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Nr. 70/1916 PAPIER-ZEITUNG 1319 Einige Anregungen zur Einführung des Taylor systems in der Papierindustrie Von Dr.-Ing. A. Nitzelnadel Nur kurze Zeit ist es her, seit die Taylorschen Arbeiten einsetzten und Aufsehen erregten, einmal wegen des darüber nach amerikanischer Art erhobenen Traras, zum andern, weil man erkannte, daß mit dem System Vorteile und Erfolge er zielt worden sind. Viel ist für und gegen das Taylorsystem ge schrieben worden; die günstigen Ergebnisse, die es in ver schiedenen Betrieben Amerikas gezeitigt hat, rechtfertigen seine Einführung. Was in dem menschensparenden Lande der unbegrenzten Möglichkeiten sich als gut erwiesen hat, gilt allerdings nicht unbedingt auch für uns. Da wir aber nach dem Kriege gezwungen sein werden, mit dem uns gebliebenen Menschenmaterial und mit unseren Anlagen und Maschinen möglichst viel zu leisten, um die durch unproduktive Kriegsarbeit verloren gegangenen Kapitalswerte allmählich zu -ersetzen, dürften uns die Absichten, die dem Taylorsystem zugrunde liegen, recht zustatten kommen. Wenn gegen dieses System zu Felde gezogen wird, so geschieht dies wohl einmal aus einer Verkennung Taylorscher Gedanken, zum andern deshalb, weil angeblich durch ihre Ausführung die Arbeiter derart ausgenutzt werden, daß sie mit jungen Jahren (40—45) schon ihren Lebensabend beginnen müssen. Das Taylorsystem ist kein bestimmtes Schema, das un verändert in jedem Falle den gewünschten Erfolg bringt. Taylor weist immer wieder darauf hin, daß es Grund- und Lehrsätze sind, die er aus seinen langjährigen Arbeiten abgeleitet hat, und die von Fall zu Fall dem zu ordnenden Betriebe anzu passen sind. Nachdem bisher Schätze und Kräfte der Natur mit möglichst hohem Wirkungsgrad gewonnen wurden, sollen jetzt die Kräfte des Mense hen möglichst ohne Verlust verwertet werden. Diesem Wunsche steht die in Arbeiterkreisen herrschende Auffassung des Brotloswerdens Einzelner bei Einführung von Verbesse rungen (Ausschaltung von Handarbeit oder ihrer Vereinfachung zur Hebung der Leistung) entgegen, zum andern mangelhafte Betriebs- und Verwaltungssysteme, die die Arbeiter beinahe zwingen, mit ihren Leistungen zurückzuhalten, drittens die von den Vätern überkommenen unwirtschaftlichen Arbeitsverfahren, bei deren Anwendung die Arbeiter einen großen Teil ihrer Kräfte verschwerden. Während bisher der Arbeiter verantwortlich war für die Art des Arbeits- und Kräfteaufwandes, ja selbst zusehen mußte, wie er zum Verdienste kam, übernimmt nach Taylor diese Verantwortung die Fabrikleitung, die ein System für jedes einzelne Arbeitselement entwickelt, die für die Arbeits elemente passenden Leute aussucht und ausbildet, die Arbeiter zu überzeugen und auf ihre Seite zu ziehen sucht. Die Zeitstudien, denen die Taylorschen Arbeiten ihren Ruhm und ihre Volkstümlichkeit verdanken, sind also nicht das Wesent liche an dem System. Die Hauptsache ist und bleibt die plan mäßige Ordnung, nach der alle Geschäfte und Handlungen in einem Betriebe sich abwickeln sollen. Das, was Taylor will, ist uns Deutschen längst bekannt. Wir wurden schon immer und werden auch jetzt während des Krieges von unseren Feinden als Meister der Organisation bezeichnet. Viele Fabriken haben schon eine großartig ausgebaute Organisation und Statistik und folgen teilweise unbewußt Taylorschen Richtlinien. Dieser richtet sich mit seinen Ideen und Bestrebungen an die Industrie, eigentlich aber an alle, die nicht Zeit und Arbeit unnütz ver geudet sehen wollen. Sein Ziel ist: Alle Arbeiten sollen möglichst schnell und gut unter dem geringstmöglichen Arbeits- und Kostenaufwand vonstatten gehen. Er erreicht das dadurch, daß alles, was in einem Betriebe geschieht, zahlenmäßig statistisch gesammelt wird, und zwar nicht erst auf dem Wege des Auszuges aus den grundlegenden Büchern (Materialien- und Fabrikations büchern), sondern sozusagen „in statu nascendi” (im Augen blick des Entstehens). Das System eignet sich aber nicht ohne weiteres für alle Industrien, Vorschläge zu seiner Einführung können nur nach gründlichster Ueberlegung aller in Betracht kommenden Fragen gemacht werden. Meiner Ansicht nach dürfte eine Arbeitsorganisation in solchen Betrieben am not wendigsten sein, die verschieden geartete Endprodukte herzu stellen gezwungen sind, und in derartigen Fabriken finden wir auch schon recht weitgehende Organisation, Statistik und Arbeitsschematisierung. So finden wir solche Arbeitsverfahren z. B. bei Borsig in Tegel bei Berlin, bei der Chemischen Fabrik von Knoll & Co. in Ludwigshafen, bei Ludwig Loewe & Co. in Berlin, bei einer rheinischen Firma für Holzbearbeitung, bei einer rheinischen Automobilfabrik usw.