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"Waldenburg, 18. August 1881. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Fürst Bismarck hat sich am 17. d. nach seinem Familiengute Schönhausen begeben. Uebrigens ist Fürst Bismarck durch ein freudiges Familienereigniß überrascht worden, indem seins Tochter, die Gräfin Rantzau, am 16. d. abends von einem Knaben glücklich entbunden wurde. In einer Wahlrede, welche jüngst Professor Adolf Wagner in Barmen hielt, erklärte dieser, er wisse aus einer Unterredung, welche er in den letzten Tagen mit dem Fürsten Bismarck in Kissingen gehabt, daß eine Invaliden- und Alters-Ver sicherungsanstalt im Plane des Reichskanzlers liege. Ferner sagte Professor Wagner wörtlich: „Es ist die feste Absicht des Fürsten Bismarck, wie er mir mündlich mitgelheilt, und ich habe die Er- laubniß, seiner Absicht Ausdruck zu geben, daß das Tabaksmonopol geschaffen werden soll, um aus seinen Erträgen vor allem die Arbeilerverfichernng durchzuführen. Ohne große gewaltige Mittel in Bewegung zu setzen, ist die Durchführung der Ar- beiterkassen nicht möglich. Solche Mittel durch das Tabaksmonopol zu erlangen, ist relativ leichter, als auf anderem Wege." Als eine Lächerlichkeit wollen wir die Nachricht verschiedener Zeitungen mittheilen, daß der Reichs kanzler mit dem Plane umgehe, den Sitz der Regierung nun doch von Berlin fortzuverle gen und zwar handle es sich um nichts Geringeres, „als die Stadt Hamburg nach vorhergegangener Einverleibung in Preußen zur zweiten Residenzstadt des Reiches zu machen." Daß dieser Nachricht auch nicht die geringste Begründung inneliegt, versteht sich von selbst. Die chinesische Negierung hat beim „Vulkan" in Stettin ein zweites Panzerschiff bestellt, welches ein Schwesterschiff des ersten und demnächst fertigge stellt werden und einschließlich Armirung und Aus- rüstungetwa sieben Millionen Mark kosten soll. Es ist dieser zweite Auftrag beim „Vulkan" in Stettin, noch ehe der erste effectuirt ist, direct auf den Ein fluß des Berliner chinesischen Gesandten zurückzu führen, welcher hier wieder einmal einen Beweis seiner Sympathie für die deutsche Industrie gegeben hat. Die Gesammtbestellungen, welche Li-Fong-Pao für China bisher in Deutschland gemacht hat, be laufen sich, einschließlich derjenigen bei den Firmen „Friedrich Krupp" und „Berliner Maschinenbau- Actien-Gesellschaf! (L. Schwartzkopff)" — bei der letzteren für etwa 300,000 Mark — auf 16 bis 17 Millionen Mark. Die Handelskammerberichte von Duisburg und Mühlheim an der Ruhr sprechen sich, wie andere, auch für die thatsächliche Besserung der Lage der Industrie aus. „In verschiedenen Zweigen der Industrie, heißt es darin, steigerte sich die Nachfrage gegen das Vorjahr, so daß viele Werke, insbesondere diejenigen der Eisenbranche, der Textilindustrie und der chemischen Judustrie ausreichend und theilweise sogar lebhaft das ganze Jahr hindurch beschäftigt blieben. Inwiefern an der auf einzelnen Feuilleton. Das Geheimmß des Nihilisten. Novelle von Andre Kugo. (Fortsetzung.) Und dieser blickte ebenfalls lange in den Spiegel des Auges und las darin. „Ich verstehe Dich," sagte der Kaiser jetzt, in dem er ihn langsam in die Höhe zog, „der Professor Rostow wird den Rebellen Czrynowsky verachten. Ist es so?" Professor Rostow