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ZlhönbnM TaaMlM und Waldenburger Anzeiger Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg. Mittwoch, den 2. November 1881 253 Erscheint täglich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Uhr des vorhergehenden Tages. Der Abonnementspreis beträgt vierteljähr lich 1 Mk. SV Pf. Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. "Waldenburg, 1. November 1881. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Der Kaiser ist am 30. October von Ludwigs lust nach Berlin zurückgekehrt. Die jüngsten Reichstagswahlen scheinen für Bismarck nicht besonders günstig ausgefallen zu sein. Bisher sind 377 definitive Wahlresultate bekannt, davon sind 42 conservative, 21 gehören der Reichs partei, 98 dem Cenlrum, 30 sind nationalliberal, 2 liberal, 24 gehören d^n Secessionisten, 34 dem Fortschritt, 3 der Volkspartei, 13 den Polen, 13 den Partikularisten, Welfen und Protestlern, 2 sind unbestimmt, außerdem sind 93 Stichwahlen. Noch ist das Resultat der Reichstagswohl nicht vollständig ermittelt und schon hört man in Berliner politischen Kreisen die Frage der Auflösung als nicht sehr unwahrscheinlich diskutiren; und zwar ge schieht dies von Personen, bei denen mau voraus setzen kann, daß sie Fühlung mit den maßgebenden Personen haben, und daß ihre Meinung nicht auf oberflächlicher Vermuthnng basirt. Die Wahrschein lichkeit dieser Anschauung leuchtet auch ein. Die wirthschaftliche Reform hat der Reichskanzler sich gegenwärtig zu seiner Lebensaufgabe gemacht, und man weiß, mit welcher Energie derselbe einem ein mal von ihm gefaßten Plan verfolgt. Die gegen wärtige Wahl hat sich vollzogen, ohne daß der Reichs kanzler in directer und öffentlicher Weise den viel fachen Parteiagilationen gegenüber seiner Meinung Ausdruck gegeben Hal. Ihr Ausfall läßt schon jetzt erkennen, daß die Reform-Pläne des Reichstages nicht die genügende Unterstützun i finden. Da bleibt denn allerdings für die Reichsregierung nichts ande res übrig, als der Apell an das Volk, der in der Form einer Auflösung an die Bevölkerung ge richtet wird. Die „Kreuzztg." schreibt: Das sogenannte Bud- getrechl, wie der Liberalismus es Herstellen will, geht geradewegs darauf hinaus, den Staat nicht bloß unter die Herrschaft der wechselnden Majoritä ten, sondern auch unter die Herrschaft der Börse zu bringen, und erklärt sich ohne Weiteres aus In teressengemeinschaft und Solidarität des fortgeschrit tenen Liberalismus und der Finanzwelt. Die „Freiheit" aber, welche in der Bedürftigkeit des Staates ihre Garantie erkennt, wird bei der weite ren Entwickelung des Anleihesystems zu Gunsten der Agiotage schießlich dahin gelangen, von der Geldmacht in die Tasche gesteckt zu werden. Das ist die eine Seite der Gefahr; es giebt aber noch eine andere, welche dem Staal von Seiten der Börse droht. Die großen Bankiers, welche mit orientalischen Slaalen, von deren finanzieller Unfä higkeit sie gewiß die sicherste Kunde hatten, Anleihen abschloffen, brachten natürlich die Gefahr des Ver lustes dem Schuldner in Anrechnung und lassen sich die Wagnißprämie auf der Börse auszahlen, welche dem Consortium großer Geldpotenzen und deren Machinationen gegenüber urtheilslos ist. So gelan gen die Schuldtitel in die Hände der Privatleute, uitd wenn es bei dem Ausbleiben des Zinses sich zeigt, welche Früchte man von dem Giflbaum der Börse gepflückt, dann erhebt sich der Anspruch an den Staal, das nach dem Ausland geleitete Geld der Staalsangehörigen zu retten, selbst auf die Ge fahr kriegerischer Verwickelungen. Also kostet es das Gut und Blut