*) Die Beschäftigung mit derartigen Organisationsfragen scheint jetzt allgemeiner zu werden. Damit befassen sich u. a. folgende Bücher: Lilienthal, Fabrikorganisation, Fabrikbuchführung und Selbstkostenberechnung der Firma Loewe & Co. A.-G.; Kauf männisches für Papiermacher, Papier- Zeitung; Zeitschriften, wie Werkstatts-Technik von Schlesinger, Psychologie und Wirt schaftsleben von Münsterberg. Auch Studiengesellschaften, z. B. die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, widmen sich mit Erfolg den Fragen der Taylorschen Organisation. Die Papier- und Zellstoff-Industrie, zum Teil auch die chemische Großindustrie, haben diese Fortschritte bisher größten teils noch nicht mitgemacht. Die Papier-Industrie braucht eine bis ins kleinste durchgearbeitete Organisation notwendiger als die Zellstoff Industrie, bei dieser ist also die Einführung des Taylorsystems weniger notwendig, da tagein, tagaus nur ein Stoff hergestellt wird, der weitgehendste Mechanisierung ge stattet und infolgedessen die Handfertigkeit von Arbeitern größtenteils auszuschalten erlaubt, besonders da es in Werken dieser Art den leitenden Persönlichkeiten möglich ist, ihre Ge danken carauf zu richten, während in Papierfabriken zuviel Kleinigkeiten störend dazwischentreten und die Mechanisierung infolge der vielen verschiedenartigen Endprodukte auf große Schwierigkeiten stößt. Der Hauptwert einer Schematisierung liegt wohl darin, , ,,, Kraft X Weg daß sozusagen jede Arbeitsleistung, also das Produkt Zeit aufgezeichnet wird. Aus dieser Aufzeichnung und Sammlung statistischer Tabellen ergeben sich beim Vergleich der einzelnen Leistungen miteinander die Fehler mancher Anlagen. Es ist ja ein Unding, wenn der Betrieb eines angestrengt arbeitenden Werkes in irgend einem Teil abhängig ist von dem Interesse oder den Kennt nissen eines Werkführers oder der Willkür eines Facharbeiters, dem der Ueberblick über die Gesamtfabrikation abgeht. Taylor' schematisiert die Arbeit einer jeden Anlage, er zergliedert sie in die einzelsten Teile, ergründet die günstigsten Zeiten, stellt die Behandlungsweise der Stoffe und Maschinen fest, schafft durch die Betriebsstatistik und Anleitungskarten die Möglich keit, gelernte Arbeiter durch ungelernte zu ersetzen und ähnliches mehr. So läßt er in einer Schlosserei Transporte nur von Transport arbeitern, nie aber von Schlossern bewerkstelligen. (Diese Arbeit ist mit dem Zufahren der Stoffe zu Holländern, Kalandern, Schneidemaschinen usw. in Papierfabriken zu vergleichen, wozu ebenfalls eine Transportkolonne verwendet werden sollte.) Typisch für das Taylorsystem ist das in sämtlichen über Taylor schreibenden Werken erschienene Bildchen des fahrbaren Ab- legetischcs für Schlosserei- und ähnliche Werkstätten, auf dem sich das Werkzeug für das eben fertig gestellte, das in Arbeit befindliche und das zu fertigende Werkstück nebst den dazu gehörenden Zeit- und Unterweisungskarten usw. übersichtlich geordnet befindet. Nun ein Beispiel aus einer Zellstoff-Fabrik für die Möglich keit der Leistungsausnutzung von Apparaten mit Hilfe einer geordneten Statistik. Es ergab sich bei Zergliederung der an gesammelten Kocherberichte in die einzelnen Arbeitsvorgänge, daß für dieselben Arbeiten sehr verschiedene Zeiten gebraucht wurden. Eine Zusammenstellung der günstigsten Zeiten ergab die unbedingt notwendige Kocher-Umlaufszeit. Durch Beseitigung der Mißstände in den einzelnen Arbeitsvorgängen gelang es, die so ermittelte, in einem Diagramm niedergelegte Kocher- Umlaufszeit stets innezuhaltcn und infolgedessen bedeutend höhere Erzeugung als vorher, sowie besseres und gleich mäßigeres Erzeugnis zu erzielen. Die Anleitungskarten dienen erstens dazu, auf Grund gründlichster Vorstudien und Versuche die bestmögliche An leitung zur Arbeitsfertigstellung zu geben, und sie verhindern, zweitens, daß einmal gemachte Erfahrungen eingerichteter Leute durch deren Weggang verloren gehen, machen das Werk also auch hierin etwas unabhängiger von gelernten Arbeitern. Für die Papier-Erzeugung ist die Ordnung nach Taylorschen Gedanken vielleicht ebenso wichtig wie in Maschinenfabriken der geschilderten Art, weil in den meisten Fällen die verschiedensten Fabrikate, sogar noch in kleinen Posten, zu bewältigen sind und dabei mangels einer alles erfassenden Preisberechnung falsche Selbstkostenberechnung leicht möglich ist, die wiederum der in Papiermacherkreisen so beliebten Preisunterbietung sehr die Wege ebnet. *) Siehe Taylor. Wallichs Betriebsleitung, dritte Auflage, S. 124.