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986 PAPIER-ZEITUNG Nr. 53/1916 flätigsten Verhöhnungen der „Boches” und unserer Heerführer unter den Augen der Behörden verkauft werden. Was die Papierverarbeitung als Industrie, die Luxuserzeug nisse auf den Markt bringt, betrifft, so hat die in den ersten Monaten des Krieges überall zutage tretende Sparsamkeit dazu geführt, daß man sich den veränderten Verhältnissen mehr und mehr anzupassen suchte. Es wurden statt hochwertiger Waren mittelgute Ware in gefälliger Aufmachung vertrieben, was namentlich in der Papierausstattungsindustrie mit gutem Er folge gelungen ist. Man hat die mehr oder minder luxuriös aus gestatteten Kassetten zum großen Teil durch kleine Packungen und Mappen ersetzt, die namentlich im Verkehr mit dem Felde sich außerordentlich bewährten. In ähnlicher Weise sind auch andere Industriezweige vorgegangen. Als dann im Verlaufe des Krieges die verschiedenen Verdienstmöglichkeiten sich mehrten, ist natürlich auch wieder eine regere Nachfrage nach reinen Luxuserzeugnissen zutage getreten, sowohl in der Papier ausstattungsindustrie wie in den anderen Zweigen, die rein künstlerische Sachen auf den Markt bringen. Für einzelne Fächer der Papierverarbeitung ist natürlich das Geschäft dauernd unbefriedigend geblieben, so namentlich für die Tapetenindustrie wegen der fehlenden Bautätigkeit, für Musikalien und andere Industriezweige. Das Ausfuhrgeschäft hat natürlich stark gelitten. Trotz dem sind die Ausfälle im Ausfuhrgeschäft außerordentlich über trieben worden. Im ersten Kriegsjahr ist ja noch überseeische Ausfuhr möglich gewesen, und bis heute wird nach den an grenzenden neutralen Ländern in ziemlich starkem Maße ver kauft. (Zurufe: Fraglich!) Ich habe heute morgen zufällig einen Artikel aus der Nowoje Wremja in die Hände bekommen, in dem bittere Klage darüber geführt wird, daß in Rußland noch außerordentlich viel deutsche Waren zu haben sind. Es heißt in dem Artikel z. B.: „Ungeachtet der getroffenen Zollmaßnahmen wird die Menge der aus Deutschland nach Rußland eindringenden Waren nicht geringer. Geht man den Nevski ab, so findet man in neun Zehnteln der Läden Waren sichtlich deutscher Herkunft, die zu allem nach Eröffnung der Feindseligkeiten eingetroffen sind. Im besten Falle wird die Ware als „schwedische” markiert, d. h. sie ist mit schwedischen Fabrikmarken versehen, die über die deutschen geklebt sind. Schlimmstenfalls bieten sich die Nürn berger und Münchener Marken frech der Apathie der Käufer an, die es nicht ■wünschen, sich dem Kaufe gegenüber auch nur auf einen Augenblick bewußt zu verhalten. Augenscheinlich genügen die bisher getroffenen Maßnahmen nicht. Der hundert prozentige Zoll schreckt in den heutigen Zeiten, wenn ein gebratenes Spanferkel mit 35 Rubeln bewertet wird, niemand ab.” Diese Mitteilung aus der Nowoje Wremja ist heute morgen in den amtlichen „Nachrichten für Handel, Industrie und Land wirtschaft” veröffentlicht worden. Das ist wohl nicht zufällig; es ist nämlich gerade heute ein neues Merkblatt für die Ausfuhr bewilligungen herausgekommen, das insofern etwas Neues bringt, als der schwedische Abnehmer unter Umständen eine eides stattliche Erklärung abgeben muß, daß seine Waren nicht den Weg nach Rußland finden werden. Es ist klar, daß die Beschäftigung in der Papierverarbeitung angesichts der geschilderten Umstände sehr ungleich sein mußte. Wir haben Fabriken, die bis zur Grenze ihrer Leistungs fähigkeit beschäftigt sind und die die Kriegsjahre zu den besten Jahren zählen, die sie überhaupt seit ihrem Bestehen erlebt haben; wir haben aber auch andere Fabriken, in denen der größere Teil der Maschinen stillstehen muß. Die Zahl der Betriebe ist innerhalb der Papierverarbeitung, obwohl manche Fabriken geschlossen worden sind, nicht zurückgegangen, sondern hat sich sogar vermehrt, wenigstens nach dem Jahresbericht der beiden Berufsgenossenschaften für Ende 1914; der neue Bericht für 1915 liegt noch nicht vor. Nach den Zahlen der Papier verarbeitungs-Berufsgenossenschaft ist die Zahl der Betriebe von 4525 auf 4569 gestiegen, und in der Buchdruckerei-Berufs genossenschaft ist die Zahl der Betriebe von 8494 auf 8548 ge stiegen. Der Papierverarbeitung ist es natürlich sehr zustatten gekommen, daß sie schon in Friedenszeiten viele Tausende weiblicher Arbeiter beschäftigte. Dadurch ist die Industrie viel weniger durch die Einberufungen gestört worden als andere Industrien. Immerhin hat sich im späteren Verlauf des Krieges der Mangel an gelernten Arbeitern, an Mechanikern und an den leitenden Intelligenzen sehr fühlbar gemacht. Es sind z. B. auch durch ungelernte Arbeiter