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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 02.04.1885
- Erscheinungsdatum
- 1885-04-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188504026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18850402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18850402
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1885
-
Monat
1885-04
- Tag 1885-04-02
-
Monat
1885-04
-
Jahr
1885
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 02.04.1885
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Chemnitzer Anzeiger «nd Stadlbote. Nr. 76. Donnerstag, 2. April 1888. Sekte 2. größtentheilS höher. Spekulative Bergwerke gleichfalls auziehend, -«sonder» günstig. Frankreich Die jüngsten Mißerfolge der französischen Truppen in Tonkin haben verhängnißvolle Konsequenzen gezeitigt, weniger, wie «S scheint, auf militärischem, aber desto mehr auf politischem G ebiete. Da» Ministerium hat infolge einer schweren parlamentarischen Nieder lage feine Entlassung gegeben. — Eine lange Reihe Pariser Tele gramme berichtet eingehend über die Gestaltung der Lage, die un mittelbar nach Verlautbarung der ostasiatischen Mißerfolge einen sür da» Kabivet sehr bedrohlichen Charakter annahm Gleich nach Er öffnung der gestrigen Kammerfitzung traten Anzeichen hervor, die dem in der parlamentarischen Pathologie bewanderten Praktiker als bald klar machten, daß der äußerste Zeitpunkt für das Kabinet gekommen sei. Und der Verlauf rechtfertigte diese Diagnose im vollsten Umfange. Der Echec von Dongdaug warf die bisherige Parteikonstellation ein fach über den Haufen. Rechts und links bröckelte die ministerielle Majorität unaufhaltsam ab; die grundsätzlich oppositionellen Elemente erkannte» und benutzten sogleich den ihnen sofort günstigen Augenblick, gingen zur Offensive über, stürzten einen von Ferry selbst gestellten und motivirten Antrag, und zwangen den Konseilspräsidentcn nach allen Regeln der Parlamentarischen Taktik für sich und seine Kollegen zu demiffioniren. Die Vorgänge in der Kammer wurden auch außer halb derselben mit lebhaftester Theilnahme verfolgt; der Telegraph berichtet sogar von Straßenkundgebunqen; dieselben scheinen aber keinen ernsteren Charakter gehabt zu haben, wiewohl er dabei nicht ohne Beleidigungen für das zurückgetretene Kabinet abging. Als muth- maßlichen Nachfolger der Ferry'schen Erbschaft nennt der Telegraph, nachdem Brifson die Neubildung des Ministeriums abgelehnt hat, Herrn de Freycinet, mit Campenon als KriegSmiuister. Italien. Während von dem auf Sonntag angekündigt ge wesenen allgemeinen Vormarsch des Graham'schen Korps auf Tamai -iS jetzt noch nichts verlauten will, bestätigt eS sich, der „Gazzetta d'Jtalia" zufolge, daß in wenigen Tagen eine neue Expedition italienischer Truppen nach Maffauah abgchen werde. Die allgemeine Schifffahrtgesellschaft hat auf Anfrage der Militärbehörde geantwortet, daß sie am 3. April zwei große Dampfer zur Verfügung stellen werde. ES scheint beschlossen, die italienische Herrschaft bis Keren auSzudehnen, indem man die Hochflächen besetzt, welche dasselbe um geben und die Hauptpunkte so befestigt, um eine sichere Straße zwischen Maffauah und Keren unter dem Schutze von Batterien zu eröffnen, welche in fünf dazwischenliegenden Forts plazirt werden. Cvgland. Aus den neulichen Verhandlungen deS englischen Unterhauses ist die Erklärung des Unter-Staatssekretärs Fitzmaurice von allgemeinerem Interesse, welche den Stand der englisch-russischen Beziehungen anlangt und von entschiedener Zuversicht auf die fried liche Entwickelung und Lösung des afghanischen Zwischenfalls ge tragen wird. Man nimmt den baldigen Zusammentritt der Grenz regulirungskommission in Aussicht. Ferner erklärte Fitzmaurice sehr vernünftigerweise, es sei wünschenswerth, daß