Aller. Freilich sollten solche Zumulhungen bei der liberalen Wirthschaftslehre selbst ihre Zurückweisung fiuden. Nach dem Grund satz „Mnchenlassen" soll man Niemanden hindern, sein Geld in den Brunnen zu werfen oder zur Börse zu tragen. Wenn es aber um Geldverluste auf dem internationalen Geldmarkt sich handelt, verlangen auch die Liberalen, daß der Staat mit seiner ganzen Kraft dem Geschäft zu Hilfe komme. Die Stempelabgabe für Werlhpapiere wird für das Etatsjahr 1882/83 mit 2,156,000 Mk., die Stempelabgabe für Schlußnoten und Rechnungen mil 3,822,000 Mk. (diese beiden Posten bilden vorläufig die ganze Besteuerung der Börse und des mobilen Capitals), die Stempelabgabe für Staats lotterien mit 5,500,000 Mk. und die für Privat lotterien mil 588,000 Mark veranschlagt. Die Gesammteinnahme infolge des neuen Stempelge- setzeS würde sich hiernach aus 12,066,000 Mark stellen. Aus Berlin wird über eine am 28. October statl- gefundene antifortschrittliche Versammlung ge schrieben: „Wir kämpfen weiter! Das war die Loosung, die gestern Abend von einer nach Tausen den zählenden Versammlung in der Tonhalle in allen Tonarten variirt wurde. Ursprünglich war es eine Versammlung der Christlich-Socialen, welche dort einberusen war, sie wurde aber zu einer Versamm lung antifortschrittlicher Wähler Berlins in einer so grandiosen Weise, wie sie Berlin noch nicht erlebt hat. Das war keine besiegte Armee, die sich dort zusammengefunoen Halle, es war — wie Stöcker sehr richtig bemerkte — nur ein geschlagenes, aber dennoch kampfbereites und siegesgewisses Heer, jeden Augenblick bereit, den Kampf wieder zu beginnen. Die Fortschrittler, welche der gestrigen Versammlung, zu der die Wähler aus allen Wahlkreisen sich ein gefunden hallen, beiwohnlen, erklärlen uns selbst, daß ihnen, nachdem sie dieser Versammlung bei gewohnt, nun um ihre eigene Partei bange werde. Bemerkenswerlh war noch, daß in dieser Versamm lung Professor Adolf Wagner, der berühmte Volks- wirthschaftslehrer an unserer Hochschule, sich defini tiv der christli h-socialen und antifortschriltlichen Bewegung anschloß und sich offen für dieselbe er klärte. Auch mil seinen College» vom Katheder, die ihn wiederholt angegriffen, den Professoren Virchow und Mommsen schloß Professor Wagner an diesem Abend das Couto ab. Er erklärte, daß er, gleich jenen „ordentlicher Professor" an der Berliner Hochschule, die Verdienste vollkommen an erkenne und zu würdigen nnsse, welche dieser als Historiker, jener als Pathologe um die Wissenschaft habe; das volkswirthschafltiche Gebiet aber sei das seine, da sei er ihnn über und da müße er ihnen zurufen: „Schuster bleib bei deinem Leisten!" — Wir können den Vorgängen aus dieser Versamm lung, die erst kurz vor Milternacht schloß, noch hin zufügen, daß die antifortjchüttliche Partei schon in der nächsten Woche ihre agitatorische Thäligkeit wieder aufnehmen wird. Zunächst wird dieselbe ihre Thäligkeit auf die bevorstehenden Sladlverordneten- wahlen, welche Ende anderen Monats oder An fang December staufinden, beschränken, dann aber sofort in die Agitation für die bevorstehenden Land tagswahlen des nächsten Jahres eintrelen. Die in Amerika anhängig gemachten Prozesse gegen deutsche Schlffskapitäne wegen Ueber- süllung ihrer Schiffe scheinen kein Resultat ergeben zu sollen, welches den Angeklagten zur Last fiele, wenigstens sollen die gegen den Norddeutschen Lloyd in Bremen gerichteten Anschuldigungen, wie aus Newyorker Blättern zu ersehen, niedergeschlagen werden. Es sind nämlich bei der Vermessung der Schiffsräumlichkeiten die Kajülenräumlichkeiten nicht