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es zwar den Freunden Miß Cavells ein vollständiges Rätsel sei, wie die fast 50jährige Vorsteherin des Krankenhauses der Brüsseler Vorstadt Salnt Gilles da zu gekommen sei, sich gegen die Vorschriften der deut schen Militärverwaltung so schwer zu vergehen, daß aber ihre Schuld einwandfrei dagestanden habe und unbestreitbar sei und unter die schwersten Strafen des Kriegsrechts falle. Sofern man jedoch nicht die Ver urteilung, sondern die Vollstreckung des Urteils Deutsch land zum Vorwürfe mache, sei zu bedenken, daß diese vielleicht unterblieben wäre, wenn nicht gerade in der jüngsten Zett so viele Frauen an ganz ähnlichen Unternehmungen beteiligt gewesen wären, wie Miß Cavell. Offenbar hat dieser Umstand die deutschen Militärbehörden veranlaßt, in der Verurteilung Miß Cavells, die von allen ihren Geschlechtsgenossinnen am schuldigsten gewesen sei, ein abschreckendes Beispiel festzuflellen. An mehreren Orten ist am 1. November ein Sturm auf die Schlächterläden entstanden, der zeigt, daß das Publikum das Wesen der Bundesratsverordnung über den Fleischkonsum noch nicht in sich ausge nommen hat. Die Hausfrauen mögen sich genau die Verfügungen und ihre Besprechungen in der Presse durchlesen, dann werden sie sehen, daß aus patrio- schen Gründen ein ganz anderes Verhaften am Platze ist. Es ist dringend zu wünschen, daß das Publikum durch vernünftiges und ruhiges Befolgen der Vor schriften keinen Anlaß zu schärferen Eingriffen in die Wirtschafts- und Lebensweise der Einzelfamilien gibt. Inzwischen ist bekannt geworden, daß vor einiger Zett der Ausschuß der Reichsprüfungsstelle für Vieh, Fleisch- und Wurstwaren und Fische seine Zustimmung zu der erwarteten Pversregelung für Schlacht schweine und Schweinefleisch gegeben hat. Die Aufzucht von Fettschweinen soft nicht gehindert werden. Eine Preisbestimmung für Großvieh wird vielleicht eintreten, wenn unberechtigte Preissteigerun gen hervortreten. Die Schweinepreisregelung wird von den Verbrauchern schon seit langem gewünscht, ebenso vielfach eine Preisbestimmung für andre, Fleisch sorten. Nach den neuen Mitteilungen darf man er- warten, daß nunmehr die durch Einführung der „fleisch losen Tage" eingeleitete Regelung der wichtigen Fleisch frage bald fortgesetzt wird. Hoffentlich werden auch möglichst schnell die Verhältnisse auf den noch übrigen Lebensmittelmärkten (Obst, Gemüse, Hülsenfxüchte, Eier rc.) durchgreifend geordnet. Die deutsche L a n d w i,r t s ch a f 1 v e r u r- teilt den Kriegswucher austz entschiedenste, so schloß der Präsident des deutschen Landwirtschaftsrats Graf Schwerin-Löwitz eine Unterredung mit dem Vertreter der „Lechz. Abendztg.", in der er be dauerte, daß die erste Regelung der Lebentzmittelftage durch das Reich im vorigen Jahre zu spät erfolgt sei. Bei der Getreideversorgung waren unsere Vorräte un terschätzt worden. Dle Abschlachtung von sieben Mil lionen Schweinen verurteilte der Graf sehr scharf, er bezeichnete sie sarkastisch als „Professorenschlachtiung". Das merkwürdigste und erfreulichste zugleich aber ist, daß trotz dieser riesenhaften Abschlachtung unsere Schweinebestönde bereits wieder eine große Zunahme erfahren baben, dergestalt, daß wir annehmen können, daß sie in wenigen Monaten bereits wieder auf der alten Höhe angelangt sein werden. Die Behauptung, daß fette Schweine fehlten, wird durch die statistisch erwiesene erhebliche Gewichtszunahme der an den Markt gebrachten Schweine widerlegt. Die Freima chung der Donau für den Güteraustausch wird zu einer vollkommenen Verschiebung der Marktlage, d. h. zu weiteren erheblichen Preisherabsetzungen führen. Für die Kartoffelfrage sind nach Eintritt des Frostes rasche Transportmöglichkeiten unumgänglich notwendig. Der Eise'nbahnminister hat deshalb im Einverständnis mit der Militärverwaltung angeordnet, daß Kartoffelssn-- dungen unmittelbar hinter Kriegstransporten zu be fördern sind. Vesterreich-Ungar«. Auf dem