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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 05.09.1883
- Erscheinungsdatum
- 1883-09-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188309056
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18830905
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18830905
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1883
-
Monat
1883-09
- Tag 1883-09-05
-
Monat
1883-09
-
Jahr
1883
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 05.09.1883
- Autor
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Personen an der Cholera gestorben,sswobei die englische Occupations- armee mit 140 Mann betheiligt ist. In Unteregypten ist die Seuche, mit Ausnahme Alexandriens gänzlich erloschen, dagegen breitet sie sich in Ober-Egypten aus, wo ihr z. B. vom Donnerstag zum Freitag SW Personen erlagen. Machrichten ans Chemnitz und Umgegend. — Ein seltener Besuch, S. kgl. Hoheit der Kronprinz von Por tugal traf heute Mittag */«12 Uhr hier ein und wurde von den Spitzen der Behörde empfangen worauf er sich zum Diner nach dem „Römischen Kaiser" begab, welcher ein festliches Gewand angelegt hatte. Nachmittags besuchte derselbe die Sächsische Maschinenfabrik, vorm. R. Hartmann. — Gestern wiederholten dieMnder des Sonnender ghiertels ihren Lampionzug, aber ohne Musik, die sie sich durch Singen selbst machten, und in ihrem lauten Jubel zeigte sich die Freude über das günstigere Wetter. — Zur Borfeier des Sedantages hielt die Gesellschaft „Terp- sichore" im Handwerkervereinshaus einen Commers ab, wobei Herr Fabrikant Schubert eine freie Rede über „Deutschlands Glanz perioden" hielt. In vielen Toasten gab sich die Festfreude der Mit glieder kund. — Wie wir erfahren, beginnen am 16. September die allabend lichen Vorstellungen im Mosellasaal und sollen für die Eröffnung nur beste Kräfte engagirt sein. — Bezüglich der gegenwärtig hier bestehenden Arbeits einstellung der Glasergehilfen sei für heute ergänzend bemerkt, daß die Hauptursache des Strikes in dem Bestreben der Gehilfen zu suchen ist, «inen einheitlichen Lohntarif für sämmtliche hiesigen Glaserwerkstätten herbeizuführen. Die Forderung höherer Löhne ist hierbei in directer Beziehung ausgeschlossen. Es würde sich nur bei Erreichung des Zieles um unwesentliche Lohnerhöhung für Einzelne handeln. Man hofft, daß sich die Angelegenheit baldigst zu aller Zufriedenheit regeln lasten werde. — Wir geben schon im Voraus den hiesigen Freunden und Liebhabern des Kanarienvogels bekannt, daß der Chemnitzer Kanarien- züchter-Verein, wie alljährig, so auch nächstes Jahr, für den 5. 6. und 7. Januar 1884 seine vierte Ausstellung verbunden mit Prämiirung und Berloosung beschlossen und dieselbe in den unteren Localitäten des Gast hauses zur Linde abhalten wird. —* Der Unfug de- Abbrennens von Feuerwerkskörpern und des Schießens mit Pistolen, Schlüsselbüchsen und anderen Schieß werkzeugen von Seiten unserer Jugend am 2. September und schon mehrere Tage vorher hat in diesem Jahre in erschreckender Weise zu genommen und sind Klagen über Belästigungen verschiedener Art von vielen Seiten eingegangen. Wenn auch nicht zu verkennen ist, daß das Abbrennen von Feuerwerk namentlich für die Jugend einen be sonderen Reiz hat, so muß diese Belustigung doch bestimmte Grenzen haben und darf insbesondere nicht ohne Aufsicht Erwachsener statt finden. Das Abbrennen von Feuerwerkskörpern in so unvorsichtiger und muthwilliger Weise Seitens der Schulkinder, wie es am Sedan tage in vielen Straßen unserer Stadt zu bemerken war, ist aber nicht allein Personen und Sachen höchst gefahrvoll, sondern wohl auch ge eignet, verrohend auf die Gemüther unserer Jugend