inbelracht gezogen worden, wodurch sich das Facit bezüglich des für den einzelnen Passagier berechneten Raumes anders gestaltet, zumal auf jenen Dampfern eine Anzahl Zwischendecks-Passagiere in den nicht benutzten Kajüten untergebracht morden sind. Im deutschen nationalen Interesse ist dieser Ausgang sehr erfreulich. Gegen die zu Hamburg domicilirende Dampsschifffahrts-Gesellschaft schweben die Prozesse allerdings noch, doch dürfte auch hier kaum eine Verurtheilung erfolgen können, da diese Gesellschaft — die Hamburg-Amerikanische Packetfahrts-Actien- Gesellschaft — dieselben gewissenhaften Prinzipien hat, wie das Bremer Schwesterinstitut. Herr Hofprediger Or. Stöcker in Berlin wird viel leicht dem nächsten Reichstage nicht wieder angehören. Zu seinen Niederlagen in Dresden und Berlin gesellt sich die in Frankfurt a. O., woselbst der Liberale Struve mit 7000 Stimmen über Or. Stöcker siegte, der nur 300 Stimmen erhielt. In Minden kommt Stöcker zur Stichwahl gegen einen Conservutiven; es ist also immerhin die Möglichkeit noch da, daß Stöcker in den Reichstag kommt. Ehren-Sigl in München bespricht die Wahlen in seiner bekannten Tonart. Er schreibt im „Mün chener Vaterland": „In München ist voraussichtlich Westermayer (Metzger) mit 13,307 St. gewählt worden. Denn die allergrößten Kälber wählen ihren Metzger selber. — Muh!" Oesterreich. Der Kaiser von Oesterreich verlieh unmittelbar nach der am Sonnabend staltgefundenen Truppen revue dem König von Italien die Jnhaberschaft des 28. Infanterie-Regiments. Anläßlich der Anwesenheit des Königs und der Königin von Italien fand in Wien Galavor stellung im Opernhause statt. Das Haus war in allen Räumen von einem distinguirlen Publikum besetzt. Bald nach 7 Uhr erschien der Hof, vom Publikum durch Erheben von den Sitzen begrüßt. Der Kaiser führte die Königin von Italien, der König von Italien die Kaiserin; es folgte sodann der Kronprinz mit der Kronprinzessin, die Erzher zöge und die Erzherzoginnen, Prinz Leopold von Bayern und Prinzessin Gisela. Die Herschaflen wohnten der Vorstellung bis zum Schlüsse bei und wurden bei der Abfahrt von der zahlreich anwesen den Volksmenge mit enthusiastischen Kundgebungen begrüßt. Nach der „N. fr. Pr." soll Andrassy's Er nennung zum Minister des Aeußeren eine beschlossene Sache sein. Frankreich. Ein Gerücht besagt, Gambetta würde nach Con- stituirung des Ministeriums die gegenwärtige Session schließen und die Kammer bis zur ersten ordentlichen Session im Januar vertagen. Die Manifestation der Communarden vor dem Elisee, um die Begnadigung Nourris zu verlangen, der 1848 wegen Mordes zur Galeere verurtheilt wurde, ist aufgegeben, weil angeblich Militär und Polizei Befehl hatten mit Flintenschüssen die Ordnung auf recht zu erhalten. Dagegen sei beschlossen worden, Grevy als Belohnung eine baumwollene Schlafmütze zu senden. Die gesummte republikanische Partei in Frank reich ist, so scheint es, einig über folgendes Pro gramm: Erstens: Theilweise Revision der Ver fassung, soweit dieselbe das Wahlgesetz für den Senat, sowie die Beseitigung der lebenslänglichen Senatorenstellen und Aenderung des Einflusses des Senats auf die Budgetbewilligung betrifft. Zwei tens: Unentgeltlicher, obligatorischer und Laien- Unterricht in den Elementarschulen. Drittens: Re form des Richterstandes auf einer den demokratischen Institutionen entsprechenden Basis. Viertens: Obli gatorischer Militärdienst für Alle, Unterdrückung des Freiwilligen-Jnstitutes. Für uns Deutsche wird am meisten das Verlangen, daß der Freiwilligendienst in der Armee unterdrück: werden soll, Verwunderung