nordöstlichen Kriegsschauplatz betrögt die Oktober arbeit der dem k. u. k. Oberkommando unterstehenden Armeen l42 Offiziere, 26,000 Mann, 44 Maschinengewehre, 1 Geschütz, 3 Flugzeuge und sonstiges Kriegsmaterial. Die schätzungs weisen Verluste der Italiener bei der dritten italienischen Offen sive betragen 150,000 Mann. Frankreich. Der „TempS" beklagt sich, daß die Zeit des Burgfriedens jetzt teilweise vorüber sei. Nörgelsucht und sogenannter Krisen geist beherrschen jetzt mehr oder minder das politische Frank reich. Die Ursachen seien die allzulange Kriegsdauer und der Stillstand des gewerblichen Leben«. Die begangenen Fehler des früheren Kabinetts und die entnervende Polemik politischer Parteien lasten einen Krisengeist aufflackern. Aber dies dürfe den Mut Frankreichs nicht lähmen. Manche Stimmen möchten iwar einen faulen Frieden predigen, aber dies wäre ein mora lischer Ruin. Der „TempS" sagt schließlich, die Feinde liefern jetzt ihre Kraftprobe, dann komme aber der Zusammen bruch! Frankreich müsse deshalb aushalten. Es werde es auch, falls es nicht den Glauben an sich selbst verliert. Italien. Cadorna meldet in seinem jüngsten Bericht nichts von An griffen und Erfolgen der italienischen Truppen, sondern erzählt nur noch von der Abwehr österreichischer Vorstöße. Damit gibt er selber zu, daß Italien in die Verteidigungsrolle zurückgedrängt worden ist. »«blan». Der serbische Gesandte in Petersburg soll der russischen Regierung mit einem Sonderfrieden gedroht haben, falls Rußland nicht sofort genügend« Truppenmasten nach Bulgarien schicke, waS ihm bekanntlich unmöglich ist. Der russische Gesandte in Teheran hat der persischen Re gierung mitgeteilt, daß Rußland die Unabhängigkeit und Unantastbarkeit Persiens nicht mehr garantiere, wenn sich die Gerüchte über einen Abschluß Persien« mit Deutsch land und der Türkei bewahrheiteten. Die „Unantastbarkeit" PerfienS bestand bisher darin, daß Rußland und England einen AusteilungSvertrag über da» Land abgeschlossen hatten. Aus Petersburg wird gemeldet: Der Zar ist am 1. November von seinem Aufenthalt an der Front «ach Zarskoje Selo zurückqekehrt. Auch die Zarin und ihre Kinder sind von ihrer Reise wieder in Zarskoje Selo eingetroffen. Rumänien. In einem Artikel, der sich mit der neu gegründeten Zenkal kommission für Getreideverkauf und die Ausfuhr beschäf t'at, schreibt die „Fndlp'ndance Roumaine", die Maßnahmen beweisen, daß die Kommission von dem aufrichtigen Wunsche brseelt sei, die regelmäßigen Handelsbeziehungen zu den Mittel mächten, die heute die einzigen Absatzgebiete für die landwirt schaftlichen Erzeugnisse deS Landes sind, wieder aufzunchmen. Nach einer Meldung aus Sofia soll die rumäni che Re- sierung gegen einen Versuch Rußlands, in einer rumänischen Hafenstadt am Schwarzen Meer Truppen zu landen, energisch Protest eingelegt haben. England. In der englischen Presse macht sich eine gereizte Stimmung gegen die Unterdrückungen durch die Zensur bemerkbar. Man nennt die englische Piessezensur verwirrt, unfähig und brutal. Einige englische Zeitungen gestehen jetzt auch ein, daß die englische Presse während des Krieges die Wahrheit umerdrückt hebe. Diese Einsicht kommt etwas reichlich spät. Der König von England traf nach seinem schweren Sturz mit dem Pferde im Londoner Buckingham Palast aus Frank reich ein. Die Reise halte ihn stark angegriffen, aber sein Zu stand ist nach dem amtlichen Londoner Bericht dennoch be friedigend. Nach Mitteilungen holländischer Blätter erlitt König Georg bei seinem Sturz einen Armbruch, Quetschungen am Oberschenkel und eine Kopfverletzung. Die letzte Verlustliste enthält 234 Offiziere und 5564 Mann, darunter 211 Offiziere und 4303 Mann von der Westfront. Die Verluste auf der Westfront seit Beginn der Offensive am 25. September betrugen 2958 Offiziere und 45,288 Mann. Griechenland. Die griechische Regierung nahm olfiziell gegen Serbien Stellung. In der Nummer 38 der römischen Consulia er klärte eine der