zu wirken und ist deshalb auch aus ethischen Gründen zu mißbilligen. Ein solcher sinnloser Scandal, wie am Abend des 2. September in vielen Straßen zu hören war, ist entschieden des Tages, an dem viele tausende unserer Brüder für das Vaterland ihr Leben gelaffen haben, nicht würdig. Dieser Unsitte in nachhaltiger Weise Einhalt zu thun ist auch der für unsre Stadt so geringen Anzahl von Polizeibeamten allein unmöglich, eS bedarf dazu vor Allem auch der Mitwirkung der Eltern und der Schule, und ist es nicht nur Pflicht der Letzteren die Kinder auf die hohe Bedeutung dieses Tages aufmerksam zu machen, sondern auch dieselben von dem gerügten Unfug abzuhalten. —* Am 1. dieses Monats Abends in der 11. Stunde hat ein an der Kaiserstraße hier wohnhafter Schlosserlehrling mittelst eines Eisenrohrs. Pulver verschossen, hierbei ist ihm eine Ladung in die linke Hand gefahren und hat den Handballen bis auf den Knochen zerrissen. Dem Verwundeten wurde zunächst auf der V. Polizeibezirks wache ein Nothverband angelegt, wonach er in seine Wohnung trans- portirt und ärztlicher Behandlung überwiesen wurde. —0 Der Militärverein im Blankenauer Grund feierte den 2. September in recht würdiger Weise. Früh Revcille, dann Kirchenparade in Gemeinschaft mit dem Militärverein zu Borna, und Schmückung des Krieger-Denkmals, wobei Herr Vorsteher Konrad- Richter in Furth den Anwesenden die hohe Bedeutung des glorreichen Tages vor ca. 13 Jahren in bewegten Worten so recht lebhaft vor Augen führte und der gefallenen Kameraden gedachte. Die Schlußfeier des denkwürdigen Tages bildete das vom Verein begangene 23. Stiftungsfest, welches unter zahlreicher Thcilnahme Gesühnt. Nachdruck verboten. Criminalroman von Wilhelm Braun. (Fortsetzung.) „Treten sie näher, Mademoiselle," sagte die Gräfin in bequemem Tone und griff nach ihrem goldenen Lorgnon. Maria trat schüchtern einen Schritt vor. „Noch näher, — noch einen Schritt — so — stellen Sie sich mehr in's Licht," und die Gräfin klemmte das Glas vor das Auge und betrachtete das junge Mädchen, das tief crröthcnd ob solchen Empfanges das Auge nicht zu erheben wagte. „Blicken Sie empor, ich kann ja Ihr Gesicht gar nicht sehen," befahl die Gräfin wieder und Maria hob einen Augenblick das mit Purpur überströmte Antlitz und warf einen zaghaften Blick nach der Dame, welche die mit bitterem Unwillen auf ihr ruhenden Augen ihres Gemahls nicht zu bemerken schien und in ihrer nachlässigen Lage beharrend, die junge Dame weiter musterte. „Ah, Sie haben blaue Augen, das ist hübsch, mein Geschmack — Ihr Aussehen ist nicht übel — gut, Sie werden bei mir bleiben — werden es gut haben bei mir — ich hoffe, daß ich Sie nicht so bald wieder zu entlassen brauche. — Sie sind sehr einfach gekleidet, ich sehe das nicht gern, Sie müssen sich feiner, geschmackvoller kleiden — die dunkle Farbe stimmt traurig, Sie werden ein helleres Kleid nehmen." -W Maria stand wie auf Kohlen — diese Dame schien allerdings sehr viel Launen zu haben; sie wagte nicht mehr emporzublicken und vermochte daher nicht zu sehen, daß das Auge des Grafen voll tiefer Theilnahme auf sie gerichtet war. Der junge Edelmann, der trotz seines ernsten Wesens dennoch ein sehr weiches Herz zu besitzen schien, brach endlich den Bann, indem er der jungen Baronesse einen Stuhl anbot und sie zu sitzen bat. Diese ließ sich schüchtern nieder, mit leiser Stimme ihren Dank aussprechend. „Die Kammerfrau wird Ihnen Ihr Zimmer und die Bedienung anweisen," fuhr die junge Gräfin wieder in dem vorigen, etwas herab lassenden Tone fort; „haben Sie Ihr Gepäck mitgebracht oder wollen Sie es am Bahnhof abholen lassen?" Die Verlegenheit der jungen Dame war grenzenlos. „Verzeihung, gnädige Frau," stammelte sie verwirrt, „ich führe weiter kein Gepäck bei mir — ich —" „Wie?" fiel die Gräfin im Tone der höchsten Verwunderung ein, „Sie haben gar kein Gepäck? So ist das Ihre ganze Garderobe? geladener Gäste, sowie Kameraden des Vereins in recht kamerad schaftlichem Beisammensein und heiterer Stimmung verlief.