vermochte nichts zu antworten, die gewinnende Herzlichkeit des Monarchen feierte einen Sieg über das verführte Herz Czrynowskys. „Dein Weib, die Tochter des Rebellen Moransky ist schuld an Deinem Unglück, mein Sohn. Die Frevlerin hätte ihrem Kaiserhause zu danken gehabt. Statt dessen hat sie demselben mit Undank gelohnt. Sie ist wahnsinnig! In dem Banne des Nihilismus gefangen, hat sie, die Tollkühne mehrmals in frev lem Uebermuth die Hand nach ihrem Kaiser ge streckt, um diesen zu vernichten. Sie läßt von ihrem wahnwitzigen Vorhaben nicht ab und hat nicht nur ihr Glück, sondern auch das Anderer zu Grunde gerichtet. — Weißt Du, wer die Frau des angeb lichen Kleinbürgers Ssuchorukov in Moskau ge wesen ist?" Czrynowsky starrte den Kaiser an; er war keiner Antwort fähig. „Magdalena von Czrynowsky war es. — Die Frau eines Himmelsstürmers. — Sie hat das adelige Gebieten eingetretenen Besserung die neue Zollgesetz gebung Antheil hat, läßt sich im Einzelnen zur Zeit noch nicht nachweisen. Aus der ganzen Lage der Industrie glauben wir jedoch den berechtigten Schluß ziehen zu dürfen, daß wenigstens dis Einwirkung der ausländischen Concurrenz durch die neuen Zölle wesentlich abgeschwächt worden ist. Die Wiederkehr des Vertrauens auf eine bessere Zukunft ist daher zum nicht geringen Theile der in der Zoll politik eingeschlagenen Richtung zuzuschreiben." „Die Preise, welche die Eisen-Industrie im Jahre 1880 erzielte, waren so hohe, daß an eine längere Dauer kaum gedacht werden konnte. Das Sinken der Preise war ein ebenso rapides als das Steigen der selben; der niedrige Standpunkt im Juli 1879 ist jedoch nicht wieder erreicht worden. Hier trat so recht die Wirkung der zollpolitischen Maßnahmen hervor. Wäre durch diese nicht der ausländischen Concurrenz eine gewisse Schranke gezogen, so würde ein weiterer Rückgang unvermeidlich gewesen sein. Die Ergebnisse des Jahres 1880 können in der Eisenbranche als nicht unbefriedigende bezeichnet werden Die wenn auch nur unerhebliche Aufbesserung der Löhne bei den Zechen und Eisen werken hat unter dem Arbeiterstanse einen günstigen Eindruck gemacht und haben von dieser Thatsache die Erörterungen der Gegner der nationa len Wirthschaftspolitik über die Mehrbela stung des Arbeiters durch die Zölle auf Verbrauchsartikel jede Wirkung verloren." Der Mühlheimer Bericht spricht sich übrigens in seiner Fortsetzung entschieden für die indirecten Steuern aus und fügt hinzu: „Wir wissen, daß wir in dieser Hinsicht lediglich den Standpunkt des größten Theiles sowohl der intelligenteren, als der Arbeiterbevölkerung unseres Bezirkes theilen, und sind der Ueberzeugung, daß diese Ansicht im ganzen Jndustriereoier Rheinland-Westfalens die Majorität für sich hat. Eine Versammlung liberaler Vertrauensmänner aus ganz Westpreußen, die am 13. d. M. in Marienburg stattgefunden, hat einstimmig den Be schluß gefaßt, ein Comils zu beauftragen, sogleich nach der Veröffentlichung des Termins der Reichs lagswahlen einen Wahlaufruf zu erlassen, in welchem alle Liberalen Westpreußens aufgefordert werden, sich in jedem Wahlkreise über die Aufstellung des jenigen liberalen Candidaten, welcher den ge meinsamen Gegnern gegenüber die meisten Aussich ten bietet, zu verständigen und dann einmüthig für dessen Wahl zu wirken. Ueber Deutschlands