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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 15.08.1884
- Erscheinungsdatum
- 1884-08-15
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188408157
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18840815
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18840815
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1884
-
Monat
1884-08
- Tag 1884-08-15
-
Monat
1884-08
-
Jahr
1884
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 15.08.1884
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Beilage zm .Fhmnihrr Anzeiger und KlaSIdate." Nr. 191. — 4. Jahrgang. Verlags-Expedition: Alexander Wiede, Buchdruckers, Chemnitz, Theaterstrabe 48 (ehemaliges Bezirksgericht, gegenüber dem Kasino). ' ' Freitag, 15. August 1884. NN Die Schwester. Bon E- Härtner. (Fortsetzung.) (Nachdruck verboten) In Gesellschaft der lieblich Heranwachsenden Tochter und deS sich Prächtig entwickelnden Knaben waren der Wittwe einige stille, fried liche Jahre verstrichen. Der Vormund der Kinder, ein bedächtiger, Älterer Kaufmann, und diese oder jene Freundin der Tochter, die zu weilen ein Stündchen mit ihr verplauderten, bildeten ihren ganzen Umgang, die Gesellschaftskreise, denen sie durch Geburt, Sitte und Erziehung angehörten, verschloß ihnen ihre Mittellosigkeit, vor der Geselligkeit, die sie hätten finden können, bebten ihre Naturen in stinktiv zurück. Auch entbehrte Annas bescheidener Sinn die Genüsse nicht, die sie niemals kennen gelernt hatte und ihre Mutter hatte die Gitelkeit der gesellschaftlichen Beziehungen zu tief und schmerzlich em pfunden, um sich nach dem verschwundenen Glanz früherer Tage .zurückzusehnen. Erst ein Jahr vor der Nacht, in der Anna, emsig stickend, die schlafende Mutter bewachte, war eine Aenderung in ihr stilles Leben gekommen. Ein neuer Miether war in die Giebelstube ge zogen und sei eS nun, daß derselbe Annas braunes Lockenhaar und Kinderlachen reizend fand, sei eS, daß er an Familienverkehr gewöhnt, «s unerträglich fand, die Abendstunden in der Einsamkeit seiner Giebelstube zuzubringen, genug, er fand häufig einen Vorwand, an der Thür der Wittwe anzupochen und ein wenig zu verweilen. Bald bedurfte es keines VorwandS mehr; Abend für Abend betrat der junge Mann auf kürzere oder längere Zeit die Stube der Wittwe; «r interessirte sich für Annas Stickereien, ordnete mit sachverständigem Sinn die Farben und entwarf ihr manche stilvolle Zeichnung. Er war Architekt und wenn er auch kein Künstler im höchsten Sinn des Wortes war, so arbeitete er doch mit Stift und Farbe und der große Zeichentisch in der Giebelstube war stets mit seinen Grund rissen, Entwürfen und Plänen bedeckt Ein Hauch der alten Zeit war mit ihm in das kleine HauS zurückgekehrt und die Wittwe em pfand die Bereicherung ihres Daseins mit dankbarem Herzen. Was Anna betraf, so machte sie nicht viel Worte, allein die Mutter, die in der Seele ihre- Kindes zu lesen verstand, sah gar bald, wie eS um sie stand. Die Mutter wußte, daß die Tochter den Mann liebte, der so von ungefähr in ihre Nähe getreten war und sie ge wöhnte sich daran, den zukünftigen Gatten der Tochter in ihm zu erblicken. Zuweilen fragte sie sich wohl, ob sie die Tochter nicht in eines an dern Mannes Hand besser vor den Stürmen deS Lebens geborgen wüßte, als in der deS jungen Architekten, allein das war nur eine unbestimmte Empfindung, der sie keinen rechten Ausdruck gehen konnte. Daß er ein Mann von soliden Lebensgewohnheiten war, ordentlich, pünktlich