^ Sächfifch-S. — Zu der Mittwoch, 5. September d. I., Vormittag- *, ,12 Uhr imjSitzungssaal der k. Kreishauptmannschaft in Zwickau anberaumten Sitzung des Kreisausschusses ist nachstehende Tages ordnung festgestellt worden: 1. Rekurs der Stadtverordneten Warmann und Genoffen in Annaberg gegen die Bestrafung wegen Versäumniß der Stadtverordneten sitzungen. — 2. Uebernahme der beiderseitigen Fußwege an der Bahnhofstraße in Zwickau in städtische Unterhaltung. — 3. Gesuch des Schauspielunternehmers R. Zirkel aus Dresden um Erlaubniß zum selbstständigen Betriebe des Theatergewerbes. — 4. Rekurs des Eisenbahnexpeditionshülfsarbeiters O. Kr ackert in Meerane gegen seine Abschätzung zu den dortigen Communanlagen. — 5. Rekurs des Fabrikanten I. A. Pest er in Limbach gegen seine Abschätzung zu den Communanlagen daselbst. — 6. Die beantragte Abtrennung des Ortstheiles Mittelberg vom Gemeindeverband Brunndöbra und Ver einigung desselben mit dem Gemeindeverband Untersachsenberg. — 7. Rekurs des Fabrikarbeiters Bochmann in Neustädte! gegen seine Einschätzung zu den dortigen Communanlagen. — 8. Rekurs des Webermeisters C. A. Adler in Falkenstein gegen seine Abschätzung zu den Communanlagen daselbst. — 9. Entwurf einer neuen Orts armenordnung für Zwickau, (ß 9 Abs. 2.) — 10. Uebernahme der Reinhaltung und Unterhaltung einer Schleuße in der Schönhaider Straße zu Eibenstock seitens der dortigen Stadtgemeinde. — 11. Rekurs des Instrumentenmachers Chr. A Prager in Markneukirchen gegen seine Abschätzung zu den dasigen Communanlagen. — 12. Rekurs des Fabrikanten A. F. Schönherr in Hohenstein gegen seine Abschätzung zu den Communanlagen daselbst. — 13. Begutachtung der in An regung gekommenen Correction der Mulde. — 14. Entnahme eines Theiles der Gemeinde Lenkersdorf von dem Lößnitzer Essenkehrbezirke und Hinzuschlagung zu dem Grünhainer Kehrbezirke. — 15. Rekurs des Allgemeinen Consum- und Hilfsvereins in Chemnitz gegen seine Abschätzung zu den dortigen Communanlagen. — 16. Rekurs des Allgemeinen Consumvereins in Chemnitz gegen seine Abschätzung zu den dasigen Communanlagen. — 17. Differenzen zwischen den Ortsarmenvcrbänden von a. Chemnitz und Gab lenz wegen Erstattung der Kur- und Verpflegungskosten für die verehel. Hä decke; b. Chemnitz und Schönhaide wegen Erstattung der Kur- und Verpflegungskosten für die ledige Hecker; v. Rasch au und Elter lein wegen Unterstützung des Walter'schen Kindes. — 18. Rekurs des Fabrikanten Jul. Bechler in Lengenfeld bezüglich seiner Ab schätzung zu den dortigen Communanlagen. — In Hohenstein>Ernstthal hat sich ein Erzgebirgsverein constituirt. Am Freitag bewährte sich in Crimmitschau wieder einmal echte Mutterliebe. Das 6 jährige Knäbchen des Spinners K. war beim Spielen in den Wehrtümpel gefallen. Man schrie nach der Mutter und im Fluge eilte dieselbe herbei, um sich, ohne zu besinnen, sofort in das Wasser zu stürzen, welches hoch über ihr zusammenschlug. Trotzdem gelang es ihrer Energie, sich und den Knaben aus dem Wasser heraus zu bringen und nach längeren Bemühungen wurde auch der Knabe wieder ins Leben zurückgebracht. In Dresden ist gegenwärtig der Zweite Allgemeine Deutsche Bergmannstag versammelt. Am 3l. August wurde in Dresden ein erst kürzlich vorher aus Chemnitz nach dort übersiedelter Flaschenbierhändler und Agent verhaftet und der königl. Staatsanwaltschaft überliefert, da