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und rationelleren Verkeilung der materiellen Armenlast darf nicht mehr von der Tagesordnung der öffentlichen Diskussion verschwinden, bis die vorhandenen Uebclstände beseitigt sind. Zwei unbestreitbare Thatsachen liegen den neuerdings hervorgetretenen Bestrebungen zur Abänderung der gegenwärtigen Zustände zu Grunde: Einmal, daß die Armenpflege nicht alle mit Recht an sie zu stellenden Ansprüche vollständig erfüllt, und sodann, daß trotzdem die Armenlast als eine zu drückende empfunden wird, weil sie eben nicht richtig nach der Leistungskraft vertheilt ist." — „Berl. Tageblatt" Nr. 320 vom 12. Juli d. I. — Wenn nun, wie zu hoffen, die Neformpläne des Fürsten Bismarck verwirklicht werden und entsprechende Gesetze im Deutschen Reiche zur Geltung gelangen, wer kann dann noch zweifeln, daß die Fortschrittspartei doch eigentlich die Urheberin jener dem Volke zum Segen gereichenden Institutionen im Grunde ist? Ihre Presse hat ja von Anfang an diesen gescheuten Gedanken gehabt, sie hat es ja gleich gesagt! Und ob die Fortschrittspreffe nicht auch die Priorität für Erfindung der Buchdruckerkunst und des Schießpulvers mit Recht zu bean spruchen hat, das zu ergründen bleibt späteren Forschungen ihrer Historiker jedenfalls noch Vorbehalten. Wo steckt der Eigennutz? (Nachdruck erwünscht.) Wunderliche Leute, die Konservativen, wahrhaftig! Kommt da die Re gierung mit dem Anträge, die nothdürftigsten Lebensbedürfnisse zu besteuern und die Konservativen stimmen wie ein Mann dafür und setzen cs auch richtig durch! Und dabei müssen sie unseres Wissens gleichfalls essen und trinken, wie andere Menschen, und die gebratenen Tauben fliegen ihnen doch auch nicht in den Mund! Sie essen dasselbe Brod und dasselbe Stückchen amerikanischen Speck dazu, und genießen doch denselben Kaffee und verbrennen dasselbe Petroleum wie die Liberalen, und doch vertheuern sic sich das Alkes so aus reinem puren Muthwillen! Aber weiter: Kommt da die Regierung mit dem ferneren Anträge auf Schutz zölle aus Manufakturwaarcn und gewisse andere Artikel und die Konser vativen stimmen wiederum wie ein Mann dafür und setzen es abermals durch. Sie wollen absolut keinen billigen Rock aus feinem französischen Wollstoff, kein wohlfeiles Ballkleid für ihre Frauen und Töchter aus eng lischer Baumwolle oder italienischer Seide auf dem Leibe haben, sondern bestehen darauf, möglichst tief in die Tasche zu fassen, wenn sie sich dergleichen anschaffen, obgleich sic das Geld doch auch nicht auf der Straße finden. Und endlich! Verlautet da ferner, daß die Negierung die Absicht habe, das Tabakgeschäft selber in die Hand zu nehmen und den Gewinn, den bisher die Fabrikanten und die Händler in die Tasche gesteckt haben, in den Steuersäckel fließen zu lassen, und während die Libe ralen alle für die armen Tabaksinteressenten zittern und Zeter und Mordio schreien, daß nun Tabak und Cigarren unfehlbar schlecht und theuer werden würden, lächeln die Konservativen, die doch in ihren Reihen am Ende auch Leute haben, die Tabak bauen, fabriziren oder handeln, oder die zu», mindesten keine geschworenen Feinde eines guten Pfeifchens oder einer duftenden Havana sind, die Konservativen lächeln, nicken der Negierung ganz vergnügt zu und sagen: „Nur zu! lieber die Sache läßt sich reden! Wir sind auch gar nicht abgeneigt, wenn's sein muß, selbst unseren Tabak eine Kleinigkeit theurer zu bezahlen, wenn er nur gut ist!" — Na, das verstehe wer's kann! Das muß doch noch anders Zusammenhängen! Sollte etwa die Regierung den Konservativen ihre Steuern heimlich wieder zurück zahlen? Aber nein, erstens wäre das doch nicht gut ausführbar und dann, wenn's wirklich wäre, hätten's auch die Liberalen sicher schon heraus- gebracht und in allen ihren Blättern der Welt mitgetheilt. Oder sollten die Konservativen etwa ganz im Stillen so ein kleines Handelsgeschäft mit der Regierung abgeschlossen haben, wie das früher einmal die Liberalen im Sinne