Maschinendefekte verursacht worden die oft längere Störungen in den Betrieben hervor gerufen haben. Die Gesamtzahl der Arbeiter ist aber in der Papierverarbeitung selbstverständlich erheblich zurückgegangen. Nach den Zahlen der beiden Berufsgenossenschaften ist in der Papierverarbeitung im engeren Sinne die Arbeiterzahl von 150 879 auf 121 859 zurückgegangen; das ist ein Wegfall von fast 30 000 oder etwa 20 v. H. In der reinen Buchdruckerei ist die Zahl der Arbeiter von 186 218 auf 166 379 gefallen; das ist ein Wegfall von rund 20 000 Arbeitern, d. h. etwas über 10 v. H. (Rufe: Mehr nicht?) Ja, mehr nicht! Sehr richtig? Man war seither wohl allgemein geneigt anzunehmen, daß in der Buchdruckerei und im Zeitungswesen, die ja außerordentlich über die Geschäftslage geklagt haben, mehr Arbeiter in Weg fall gekommen wären als in der Papierverarbeitung. Nun muß man ja allerdings sagen, daß die Arbeiterzahl und die Beschäftigung noch keinen Gradmesser für das Ge- . deihen und den Verdienst der Industrie abgeben. ' Hier komme ich auf das wichtigste, nämlich die großen Erzeugungs- und! Absatzschwierigkeiten, mit denen die Industrie während des Krieges zu kämpfen hat. Was die Erzeugung anbetrifft, so haben die Sorgen um die Rohstoffbeschaffung eine immer größere Rolle gespielt und die Vereinstätigkeit erheblich in Anspruch genommen. Darüber ist in unserem Jahresbericht ausführlich berichtet. In der ersten Zeit war es hauptsächlich die Rechtsgültigkeit der laufenden Verträge, die immer wieder von den Papier- und Pappen- fabrikanten bestritten wurde, oft nur zu dem Zweck, um auf diese Weise höhere Preise herauszuschlagen, dann waren es aber wieder Kämpfe um die Verkaufsbedingungen, die uns insofern immer wieder beschäftigten, als erstlich die neuen Verkaufs bedingungen der Papierfabrikanten den Vereinbarungen, die mit dem Verein Deutscher Papierfabrikanten getroffen wurden, völlig zuwiderlaufen, dann aber auch, weil die Verkaufsbedingungen zu einem Teil der Konventionsbedingungen überhaupt wurden. Dadurch hat die ganze Streitfrage über die Verkaufsbedingungen ein anderes Gesicht bekommen, und wir werden uns auch in Zukunft mit unserem Verhalten zu den Verkaufsbedingungen auf ganz andere Maßnahmen einrichten müssen. Schließlich handelte es sich darum, Papiere und Pappen überhaupt zu be kommen, bzw. durch amtliche Maßnahmen eine Sicherstellung der Papierbezüge zu erreichen. Alles Nähere darüber ist in unserem Jahresbericht nachzulesen. Von den übrigen Rohstoffen sind es hauptsächlich die Klebstoffe gewesen, die der Industrie in immer steigendem Maße gefehlt haben. Die überseeischen Stoffe Gummi, Kasein usw. sind natürlich fast vollständig vom Markt verschwunden; Kartoffelmehl war sehr bald kaum in genügendem Maße mehr zu haben, weil die Kartoffeln in zunehmendem Maße für die menschliche Ernährung gebraucht worden sind. Schließlich ist auch der Leim immer knapper geworden, weil sowohl das Leimleder als auch neuerdings die Knochen zunächst für die Ersatzfutterherstellung verwendet werden mußten. Recht fühlbarer Mangel zeigte sich sodann an allen Fetten, Gelen, Benzin, Filzen usw. Was die Absatzschwierigkeiten anlangt, so war zuerst der Widerstand der Behörden. Preisaufschläge auf laufende Schlüsse und dergleichen zu bewilligen, zu überwinden. Natürlich setzten auch die- privaten Abnehmer den notwendig gewordenen Preis erhöhungen oft scharfen Widerstand entgegen. Dazu kamen dann aber noch all die Störungen und Schwierigkeiten, die die zahllosen Kriegsgesetze und Eingriffe der Behörden mit sich brachten. Manche Zweige hatten darunter ganz besonders zu leiden, wie z. B. die Herstellung der Ansichts- und Wunsch karten. Schließlich ist noch auf die in der jüngsten Zeit ge kommenen Ausfuhrverbote zu verweisen. Die Ausfuhrverbote haben ja nicht den Zweck, die Ausfuhr gänzlich zu hindern; es soll vielmehr nur die Ausfuhr zu bestimmten Zwecken' kontrolliert werden. Aber die Art und Weise, wie die Ausfuhr überwacht wird und wie der Geschäftsgang bei den Ausfuhr bewilligungen sich abwickelt, das erweist sich doch immer mehr als eine außerordentliche Störung. (Sehr richtig!) Wenn man alles bedenkt, vor allem noch die vielfachen Schwierigkeiten des Verkehrs, der Kapitalbeschaffung usw. berücksichtigt, muß man staunen, daß die Industrie bis heute über die zahllosen Hemmüngen und Schwierigkeiten hinweg gekommen ist und ihre Leistungsfähigkeit bis heute zu erhalten gewußt hat. Das ist ja wohl überhaupt eine der erfreulichsten Lehren des Krieges, daß wir unsere Kraft, unsere Leistungs fähigkeit erst recht erkannt haben. Der Krieg hat uns aber auch sonst noch manche heilsame Lehre erteilt, nach der wir