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In einer ungemein großen Anzahl von Wahlkreisen sind sie im Besitz von ein Paar hundert oder lausend Stimmen, nicht ausreichend zum Siege, aber vielleicht häufig ausreichend, einer der beiden anderen Parteien zum Siege zu verhelfen. Oesterreich. Daß auf dem augenblicklich in Wien tagenden Deutschen Schriftstellertage auch die Juden frage aufs Tapet gebracht werden würde, war nach der Zusammensetzung dieser Körperschaft wohl zu erwarten; überraschend ist jedoch die Art und Weise, in welcher dies geschah. Herr Fastenrath aus Köln fühlte sich nämlich gemüßigt, einen Artikel des spa nischen Schriftstellers und früheren Ministers Ca stelar gegen die antisemitischen Bewegungen in Deutschland zu verlesen, worin er nach der „Voss. Ztg." — welche den Vorgang eine „glänzende Epi sode" nennt — folgendes sagt: „Er könne es nicht verstehen, was Deutschland zu der so ganz unglaub lichen Agitation, der kein Körnchen Verstand inne wohnt, treibt. Man könne sich Deutschland ohne seine religiöse Freiheit nicht denken. Ein Volk mit solcher historischen Vergangenheit könne nicht den ursprünglichen Principien der Freiheit des Geistes entsagen, ohne den Grundgedanken aufzugeben, der sein Leben beseelt, und ohne dem glorreichen Dienst völlig untreu zu werden, den es in der Geschichte erfüllt hat. Die Nation, aus der Friedrich II. und Emanuel Kant hervorgegangen, die ihre Thore den Jesuiten öffnete, als alle anvern Nationen sie ihnen verschlossen, werde nicht heute die Thore den Juden schließen, da alle Nationen sie ihnen öffnen. Mit telalterliche Scenen bieten sich freilich heut unserem Auge dar, wir scheinen vier Jahrhunderte zurück gegangen zu sein, Reactionäre und Ultramontane schwingen ihre Waffen gegen die liberale Partei, die viele Juden in ihren Reihen zählt; aber wir können nicht vergessen, daß die Grundidee unserer Theolo gie, die Idee des absoluten und ewigen Seins, die Idee der Juden ist. Die jüdische Race Hal das Uebergewicht in der Welt, weil sie in ihrer Intelli genz mit den tiefsten Gedanken der Metaphysik die klarsten Instinkte des Urtheils verbindet. Deutsch land vor allem könne die hebräische Nace nicht ver leugnen, es müsse sich an Spinoza, Meyerbeer, Heine und Mendelssohn erinnern. Wenn Deutsch land einen solchen Meineid an seinen Ideen beginge, würde es bald von der Erde verschwinden, wie alle selbstmörderischen Nationen, welche die Principien des Rechts verkennen." (Jeder, der die antisemitische Bewegung nur einigermaßen versteht, weiß, daß dieselbe mit der jüdischen Religion nicht das geringste zu thun und daß sie ihre volle Berechtigung hat.) Frankreich. Ein Stückchen von französischer Disciplin erzählt die „Köln. Ztg.": Am 18. dss. zog eine Abtheilung Militärarbeiter über den Boulevard des Italiens in Paris auf dem Marsche nach Tunesien. Die Leute namen Fiacres, um zum Bahnhofe zu fahren, obgleich der commandirende Unterosficier diese Verletzung der Mannszucht verboten hatte. Der Unterosficier setzte mit sechs ihm treu gebliebe nen Leuten zu Fuß den Marsch nach dem Bahn hofe fort. Feuilleton. Die Brandstifterin. Kriminalnovelle von Andro Kugo. Nachdruck verboten. I. Die That einer Nacht. „Sagen Sie, Herr Director, ist der Verfasser des hier in der „Gegenwart" mit so entschiedenem Lobe besprochenen Buches Ihr Lehrer Kirchner oder ist es ein anderer?" Der Herr Amtsrichter Schäfer legte mit diesen Worten die Zeitschrift auf den Tisch und sah den Gefragten scharf an. „So viel mir bekannt ist," entgegnete der Schul- dircctor Grimm, ist der Autor des genannten Wer kes allerdings der unter meiner Direktion stehende Lehrer Kirchner. Der junge Mann hat sich auf dem speziellen Gebiete dec Methodik schon manchen Preis geholt. Mit einem ziemlich gewandten Stile verbindet er eine nicht zu unterschätzende Belesenheit und eingehende Sachkenntniß, die mir schon öfters imponirt hat. Absichtlich aber habe ich ihm diese Meinung nicht offen in's Gesicht gesagt, um ihn nicht eitel zu machen und dann auch deswegen, um ihn nicht zu veranlassen von hier wegzugehen. Sie selbst, Herr Amtsrichter, wissen ja, wie schwer es hält, bei Ken kärglich bemessenen Gehältern unserer Elementarlehrer diese auf den hiesigen Stellen zu behalten. Alle drängen mehr oder weniger nach der Residenz, da ihnen dort ein anständiges Gehalt und noch viele andere Annehmlichkeiten des