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DD)APIER-VERARBEITUNG IM Bu CH G E WEKBE Die neuen Friedensindustrien der Mittelmächte. (Papierspinnerei und Weberei). Am 25. Februar waren im Sitzungssaal des preußischen Abgeordnetenhauses in Berlin viele Angehörige des Papier- und Textilfaches sowie zahlreiche Mitglieder des preußischen Abgeordnetenhauses und des Reichstages, ferner Vertreter der Botschaften von Oesterreich-Ungarn und der Türkei sowie der bulgarischen Gesandtschaft und der Reichsregierung er schienen, um einen Vortrag anzuhören, den Herr Wilhelm Hartmann, Direktor der Papier-Union GmbH, in Berlin, über ..die Friedensindustrien der Mittelmächte” hielt. Herr Geheim rat Prof. Paasche, Vizepräsident des Reichstags und Vorsitzen der des Deutsch-Oesterreiclüsch-Ungarischen Wirtschaftsver bandes, hatte die Einladungen zu der Versammlung versandt und begrüßte die Erschienenen. Der Vortrag des Herrn Wilhelm Hartmann ergänzte gleichsam vom volkswirtschaftlichen Gesichts punkt aus den Claviez’schen Vortrag, über den wir in Nr. 16 auf Seite 280 berichteten. Herr Hartmann führte u. a. etwa folgendes aus: Versuche zur Vandrängung der Jute haben vor zehn Jahren in unsern Kolonien zum Anbau dieser Pflanze geführt, jedoch hat sich der Boden nicht als geeignet erwiesen. Auch fehlte es an so billigen Arbeitskräften wie die Indier. Die Ersatzstoffe für Jute gliedern sich in zwei Gruppen, in natürliche und künstliche. Den natürlichen gehören u. a. an: Brennessel und Hanf. Hanf wird schon lange angewendet, füi Brennessel sind neue Verfahren er funden worden, und Brennesselgewebe dürften mit der Zeit Be deutung erlangen. Als künstlicher Ersatzstoff hat sich das aus Zellstoff hergestellte Spinnpapier bewährt. Das daraus gesponnene Garn ist zäh und dient den mannigfaltigsten Zwecken. Man hat aber bisher diesen Stoffen keine Bedeutung beigelegt. Jetzt aber ist Papiergain eine Stütze unseres Handels und unserer Industrie. Wenn Regierung, Land- und Forstwirtschaft sowie die Ver- biaucher von Geweben zusammen arbeiten, kann aus der Ver arbeitung . von Spinnpapier eine gioße Industrie werden, die in Fliedenszeiten auch durch Ausfuhr nach den andern verbündeten Ländern wichtig sein dürfte. Man gab dem neuen Spinnstoff den Namen Cellulosegarn, in Wirklichkeit ist es Papiergarn, denn die Streifen, aus denen es hergestellt wird, werden aus fertigem Papier geschnitten. Der fremdklingende Name wurde sicherlich gegeben, weil man befürchtete, daß das Publikum in ,,Papiergarn“ etwas Minderwertiges sieht, aber technisch ist die Herstellung soweit fortgeschritten, daß man im Papier nicht mehr etwas Vergängliches und Schwaches vermutet. Die Garne sind zwar nicht so fest wie die aus Textilfasern angefertigten, aber wir sind nicht mehr weit davon, deren Festigkeit zu erreichen. Für Spinnpapier ist zurzeit nur Natronzellstoffpapier, welches unter dem Namen „Kraftpapier" im Handel bekannt ist, brauchbar. Dieses hat die naturgelbe Färbung der Jute, ist spezifisch leicht, sehr zäh und fest, rein und hat geringen Aschengehalt. Man kann zu Natronzellstoff alle Alten Nadelholz verarbeiten, auch Brennholz und Sägespäne. Wir sind nicht auf ausländische