griechischen Regierung nahestehende Persönlich keit: Dai Bündnis zwischen Griechenland und S-rbien sei aufgehoben, da die griechische Regierung es vor dem Volk nicht verantworten könne, die Griechen zu zwingen, sich für eine ver lorene Sache zu opfern. Serbien. Londoner Meldungen zufolge hat der serbische Hof, weil er der Aufrichtigkeit der griechischen Regierung nicht mehr traut, den Plan, nach Monastir zu gehen, fallen gelaffen und sich nach einem weit entfernteren Punkt ins Innere Serbien- begeben. Türkei. Vor den Dardanellen haben die Engländer die Offen sive eingestellt. In der letzten Zeit ist ein weiterer Ab transport englischer Truppen von Gallipoli zwar nicht zu be merken gewesen, untrügliche Anzeichen lasten jedoch darauf schließen, daß das englische Expeditionskorps sich auf einen Ver teidigungskrieg rinrichtet, zu dem die Vorbereitungen bereits ge troffen werden. Amerika. Der Herausgeber der „Newporker SlaatSzeitung" Hermann Ridder ist gestorben. Er war einer der besten und energisch sten Vertreter der Wahrheit und der deutschen Interessen in den Vereinigten Staaten. Er hat zuletzt noch für die Grün dung einer deutsch amerikanischen Nationalbank gegen das englisch amerikanische Kapital Propaganda gemacht. Airs dem Mnldeutale. 'Waldenburg, 3. November. Ihre Erlauchten die Gräfin- Mutter und Gräfin Anna zu Solms Wildenfels sowie Gräfin zu Ploten-Hallermund haben sich von Schloß Waldenburg nach Schloß Wildenfels »urückbeaeben. Dornenwege. Roman von C. Dressel. 29) (Fortsetzung). Ein Sprießen und Duften in schier berauschender Fülle. Und über der bunten üppigen Pracht der leben strotzenden Vegetation spannte der Himmel seinen wolken losen Azur, und das war der rechte Unterton dieses blendenden Farbenzaubers. Wie bleibt doch alle Legende des italienischen Frühlings noch hinter seiner wonnigen Wirklichkeit zurück," sagte Luise jetzt. „Man muß dies rapide, vielgestaltige Werden gesehen haben, um den Reichtum eines sich förmlich über stürzenden Entfaltens zu begreifen. Hier muß der nüchternste Mensch zum Poeten werden. Am Ende kommt auch mir nun noch jener höhere Schwung, den viele an meinem vermmftruhigen Geschreibsel vermissen, schloß sie in leichter Selbstironie. „Versuchen Sie nur, Meisterin Natur das hohe Lied der Schönheit abzulauschen, das uns hier überall umklingt. Nachempfinden läßt es sich leicht, ob auch nachahmen? Feder und Pinsel, sie sind und bleiben doch immer nur unzulängliche Werkzeuge der Menschenhand." „Nun freilich. Tas Wollen und das Können — meist liegen Welten des Unvermögens dazwischen. Nur die ganz Großen schlagen mitunter eine Brücke über die gähnende Kluft." Eine Weile gingen sie schweigend weiter. Ab und an kamen Fremde an ihnen vorüber. Kranke in Fahrstühlen, das bleiche abgezehrte Gesicht dennoch von einem Hoffnungs strahl leise durchleuchtet, denn so siech und lebensmüde sie auch hergekommen, die wundersame, heilkräftige Natur redete zu ihnen eine verhcißungsreiche Sprache, und gläubig lauschten sie dem tröstlichen „gni si sana". Genesende schritten vorbei im langsamen Wandeln, aber bei jedem Atemzuge die zurückkehrende Kraft spürend, welche sie aus der sonnigen Milde dieser lebenspendenden Luft geschöpft. Dann wieder Touristen und Kunstbeflissene raschen, elastischen Ganges, und ihnen lachte die still selige Begeisterung über das klassische Land, dessen Schön heit und Poesie sie schrankenlos genießen durften. Keiner von allen aber ließ Marion unbeachtet. Selbst im Reich der sprüchwörtlich schönen Frauen war sie eine bemerkens- mnntcrcr anstarrte. Ein Gesicht, so häßlich und in seinem Aus (Fortsetzung folgt.) werte Erscheinung mit ihrer hohen blühenden Gestalt, i deren prachtvollen Wuchs die düstere Trauerkleidung nicht < verhüllen konnte. So mancher wendete den Blick zurück j Freundin nicht entging, dachte dann: „I keine schöne Frau gekannt, die mit so königlicher Unbe fangenheit die Allgemeine Bewunderung hinnimmt, wie ... ... schweifen ließ, hatte