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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 18.03.1884
- Erscheinungsdatum
- 1884-03-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188403188
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18840318
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18840318
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1884
-
Monat
1884-03
- Tag 1884-03-18
-
Monat
1884-03
-
Jahr
1884
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 18.03.1884
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«h-«»ttz-r An,eig-r und Ttadtbote. Nr. «S. Dienstag, 18. März. Seit« 2. die Die Welche im Uebrigen sehr schlecht schoflen. Auf dem Platze ließen Araber nach dem Berichte Grahams über 600 Todte zurück, ersten Angaben hierüber erscheinen demnach stark übertrieben. Nachrichten aus Chemnitz und Uinaegend/ ' Chemnitz, den IV.März 18gt. ' —r. Auf den heute, Montag Abend, stn Hörsensaal stattfinden« den vom Protestantenverein veichnstalteteii Vortrag des Herrn Pastor Ga mp er aus Dresden über sten großcht Schweizer Refor mator „Zwingli" sei hierMt nochmals aufmerksam gemacht. — Der Direktion unseres Stadt-Theaters, welche ja immer und stets bemüht»,ist, dem Püblikum das Neueste und Beste zu bieten, ist eS gelungen,'die Kgl. Sächs. Hofopernsängerin Frau Schöller sttr «in Gastspiel zu- gewinnen Die genannte Künstlerin wird «ächsteu'Mittwoch die Rolle der „Valentine" in den „Hugenotten" singen und ist somit hierdurch ein hoher Kunstgenuß wieder in nächste Aussicht gestellt. - — Thaliatheater. „Krieg im Frieden", diese lustige Kom pagnie-Arbeit v. MoserS und Fr. v. SchönthanS, war gestern die Losung in Thalien» Hallen und trotz des prächtigen Frühlingswetters, welche- weit eher zum Spazierengehen als zum Theaterbesuch einlud, war das Haus beinahe gefüllt. Dies ist erklärlich. „Krieg im Frieden" - machte vor einigen Jahren, wie überall so auch hier, eine Reihe voller Häuser und die angenehme Rückerinnernng daran ist noch sehr leb haft. Namentlich war es damals der wirklich „schneidige" Vertreter drS Reif-Reiflingen, Herr Hohmann, dem der Löwenantheil des Er folges zufiel. Bei gestriger Aufführung war dies allerdings weniger der Fall. So oft nnd gern wir Herrn Ottos hochzuschätzende Leist ungen gebührend anzuerkennen Gelegenheit hatten — heute muß ge sagt werden, daß sein Reif-Reiflingen — dem uns durch Hohmann gebotenen gegenüber — doch zu sehr abfiel. Ihm gebrach daS eigrn- thümlich ungesucht komische Gepräge des sich in jünkerlich-soldatischer Sphäre so liebenswürdig und gutmüthig bewegenden Gecken, das „Schneidige" deS gerade hierauf zugeschnittenen Charakters. Es wäre ja auch ein unbilliges Verlangen, daß ein Darsteller jeder Partie her vorragend gerecht werde« solle. Die zweite Hauptperson des Stückes, Jlka Ttvös, fand in Frl. Krauß eine Vertreterin, welche in aner- kennenSwerthester Weise bemüht war, dem Feuer der Leidenschaft dieser Magyarin effektvollen Ausdruck zu verleihen, doch wollte auch ihr diese natürlich sehr schwierige Aufgabe nicht allenthalben so ge lingen, daß eS dem Zuschauer vergönnt gewesen wäre, ein einheitliches Bild dieser eigenartigen Mädchengestalt mit hinwegzunehmen. Frl. Wtnckler fand in Vertretung der Agnes Hiller, Frl. Baumgart in der Partie der Elsa ein