angesichts der versöhn lichen Antwort Rußlands alle irreleitenden Bemerkungen unterblieben, da sie die freundliche Lösung gefährden könnte». Demgemäß ist denn auch der Preßlärm jenseits des Kanals auf der ganzen Linie ein gestellt worden und befleißigt sich die öffentliche Meinung England- einer im Vergleich mit der Erregung der letzten Zeit doppelt wohl- thneude« Zurückhaltung. — Nach zahllosen Hiobsposten ans dem Sudan stellt sich endlich auch einmal eine für die Engländer günstige Botschaft ein. Es wird auS Suakin von gestern gemeldet: Die Stämme sind von OSman Digma abgesallen. Letzterer ist mit nur 100 Anhängern nach Tamanieb geflohen. Ein Abgesandter Osman Digma's ist unter weißer Flagge im englischen Lager eiugetroffen mit der Anfrage, unter welchen Bedingungen Friede geschloffen werde könne. — Wenn sich die Nachricht bestätigen sollte, so würde sie allerdings einen ungeheuren Erfolg der Engländer bedeuten. Dieselben würde nichts «ehr hindern, die Eisenbahn von Suakin nach Berber zu bauen und dann dem Mahdi von der Küste deS Rothen Meeres her größere Truppenmaflen mit ungleich geringeren Schwierigkeiten entgegenzu werfen — Bon ihrem Londoner Korrespondenten geht der Wiener „N. Tr. Pr." da» Endergebniß einer Unterredung zu, welche derselbe mit dem jetzt zu Jnformirungszwccken in London weilenden Mitglieds der russisch-afghanischen Grenzkommission, Herrn Lesfar, über den Stand der afghanischen Streitfrage gepflogen hat. Herr Lesfar be kannte sich dem Korrespondenten des genannten Wiener Blatte» gegen- Berliner Brief. Bon Hans Emir. (Nachdruck verboten.) Das war wieder einmal eine Woche der Wohlthätigkeit für Berlin. Die Katastrophe im Camphausenschachte, sie klang in den Trubel der osterfestlichen und Bismarckfestlichen Vorbereitungen als ein unheimlicher Klaget»» hinein, der die Gemüther tief erschütterte. Aber immer die Hand offen, wo eS gilt, der Brüder Noth und Leid zu lindern, steht der Berliner im Geben vorn an; seine Wohlthätigkeit in ihrer Bielgistaltung kennen zu lernen, dazu bietet sich eine treffliche Gelegenheit, wenn man in diesen Tagen ein Stündchen in einer Sammelstelle sür die Verunglückten zubringt. In gummiberädcrter Equipage fliegt der reiche Fabrikherr daher und zahlt opferfreudig sein Goldstück. Ihn löst im rußgen Kittel der Arbeiter ab, der mit schwieliger Hand den Erlös einer Sammlung auftählt, die in der Werkstatt «uter den Kollegen veranstaltet worden. Gleich hinter ihm trippelt eine kleine Näherin herein, flötet mit sanfter Miene dem geschäftigen Kassirer tenNameu entgegen, und legt eine mühsam ersparteMark aus demAltare der Wohlthätigkeit nieder. Ein altes Mütterchen keucht heran, gleichfalls ihr Fünfzig-Pfennigstück für die armen Wittwen und Waisen zu stiften So geht es Thür auf, Thür zu, und wie sich Nickel auf Nickel, Mark «uf Mark, Goldstück auf Goldstück häuft, wie allen Gebern die reine, Helle Freude, Mitwirken zu können an dem Werke der Wohlthätig keit, auf den Gesichtern leuchtet, das beobachten zu dürfen, gewährt einen wahrhaften, innigen Genuß. ES ist aber in der Ihat zu be wundern, wo der Berliner noch all' den Sinn und die Zeit her nimmt, diesen und ähnlichen Angelegenheiten seine Aufmerksamkeit zu widmen. In eine unglücklichere Periode als die jetzige konnte das Unglück im Tamptausenschacht eigentlich gar nicht fallen. — Auf seinem Kreislauf des alltäglichen Lebens ist Berlin gegenwärtig im „Zeichen de» Möbelwagens" angelangt und das sagt Alles. Die große Völkerwanderung, genannt Umzug, erschüttert Berlin stet» bis in den kleinstrn Nerv, am meisten aber Diejenigen, welche davon betroffen wirken. Deff' Gemüth muß schon zu Stein verhärtet sein, der nicht tiefstes Mitleid mit allen Jenen empfindet, in deren Wohnung der schwere Schritt der Ziehkeute das schreckliche Er- «igniß verkündet. Stumm