Handel mit dem A-us- lande im Jahre 1880 bringt der soeben ausge gebene 49. Band der Deutschen Reichsstatistik eine Reihe bemerkenswerther Uebersichten. Das größte Interesse wird aus dem reichen Inhalte dieses Wer kes sicher die Berechnung des Werthes der Ein- und Ausfuhr in Anspruch nehmen, die vom Stati stischen Amte auf Grund der unter Zuziehung von Sachverständigen ermittelten Durchschnitts-Preise an gestellt worden ist. Es hat sich darnach für die Einfuhr in den freien Verkehr ein Werth von 2876,4 Millionen Mark (um ca. 1000 Millionen Mark geringer als in den vorhergehenden Jahren) und Wappenschild ihres Namens in den Bettlaken einer gemeinen Concibine gehüllt. Der Kaiser ging nach dem Wandschränkchen, ver schloß das kleine, rothe Buch wieder und entfernte sich dann, nachdem er noch einmal dem mit sich Kämpfenden einen freundlichen Gruß zugewinkt halte. 8. Ein neues Attentat. Noch war das Entsetzen über das verwegene Atten tat von Moskau nicht ganz beruhigt und noch nicht einmal der Urheber desselben war festgestellt, als in dem Winterpalais auf dem Arbeitstische des Czaren von demselben eine gedruckte Proclamatüm aufgefunden wurde, worin ihm sein bevorstehender sicherer Tod angezeigt wurde, wenn er nicht sofort Maßregeln treffe, nach denen alle seine Rechte in die Hände einer Nationalversammlung gelegt wür den. Man werde, und damit schloß die Druckschrift, den Löwen in seiner eigenen Höhle ergreifen. Jetzt erinnerte sich der Czar plötzlich jener Mit- theilung aus Paris, die vor einigen Monaten nach Petersburg gelangt war, wonach die Gräfin Czry- no vsky mit den in Paris lebenden russischen Flücht lingen und Verschwörern conspirirt und sogar einen detaillirten Plan bei sich geführt habe, der nichts Geringeres bezweckt habe, als das Winterpalais zu unterminiren und es in die Luft zu sprengen. Sofort ließ er sich von der dritten Ablheilung die darauf bezüglichen Aktenstücke kommen. Der Flügeladjutant des Kaisers war mit der Ueberbringung beauftragt. Es waren mehrere kleine Augenblicksphotographien, wie sie selbst in der Nacht bei elektrischer oder Magnesium-Beleuchtung herge für die Ausfuhr aus dem freien Verkehr ein Werth von 3099,s Millionen Mark (um ca. 300 Millionen Mark höher als in den vorhergehenden Jahren) ergeben. Für den gesammten Waarenverkehr ein schließlich der Durchfuhr beziffert sich die Einfuhr auf 4445,4 Millionen Mark und die Ausfuhr auf 4587,r Mill. Mark. In Stettin haben am Dienstag Abend abermals tumultuarische Scenen stattgefunden, indem eine große Volksmenge unter den bekannten Rufen durch die Straßen zog. Polizei und Militär schritten ein und nahmen zahlreiche Verhaftungen vor. Eigen thumsbeschädigungen sind nicht zu constatircn. Frankreich. Die Wahlversammlungen in Paris,in welchen Gambetta auftritl, werden jetzt regelmäßig durch Skandalmacher unmöglich gemacht. Zu der im Pariser Stadtviertel Charonne anberaumten Wahl versammlung, in welcher Gambetta sein Wahlpro gramm entwickeln wollte, hatten sich etwa 10,000 Theilnehmer eingefunden. Die Versammlung wurde um i/s9 Uhr unter lärmenden Rufen der verschie densten Ari eröffnet, so daß die Bildung eines Bureaus ganz unmöglich war. Gambetta versuchte, das Wort zu nehmen, konnte sich aber nicht verständ lich machen. Nachdem er mit seinem Gehstock auf