hatten und ihre Stimmen für ein Paar Ministerportefeuilles oder jür die Zusicherung, daß die Verfassung ein bischen in ihrem Sinne revidirt werden solle, verkauft haben? Auch davon hat noch nichts verlautet und die Liberalen haben doch so scharfe Ohren! Nun, dann ist's nicht anders zu erklären, als die Konservativen sind alle wahnsinnig, denn nur so läßt sich doch ein Mensch nennen, der blos darauf ausgeht, sein Geld los zu werden, Alles, was ihm ein anderer abfordert, ohne Weiteres bewilligt und nichts dafür erhält. Ein solcher Mensch ist unzurechnungsfähig und muß unter Kuratel gestellt werden! — Aber merkwürdig, die Konservativen zeigen sich doch sonst ganz vernünftig! Sie machen gar nicht den Eindruck, als wenn sie von der fixen Idee befallen wären, ihr Geld aus dem Fenster zu werfen, und eine pure Manie besäßen, Zölle und Steuern zu bezahlen. Es sind doch eine Dienge recht sparsamer Leute darunter und auch viele solche, die's gar sehr nölhig haben und durchaus nicht so in der Wolle sitzen, wie die liberalen Börsenbarone und Pfeffersäcke. Sonderbar, in der That höchst sonderbar! — Nun, lieber Wähler, vielleicht bist Du ein Landwirth und hast einen Acker, der ausgesogen ist und nicht mehr ordentlich etwas hergeben will. Was thust Du? Ja ja! Du kratzst Dir den Kopf und sprichst: „Da werden wir Wohl mal am Ende in die Tasche fassen und ein Paar Fuhren Dünger riskiren müssen!" Oder Du hast eine saure Wiese, der nur durch Drainage wieder aufzuhelfen ist? He? — Oder Du bist vielleicht Hausbesitzer und machst eines schönen Tages die unangenehme Entdeckung, daß der Putz der Fayade an ziemlich vielen Stellen abgesallcn ist und ein Balken schon ganz blosliegt. Wirst Du Acker, Wiese und Haus verkommen und verfallet: lassen, Dir die Tasche zuknöpfcn und sagen: „Ich hab' kein Geld!" — Hand auf's Herz, Du thust es nicht, Du ziehst den Beutel, vielleicht mit saurer Miene, aber die Miene sieht keiner, und düngst, drainirst und renovirst! Sichst Du, so machen es auch die Konservativen! Da sie nicht wollen, daß der Getreidebau in Deutschland als unrentabel ganz eingestellt werde und Deutschland mit seinem gewaltigen Bedarf an Brodfrucht in völlige Abhängigkeit vom Auslande gerathe, da sie nicht wollen, daß die inländische Industrie von der übermächtigen fremden Konkurrenz erdrückt werde und die vaterländische Gewerbsamkeit mehr und mehr in Verfall gerathe, da sie endlich nicht wollen, daß die Sorge für die Armen und Hilfsbedürftigen allein auf den unsicheren Schultern der Gemeinden ruhe, anstatt mit auf dem starken und breiten Rücken des Deutschen Reichs, darum stimmen die Konservativen für Lebensmittel- wie Schutzzölle und eintretenden Falls auch für das Tabaksmonopol, obgleich sie selber auch dabei, und wahrhaftig nicht zum wenigsten, in die Tasche greifen müssen. Aber die Vaterlands liebe geht bei ihnen über den Geldbeutel, so sind sie nun einmal, diese Konservativen! Steuerzahlen bleibt immer und ewig ein leidig Ding! Aber was hilft's! — Vergessen wollen wir jedoch nicht, daß die Steuerreform nur zum kleineren Theile in der Auflage neuer Lasten, zum größeren Theile aber lediglich in der Uebertragung der bis herigen Steuerlast von den schwachen und ermüdeten Schultern der Gemeinden und Einzelstaaten auf den festen Gliederbau des Reichs und in der Umwandlung der drückenden Bürde direkter Besteuerung in das bequemer zu tragende Päckchen der indirekten Steuern und Zölle besteht. Dafür haben wir die bestimmtesten Zusicherungen und die konservative Partei wird trotz jeder anderen auf der Wacht stehen, daß es in der That auch so geschieht! Was aber die geringe und möglichst zweckmäßig zu vertheilende Mehrauflage betrifft, so dürfen wir nicht vergessen, was heutzutage auch Alles von der Regierung mehr verlangt wird, wie bisher. Da soll der Schulunterricht für Unbemittelte kostenfrei gemacht, da soll die Zukunft der Arbeiter-Invaliden sicher gestellt, da sollen neue Verkehrswege geschaffen und alte verbessert, da