duldend muß die Hausfrau Zeuge sein, Wie die „gutcsten" Möbel der „gutesten" Stube mit unbarmherziger Hand ergriffen und fortgeschleppt werden nach dem vor der Thüre haltenden vierräderigen Koloß, um hier mit Küchen- und Kleider spinden schnöde nebeneinander gepackt ein und denselben Raum zu theilen. Gastliche Räume, in denen noch vor wenigen Wochen, ja Togen fröhlich getanzt, gesungen und gescherzt worden, veröden mit einem Schlage, hohläugig starrt die schmucklose Fensterfront auf die Straße herab, in den leerer und leerer werdenden Zimmern dröhnt jeder Schritt unheimlich wieder; der Konzertflügel, an dessen Tasten nur die Hand de» Berufenen und Kundigen rühren durfte, wird, der Füße und de» Pedals ledig, in höchst fragmentarischem Zustande von starken Armen chiuabtransportirt und bei jedem Stoß, den er erhält, ringen sich, wie über als entschiedenen Gegner der pessimistischen Anschauungsweise, indem seiner Ansicht nach an einen Krieg zwischen England und Ruß- laud nicht zu denken ist Ein solcher Krieg sei ganz und gar un wahrscheinlich. Nicht als ob England, wenn es ernstlich will, den Krieg nicht als ein sehr gefährlicher Gegner führen könnte, sondern weil durchaus keine ernstliche Veranlassung zu einem so traurigen Ergebnisse vorhanden sei. Die Russen hegen nicht die geringste Ab- ficht, auf Herat vorzurücken oder dasselbe zu olkupiren. Die englische Regierung sei vollständig über diesen Entschluß Rußlands in Kenntniß gesetzt. Nur Herat allein wäre allenfalls ein Gegenstand, wegen dessen ein Krieg denkbar wäre. Alle anderen strittigen Punkte seien von so untergeordnetem Werthe, daß ihretwegen ein Krieg zwischen zwei so großen Mächten ein Wahnsinn wäre. Spanien. Der ehemalige Sklavenhändler Zebehr Pascha, welchen die Engländer unlängst in Kairo verhaften ließen, ist mit seinen zwei Söhnen, einem Neffen und zwei anderen Egyptern, an Bord des Avisodampfers „Iris" in Gibraltar eingetroffen und in einem dem Gouverneur gehörenden Haus: einlogirt worden. Das HauS wird streng bewacht. Türkei. Aus der Thatsache, daß eS der Pforte gelungen ist. mit den albanesischen Ruhestörern diesmal so rasch und so gründlich aufzuräumen, zieht das Wiener „Frcmdenbl." sür die Türkei recht schmeichelhafte Schlüsse. ES lag, meint das „Frdbl.", an der Pforte, den Nachweis zu führen, daß sie in den ihrer Domination unter worfen gebliebenen Gebieten wirklich die konservative und staatS- erhaltende Kraft zu entwickeln vermag, welche ihr die europäischen Mächte bereitwillig zuerkannt hatten. Nordamerika. Die Einwanderung in die Vereinigten Staaten während der letzten 8 Monate zeigt, wie aus New-Aork geschrieben wird, eine erhebliche Verminderung gegen das Vorjahr. Deutschland Partizipirt an der Einwanderung der letzten 8 Monate mit 63,860 gegen 90,603 in der gleichen Periode des Vorjahres und Oesterreich- Ungarn mit 5,399 gegen 6,400, während die Schweiz nicht namentlich aufgeführt ist. Nur Irland hat eine kleine Zunahme aufzuweisen. — Präsident Cleveland benachrichtigt, wie auS Washington geschrieben wird, die Bewerber um Aemter, daß in Fällen, wo unter geordnete Beamte ihre Pflicht nicht vernachlässigt haben, obgleich sie in der Politik thälig gewesen sein dürsten, denselben gestattet sein wird, ihre Aemter bis zum Ablauf ihrer kontrattlichen Amtsdauer beizubehalten. Chemnitz, den 1. April 1885. 