Rohstoffe angewiesen und können infolge dessen, wie es auch nächstens geschehen wird, die Natronzellstoff- Fabrikation bedeutend vergrößern. Die Japaner zerschnitten bereits vor hundert Jahren Papier, um aus den einzelnen schmalen Streifen Garn zu drehen. Vor 60 Jahren haben schwedische Bauern frauen schmale Streifen Papier in Säcke für ihre Wirtschaft ein gewebt. Dann kamen Anfang der 90 er Jahre die Versuche von Mitscherlich, Kellner, Kron, Türk und Leinweber, Papierstoffgarn durch Zerteilung der nassen Papierstoffbahn herzustellen. Erfolg reich waren aber auf die Dauer nur die Trockenspinnverfahren, deren Erfinder Claviez ist. Auf 2 bis 2,3 m breiten Papiermaschinen werden Papiere in ganzen Bahnen erzeugt, dann in kleinere Rollen geschnitten und diese auf Schmalschneidemaschinen zu schmalen ,.Tellern“ ähnlich der Morse-Telegraphen-Rollen zerteilt. Diese Papierstreifen werden dann versponnen und das Garn so verwebt wie jedes andere Garn Eine Verbesserung dieser Papiergarne ist das Textilosegarn: Die Papierbahn geht, bevor sie zerschnitten wird, durch eine Auf- legemaschine und wird darin mit einem Baumwollfließ belegt. Da durch wird das Garn besonders geschmeidig und erhält eine der Jute ähnliche Beschaffenheit. Textilosesäcke begannen sich schon vor dem Kriege einzuführen, jedoch war noch kein großer Erfolg zu sehen. Es lag am Widerstand der Arbeiter in der Industrie, ferner am Widerstand der Verbraucher, welche verlangten, daß Textilose- oder sonstige Papiersäcke so fest seien wie die Jutesäcke, aber um 30 bis 40 v. H. billiger. Ihre Verbreitung litt auch darunter, daß die J ute-Industrie sie aus Selbsterhaltungstrieb bekämpfte. Erfindungsgeist und Kapital haben sich jedoch nicht beirren lassen und über alle Schwierigkeiten hinweggeholfen. Der Krieg aber hat Wandel geschaffen. Infolge zunehmender Knappheit an Jute geweben und Jutesäcken entstand große Nachfage nach Textilose und Textilosesäcken. In diese Zeit fällt die Erfindung des österreichischen Rittmeisters Steinbrecher: eine Spindel, die es ermöglicht, außer dem reinen Papiergarn ein Mischgarn zu schaffen, d. h. das Papiergarn in schmalen Streifen gleichzeitig mit Hanf, Jute oder deren Ab fällen oder mit Flachs zu verspinnen. Diese sogenannten Textilit- garne ähneln der Jute noch mehr als die Textilose und sind außer ordentlich fest. Die vorhandenen Spindeln der Jutefabriken können leicht in Steinbrechersche Textilit-Spindeln umgebaut werden, und man kann dann mit ihnen je nach der Marktlage Textilit oder Jute verspinnen. Die deutsche Jute-Industrie umfaßt 37 Werke mit 170 000 Spindeln, die österreichisch-ungarische 16 Werke mit 75 000 Spindeln. Im letzten Friedensjahr betrug die Jute-Einfuhr in Deutschland 905 000 Ballen zu 180 kg = rund 180 Millionen kg, und die von Oesterreich-Ungarn 275 000 Ballen, also rund 50 Millionen Kilo. Der Bedarf der Welt an Jute beträgt ungefähr das Neunfache des Verbrauches von Deutschland und Oesterreich- Ungarn zusammen. Ein großer Teil dieser Jute-Einfuhr in Deutsch land und Oesterreich-Ungarn ist schon durch Spinnpapier ersetzt, so wird die deutsche Erzeugung im Jahre 1916 51 Millionen kg betragen, und in Oesterreich-Ungarn