geeignetes Feld ihres Wirkens. Prächtig brachte Frl. Kuhse ihre Köchin Anna zur Geltung. In Vorführ ung der älteren Damen boten Frau Heuser (welche unseres Wissens . erstmalig hier auftrat) als Sophie Henkel und Frau Denker (Mathilde Heindorf) recht LobenswertheS. Der General Sonnenfels wurde dies mal durch Herrn Brüggemann sehr hübsch verkörpert, während sich auch Herr Zeißler mit dem Rentier Heindorf entsprechend ab fand. Weniger schien Herr Huhn in der ihm zugefallcnrn Aufgabe, den Gtadtrath Henkel zu verkörpern, ein ihm zusagendes Feld seiner stets so fruchtbaren Komik gefunden zu haben. Der Ulaneuleutnant Kurt v. Folgen des Herrn Stein fand aunähernd den Ton, wie die Originale dieser Spezies „sich räuspern und wie sie spncken"; auch der Stabsarzt des Herrn Hornau mochte in Anbetracht seiner nur halbmilitärischen Qualität pasfiren. Eine recht ergötzliche Figur des schüchternen Apothekers Hofmeister schuf Herr Hartmann; nur hätte der Charakter deS Süddeutschen, um die so oft betonte Herkunft „von der Neckarmündung" zu beurkunden, sprachlich bester hervortreten müssen. — Gegen den Schluß hin nahm die Aufftthrung einen etwas schachenden Gang an, wodurch der Eindruck des Ganzen wesentlich abgeschwächt wurde. Auch ein nach dem 4. Akte ausbrechender Sinke deS Hauptvorhangs, welcher nur zur Hälfte herabging und störrisch dabei Scharrte, so daß nach vielen vergeblichen Versuchen, ihn zu seiner Pflicht zurückzuführen, der Zwischenaktsvorhang in die Funktion deS elfteren «iutreten mußte, trug dazu bei, die Stimmung zu beein trächtigen. — Auf den Namen des Direktors unseres Sommertheaters, Herrn Hasemann, welcher derzeit in Lübeck lebt, hat ein Schwindler verschiedene Hotelbefitzer in Berlin dadurch geprellt, daß er sich mit Hinterlassung bedeutenderZechschulden auf Nimmerwiedersehen entfernte. Der Pseudo-Hasemann steht, wie die „Ger. Ztg." mittheilt, im Alter von vielleicht 38 Jahren und weiß gewandte Manieren mit einem chevalrreSkrn Auftreten zu verbinden. —i— Allabendlich bewährt „Mosella" eine Zugkraft auf Chemnitzei: Gemüther und namentlich an Sonntagen ist der Zudrang zu den Vorstellungen ein oft wahrhaft eminenter. Beifallssalven er tönen «ach jedem Auftreten — sei es gelungen oder nicht — und das Publikum hat sich so daran gewöhnt, hierdurch seitens der Dar steller noch Zugaben zu erlangen, daß, wenn wir eine Nummer auf dem Programm verzeichnet finden, oft wohl gar vier Piecen geboten werden — müssen. Es ist dies eine schon oft gerügte Unsitte, welche die Vortragenden ganz ungewöhnlich anstrengen muß. — WaS die Zusammensetzung des Darsteller-Personals anbelangt, so bietet die Gregorytruppe namentlich in Parterregymnastik, Saltomortales und Pirouettes ganz Erstaunliches, ebenso auch die Equilibristin Miß Alma durch ihre Pruductionen auf einer rollenden Kugel. Der Wiener Komiker Herr Emil Schnabel und ebenso Frl. Joscza Miscolczy — wie dieselbe auf dem Programm verzeichnet ist — wissen in den GesangSnummern über ihre Stimmmittel gut zu ve» fügen und die Soubrette Frl. Josephine Schön entzückt namentlich durch ihr beweglich naives Wesen; Frl. Annetta Wahl leistet zwar weniger in Gesangspartien, aber erfreut uns dafür durch ihre Virtuosität auf verschiedenen Instrumenten. — g. Nachdem von der Regierung unter Zustimmung des Land tags beschlossen