird, wie es be reits bei der Hauszinssteuer und bei der Grunvver- Mögenssteuer der Fall gewesen ist, dürfte davon ab hängen, wie die Oppositionsparteien sich zu dem neuen Antrag der Regierungsparteien stellen werden. Der Streit geht bekanntlich um die Einbeziehung der freien Berufe in die Gewerbesteuer, die beim Staatsrat Anstoß erregt hatte. Nach den gesetzlichen Bestimmungen konnte der Staatsrat das Gesetz aber im Ganzen ablehnen. Ebenso kann auch der Landtag jetzt nur über das Gesetz in der früher beschlossenen Form abstimmen. * Gin Eventualantrag der Deutschen VoMartei. Die Fraktion der Deutschen Volkspartet hat im Preußischen Landtag für den Fall der Annahme des Gewerbe- und Berufssteuergesetzes einen Entschlie ßungsantrag eingebracht, der das Staatsmintsterium ersucht, mit größter Beschleunigung einen Gesetzent wurf vorzulegen, wonach erstens in allen Gemeinden, auch soweit die Steuerzuschläae bereits für das laufende Haushaltsjahr festgesetzt sind, eine Herabsetzung der Zuschläge zur Gewerbesteuer nach Maßgabe des aus der Heranziehung der freien Berufe zu der neuen Gewerbe- und Berufssteuer zu erwartenden Auskommens angeordnet wird, zweitens das neue Gewerbe.- und Be rufssteuergesetz mit rückwirkender Kraft vom 1. April d. I. dahin geändert wird, daß 1. für die freien Berufe eine Freigrenze von 6000 Mark eingeführt wird, 2. gegebenenfalls durch schärfere Begrenzung des Be griffs der freien Berufe die hinsichtlich der gesetz- technischen Klarheit dieses Begriffes geäußerten Be denken ausgerüumt werden. Mtzka Mr die Aot des Ostens. Ostparteitag des Zentrums in Breslau. Am Sonnabend und Sonntag hielt das Zentrum in Breslau, seinen ersten o st deutschen Parteitag ab, der sehr reich aus Ober- und Niederschlesien, aus den polnisch gewordenen Gebieten Oberschlesiens, aus Danzig, aus Ost- und Westpreußen sowie aus der Tschechoslowakei besucht war. In seiner Eröffnungsrede wies Prälat Ulitzka darauf hin, daß die Ostgebiete des Reiches politisch von besonderer Aktualität seien. Hier seien offene Probleme insbesondere durch die Grenzziehung ent standen, an deren Behandlung die ganze Welt in teressiert sei und deren Lösung für den Frieden und die gedeihliche Zusammenarbeit der Völker untereinander entscheidend sei. Darauf deutet schon das immer wie derkehrende Wort von einem Ost-Locarno. Tie Pro vinzen, deren Vertreter sich zum Ostparteitage zu- sammengefchlossen hätten, seien Grenzlande. Grenz- land verlange aber seit jeher besondere Beach tung und Pflege. Die durch den Versailler Ver trag geschaffene Grenze im Osten habe die Schwierig keiten in höchstem Maße gesteigert. Die Bevölkerung auf deutsch gebliebenem Boden könne sich iu die durch Versailles und Genf gezogene Abschnürung und Ab trennung nicht hineinfindeu. Auch von uns getrennte Volksgenosse» empfänden, obwohl schon fast ei» Jahr- „Den Heiligen sei es gedankt, fromme Schwester. Ich war schon in großer Not um sie. Hier weiß ich sie wohl aufgehoben und betraut. Doch laßt mich noch einmal zu ihr, vielleicht hat sie einen Auftrag für mich, ehe ich heim- gehe." — Abwehrend streckte die Alte beide Hände au» „Weißt du denn nimmer, daß eines Mannes Fuß nie schreiten darf über diese Schwelle?" Der Torwart stand unschlüssig, die schäbige Mütze in der Hand. „So sagt ihr, daß ich ihr gute Besserung wünsche. Und daß ich morgen wiederkomme, zu fragen, wie es ihr ergeht." wandte er sich und stieg langsam den Hüael wiedn herab, nicht ohne öfters den Kopf zurückzuwende» zum Frauenkloster, indes ein gewaltiges Donnerrollen lang sam über die nächtlichen Wiesen stieg. ES hatte die ganze Nacht gewittert. Bei Morgengrauen Ward es ruhiger über den Wäldern, und nur ein leise rieselnder Regen hüllte