er eine recht spitzbübische Praxis ausgeübt, indem er kautionsfähige junge Leute zum Eintritt in sein Geschäft suchte und ihnen guten Verdienst zusicherte. Eine Anzahl junger Leute bewarben sich um die Stellung und lieferten den: Herrn Chef sorglos ihr Erspartes aus, der Herr Prinzipal verbrauchte aber die anvertrauten Gelder zu seinem eigenen Nutzen. In Cotta bei Dresden hat sich der 19 Jahre alte Kutscher Zünzel erhängt. Unglückliche Liebe soll das Motiv sein. In Bosch- Mit) bei Dresden wurde der Leichnam eines Ertrunkenen aus der Elbe gezogen und in die Todtenhalle geschafft. Derselbe, ein anscheinend dem Arbeiterstande ungehöriger Mann, konnte gegen 30 Jahre alt sein und mochte schon einige Tage im Wasser gelegen haben. Mi"' L"?nL oa?n2 °ch Alles zuwege bringen wird, ^ ersÄklen Ob ' r hat sich ein neues Reich für derben? Das hängt einzig und allä" .^ck Ana des sozialen Lebens ab Sofern ^ der vernünfttgen Gestaltung wundenen alten Rezepten der vol1?,^^R " ^ ^ kann der Ausgang kesii heilsamer s°M«en Theone erfolgt, mehr oder weniger 'onnten nicht genug Werthe ^°ugt werden. Dw Armuth fand e natürliche Erklärung Agenden Anzahl und Ge- ^ Wb. Verkehrsverhältniffen. j^ung und Geräthschaften. Trotz des Ueberflusses an Getreide in de. Lande verhungerten die Leute m dem anderen Lande, well ww- In neuerer Zeit leiden viele MenscheÜLW wZl übtt7ll zuviel Produzirt wird Sie müssen darben ^kommen nicht weil zu wenig, sondern weil zuviel da ist, was^ menicken »u ibrem irdischen Wohlbefinden bedürfen. Die Menschl ^ im Ueberfluß zu ersticken und auf der andem Seite wie Graf trok seiner Millionen buchstäblich zu verhungern. Wenn „die Selbstmord berichte unsrer Blätter liest, so giebt dies genügst Stoff zum Nach denken hierüber. " Nur selten aber stören uns solche Fälle au. per Ruhe auf. Knüpft sich einmal eine Besprechung an irgend Selbstmord, da giebts kluge Leute genug, die meinen, die ganzHchuld sei den Personen zuzuschieben, während die Verhältnisse gar M so übel seien. Thatsächlich aber ist der Arbeitsmangel groß und d Schlechtesten sind es gewöhnlich nicht, die schließlich kurzen Prozeß vchen nach dem sie lange vergeblich getrachtet haben, sich eine ehrenv'e Existenz zu verschaffen. Unsere volkswirthschaftliche Krankheit ist weniger auf t>n Gebiete der Production als auf dem der Konsumtion zu suchen. Wnn durch Hilfe der Maschinen immer mehr Güter produzirt werden, können, wenn zugleich die Maschine viele Arbeiter ersetzt, so muß um doch einmal ernstlich nach der Möglichkeit des Absatzes und des tzenusses der produzirten Güter sich umsehen. Es wird doch nicht der Promction wegen produzirt. Eine solche Thätigkeit erinnerte an den Dicbstahl des Raben der schließlich sagte: „Ich habe es nur. damit ich's hrbe." Nein, man produzirt um zu verkaufen. Und diese Absicht muß die Annahme voraussetzen, daß genug Menschen da sind, die sich den Luxus des Kausens gestatten können. Im unversöhnlichsten Widerspruch mit der durch unsere fortgeschrittene Technik ermöglichten Güterpwi- duction ohne Grenzen steht die alte volkswirthschaftliche Weisheit, unter allen Umständen mit Allem zu — sparen. Sobald die Kon- ümtionskraft eines Volkes geschwächt ist und ein Jeder zu sparen ücht, stockt der ganze Verkehr. Es fehlt überall an Arbeit und Verdienst. Am schwersten haben darunter Diejenigen zu leiden, die eigentlich vom Luxus und der höheren Geisteskultur abhänaia sind: alle Arten Künstler. Es ist leichter möglich, die gegenwärtigen Nothstände zu beseitigen, als es den Völkern früherer Perioden möglich war, ihre aus wirklicher Armuth entstandenen Nothstände zu beseitigen. Gegenwärtig bedarf es dazu nur der Einsicht der Gesetzgeber wie