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ZllMbnrgtr NaMM Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nüchster- scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. und Waldenburger Anzeiger. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. 5V Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 1V Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. 237. Donnerstag, de» 13. Octobcr 1831. *Waldenburg, 12. October 1881. Der Kern der socialen Frage. Wir machten bereits vor einiger Zeit einmal darauf aufmerksam, welche Gewinne bei Staats anleihen erzielt werden und in welche Taschen diese Gewinne fließen. Heute wollen wir an einem anderen Beispiele zeigen, ww man den Leuten das Geld aus der Tasche zieht, wobei wir einem Arti kel des „Vogtl. Anz." folgen, in welchem es in Bezug auf die Umwandlung der französischen Rente im Jahre 1879 heißt: Frankreich hatte zur Bezahlung der Kriegskosten entschädigung an Deutschland im Jahre 1871 2000 Millionen Frcs. Renten zum Course von 82'/n Frcs. und 1872 weilire 3000 Millionen Frcs. zum Course von 84'/- Frcs. ausgenommen. Diese beiden Emis sionen hatten also 4185 Millionen baar gebracht und kosteten jährlich 250 Millionen Frcs. Zinsen. Inzwischen hatte sich der Credit Frankreichs so ge hoben, daß die 5procenlige Rente auf 112 Procent stieg. Die Inhaber der Emission von 1871 halten nur 82'/r Frcs. gezahlt und konnten 112 dafür wiedererhallen, halten also auf jedes Stück von 100 Frcs. 29'/2 Frcs. baar gewonnen. Die Inhaber der Rente von 1872 hatten 84'/r Frcs. gezahlt und bekamen beim Verkauf 112, hatten also 27'/r Frcs. gewonnen. Obendrein bekamen sie ihr Anlagecapi- tal mit rund 6 Procent verzinst. Die 4185 Mil lionen, welche an den Staat gezahlt waren, halten 1879 einen Werth von 5600 Millionen; also die Zeichner hatten 1415 Millionen baar verdient. Unter diesen Umständen wäre es ganz billig gewe sen, wenn der Staal den Zinsfuß herabgesetzt hätte aus 4 Procent vom Nominalwerthe, was in Wirk lichkeit noch fast 5 Procent vom wirklich bezahlten Gelds bedeutete. Da die alte Zprocentige Rente auf 77'/; Frcs. stand, so würde sich die 4procenlige auf 103 berechnet haben, die Umwandlung des Zinsfußes hätte also den Cours von 112 auf 103 herabdrücken müssen. Nun hat sich Folgendes zugetragen: Am 11. Februar erklärte der Finanzminister Say, die Um wandlung hänge von noch zu ermittelnden Forschun gen über die Lage des Landes und des Capital- markles ab; er könne sich noch nicht bestimmt aus sprechen. Am 22. Februar spricht sich die Budget- Commission der Abgeordnetenkammer in geheimer Sitzung, deren Ergebniß an der Börse sofort be kannt wird, für die Umwandlung aus. Die Rente fällt bis zum 27. Februar nach und nach um 5 Procent. Dies macht eine Totalentwerthung von 250 Millionen Frcs. Die Börse ist fieberhaft er regt und das Land auch, da Frankreich Millionen kleiner Rentiers hat, welche ihre Ersparnisse in heimischer Rente anlegen und die ihre Rente nun verkaufen wollten, ehe sie entwerthet wird. Am 27. Februar, vormittags 11 Uhr 30 Minuten, schloß der Ministerrath, in welchem die Umwandlung ab gelehnt wurde. Say sandte 11 Uhr 30 Minuten eine diesbezügliche Bekanntmachung an den Syndikus der Börsenmakler zum sofortigen Anschlag an der Börsenthür. Dieser Anschlag geschieht aber erst um 1 Uhr 15 Minuten. In London war die Nachricht Eingeweihten schon um 12 Uhr bekannt; eine Extra ausgabe der „Times" meldete sie um 12 Uhr 30 Minuten, also 45 Minuten