worden ist, in Sachsen sieben FabrikinspektionS- bezirke anstatt der zur Zeit bestehenden fünf zu errichten, ist sicherem Vernehmen nach der bisherige Fabrikinspektor unseres Chemnitzer Bezirks, Herr Schröter, zum Fabrikinspektor in dem neuerrichteten Fabrikinspektionsbezirk Plauen i. V. und zum Nachfolger Herrn Schröter'S in seiner hiesigen Stellung der bisherige Assistent der Fabrikinspektion Chemnitz Herr Ingenieur Schiffner ernannt worden. — Heute, Montag, Abend wird im Mosella-Saale das Stiftungsfest des Südlichen Bezirksvereins durch ein Konzert mit darauffolgendem Ball gefeiert werden. Aus dem reich haltigen Konzert-Programme verdienen namentlich die beiden Tonge mälde: „Die Schmiede im Walde" von Michaelis und „Fröhliche Weihnachten" von E. Kordel hervorgehoben zu werden. —0. Im Saale der „Stadt Weimar" hielt am vorigen Sonnabend der Fachverein der vereinigten Verufrzwecge eine Versammlung ab, in welcher der Vorsitzende, Herr Fromme, zuerst mittheilte, daß der Wirth zu Auerbachs Hof, Herr Neumann, das vom Verein gemiethete Lokal zu den Versammlungen desselben nicht hergegeben und der Vorsitzende infolgedessen Stadt Weimar als Versammlungsort gewählt habe. Herr Nobis erhielt hierauf daS Wort zu einer Vorlesung aus der „Neuen Zeit" über „Kolonial politik". Hieran schloß sich eine lebhafte Debatte, an welcher sich namentlich die Herren Fromme und Kühn betheiligten. — In Bezug auf unsere kürzlich gebrachte Notiz über einen Unfall eines Milchgeschirres des Ritterguts Höckericht quf der Zwickauerstraße fügen wir heute, theilweise unsere letztgebrachte Notiz berichtigend, hinzu, daß eine Kollision mit einem Wagen der Pferde bahn glücklicherweise verhütet worden ist, und daß die Ursache des Unfalls in dem Bestreben des Pferdes, sich auf die Straße zu legen, zu suchen ist. In ruhiger Weise brachte aber der Fuhrmann mit Hilfe seiner Frau und eines hinzugekommenen städtischen Beamten das Geschirr baldigst wieder in Ordnung. —ü. Am vergangenen Bußtage wurde die Leiche des Strumpf wirkers Hosmann, welche, wie wir kürzlich mittheilten, im Schloßteiche aufgcfunden worden war, auf dem Friedhofe zu Schlvß-Lhemnitz be erdigt. Ein zahlreiches Trauergefolge aus Neustadt und Schönau war hierbei anwesend und reicher Blumenschmuck bekundete die Theil- nahme, welche der traurige Fall allgemein gefunden hatte. Herr Pastor Tubesing hielt eine längere, tief ergreifende Grabrede. —o—e. Am Bußtag Nachmittag 5 Uhr rückte im Nachbardorfe Markersdorf von Klaffenbach kommend eine Zigeunerbande ein und blieb im dortigen Gasthofe über Nacht. Dieselbe bestand aus 3 Männern, 2 Frauen und 5 Kindern und führte eine alte, mit abgetriebenen Mähren bespannte Kutsche mit sich. —Ll. Am vergangenen Bußtag Abends gegen 8 Uhr wurde ein bei Herrn Gutsbesitzer G. in Glösa in Diensten stehen der Knecht dabei ertappt, als er im Begriffe war, einen Kleiderschrank mit Gewalt zu erbrechen. Ein Paar nicht ihm gehörige Schuhe waren bereits in seinem Besitz. Selbstverständlich fand derselbe Auf nahme im OrtS-Arrestlokal und wurde am folgenden Tag der Behörde überliefert. —dl. Vergangenen Sonnabend, Mittags, ereignet« sich n Glösa ein bedauerlicher Unglücksfall. Ein sieben Jahre alte» Durch s Leben erzogen. Nooelle von Th. Tempel- (Fortsetzung) Nachdruck verboten. Auch heute unterbrach