der gebildeten Gesell- chäft überhaupt. Diese Einsicht aber kommt nur dadurch, daß man an Alle denkt, und daß die Meisten von Jenen, die Einfluß haben, ihre volkswirthschaftliche Weisheit nicht, wie König Bramarbas, der att war, aus dem eigenen Wohlbefinden schöpfen. (Düfs. Anz.) Was Alles von der Stärkung -er Konsum tionskraft des Volkes abhängt Ein jeder weiß es und kann sich überall und täglich davon über zeugen, daß in unserer gesammten Volkswirthschaft ein neuer Geist thätig ist: der Geist der Erfindung und der technischen Vervollkomm nung sonder Gleichen. Die Maschine schafft ohne Rast. Die Kraft des Dampfes war den Menschen früher ebenso unbekannt als die Aber, mein Gott, mit dem Fähnchen können Sie doch nicht zu Tisch kommen, und wie sollen Sie da mit mir ausfahren können oder in Gesellschaft gehen? Das ist sehr naiv von Ihnen, Fräulein von Marker stroff, da wird weiter nichts übrig bleiben, als daß Sie sofort die Directrice eines Kleidermagazins Ikommen lassen und sich die nöthige Garderobe bestellen. Ein Hauskleid, eines für den Tisch, für die Gesellschaft, für das Ausfahren, lieber gleich zwei, zur Abwechselung, dann einige seidene Kleider für andere Gelegenheiten, mit der nöthigen Toilette — ein Reitkleid — apropos, können Sie reiten?" Unter anderen Verhältnissen würde die Baronesse über die Auf zählung einer solchen Garderobe und die daran geknüpfte Frage herz lich gelacht haben, jetzt aber war es ihr keineswegs so heiter zu Muthe. Daß sie noch einige Gewänder brauchen würde, war selbstverständlich, allein diese Garderobe mußte ihr ja einen Aufwand bereiten, der sie verhinderte, den armen Eliern auch nur einen Pfennig von der ge hofften Einnahme zukommen zu lassen. Ihr Blick trübte sich, unwill kürlich faltete sie die Hände und ein leises, halbersticktes „Nein" ant wortete auf die Frage der Gräfin.^ kW „Das ist schade," versetzte diese bedauernd; „es'wird Ihnen da durch manches schöne Vergnügen entgehen — doch — lassen wir das — Sie werden abgespannt sein von der Reise und sich auf Ihr Zimmer zurückzichen wollen, Beate wird Ihnen dasselbe anweisen. Auf Wiedersehen!" nickte sie der in vollster Verlegenheit Befangenen mit deutlich entlassendem Tone zu, und Maria, froh, aus dieser pein lichen Situation erlöst zu sein, erhob sich schnell und empfahl sich mit einfacher, doch graziöser Verbeugung. « WelcheZTage mochten ihr in diesem Hause bcvorstehen! Allein sie schien"sich"doch getäuscht zu haben. Als nach einigen Tagen die von der Gräfin selbst bestellte Garderobe cintraf, lag der selben bereits die Quittung des Confectionshauses bei und bald bc merkte Maria, daß die junge Gräfin, inmitten des Ueberflusses aus gewachsen, mit dem Geld in einer so verschwenderischen Weise um ging, daß sie dessen Werth gar nicht zu kennen schien Uebrigens mußte der Verkehr mit der jungen Dame sehr angenehm auf das Gemüth der Gräfin wirken, denn diese entwickelte eine noch größere Munterkeit denn früher und zeigte sich gern mit der jungen, in ihrer neuen Toilette ihren ganzen Liebreiz entfaltenden Baronesse. Je heiterer aber seine schöne Frau war, um so düsterer erschien der Graf. Seine edlen, regelmäßigen Züge begannen sich mehr und mehr zu verfinstern, ein Ausdruck düsterer Schwermut!) breitete sich über dieselben aus. Sein klares Auge schien unter der Wirkung Ueber das gräßliche Eisenbahn-Unglück in Steglitz bei Berlin, von welchem wir bereits Telegramm-Nach richten in voriger Nummer brachten, entnehmen wir den „Berl. Neuesten Nachr." folgendes Nähere: Eine Katastrophe, wie sie ent- etzlicher und furchtbarer kaum gedacht werden kann, hat sich Sonntag Abend wenige Minuten vor 10 Uhr auf dem Bahnhof in Steglitz zugetragen. 