vor dem Anschlag an der Pariser Börse. Von 11 Uhr 30 Min. bis 1 Uhr 15 Min. wurden Millionen an der Pariser Börse verdient von denjenigen, welche den Anschlag zurückhielten. Das mobile Capital expropriirt nach und nach die Gesellschaft mit der Regelmäßigkeit eines Natur gesetzes, und wenn dieser Entwickelung kein Ein halt gethan wird, so ist mit ziemlicher Sicherheit anzunebmen, daß in 50 bis 100 Jahren die ganze europäische Gesellschaft der Herrschaft einiger Hundert Börsenbarone unterworfen sein wird. Der 1875 gestorbene Pauser Rothschild hinter ließ 1000 Millionen Frcs. Man darf also das Vermögen des Gesammthauses auf 5000 Millionen Frcs. schätzen. Die Rothschilds machen mit ihrem Geld weit mehr als jährlich 5 Procent. Rechnen wir indeß, daß dieses Mehr für ihren eben nicht luxuriös eingerichteten Unterhalt daraufgehe und ihr Capital mit Zins und Zinseszins sich nur alle 15 Jahre verdoppele, so greifen wir sehr niedrig; denn es hat sich vom Entstehen des Hauses bis jetzt schneller verdoppelt. Unser Königreich Sachsen ist eines der wohlhabendsten Länder Deutschlands. Bei 2,760,586 Einwohnern Ende 1875 betrug das zur Einkommensteuer eingeschätzte schuldenfreie Ein kommen pro Jahr und Kopf 459 Frcs., im Jahre 1877 nur noch 430 Fcs. Das 5procentige Ein kommen aus dem damaligen Vermögen der Roth- schild'schen Familie betrug also damals ebensoviel, als das von 581,400 Sachsen zusammen. Würde nun das Rothschild'sche Vermögen sich nur alle 15 Jahre verdoppeln und das europäische Durchschnitts einkommen constant ebenso bleiben, wie das der Sachsen im Jahre 1877 war (was aber nicht mög-- lich ist, da das Großkapital nicht aus dem Boden wächst), so ergiebt sich folgende Rechnung: Das Einkommen der Rothschilds ist im Jahre 1890 gleich demjenigen von 1,960,000 Menschen, im Jahre 1965 würde das Rothschild'sche Vermögen betragen: 320,000 Millionen Frks. mit einem Renteneinkommen, wovon 37,120,000 Menschen leben müssen, d. h. etwa die ganze Bevölkerung des österreichischen Kaiserstaates müßte nach 100 Jahren für diese eine Familie arbeiten. In dieser ungeheuerlichen Anhäufung des Groß kapitals liegt der Kern der socialen Frage. ^Waldenburg, 12. Oktober 1881. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Reichstag bleibt in Berlin. Officiös wird versichert, daß an dem Plane festgehallen wurde, das neue Reichstagsgebäude auf dem Raczyns- kischen Platze am Thiergarten in Berlin zu errichten. Oesterreich. Infolge des Ablebens Haymerle's ist der Kaiser bereits am 11. d. in Wien eingetroffen. Als Nach folger Haymerle's im Auswärtigen Amt wird zu meist Andrassy, aber auch der Botschafter in Peters burg, Graf Kalnoky, genannt. Sämmtliche Blätter geben den schmerzlichen Empfindungen über den frühzeitigen Tod des Ministers Baron Haymerle Ausdruck und be tonen dessen maßvolles conciliantes Vorgehen in allen Fragen der äußeren Politik. Das „Fremden blatt" sagt: Haymerle rechtfertigte glänzend das in ihn gesetzte Vertrauen. Im vollen Einvernehmen mit Bismarck trat er jederzeit für die friedliche Durchführung des Berliner Vertrags ein, auch ge lang ihm die Geltendmachung der Interessen Oesterreich-Ungarns. Seine versöhnliche Haltung bewirkte die Beseitigung der Mißverständnisse mit Italien, doch werden die großen Prinzipien unserer auswärtigen Politik durch den Wechsel im Ministe rium keine Aenderung erfahren. Die „Presse" sagt: Haymerle wußte das Freundschaftsbündniß mit Deutschland so wohl zu pflegen, daß dasselbe