und zuverlässig, konnte Niemand besser bezeugen als sie, unter deren Dach er lebte, und sie war überzeugt, daß er im Leben gut vorwärts kommen würde Und doch — und doch zog sich ihr Herz zusammen, wenn sie sich ihre Tochter als Gattin dieses Mannes, ihren kleinen Walter als seinen Schützling dachte! War eS nur ein Rest von aristokratischem Selbstgefühl in ihr, das sich gegen den Schwiegersohn ohne Namen und Herkunft empörte — zuwellen dachte sie so und nahm sich vor, das widerstrebende Gefühl zu unterdrücken, denn welche Ansprüche konnte ihre Tochter machen? Mußte sie mit einer respektablen, annehmbaren Partie nicht um so zufriedener sein, als das unerfahrene Herz des jungen Mädchens sich dem Bewerber entschieden zuneigte? So ließ sie denn die Dinge gehen, deren Ent wicklung sie ja doch nicht hemmen konnte. Dann war die Krankheit gekommen, langsam, langsam, aber mit fürchterlicher Sicherheit. Die vorübergehende Schwäche war eine stehende geworden, zur Schwäche war Fieber, zum Fieber Husten, zum Husten Brustschmerzen gekommen. Die Kranke hatte von Anfang an nur wenig gehofft, und, besorgt um das Schicksal ihrer dann völlig verwaisten Kinder, die Erklärung herbeigeführt, die sie vorher aufzu halten bestrebt gewesen war. So hatten Anna und August Ring und Kuß gewechselt und sich am Krankenbett der Mutter ewige Treue ge lobt. Die Giebelstube hatte er schon vorher mit einer andern, nahe! gelegenen Wohnung vertauscht und auf seinen besonderen Wunsch war dieselbe nicht wieder vermiethet worden. Den Ausfall in ihren Ein nahmen ertrug Anna ohne Klagen, galt eS doch, den Willen des Ge liebten zu erfüllen! So theils der Vergangenheit, theilS einer frohen Zukunft ge denkend, vergingen die Stunden der Nacht dem jungen Mädchen leicht und schnell und als der junge Tag anbrach und das Licht ihrer Lampe verblich, war das goldene Kreuz vollendet und ihr Wort ein- gelöst. Mit Befriedigung besah sie die schwierige Arbeit — wie prächtig hob sich der matte Goldschimmer von dem tiefrothen Grunde der Sammets ab! Die Arbeit war fertig, der Morgen graute, nun mußte die alte Frau bald kommen, die bei der Mutter die Morgen wache zu übernehmen Pflegte, während die Tochter den entbehrten Schlaf uachholte. Und wirklich, sie war müde, recht müde, jetzt, wo die Anspannung der Arbeit vorüber war, empfand sie es erst recht; es war Zeit, daß die Alte kam! Aber wie ruhig die Mutter schlief! Seit dem Abend hatte sie ihre Stellung nicht verändert und wie bleich sie war! War es nur das graue Morgenlicht, das diesen fahlen Schimmer über die Schlummernde ausbreitete oder — Und Anna wagte nicht, den Gedanken auszudenken, der sich blei- schwer aus das junge Herz senkte. Mit wankenden Schritten näherte sie sich dem Bette — tue Mutter war todU „Wir beide haben nun nichts, nichts auf der ganzen Welt, August, als nur dich!" Der junge Mann nahm die Weinende in seine Arme, küßte sie auf die Stirn und sagte freundlich: .Ich habe es schon gehört — es ließ sich ja erwarten! Hoffentlich hat sie ein sanftes Ende gehabt?" Annas Thränen versiegten, sie sah den Geliebten mit starrem Blick an. „Es ließ sich erwarten!" wiederholte sie. „Hast du ge wußt, August, wie krank die Mutter war?" „Gewiß." erwiederte er. „Der Arzt hat mir schon vor Wochen gesagt, daß ihr Leben nur noch nach Tagen zählt." „Du hast eS gewußt!" murmelte sie. „Und du hast mir nichts davon gesagt! Du hast mich weiter lebe» lassen mit der kindischen, thörichten Hoffnung, daß eS sich nur um eine vorübergehende Krank heit