sollen die gesteigerten Ansprüche von Kunst und Wissenschaft befriedigt werden und was der Forderungen und berechtigten Wünsche mehr sind. Ohne Geld aber, das weiß jedes Kind heutzutage, ist nichts zu haben. Deshalb und in dieser weisen Erkenntniß sind die Konservativen für die neuen Zölle und Steuern eingetreten und werden auch in Zukunft dafür einstehen. Sie haben sich nicht gescheut, das Odium auf sich zu nehmen, das nun einmal All und Jedem anhastet, was die Ausgaben für's tägliche Leben vermehrt, sie haben willig in den eignen Beutel gegriffen und werden ferner Hineingreifen in der Ueberzeugung, daß, wer Großes leisten will, auch die Mittel dazu hergeben muß. Die Liebe zu Kaiser und Reich hilft ihnen über das bittere Gefühl und. die sauere Miene beim Steuer zahlen hinweg. Darum, wer sich nicht auf den ja freilich billigeren und bequemeren Standpunkt der Liberalen: „des Neinsagens zu allen Negierungs vorschlägen" stellen will, wer mit uns ist für eine gedeihliche Weitcrentwickelung aller Institutionen des Deutschen Reichs und für einen gesunden Fortschritt auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens, der wähle einen Konservative»! Das Handwerk und die Wechfelfreiheit. „Die Konservativen wollen dem Handwerker die Wechselfreiheit nehmen, als ob derselbe nicht auch Kredit brauchte." — So läßt das fortschrittliche Wahlorgan, das „Deutsche Reichsblatt", einen Handwerker sagen. Wir haben nun die feste Ueberzeugung, daß ein Handwerksmann das nicht geschrieben haben kann, denn gerade ein solcher wird sich für Wechsel geben am allerwenigsten erwärmen können, wenn er weiß, welches Unglück die Wechselfreiheit, gegenüber dem geringen Vortheil, besonders unter dem Handwerkerstand, angerichtet hat. Die Konservativen haben niemals daran gedacht, dem Handwerker die Wechselfreiheit zu nehmen, denn es existiren wohlthätige Kreditinstitute auch für die Handwerker, die sich der Wechselform bedienen müssen. Sie würden aber sicherlich die Hand dazu bieten, dem vielfachen Gebrauch des Wechsels als Mittel des Wuchers zu steuern, welchem der Handwerker in allen Fällen erliegen muß. Der Handwerker hat früher nicht das Geringste von Wechseln gewußt und dennoch stand er hundert Mal bester da, wie heute. Brauchte er Geld, so erhielt er dasselbe ohne Wechsel zu 5 Prozent Zinsen, als höchsten Zinssatz, denn sein lohnendes Handwerk, gefestigt und geschützt durch die Innung, galt als die beste Sicherheit. Hunderttausende wünschen jetzt diese Zeit zurück, die ihnen eine ge sicherte Existenz und ein sorgenfreies Alter bot, eine Zeit, die jetzt von den Fortschrittsführern verspottet wird. Nach Einführung der allgemeinen Wechselfähigkeit änderte sich das mit einem Schlage. Durch die Aufhebung der Personalhast und die Aendemngen der neuen Prozeßordnung erhielt der Wechsel eine andere Bedeutung wie früher. Es entstanden eine Menge Banken und Kreditinstitute, die aber dem kleinen Handwerker ver schlossen blieben. Bei den Handwerkerbanken erhielt er nur Kredit, wenn er Mitglied war, und zwei gute Wechselunterschristen beibringen konnte. Konnte er sich diese verschaffen, so war er fast stets zu gleichen, ost noch größeren Gefälligkeiten verpflichtet. Dadurch lief immerfort eine schwere Kette von Verbindlichkeiten neben ihm her, die ihn selbst des Kredites be raubte. Er siel unrettbar dem Wucherer in die Hände. , Die Handwerkerbanken nahmen aber auch Kaufleute, Rentiers und Geschäftsleute aller Art als Mitglieder auf, und die gewerbsmäßigen Wucherer nicht minder. Da nun den Banken viele Depositen zugeführt wurden, so mußten sie auch das Geld unterbringen, und discontirten willig die wucherischen Wechsel aller Art. Es bildete sich demgemäß ein System der Spionage aus, das dem wuchernden Kapital zum Vortheil gedieh, dem eigentlichen Zweck der Handwerkerbanken und Vorschußkasten, dem Handwerker zu helfen, zuwider lief. So wurde der Wucher, dessen Ackerfeld der Handwerkerstand war, nicht verhindert, sondern unterstützt.