ein Klopfen an der Thür sein Stilleben, aber nicht einer seiner Freunde war es, welcher eintrot, sondem Ernst von Steiner, de» er noch nie als Gost in seiner Wohnung gesehen hatte. Erstaunt tzsickte er in das bleiche, erregte Gesicht des jungen Manne». „Herr Baron Sie überraschen mich auf daS Angenehmste, darf ich Sie bitten» bei mir Platz zu nehmen." Ernst warf sich ermüdet in einen Sessel: „Zuerst, Herr Direktor, «in« Erklärung, weshalb ich Sie heute Abend aussuche. Ich bin nicht mehr der, für den Sie mich halten, nicht deS reichen, ange sehenen Mannes vielbeneideter Cohn; ich bin «in verstoßenes Kind, Hinweggetrieben von der Schwelle des BaterhanseS, hnmathlos, ver einsamt komme ich zn Ihnen. Ich konnte das Leben so nicht mehr ertragen. Die Kunst zieht mich an sich mit Zaubermacht, mein Geh «en, mein Wünschen wird Erfüllung, ich ziehe hinaus in die Feme, nach Italien, dem Lande meiner Träume. Aber ehe ich mich dessen erfreuen kann, muß ich erst lernen den Schmerz überwinden, daß ich in dieser Weise die Heimath verlasse, daß ich gewaltsam mich losreiße von Allem, was mir lieb und theuer ist. Schon längst habe ich ge fühlt, daß ich einen treuen Freund an Ihnen hatte, daß Sie mir Ihre Theilnahme schenkten. Sie haben oft für mich gearbeitet, oft meinem Vater meine Abwesenheit zu verbergen gesucht, wenn die Staffelet mich Zeit und Stunde vergessen ließ, ich danke Ihnen dafür von ganzem Herzen. Nun noch eine Bitte, deren Erfüllung für mich Von größtem Werthe sein würde, Wellner, sei mein Freund, ich liebe, ich verehre Dich!" Mit tiefer Rühmng blickte der Angeredete den jungen Mann au. „Ja, Dein Freund von ganzem Herzen, schenke mir Dein Vertrauen, fordere einen Beweis von mir, daß ich Dir treu er geben bin!" „Mir ist jeder Verkehr mit dem Vaterhause untersagt, willst Du den Briefverkehr mit meiner Mutter vermitteln und auch mit ihr, der mein Herz gehört und der ich den Schmerz einer langen Trennung nicht ersparen konnte. Gestatte mir eine Frage, ich weiß, daß der Wunsch meines Taters eine Verbindung zwischen Dir und meiner Kousine ist, es würde schmerzlich für mich sein, wenn die Dein Herz gefesselt hätte, welche mir gehört für's Leben." „Fürchte nichts für mich, mein Freund, so sehr ich Deine Kousine Martha auch verehre, gönne ich Dir doch ihren Besitz von ganzem Herzen, ich selbst habe kein Herz mehr zu verschenken." „So darf ich Dir Glück wünschen?" fiel freudig erregt Ernst ein „Glück, nein, Glück giebt es für mich nicht hienieden. Kannst Du mir es nachfühlen, wie es ist, wenn man sich begeistert für eine auS der Schule kommendes Mädchen gerieth unter ein daherkommen des Geschirr und erlitt sowohl am Kopf wie auch an den Armen so - stark« Verletzungen, daß an seinem Aufkommen gezweifelt wird. Der Fall ist um so beklagenswerther, als das Kind, welches schon seit längerer Zeit an den Augen litt, vor Kurzem bereits seinen Vater durch den Tod verloren hat. —In einem jener kleine« alten Häuser, die an der linken Seite des GablenzbacheS mürrisch sich in dessen Wellen spiegeln und ärger- lich über ihr Konterfei, da» ihnen auS den trüben Fluthen entgegenblickt, nur gezwungen ihr monotones Dasein ertragen, lebt Frau P. und be wohnt in der ersten Etage ein Gelaß, das zngttich als Küche, Em pfangssalon, Wohnzimmer und Schlafgemach dient. Noch