die Erde in seine grauen Schleier. Auf ihrem Lager saß Herzeleide uud sah sich erstaunt mit großen Augen ringsum. Kahle, nackte Wände um schlossen die enge Klosterzelle, nur ein Kruzifix hing über dem harten, niedrigen Lager. Als Herzeleide nachdenkend die Hände an die Schläfen legte, weil sie sich nicht besinnen konnte, wo sie war, öffnete sich geräuschlos die schmale Tur, die zum Kreuz- gang hinausführte, und eine greise, tiefgebeugte Nonne trat ein. Herzeleide legte bittend die Hände ineinander. „Oh, fromme Schwester, wollt mir sagen, wo ich hier bin! Kann mich nimmer besinnen, was vorgefallen mit mir, und sah auch Euer Antlitz nie zuvor." Die Alte setzte sich neben die Ludwigsburgerin auf den Rand ihrer Bettstatt. „Ich bin die alte Schwester Ursula, Kind, und die- hier ist das Kloster der Demut Unserer Lieben Frauen." Wieder griff Herzeleide an ihre Stirn. „Ja, aber wie bin ich denn hierhergekommen, Schwester Ursula?" „Et, Kind, hast du denn daS arge Gewitter vergessen, gestern abend, und wie dich ein Schwindel ankam just vor unserer Pforte?" Jetzt flog es wie jähes Erinnern über Herzeleides blasses Gesicht. „Ihr habt recht, Schwester Ursula, das war mir ganz entfallen. Nun Ihr davon sprecht, kommt wieder alles ins Gedächtnis zurück. Ich muß sehr ties und schwer geschlafen haben, denn mein Kovf ist noch dumpf und wirr." Die Alte beugte sich über sie und legte ihr die kühle Hand auf die heiße Stirn. „Das macht die Gewitterschwüle, armes Kind. Ruhe dich noch ein wenig aus bei uns, daß du wieder zu Mästen kommst." Herzeleide legte sich zurück und schloß die Augen. „Ja, Schwester Ursula, das will ich tun. Allweil nur immer schlafen möcht ich. Sonst nichts." Die Mte faßte besorgt nach ihrem Puls. „Möchtest du keine Morgensuppe essen, Kind, oder einen Bissen Brot?" 'Herzeleide schüttelte nur den Kopf und wandte das Gesicht zur Wand. Da schlich sich die Alte leise aus der Tür. Ueber den Kreuzgang schlich sie, auf ihren Stock gestützt, denn ihr wurde das Gehen schon schwer. - Zellentür der Aebtissin machte sie halt und a"' keine Antwort kam, legte sie lauschend Ohr an die schwere Eichentür. . hatte aufgehört zu regnen. Auf dem Klosterhof YEen sich die Wässerlein zu Pfützen gesammelt, und von den Blattern tropfte es schwer und silbern. Immer lichter und glühender ward es im Osten, als wage die Sonne mutig den Kampf gegen die abziehenden Gewitterwolken, kanzelnden Ganges, wie eine Bachstelze, um die Pfützen zu meiden, schritt die junge Schwester Glöcknerin zur Kapelle ,um zur Frühmesse zu läuteu. Immer noch stand Schwester Ursula und lauschte. Tan» klopfte sie noch einmal, heftiger. Es kam eine rauhe Antwort von drinnen, und sie klinkte behutsam die Tür auf. In ihrer Zelle am schmalen Fenster stand die Aebtissin und starrte in den grauenden Morgen. Sie wandte sich auch nicht um, als die Albe über die Schwelle humpelte und sorglich die Tür wieder hinter sich schloß. Endlich hüstelte Schwester Ursula leise. „Frau Domina!" Und dann noch einmal — eindringlicher: „Frau Domina!" Da wandte die andere den Kopf halb zur Seite. „Was willst du, Schwester Ursula?" Die Mte blieb demütig an der Tür stehen, auf ihren Stab gestützt. „Die Llwwigsburgerin scheint mir sehr trank, Fra« Domina. Was wollt Ihr beginnen?" Jetzt trat die andere vom Fenster zurück und durch maß mit großen, ruhelosen Schritten dar Zimmer. „Ich weiß, daß sie krank ist, ich war die Nacht öfters bet ihr." Die Alte nickte. „Ihr müßt ihre Tippe benachrichtigen, Frau Do mina, daß man Bescheid weiß. Und dann erlaubt, daß ich Wache halte bet ihr. Ihr wißt, daß ich heilkundig bin in Fiebertränken und allerlei Pulv-rn. Vielleicht, daß ich ihr helfen kann." Die Aebtissin zuckte die Achseln.