beträgt zurzeit die Erzeugung an Papiergarn 250 000 kg wöchentlich. Diese Erfolge verdanken wir den drei bestehenden Papiergarn-Fabriken: Sie haben große Kapitalien angelegt und Fabriken aus dem Boden gestampft. Eine Papiergarn-Spinnerei wurde z. B. von anderwärts nach Oppeln verlegt und arbeitet dort erfolgreich für das Textilosewerk. Auch hat die Textilose in Malines in Belgien eine Fabrik in Betrieb gesetzt und die dortigen Arbeiter beschäftigt. Die Papiergarn-Spinnerei wird sich auch nach dem Kriege bewähren. Wir haben im letzten Friedensjahr 179 000 Tannen Zellstoff ausgeführt und 51 000 eingeführt, der Ausfuhrüberschuß beträgt also 128 000 Tonnen. Davon gingen 111 000 Tonnen nach dem feindlichen Ausland. Ferner führten wir nach Abrechnung der Einfuhr 63 700 Tonnen Zellstoffpackpapier aus. Davon gingen über 50 000 Tonnen in das feindliche Ausland. Diese Ausfuhr dürfte in der ersten Zeit nach dem Kriege kaum in vollem Maße aufrecht erhalten werden, und der freiwerdende Rohstoff kann für die Papieigarn-Erzeugung Verwendung finden. Dabei kann unsere Ausfuhr doch aufrecht erhalten werden, wobei wir aber nicht Zell stoff und Packpapier ausführen werden, sondern Papiergarngewebe, bei deren Herstellung viele Tausende Arbeiter Beschäftigung finden. Diese Stoffe dürften namentlich in den uns verbündeten Ländern, wie die Türkei und Bulgarien, Absatz finden. Allerdings kann Holz infolge der steigenden Nachfrage teure, werden, wir können aber auch Ersatz- oder Hilfsstoffe an Stelle von Holz zellstoff verwenden. So hat Redner Versuche machen lassen, aus Hopfenranken Zellstoff herzustellen, und auch daraus konnte sein- gutes Spinnpapier gemacht werden. Hopfenranken sind heute wertlos, stören sogar den Hopfenbauer: er muß sie verbrennen. Einen weiteren Rohstoff für die Spinnerei an Stelle von Jute wird der in Deutschland neu aufgenommene Hanfanbau liefern. Eine deutsche Gesellschaft dafür ist in Gründung begriffen. Hanf ist doppelt so fest wie Jute, und guter Boden, namentlich Moor boden, dafür ist in Deutschland und in Oesterreich-Ungarn reichlich vorhanden. Hanf von guter Beschaffenheit läßt sich hier überall gewinnen. Redner führt nun die Verwendung von Papiergarn in verschiedenen Industrien vor. Er zeigt u. a. Möbeletoffe, Gardinen und Tisch decken, die von Künstlern herrührende schöne Gewebemuster auf weisen. Alle diese Stoffe lassen sich chemisch reinigen und werden billiger sein als Jutegewebe. Diese Papiergarnstoffe sind durch 60 bis 70° heißes Wasser gezogen und auf Farbechtheit geprüft. Die Möbelstoffe usw. haben 60 bis 70 v. H. Gehalt an Papiergarn. Zu Bindfaden bewährt sich weniger das reine Papiergarn als das Mischgarn mit einer Füllung von andern Fasern. Das größte Absatzgebiet der Jute sind aber die Säcke. Vor dem Krieg gelang es nicht, sie einzuführen. Es ist aber den Papier - machern gelungen, in letzter Zeit die Festigkeit der Natronzellstoff papiere sehr wesentlich zu erhöhen. Das Spinnpapier muß spezifisch leicht sein, bisher war aber das Papier um 15 v. H. schwerer als Jute. Die Zellstoffabriken sind heute dank neuester Fortschritte in der Lage, Zellstoff zu schaffen, woraus -hergestelltes Papier um 20 v. H.