bis vor Kurzem lebte sie einzig und allein nur ihren beiden Kindern, da ihr der Tod vor geraumer Zeit schon den Gemahl entrissen und eine zweite Liebe Eingang in ihr Herz nicht gefunden hatte. Mit einem Male jedoch fing Frau P. an, ihrem Aeußeren eine ganz besondere Sorgfalt zuzuwenden. Sie wusch sich öfter, als dies sonst der Fall gewesen, ihre Haartour erfuhr eine durchgreifende Veränderung und Sonntags prangte auf dem modischen Stepprocke eine funkelnagelneue blaue Schürze, nicht zu vergessen der weißen Strümpfe und der glän zend gewichsten Hausschuhe. Wenn schon Frau P. vom Zahne der Zeit nicht ganz unberührt geblieben war, die erste Jugend ihr längst geblüht hatte, so vermochte sie doch noch ein nicht allzu anspruchsvolle» Männerherz zu bewegen und sogar in Flammen zu versetzen. Und tta» die Nachbarn dunkel geahnt hatten, ward zur Gewißheit. Ob er dem Zauber ihrer Blicke erlegen oder was sonst seine Seele erfüllt, genug er ward gefangen und eines schönen Sonntags Nachmittag» ward den beiden Kindern der „neue Vater" in gebührender Weise vorgestellt. Nun folgten selige Tage. Was Frau P. dem Geliebten an den Augen abzusehen vermochte, das geschah. Doch auf Erden ist kein dauerndes Glück zu finden, das mußte auch sie erfahren und so drohte auch diesem zarten Berhältniß daS Verderben. Der Geliebte war bereits vermählt und es erschien denn auf einmal wie ein Blitz auS heiterem Himmel seine Gattin, um ältere Rechte geltend zu machen. Der Reiz der Neuheit bewährte jedoch auch hier seinen Zauber und weder Bitten noch Vorwürfe vermochten den Ungetreuen zu seiner Pflicht zurückzusühren und mit einem Fluche verließ die Betrogene die verrätherische Schwelle. Da sollte der verlassenen Frau unsere» Helden von anderer Seite Satisfaktion werden, Genugthuung in einer allerdings seltsamen Weise, In demselben Hause machte der Tod vor Kurzem eine andere Frau zur Wittwe und das Weib deS Ver storbenen reduzirte die Trauerzeit um den entschlafenen Gemahl auf das äußerste Minimum. Sie, die früher ihr Aeußeres in gleichem Maße wie Frau P. vernachlässigt hatte, fand jetzt lediglich Gefallen an der Verschönerung ihrer Person und suchte Gcsatz für den verlore nen Gatten. Auch unser» modernen Don Juan entging nicht die vortheilhaste Metamorphose, welche sich mit Frau L. vollzogen hatte. Wiewohl höchst prosaisch, wie sein strumpfwirkerliches Gewerbe, mochte er doch fühlen, daß nur der Wechsel unser Dasein erträglich macht und alle Liebenswürdigkeiten der Frau P. vermochten nicht, den ihr drohenden Verlust abzuwenden. Er, der das einzige Glück ihrer Tage gewesen war, er gab sie auf! Alle Qualen der Eifersucht durch wühlten nun den Busen der Unglücklichen, die Nemesis hat sie erreicht, jetzt erfährt sie selbst, was einst das Herz der Frau ihres Geliebten zerrissen. — Soweit ist dieser Roman aus dem Leben gediehen, Fort setzung und Schluß sollen folgen, wenn die Zeit dazu gekommen ist. 8— „Na, hadjre, Gevatter I" sagte Heinze zu seinem Gevatter Hinze und Gevatter Hinze sagte zu Heinzeu „Na hadjee, kumm baal wieder 'mal 'raus!" Hinze schloß die Hausthüre hinter dem ent eilenden Gevatter und Letzterer tapste seinem heimathlichen Städtchen entgegen. Da er gut zwei Stunden zu gehen hatte, bevor er zu Hause sein konnte, so trat er in das bei einer Biegung der Straße sich