handele." — ' Er zuckte etwas ungeduldig die Achseln. „Wozu?" sagte er. „Warum sollte ich dir die Hoffnung nehmen, die dich aufrecht hielt I Es wäre zwecklose Grausamkeit gewesen." Sie sah schüchtern zu ihm auf. „Verzeih," sagte sie demüthig. „Ich weiß, du meinst es gut! Ich dachte nur — ich meinte, ich würde sie noch ganz, ganz anders gepflegt haben, wenn ich gewußt hätte, was es galt — und dann — daß du diese furchtbare Angst allein getragen hast —" Sie konnte nicht weiter sprechen, neu hervorbrechende Thränen erstickten ihre Stimme. Tr küßte sie wieder, vielleicht etwas flüchtig. „Laß uns hineingehen I" sagte er dann. „Ist die Giebelstube nicht in Ordnung?" fügte er hinzu, als sie unwillkürlich die Thür de» Zimmer» öffnete, in dem die Tobte lag. Sie war in Ordnung. Anna gehörte zu denjenigen echt Weib lichen Naturen, die auch bei dem größten Seelenschmerz die Rücksicht aus andere nicht vergessen. Sie hatte die alte Aufwärterin sofort hinauf geschickt, die Stube war gelüftet und geheizt, eine reinliche Decke über den großen Tisch gebreitet, es war ein andere» Gefühl gewesen, da» sie veranlaßt hatte, den Verlobten zu der tobten Mutter zu führen. „Ich dachte — wir wollten zusammen —" „Ich werde sie im Sarge sehen," unterbrach er die Stammelnde „Jetzt wollen wir hinauf gehen und überlegen, wa» zunächst zu Ihm» ist. Wo ist Walter?" „Gehe nur voran, ich werde ihn holen!" Sie sagte es mit ab gewandtem Gesicht und eilte in die Stube der Tobten, während er die stelle Treppe betrat, die in den Oberstock führte. Am Bett der Mutier warf sie sich auf die Kniee, barg ihr Gesicht in dem weißen Leichentuch, da» die stille Gestalt bedeckte und brach in krampfhaftes Weinen aus. Jetzt erst war ihr die Mutter wirklich gestorben, jetzt erst, wo ein anderer die Angelegenheiten des kleinen Hauses in die Hand nahm, die nicht mehr von der Abgeschiedenen geregelt werden konnten, kam sie sich schutzlos und verlassen vor. Aber dieser andere, war er denn nicht ihr verlobter Bräutigam, der Mann, den sie liebte? Sie stand auf und trocknete ihre Thränen, sie hatte ja den Bru der holen wollen! Aber wo war der Knabe? — seit Stunden hatte sie ihn nicht gesehen. Ach, er saß zusammengekauert am Fenster seines Kämmerlein» und starrte in den sonnigen Frühlingstag hinaus! So saß er schon lange, lange — wie lange, wußten sie beide nicht. „Walter, komm herauf, August ist da, wir wollen bald essen!" „Ich mag nicht essen!" Der Knabe schüttelte trotzig die Hand ab, die sich liebevoll auf seine Schulter legte. „Komm, ich bitte dich, August will dich sehen!" „Aber ich will ihn nicht sehen! Ich will auch dich nicht sehen, ich will niemand sehen. Laßt mich allein!" „Du mußt kommen, Walter, Du mußt etwa» essen, du hast heut« den ganzen Tag noch nichts gegessen. Komme jetzt mit mir!" Der Knabe seufzte ungeduldig und stand auf, aber er taumelte. Anna umfaßte sorglich die schlanke Gestalt und führte ihn die Treppe hinauf. „Laß mich los, es geht jetzt schon I" flüsterte er ihr zu, „August braucht das nicht zu sehen I" Aber August hatte es schon gesehen „Ist der Junge krank, Anna, daß er sich von dir führen läßt?" fragte er befremdet. „Krank hoffentlich nicht, aber angegriffen. Er hat heute noch nichts gegessen," erwiederte sie begütigend. „Da ist die Suppe, iß jetzt, Walter!" Der befehlende Ton trieb dem verwaisten, an welche Mutter hand gewöhnten Knaben das trotzige Blut in die gesenkte Stirn. „Ich mag nicht essen, ich kann nichts herunterbringen!" „Einbildung! Er muß essen! Da» könnten wir