Lebens Der „Telegraphe" berichtet aus Tunis, baß dort eine grauenhafte Verwirrung in der Militär verwaltung herrsche. Die Lebensmittel sollen schlecht und schwer zu beschaffen sein, die Trans portmittel so gering, daß das Bataillon nur 12 Maulthiere zur Verfügung hat. Die drei Bataillone, die in Gabes liegen, sollen kein Spital und nur einen jungen Hülfsarzt haben, der keine Erfahrungen und nicht die nöthigen Hülfsmittel hat, so daß Typhus, Wechselfieber und Dysenterie einen epide mischen Charakter angenommen haben. In 3 Ta gen hätten diese 3 Bataillone in Gabes 48 Mann verloren; der zweite Fall sei fast immer tödtlich. Italien. Das radikale Mailänder „Secolo" hatte kürzlich seine Mißbilligung darüber zu erkennen gegeben, daß ein italienischer Socialdemokrat Namens Cafiero mit 5 anderen unschuldigerweise verhaftet worden sei. Bei einer in der Wohnung Cafiero's vorgenommenen Haussuchung hat man jedoch die schriftlichen Beweise gefunden, daß er und seine Mitverhafteten ein At tentat auf das Leben des Königs Humbert geplant und einen Reitknecht, der ebenfalls nun fest genommen sei, bewogen hätten, den König von Ita lien zu ermorden. Auch das Luzerner „Vaterland" erfährt, daß es sich um nichts weniger, als um ein Attentat auf den König von Italien handle, dem die Behörde von Lugano auf die Spur gekommen. Dänemark. Der Reichstag ist auf den 3. October einberu fen, dürfte aber sofort bis 29. November veragt werden. Schweden. Anläßlich der Vermählung des Kronprinzen mit der Prinzessin Victoria von Baden am 20. d. ist die Stadt Christiania festlich geschmückt; die Schiffe im Hafen haben geflaggt. Um 12 Uhr Mittag wurden Kanonensalven abgegeben. Am Abend fand auf der Schloßplaine ein Volksfest statt. England. Alle englischen Journale bringen Leitartikel über den Tod Garfield's und sprechen sich über die politische Laufbahn des Verstorbenen mit un umwundenster Hochachtung aus. Die „Times" sind mit einem Trauerrande erschienen. Ruhland. Ein im „Regierungsboten" veröffentlichter kaiser licher Ukas an den Senat befiehlt einer besonderen, dazu eingesetzten Commission die Durchsicht aller in der letzten Zeit zur Sicherheit der öffentlichen Ordnung aä interim erlassenen Decrete und eine Zusammenstellung der Reglements und aller Maß regeln, welche behufs des Schutzes der staatlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit getroffen werden sollen. Zur sofortigen Einführung des obigen Reglements und der Aufhebung der temporären Ausnahmegesetze, sowie des erhöhten Schutzes be dürftig, werden folgende Gouvernements bezeichnet: Petersburg, Moskau, Charkow, Poltawa, Tschirnigow, Kiew, Wolynien, Cherson, Bessarabien; außerdem mehrere Kreise. Amerika. Die Oeffnung der Leiche Garfield's ergab Folgendes: Die Kugel ist, nachdem sie die elfte geboten werden. Kirchner wäre wohl auch längst dort, wenn er sich durch seine Nebenbeschäftigungen nicht noch besser stände, als in der Residenz. „Sie meinen seine literarische Thätigkeit?" „Nicht nur diese. Kirchner besitzt angeborenes musikalisches Talent und hat deshalb und durch seine hervorragende Technik im Klavierspiel viele und gute Klavierstunden und ebenso eine Anzahl Gesang vereine, denen er als Dirigent vorstehl. „Leidet unter diesen vielseitigen Engagements aber nicht seine amtliche Thätigkeit?" „Bis jetzt habe ich noch nie die geringste Klage hierüber gehabt. Kirchner ist ein tüchtiger Arbeiter, von robustem Körperbau und stählernen Nerven, er thut seine Pflicht in pünktlichster Weise und habe ich deshalb Jemen Grund, mich um sein außeramt liches Wirken zu kümmern." „Ist er nicht auch verheiratet?" „Gewiß. Er hat eine Putzmacherin geheiratet. Sie hat ihm zwar keine Reichthümer mitgebracht, dafür aber ein paar rührige Hände, einen frohen aufgeweckten Sinn und ein Herz voller Liebe. Sie sieht ihm wie man zu sagen pflegt, die geheimsten Wünsche von seinen Augen ab, kein Wunder, wenn da sein Schaffenstrieb ganz besonders angeregt wird. Auch.sie verdient durch ihr Geschick noch manchen schönen Thaler und so befinden sich die Leutchen in recyt guten Verhältnissen. In der Schenkstube des Gasthofes zum „Goldenen Ring", in dem dieses Gespräch zwischen den beiden Männern geführt wurde, erschien jetzt die Wirthin. Frau Vester, eine derbknochige Gestalt mit zwar nicht unschönen, aber harten Gesichtszügen und einem Rippe zersplitterte, durch da» Rückgrat gegangen, zersplittert