präsentirende WirthShaus des Dorfes, um sich zu dem Marsche noch etwas zu stärken. Die Sonne warf ihre letzten Strahlen auf die Fluren und das Grau der Dämmerung trat bereits die Herrschaft in der Natur an. Dasselbe „Halbduster" herrschte auch in der alten verräucherten Fuhrmannskneipe, deren grünlich-blind flimmernde Fensterscheiben in harmonischer Wechselwirkung mit dem vom Wetter zerzausten Strohdache standen, das schützend die „Herberge" überragte. Die anwesenden Gäste tranken, weniger Wohl zu Ehren des scheiden den Tages als wie auS innerem Antriebe, die Weinsorten des WirtheS aus so Keinen Gefäßen, daß man unwillkürlich auf die Idee kam, der Rebe sei dieser Trank nicht erpreßt worden. Gevatter Heinze folgte dem gegebenen Beispiele und ließ mit Kennermiene mehrere Doppelkümmel seiner durstigen Seele zufließen. Die trauliche schöne, edle Frauengestalt, und sich doch sagen muß: Es ist kalter Marmor, für den Du schwärmst, in ihrer Brust schlägt kein Herz! Wieder und immer wieder schilt man sich selbst einen Thoren und wendet sich ab von dem herrlichen Bilde, und wird doch stets von Neuem wieder zu ihm hingezogen mit einer Zaubergewalt, der man nicht widerstehen kann. Anbetcnd möchte man vor ihm knieen, wie vor einem Gnadenbilde. Da belebt sich das holde Gesicht, beleuchtet von einem Strahl der Morgensonne, einen Augenblick, ach, nur einen einzigen, es ist vorüber! Wieder ist es kalt, starr, unnahbar! Aber genug von mir, verzeihe mein Freund, daß ich ganz vergaß, etwa» zu Deiner Erquickung zu thun, Du siehst bleich und abgespannt aus nach den schweren Stunden und hast eine weite, beschwerliche Reise vor Dir. Noch bleibt Dir einige Zeit, Dich zu erholen, und ich hoffe, Du nimmst an meinem einfachen Abendbrod lheil, und thust, was Du kannst, um Dich zu stärken, ehe Du Dich für die ganze Nacht auf die Reise begiebst." Ernst wollte Alles ablehnen, er mochte nicht an Speise und Trank denken, fügte sich aber den Anordnungen seine» praktischen Freundes und fand in der gemüthlichen Umgebung unter Wellmer's freundlicher Fürsorge nach und nach die verlorene Ruhe wieder. Seine übergroße Erregtheit begann sich zu legen, männlicher Ernst und feste Entschlossenheit prägten sich auf seinen sonst Weichen Zügen aus. Noch einige Stunden saßen sie beisammen in ruhigem Gedanken austausch. „Gewiß wirst Du manches Schwere zu überwinden haben", sprach Wellmer, „aber vor Dir schwebt ein schönes Ziel, Du wirst, Du mußt es erreichen, wenn auch nicht ohne Kampf und Mühen. Auch mein Lebensweg war nicht immer glatt und eben, vielleicht schenkst Du mir Dein freundliches Interesse, wenn ich Dir erzähle, wie sehr meine Jugend de» heiteren Glanzes entbehrte, wie manchen Kampf ich in meinem Innern durchzukämpfen hatte. „Mein Vater nahm als Beamter eine hohe Stellung ein, wir hatten ein glückliches Familienleben, eine Schwester, einige Jahre älter als ich, ein jüngerer Bruder und ich, wir wurden von den Eltern mit zärtlicher Liebe und Sorgfalt erzogen. Schon als Knabe hatte ich zu meines Vaters Freude den Entschluß gefaßt, Jurisprudenz zu studiren, war bereits in die oberen Klassen deS Gymnasiums aufge rückt und schwärmte mit meinen Freunden in der frohen Aussicht, binnen Kurzem die Universität beziehen zu können, als der Tod meinen Vater plötzlich nach kurzer Krankheit