39Menschenleben hat ein jäher Tod vernichtet, 22 Personen haben mehr oder minder schwere Verletzun gen davongetragen. Auf dem Steglitzer Bahnhof waren etwa 300 Menschen versammelt, die den Zug erwarteten, der sie 9 Uhr 52 Min. nach Berlin zurückbringen sollte. Der starke Sonntagsver kehr hatte bewirkt, daß der Zug 4 Minuten Verspätung hatte. Da 9 Uhr 58 Min. ein aus Berlin abgelassener Courierzug die Station Steglitz zu passiren hat, wurde die Bahnbarriere geschlossen gehalten und die Weisung ertheilt, den nach Berlin fahrenden Personenzug erst besteigen zu lassen, nachdem der Courierzug passirt sei. 9 Uhr 55 Minuten, in demselben Augenblick, als der Courierzug durch Station Friedenau fuhr, langte der Personenzug in Steglitz an. Ob gleich das Bahnpersonal alles Mögliche aufbot, um die andrängende Menge zurückzuhalten, wurde dennoch die dem ersten Wagen nach der Locomotive gegenüberliegende Barriere gewaltsam geöffnet und ein dichter Menschenstrom ergoß sich über den Bahnkörper. Der Ver eines fremdartigen geistigen Druckes erstarrt zu sein, sein Blick war kalt und stumpf — nur in der Tiefe seines Auges glomm zuweilen ein eigenthümliches Feuer. Maria bemerkte natürlich diese Veränderung nicht, da sie ja den Grafen bisher nicht gekannt hatte und hielt den finstern Zustand des Mannes für eine Folge der Launenhaftigkeit seiner Frau. Denn nur zu bald sah sie, daß nicht sie allein der Gegenstand dieser Launen war, sondern daß dieselben sich auch und zwar oft in der grellsten Weise, gegen ihre übrige Umgebung richtete. Der Graf ertrug diese mit bewundernswerther Geduld, ohne je aus seiner ernsten Ruhe zu fallen und Maria mußte mit hochachtender Bewunderung an diesem Manne emporschauen, der, oft tief in seiner Würde und seinem männ lichen Gefühl verletzt, dennoch die verwöhnte Frau wie ein krankes Kind behandelte, das man nicht durch Widerspruch noch mehr reizen dürfe. Eine Dame darf einem Manne gegenüber manches thun und sagen, was dieser einem anderen Manne nicht ungestraft würde hin gehen lassen. Gräfin von Hardisleben wußte dies auch und als eine junge, schöne Frau machte sie von diesem Rechte den ausgedehntesten Gebrauch. Taktvoll bis auf das Minutiöseste in größerer Gesellschaft, pflegte sie im kleinen Familienzirkel jede Rücksicht bei Seite zu setzen. Bald nach ihrem Eintritt in das gräfliche Haus hatte Maria den in ziemlich kurzen Zwischenräumen seine Besuche wiederholenden Pfarrer Drontheim kennen gelernt, den die Gräfin als den „Freugd unseres Hauses" vorstellte. Hätte schon das imponirende Aeußere dieses Mannes, seine mächtige, das gewöhnliche Maß weit überragende Gestalt, sein gemessenes, zurückhaltendes Wesen, sowie der markierte Ausdruck seines wohlgebildetcn Gesichtes einer jeden Dame, mit welcher er in Berührung kam, zum Mindesten einigen Respekt abnöthigen müssen, so schien die Gräfin gerade diesen Mann sich herausgesucht zu haben, um ihn auf jede erdenkliche Weise zu peinigen. Warum der Mann, der als Geistlicher und Seelsorger an der großen Staats anstalt für Strafgefangene und Verbrecher eine geachtete Stellung ein nahm, sich diesen Quälereien nicht durch sein Fernbleiben entzog, da? wußte Maria sich nicht zu deuten. Jedenfalls stand ihm die Ver bindung mit dem gräflichen Hause und somit auch mit dem übrigen Adel zu hoch, als daß er dieselbe um der launigen Fran willen hättv. aufgeben mögen. Maria zog auS alle dem für ihr Herz eine tröstnide Erfahrung. In inniger ungetrübter Liebe mit den Ihrigen verbunden, hatte sie bisher weiter kein Leid kennen gelernt, als die Entbehrungen und Sorgen des äußeren Lebens. Hier sah sie Menschen, denen der Reich- 1
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