Marion sich zu dem Knaben gewandt, der nun sein Buch mit einem blöden Lächeln zurückempfing. In einer von Abneigung und Mitleid gemischten Empfindung betrachtete sie das unschöne, entschieden leidend Mssehende Kind, das in seiner verblüffenden Aehnlichkeit mit Bellas reizloser Schmächtigkeit in keiner Weise an den stattlichen Vater erinnerte. Einzig die Augen glichen in Farbe und Schnitt denen Westerots, aber sie hatten eine» stumpfen leeren Blick. Von jener geistblitzenden Scharf sinnigkeit, die Marion an Westerot gekannt, war in diesen blöden Kinderaugen nichts zu spüren. Es schien kaum faßlich, daß dies körperlich elende und auch geistig an scheinend nicht hochentwickelte Jüngelchen ein Sohn del kraftvollen begabten Mannes sein solle. „Wie heißt Du? Ich mag Dich," unterbrach jetzt der Kleine ihr betroffenes Sinnen. „Marion!" murmelte sie abwesend. „Freilich. Eberhard Westerot." Marions Hand, die das Buch hielt, sank schlaff herab. „Geben Sie das Ungetüm her, ich trag's dem Kleinen nach dem vornehmen feingcschnittenen Gesicht mit den hinauf," erbot sich Luise gefällig. großen leuchtenden Augen, in die ein Stück italienischen Aber Marion hielt das Buch fest umspannt, während Himmels gefallen schien. ' sie leise sagte: „Eberhard hieß mein einziger Bruder. Und Luise, welcher diese vielfache Beachtung ihrer jungen dann fragte sie zögernd hinaus: Bist Du mit Deinen Freundin nicht entging, dachte dann: „Ich habe noch Eltern hier?" näher ansehen." Sie gingen die Höhe hinan, deren von Palmen und blühenden Oleander umstandenes Plateau gern von jenen besucht wurde, die weitere Touren scheuten. Hier waren Marmorbänke im Halbrund ausgestellt, und man hatte eine wundervolle Ausschau über die Villenkolonie mit drucke so unliebenswürdig, daß Marion jetzt das Buch auf seinen Fundort zurücklegte mit der kurzen Abweisung: „Hol's Dir nur selber, Du bequemer Junge." „Ich kann ja nicht allein aus dem Wagen raus," klang es nun weinerlich herunter. „Frau Schmidt ist eben wieder ins Hotel gegangen, weil sie was vergessen hatte." „Du kannst nicht gehen, armes Kind? Das ist frei lich was anderes." „Nicht weit. Klettern schon gar nicht. Nu wird jemand mein Buch fortnehmen." „Sei nur ruhig, ich bringe eS Dir." Als Marion das Buch von neuem aufhob, schlug sich von ungefähr der Deckel zurück. Auf dem Titelblatt say sie von ungeübter Kinderhand mehrmals den gleichen Vor namen bingeschmiert, wenig leserlich, aber teilweise zu er raten. Und nun fragte Marion mteresstert: „Heißt Du Eberhard?" „Papa ist heute nicht da. Krieg ich jetzt mein Buch?" „Ja, gleich. Kommen Sie, Luise, ich möchte mir den armen häßlichen Jungen mit dem lieben schönen Namen meine reizende Marion." In dieser ruhigen Unbekümmertheit, die sie sich in dem langjährigen Reiseleben erworben, weitergehend, blieb Marion, plötzlich zusammenfahrend, stehen. Dicht vor ihre Füße war ein Buch, wie aus der Luft geschneit, herab gefallen und zugleich hörte sie eine dünne Kinderstimme in deutschen Lauten sagen: „Bringen Sie es mir doch gleich wieder heraus, ja?" , ! ihren blühenden Gärten hinweg auf die Meeresbucht, Marion neigte sich unwillkürlich, diesen Segen von reiche vom bnnten Kranze zahlreicher Ortschaften, stilvoller oben auszuheben. Ein ziemlich dickes Bilderbuch war's, Schloßgebäude oder auch pittoresker Ruinen umhegt, ein daß sie hätte empfindlich verletzen können, denn nm Haares äußerst malerisches Bild gab, zu dem die in duftblauer Breite war es an ihrem Kopfe vorbeigeglitten. Da indes Ferne herüberschimmernden Seealpen dm prächtigen nicht mal ihr duftiger Spitzeuhut Schaden genommen, sah Rahmen bildeten. sie die Sache von der humoristischen Seite an. Nach dem Luise, die beim Steigen leicht den Atem verlor, nahm Spender lächelnd ausschauend, erblickte sie auf waldiger Re Sitzgelegenheit wahr, und während sie um so munterer Höhe ein Knabengesicht, das sie teils verlegen, teils lauernd die Blicke in die Runde schweifen ließ, hatte Marion sich