den Körper des ersten Lendenwirbels, wobei eine Anzahl kleiner Knochenfragmente in die angrenzenden Weichtheile getrieben wurden, und setzte sich unterhalb der Brustdrüse, ungefähr 2'/e Zoll zur linken Seite des Rückgrates und hinter der Darmhaut fest, wo sie vollständig eingesackl war. Die unmittelbare Todesursache war sekundäre Blu tung aus einer der Gekrösschlagadern, die an die Bahn der Kugel anstieß, indem sie das Blut der Darmhaut durchsprengte, von welchem sich fast ein Liter Blut in die Unterleibshöhle ergoß. Diese Blutung ist die muthmaßliche Ursache des heftigen Schmerzes im unteren Theile der Brust, worüber Garfield kurz vor seinem Verscheiden klagte. Eine vier- bis sechszöllige Geschwürhöhle wurde in der Nachbarschaft der Gallenblase gefunden. Eine Ver bindung zwischen der Leber und der Wunde wurde nicht gefunden. Ein langer, eiternder Kanal erstreckte sich von der äußeren Wunde zwischen den Lenden muskeln und der rechten Niere fast bis zur rechten Leiste. Dieser Kanal, der jetzt als dem Bohren des Eiters der Wunde zuzuschreiben erkannt ist, wurde bei Lebzeiten als die Bahn der Kugel angesehen. Bei der Untersuchung der Brustorgane wurden Beweise einer ernsten Bronchitis auf beiden Sei ten entdeckt, zusammen mit Bronchopneumonie des unteren Theiles der rechten Lunge und, wiewohl geringen Umfangs, der linken Lunge. Die Lungen hatten keine Geschwüre, das Herz keine Blutklumpen. Die Leber war erweitert, fett, aber frei von Geschwüren. Auch wurden keine Ge schwüre in irgend einem anderen Organe, außer der linken Niere, gefunden, welche in der Nähe der Oberfläche ein kleines Geschwür von "/4 Zoll Durch messer enthielt. Wenn man die Geschichte des Falles mit der Autopsie revidirt, so ist ganz evident, daß die verschiedenen eiternden Oberflächen und besonders die zerplitterten schwammigen Wirbelgewebe eine hinreichende Erklärung für die vorhandenen sep tischen Zustande liefern. Garfield hat für seine Familie wohl vorgesorgt. Eine Woche vor dem Attentat hat Garfield sein Leben für 25,000 Dollars versichern lassen. Außerdem hat aber auch bereits eine öffentliche Subsciption für die Familie Garfields stattgefunden, die sich bis jetzt auf 190,060 Dollars beläuft. Die Leiche Garfield's wird heute am 22. d. per Eisenbahn von Longbranch nach dem Kapitale in Washington gebracht, dort bis Freitag Nachmittag 5 Uhr ausgestellt und dann mittelst Leichenwagens nach Cleveland übergeführt, wo nach weiterer Aus stellung die Beerdigung Montag Nachmittag 2 Uhr stattfindet. Alle Journale geben der tiefen Trauer über den Tov Garfield's Ausdruck, die südlichen Journale erklären, der gemeinsame Schmerz sei das Band, welches den Norden und den Süden endlich einige. Der Prozeß gegen Guiteau wird also in Monmouth-County, dem Kreise, in welchem Gar field starb, stattfinden. Man war früher der An sicht, daß es fraglich sei, ob Guiteau wegen Mor des würde prozessirt werden können, da der Präsi dent nicht direct bei der Verwundung, sondern an leidenschaftlichen Blicke, trat an das Buffet des Gast zimmers und ließ die schwarzen, feurigen Augen im Lokale umherschweifen. Als sie die beiden Herren am Stammtische der Nebenstube erblickte, strich sie die koquet getragene weiße Schürze zurecht und ging auf denselben zu. „Sprechen wir nicht weiter von Kirchner, wenn die Vester kommt," sagte der Director, als diese herantrat. Ein verstänoigender Blick des Amtsrich ters folgte diesen Worten, dann begrüßte die Wirthin tue beiden Gäste nach der in kleineren Provinzial städten üblichen Weise und begann mit den Gästen über die Stadtneuigkeiten zu sprechen. Sie erzählte dann, daß ihr Mann nach dem benachbar ten Orte gefahren sei und daß ihr, wie gewöhn lich, die ganze Last des Hauswesens heute allein zusiele. Eben wollte sie in der Aufzählung ihrer Arbeiten weiter forlfahren, als der Hausknecht herein stürzte und mit verstörtem Gesichte nach der Haus herrin suchte. „Was gibt's?" rsts diese rasch aufspringend und auf den Angekommenen zueilend. Statt einer Antwort winkte dieser nur und die Wirthin verschwand mit demselben unter der Thür. „Es ist doch etwas bei den Pferden geschehen," meinte der Schuldirector. „Nein, Nein," sagte der Amtsrichter. „Hören Sie! . . . Das war ganz deutlich ... Es brennt ..." „Feuer! . . .Feuer!" . . . riefen jetzt ganz deutlich einige Stimmen vor dem Fenster des Gasthofes. (Fortsetzung folgt.)