die Tafel geschlagen hatte, um sich Gehör zu ver schaffen, redete er die ihn immer aus's Neue Unter brechenden an, aber nur seine nächsten Nachbarn konnten einzelne Worte unterscheiden, wie etwa: „Ihr seid Eurer Zehntausend und seid zur Ohnmacht gebracht durch eine Hand voll Tollhäusler, die ich kenne, die feige sind und die man bezahlt hat, um die Discussion zu ersticken. Da ich nichtantworten kann, erwarte ich Euch am 21. August." Nach dem Gambetta den Versuch, zu Worte zu gelangen, etwa 20 Minuten lang fortgesetzt hatte, sah derselbe sich genöthigt, sich zurückzuziehen. Um 9 Uhr wurde die Versammlung aufgehoben. Nachdem Gambetta die Wahlversammlung verlassen hatte, versuchten 3 oder 4 andere Redner das Wort zu ergreifen: die meisten Anwesenden verließen aber sofort das Lokal, die Redner standen im leeren Raum. Die „Agence Havas" meldet: Gambetta wurde anfangs, bei seinem Eintritt in das Lokal, mit fast einstimmigen Bei fallsrufen begrüßt; auch wurde in ganz regelrechter Weise ein Bureau mit Metivier als Präsidenten constituirt. Der Tumult entstand erst später und ging von etwa 300 bis 400 Gegnern Gambetta's aus. Auch war nur ein Theil des Saales erleuch tet, wodurch die Unordnung begünstigt wurde. Rnfilaud. Wir haben bereits mehrfach darauf hingewiesen, wie einsichtsvolle Israeliten die eigentlichen Ur sachen der antisemitischen Bewegung wohl erkennen. In einem Artikel des „Juselmi Krai" („Russischer Jude") heißt es folgendermaßen: „Unsere Geldgier, Unersättlichkeit, Unverschämtheit und Verschlagen heit, unsere sklavische, einfältige Nachahmungssucht, es dem russischen Adel gleichzuthun, unser Wucher- und Schacherwesen bringen das Volk gegen uns auf, erregen den Haß der Kaufmannschaft und die Verachtung des Adels. Es giebt allerdings auch achtbare Leute unter uns, aber sie verschwinden stellt werden können. Sie bildeten den Special plan der Souterrainräume des Palastes, sowie der Etage, in der sich die kaiserlichen Wohnzimmer für gewöhnlich befinden. Gleichzeitig enthielt das Ueber- sandte eine Berechnung der Unkosten, welche das Unternehmen erfordere. NarnenSunterschriften fehlten gänzlich. „Soweit ist es also in Rußland gekommen!" rief der Czar außerordentlich erregt, daß der Kaiser in seinem eigenen Heim nicht mehr ruhig zu schlafen vermag. „Habe ich Beamte von Geist und Ver stand oder sind es Cretins, die sich von jedem her gelaufenen Tölpel oder verbummelten Studenten an der Nase herumführen lassen müssen. Ich werde also für meine persönliche Sicherheit selbst Sorge tragen müssen. Zunächst hat eine Abtheilung des Geniecorps die Souterrainräume gründlich zu unter suchen. Vier Mann Garde hat vor meinem Schlaf zimmer Aufstellung zu nehmen, und ganz besonders sind alle verdächtigen Personen zu sistiren. In Livadia hat sich ein Verschwörer vier Tage lang unerkannt aufgehalten. Was hat er anders gewollt, als mich zu tödten! Du birgst mit Deinem Kopfe für die strikte Ausführung meiner Befehle. Geh!" Der Flügeladjutant entfernte sich und überbrachte die Befehle des Kaisers. Eine fieberhafte Thütigkeit entwickelte sich sofort in den einzelnen Abtheilungen. Das Resultat war ein überraschendes, denn in dem an das Palais stoßenden Garten wurden an zwei verschiedenen Stellen mehrere Puds Dynamit aufgefunden. (Fortsetzung folgt.)