jetzt gerade brauchen, daß er sich muthwillig krank macht. Setze dich, Walter, und iß!" „Ich kann nicht!" De» Knaben feine Lippen bebten in ver haltenem Zorn und Schmerz. Große Thränen drängten sich unter de» gesenkten Lidern hervor. Mit steigender Angst hatte Anna den Verlauf dieser kleinen Szene beobachtet, jetzt nahm sie allen ihren Muth zusammen und trat zwischen den Verlobten und den kleinen Bruder. „Quäle ihn nicht, August — du vergißt, dies ist wahrlich nicht der Tag für Strenge! — Gehe hinunter, Walter; lege dich auf dein Bett, Dore wird dir Suppe bringen! Geh, mein Junge!" flüsterte sie ihm rasch in» Ohr. „Ich sehe nachher nach dir!" Des Knaben bleiche Wangen wurden von plötzlicher brennender Röthe übergossen. Er ergriff Annas Hand und drückte einen heftigen Kuß darauf, dann stürzte er fort. „Der Junge ist verwöhnt, es ist Zeit, daß er in strengere Zucht kommt!" sagte der junge Mann finster. „Ich bitte dich, August, sei nur jetzt nicht hart mit ihm," bat Anna mit bebenden Lippen. „Er mag ja verwöhnt sein, und die letzte Zeit war gewiß nicht dazu angethan, ihn besser zu erziehen, aber du darfst auch nicht vergessen, wie viel, wie unsäglich viel er heute verloren hat!" „Nun, ich werde ihn ja nicht gleich umbringen I" versetzte er ablenkend. „Laß es jetzt gut sein und setze dich, damit wir wenigstens zum Essen kommen!" Sie gehorchte und zwang sich wirklich dazu, etwas Nahrung zu sich zu nehmen. Aber ein rechtes Gespräch wollte nicht in Gang kommen. Schwer und erkältend lag ein Etwas auf ihrer Seele, dem sie keinen Namen geben konnte und auch die natürliche Munterkeit ihres Ver lobten war in dieser Stunde geschwunden. Das nahm sie nicht wunder, aber sie empfand zum erstenmal mit dumpfem Schmerz, daß sie sich gerade in dieser Stunde nichts zu sagen hatten. S- willst wirklich die kleine Stickerin, die „Sag mal, August, du Anna Körber, heirathen?" Der so fragte, war ein junger Architekt und intimer Freund des Angeredeten. Er war gekommen, denselben zu einem Abendspazicrgang abzuholen, da August aber noch eine Zeichnung zu vollenden hatte, so machte er es sich einstweilen bequem. Er hatte die Füße in horizontaler Linie auf einen zweiten Stuhl gestreckt und ein Zeitungsblatt ergriffen. Jetzt hatte er dasselbe sinken lassen, um den Freund prüfend zu be trachten. „Das ist meine Absicht!" erwiederte derselbe, ohne aufzusehen. „Aute, alter Junge, bist du dir eigentlich bewußt, daß du dem Mädel damit ein kolossales Opfer bringst?" fuhr der andere fort. „Wieso?" lautete die kühle Gegenfrage. „Leg mal deinen unausstehlichen Zeichenstift hin und laß uns die Sache emsthaft besprechen, wie es verständigen Männern geziemt I" ermahnte der Freund „Wir wissen beide, daß da» Mädel so arm ist wie eine Kirchenmaus und noch mit einem jungen Bruder ge segnet, den du llolons volsns mitheicathen mußt. Ein paar freund liche Augen und ein reizendes Lächeln scheinen mir damit etwa» theuer bezahlt!" August hatte den Stift wirklich hingelegt und mit untergeschlage nen Armen und gesenkten Blicken zugehört. „Das alles habe ich mir schon selber gesagt, Will, aber was ist da zu thun? Verlobt habe ich mich nun einmal, die einfache Folge davon ist, daß ich auch heirathe. — Uebngens steht unsere Sache nicht so verzweifelt, wie du denkst. Im nächsten Monat mache ich mein Examen, dann habe ich gleich Aufträge, die mich für Jahre beschäftigen. Etwas Vermögen habe ich auch, wie du weißt, und wenn wir die alte Baracke auf Abbruch verkaufen, so werden sich auch noch ein paar