heute als einzig unwandelbares und festes politisches Ver- hältniß innerhalb der schankenden Haltung anderer europäischer Mächte, als festeste Friedensbürgschaft gepriesen wird. Schweiz. Der socialistische Welt-Congreß, welcher in Chur tagte, hat die Frage, betreffend die internationale Verbindung der socialistischen Kräfte, dahin beantwortet, daß eine solche Verbindung so lange unmöglich bleibe, als die Vorbedingung, die natio nale Organisation, nicht überall durchgeführl sei. Die Frage soll dem nächsten, socialistischen Welt- Congreß, welchen man im Jahre 1883 in Paris abzuhalten gedenkt, wieder zur Berathung vorgelegt werden. Ebenso soll auch die Ausarbeitung des gemeinsamen Programmes, betreffend Prinzipien, Agitation und Propaganda, dem nächsten Congreß übergeben werden. Alle wesentlichen Maßregeln sind somit auf die Zukunft vertagt worden. Man hat deshalb wohl ein Recht, von einem Fiasco zu sprechen. Italien. Der Steuerertrag der neun ersten Monate vom Jahre 1881 übertrifft die gleiche Periode des Vorjahres um 38'/r Millionen. Frankreich. Ein Berichterstatter der „Köln. Ztg." schreibt über das sehr unheldenmäßige Benehmen bei der Ein nahme von Sfakes. Acht Panzerschiffe erster, vier zweiter Clasie, vier kleine Panzerschiffe, zwei Avisos, also achtzehn Kriegsschiffe im Ganzen, bom- bardirten zuerst seit dem 16. Juli 14 Tage lang die Stadl, dann erst wagten 5000 Mann, Marine truppen, Linie, Zuaven und Artilleristen, sie mit stürmender Hand zu nehmen. Zu seiner Verthei- digung hatte Sfakes nur etwa 50 ganz verrostete kleine Kanonen aus dem 17. Jahrhundert, aus denen alles in allem am ersten Tage etwa 15 Schuß abgegeben werden konnten und deren Kugeln etwa Halbwegs zwischen Sfakes und den Panzern ins Wasser schlugen. Die Stadt wurde vertheidigt von 3—4000 Mann, die mit Feuersteinflinten und mit sehr wenigen Zündhütchen-Jagdgewehren bewaffnet waren. Gleichwohl waren die Franzosen sehr stolz auf ihren Sieg. Kaum gelandet, begannen sie zu plündern und zwar sowohl die den Europäern ge hörenden Häuser wie diejenigen der Araber. Sie haben auch nicht die Consulate der verschiedenen Mächte verschont, obwohl diese ihre Flaggen aufge zogen hatten. Sehr bemerkenswerth ist folgendes Vockommniß: Auf dem deutschen Viceconsulate pflanzten sie, nachdem sie die deutsche Flagge ge strichen (duissö), sofort die siegreiche französische Tricolore auf. Bei den übrigen Consulaten be gnügten sie sich, die Flagge zu streichen, ohne an deren Stelle ihre eigene zu setzen. Sie haben die Stadt bereits eine halbe Stunde nach ihre Landung vollständig besetzt gehabt. Man kann daraus ent nehmen, daß ihnen die Araber kaum einen Wider stand entgegensetzten. Zu richtiger Beurtheilung muß man wissen, daß die Europäer ganz für sich eine Vorstadt von Sfaks, die zwischen der arabischen Stadt und dem Meere liegt, bewohnen. Die Fran zosen kannten dies so genau, daß sie nicht einen einzigen Schuß in das europäische Quartier richteten, vielmehr alle ihre Granaten (etwa 2500) in der arabischen Stadt einschlugen. Außerdem dienten ihnen bei ihrer Landung verschiedene in Sfakes an sässige Franzosen als Führer! Die „Gazette de Medicine" bringt einen Bericht über unerhörte Vernachlässigung des Kranken dienstes in dem Expeditionscorps; derselbe ruft in Frankreich große Entrüstung und allgemeinen Ruf nach strengster Untersuchung hervor. Der Kriegs minister läßt denn nun auch verkünden, daß er so fort bezüglich dieser entsetzlichen Miltheilungen über