hinwegraffte, im kräftigsten Mannesalter, aus der Fülle der Gesundheit. „Ein schweres Kreuz war's, was der liebe Gott unS Allen, besonders aber meiner armen Mutter, auferlegte. Sie verlor nicht nur den heißgeliebten Gatten, sie sah auch mit bangem Herzen in die Zukunft, da ihr von nun an die Sorge für uns Kinder bei einer im Berhältniß nur geringen Pension und ohne eigenes Vermögen allein oblag. „Ein entfernter Verwandter erbot sich, mich ohne Vergütung in seine große Maschinenfabrik als Lehrling aufzunehmen. Ich kämpfte einen schweren Kampf, alle Zukunftspläne, die ausgesprochene Neigung für den erwählten Veruf, der mir durch meinen Vater so theuer ge worden war, mußte ich opfern. Hätte ich allein gestanden, ich hätte wohl versucht, durch Ausbietung all' meiner Kräfte dos von mir er sehnte Ziel zu erreichen, doch hatte ich mir an de» Vaters Grab gelobt, Alles aufzubieten, um meiner armen, verlassnen Mutter so bald wie möglich eine Stütze zu werden. Sollt« ich feig zurückbebea vor dem ersten Opfer, was von mir gefordert wurde, sollte ich mein mir gegebenes Gelöbniß brechen? Nein, ich mußte mich fügen, mußte entsagen und nie sollten die Meinigen erfahren, wie groß das Opfer war, welches ich ihnen brachte. „Mit allen Kräften war ich bemüht, mich nach und nach in die neuen Verhältnisse hineinzuarbeiten. Die Zufriedenheit meine» Prin zipals und die Freundlichkeit, die ich in seinem Hause erfuhr, erleich terten mir meine Stellung. „Nach einigen Jahren angestrengter Thätigkeit erhielt ich ei» kleines Gehalt, dem alle Jahre zugelegt wurde, so daß ich im Stande war, meiner Mutter und Schwester, welche durch angestrengtes Ar beiten ihre Lage zu verbessern suchten, aber auch oft ihre Kräfte überschätzten, mancherlei kleine Erleichterungen zu verschaffen. „Mein Wunsch, einige Jahre im Ausland thätig zu sein, um mich in meinem Fache vielseitiger auszubilden, ward dadurch erfüllt, daß mir mein Prinzipal eine Stellung i« England vermittelte, welche für mich in jeder Hinsicht vortheilhaft war. Nun konnte mein lieber Bruder erreichen, was mir versagt ward vom Schicksal, er kvnnte mit Hilfe eines ausreichenden Zuschusses meinerseits die Rechtswissen schaften studiren. „Einige Zeit nach meiner Abreise benachrichtigte mich meine Mutter, daß eine ihr unerwartet zugefallene Erbschaft zu ihrer Freude meine fernere Unterstützung unnöthig mache. O, hätte ich einige Jahre früher nur einen kleinen Theil dieser Summe in den Händen gehabt, wie anders hätte sich alsdann mein Schicksal gestaltet. Doch daS war vorbei und ich dankte Bott, daß ich nun ohne pekuniäre Sorgen all das Neue und Interessante beobachten konnte, das mir in Eng land, gerade für meinen Veruf s» belehrend und meine Kenntnisse erweiternd, entgegentrat. In dem großartigen Betriebe der Fabriken sah ich Dinge, deren Existenz ich mir nicht hätte träumen lasse» und welche mir zu meinem weiteren Fortkommen von unberechenbarem Nutzen waren. „Nachdem ich mehrere Jahre fern von der Heimath zugebracht hatte, trieb mich die Sehnsucht nach meinen Lieben und meinem Vaterlande wieder zurück zur heimathlichen Scholle, wo ich bald in Deines Vaters Geschäft eine Stellung fand, welche meinen Neigungen,! ebenso wie meinen Kenntnissen entsprach." (Fortsetzung folgt.
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