Tausend Thaler für Anna herausschlagen lassen. Natürlich muß sie als meine Frau ihre Kunst stickerei lassen." „Und wie hoch rechnest du dir die Erziehung de» Jungen?" „Des Jungen? — Pah! Glaubst du, ich würde nicht Mittel und Wege finden, mich der verwöhnten Range zu entledigen?" „Und welche, wenn ich fragen darf? Die Kinder haben, sovick ich weiß, keine verwandte Katze auf der Welt!" „Ist auch gar nicht nöthig — um so mehr ist der Staat ver pflichtet, für die Erziehung de» Jungen zu sorgen. Ich habe schon mit dem Direktor de» städtischen Waisenhauses gesprochen, er sagt, eS unterliege gar keinem Zweifel, daß er ausgenommen wird. Ich muß die Sache nur beantragen." „Ins Waisenhaus? KörberS Sohn in» städtische Waisenhaus? pamit machst du da» Kind elend und deiner Braut brichst du da» Herz, wenn du sie von dem vmder trennst!" „Herzen sind nicht.so zerbrechliche Waare, sie hat den Tod von Vater und Mutter Überstunden, sie wird auch di« Trennung von dem Jungen überstehen! Uebrigen», wenn du etwa» Bessere» vorzuschlage» hast, so thue es!" Da mußte der Freund nun freilich verstummen. „Die armen Dinger dauern mich!" sagte er nach langer Pause. „Ich habe sie gestern vor ihrer Thür sitzen sehen, und der hübsche, blasse Junge hatte sich so dicht an da» Mädel angeschmiegt, al» gäbe e» kein« andern Schutz für ihn. — Ich brächte e» nicht über» Herz, sie zN trennen." Augusts Stirn zog sich in finstere Falten. „Ich will dir etwa» ägen. Will", sagte er hart. „Wenn ich mir eine Frau nehme, will ch sie für mich und nicht für andere. Darum ist e» mir gar» recht» daß meine Braut arm ist, ich will sie schon ernähren, und oaß sie keine Eltern und sonstigen Anhang hat. Der Junge ist da» einzige, wa» sie außer mir auf der Welt besitzt und schon darum muß er fort!" „Und wenn sie sich nun weigert?" „Sich weigert?" — Er lachte. „Hast du schon je gehört, ein Weib den Geliebten aufgegeben hat um eines kleinen willen? — Doch jetzt ist e» mir zu dunkel geworden zur Al wir wollen gehen!" — MS eine Stunde später sein Schritt auf dem Kie»> Garten» erklang, stand Walter, der neben der Schwester seine arbeiten gemacht hatte, eilig auf und schickte sich an, die Stube z« verlassen. Die Schwester hinderte ihn nicht, allein er hatte vläe Hefte und Bücher ausgebreitet und ehe er dieselben alle zusammen packen konnte, war schon der Schwager eingetreten. Er begrüßte die Braut mit dem üblichen Kuß, und bot de« Knaben die Hand, der seine Rechte zögernd und widerwillig hinein« t«. „Du kannst deine Hefte gleich hier lassen, Waller," sagte er leichthin. „Ich wollte so wie so einmal sehen, wie du eigentlich ar beitest und welche» Heft sich am besten zum Elnschicken eignet." „Zum Einschicken?" wiederholte Anna» während ein kalter Schauder ihr Herz überrieselte. „Willst du ihn in eine andere Schule bringen?" „Das — wird sich finden! — Du kannst gehen, Waller, ich habe mit Anna einige» zu besprechen. Du kannst so lange bei Dore in der Küche bleiben I" Der Knabe ging und Anna trat unwillkürlich an da» offene Fenster und öffnete es weiter. Ihr war plötzlich» al» müsse sie er sticken. „Ist nicht ein Gewitter im Anzug?" fragte sie, „mir ist so sonderbar schwül zu Muth." „Ich habe nicht» bemerkt, doch e» kann immerhin sein," erwie derte er achtlos. „Im Juli pflege« die Gewitter ja keine ungewöhn lichen Naturerscheinungen zu sein!" Im Juli! Wirklich, sie waren schon im Juli! Drei lang« Monate waren schon verstrichen, seit sie ihre liebe Mutter zu Grabe getragen hatten, in dem stillen, regelmäßigen Leben der Leidtragende« war ihnen die Zeit fast unbemerkt vergangen. Noch einmal drei Monate und sie sollte am Altäre stehen mit Kranz und Schleier und dem Manne, den sie liebte, de» Eid der Treue und de» Gehorsam» leisten — Und wenn er nun verlangte, was sie nicht erfüllen konnte? — „Setze dich zu mir, Anna, und lasse un» ruhig zusammm sprechen! Die Zeit vergeht; wir müssen un» nun endlich klar darüber werden, wie wir unser Leben einrichten wollen!" Sie nahm gehorsam neben ihm Platz. „Ich höre," sagte si«> aber ich weiß kaum, war wir noch zu überlegen haben? Ist nicht unsere Hochzeit längst auf den 1. Oktober festgesetzt?" „Gewiß — aber gerade diese Hochzeit betreffend, ist noch tau senderlei zu bedenken und anzuordnen. Ich habe Schritte grthan, um einen Käufer für dieses Hau» zu finden, heute habe ich die erste direkte Offerte erhalten. Natürlich ist der gebotene Preis kein hoher, da ja nur das Grundstück als solches Werth hat." Sie sah ihn mit fragenden, staunende» Auge« an. „Du willst dies Hau» verkaufen?" Er lachte ein wenig ungeduldig. „Was sollte wohl sonst damit, geschehen, wenn wir verheirathet sind und Walter — untergebracht?" Sie überhörte das letzte Wort, da» er etwas leiser gesprochen hatte. „Du mußt ein wenig Geduld mit mir haben, August — ich glaube, meine Fähigkeiten haben durch den Tod der Mutter gelitte», ich verstehe dich jetzt manchmal so schwer! — Habe ich richtig ver standen, daß du diese» Hau» verkaufen willst?" „Ich frage dich, was sonst damit geschehen soll?" „Du willst also nicht hierher ziehen?" „Welch ein Einfall, liebes Kind. Wir können unser Leben doch nicht hier beginnen, in dieser elenden Baracke!" „Nicht? Können wir das nicht? Ich dachte, eS würde so sein — ist doch der Vater hier glücklich gewesen, nachdem er in de» großen glänzenden Häusern so viel Unglück gehabt hat!" Er stand auf und ging ein paarmal im Zimmer auf und ab, um seine Ungeduld zu bezwingen. „Du verkennst di« Verhältnisse, Kind! Dein Vater hat hier ein Asyl für seine letzten Lebensjahre gefunden, das ihm nach den Stürmen de» Leben» wohl gethan habe» mag — ich rechte nicht mit ihm, obaoun ä son xoüt! — Doch ich . bin kein gebrochener Künstler, sondern ein junger Mann, der erst in» Leben eintreten und darin vorwärts kommen will. Denkst du, meine Arbeitsgeber, die geldstolzen Bankier», sollten ihren Architekten i» einem zerfallenen Gartcnhäuschen suchen? Dann wäre e» bald um mich geschehen! So lange ich in der Stille studirte, war e» gut ge» , nug; jetzt muß ich wohnen, wie andere Leute auch. Wer vorwärt» kommen will, darf aus keine Absonderlichkeiten verfallen» für ihn vor / allen gilt die goldene Regel: „knirs comms tout Is monäs I" ll'oat Io monäe wohnt aber nicht im grünumrankten Garteuhäuschen, sonder» in Hellen, säubern Miethhäusern mit Portier und gasbeleuchtete» Treppen — und sei'S auch im dritten oder vierten Stock!" Er hatte sich in Eifer geredet und bemerkte nicht, daß da» Mädchen während seiner theoretischen Auseinandersetzung bleicher und bleicher geworden war. „Und was," versetzte sie, da er nun schwieg, „wirb das Schicksal diese» Hauses werden, wenn wir eS — verkaufen?" „Wir werden es auf Abbruch verkaufen," sagt« er, erfreut über den Erfolg seiner Rede, „und es wird jedenfalls abgebrochen werde«. Was an seiner Stelle erbaut wird, steht uatürlick im Willen d» Käufer» I — Es freut mich, daß ich dich so weit überzeugt habe, i fuhr er fort, da er ihr Schweigen für Zustimmung «ahm. „Die
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