0—. Bei dem vom Komitee der vereinigtenNational liberalen und Konservativen unterVorfitz des Herrn Rechts anwalt von Stern am Dienstag Abend arrangirten Fest- Kommers zu Ehren des 70. Geburtstages des Kanzlers unseres Reichs, des Fürsten Bismarck, war der Elysiumsaal, ein schließlich der Nebenräume, bis auf den letzten Platz gefüllt. Der große Saal war aufs Festlichste dekorirt und über der Rednertribüne war, umgeben von grünen Pflanzen, die lorbeerbekränzte Büste des Fürsten aufgestellt und hinter derselben befand sich das in bunten Farben riesengroß ausgeführte Wappen der Familie Bismarck, auf Welchem die Worte: 1u t iuitato robur (in der Dreieinigkeit die Stärke) angebracht sind. Nachdem das Stadtmusikchor unter Leitung seines Dirigenten des Henn Fritz Scheel die schwungvolle Jubelouverture von C. M. von Weber zu Gehör gebracht und der Allgemeine Männergesangverein das Lachner'sche Lied: „Frühlingsgruß an's Vaterland" vorgetragen hatte, hielt Herr Oberpfarrrr 0>-. Graue die Festrede, in welcher er mit schwung vollen, von Begeisterung getragenen Worten das gewaltige Bild des eisernen Kanzlers, sein Leben und Wirken vor dem geistigen Auge der Zuhörer erstehen ließ. Rach einem geschichtlichen Rückblick, in welchem der Vortragende eine Parallele zwischen Barbarossa, dem großen Hohenstaufenkaiser und seinem Kanzler Reinhold von Dassel einerseits, und Kaiser Wilhelm I., dem Wiedererrichter de» deutschen Kaiserreichs, und seinem Kanzler Fürst Bismarck andrerseits zog, ging er auf die jüngste Zeitgeschichte und damit aus den gewaltigen Um schwung Preußens bis zur jetzigen mächtigen Stellung ein. Wieder holt weist der Redner auf den genialen Staatsmann hin, der das Werk, da» 1871 zu Versailles glorreich erstand, vorgesehen und müh sam, oft entgegen dem Willen des ganzen Volkes, mit eiserner Stirn vorgearbeitet hat. Noch heute werde ja dem Reichskanzler von gewisser Seite der Vorwurf gemacht, daß eS ein Rechts- bruch gewesen sei, mit dem Fürst Bismarck 1k66 den Krieg begonnen, ein unwirscher Protest gegen solche Behandlung, markdurchdringende Klagetöne auS seinem Jrnern hervor. — Der Gatte, bat er ein Heim, der Vater, l:bt er seiner Familie in diesen Tagen? Aus einem Zimmer in das andere getrieben, befindet er sich ununterbrochen auf der Wanderung und seinen letzten Zufluchtsort sieht er in dem Bierhause oder in den Theatern. Freilich haben diese in der letzten Woche besonders Anregendes nicht geboten und die Auslese ist gleich Null gewesen. Das Wallner-Theatcr giebt sich die dankenswerthe Mühe, der kleinen Gemeinde von Skeptikern, die nicht glauben will, daß an der Berliner Posse keine deuux raotes mehr geblieben find, die Wahrheit dieser Erkenntniß immer wieder überzeugend vorzuführen. „Der weiße Rabe", der dieser Tage zum ersten Male flügge wurde, erweist sich so wenig als ein seltener Vogel oder auch nur als Spaßvogel, daß man seiner wohl sehr bald müde werden wird, wenn man auch bei der ersten Aufführung in gerechtem Unwillen die Rabenväter vor den Vorhang rief. Hatten sich doch zwei literarische Sozietäre an seiner Wiege vereinigt, Eduard Jacobson, der sonst recht vergnügliche Gaben beweglichen Humor- zu bieten verstanden hat und Otto Girndt, der nach einigen Verirrungen in die verschlungenen Wege der ernsten Kunst sich jetzt mit dem alten Satze: uln-.-r ;,08SS nemo odtigutur zu bescheiden scheint. Beide wollten die Fonds ihres humoristischen Vermögens zusammeulegen, aber es ging ihnen, wie Heinrich Heiue's edlen Polen Krapülinski und Waschlapski, denn „da Keiner wollte leiden, daß der And're für ihn zahle, zahlte Keiner von den Beiden." Das ohne jeden Ueber- gang völlig unmotivirt hereingellebte Bild vom Kongo-Fest — eine Abgeschmacktheit souder Gleichen — wird noch dadurch gekrönt, daß plötzlich mitten in dieses theatralische Dalldorf, wo sich Jeder wie geistes abwesend benimmt, als Schlußeffekt Fürst Bismarck in wohlgelungener Maste auf die Bühne gebracht wird. Was soll der deutsche Reichs kanzler, fragen wir, in diesem Hexentanz des Blödsinns ? Nicht energisch genug kann dieser plumpe Kniff zurückgcwiesen werden, diese Hinein ziehung einer glorreichen Figur in solch fadeS Possenragout. Gott lob kann diese Ausschreitung nur dem guten Geschmack Schaden thun, nicht aber der Persönlichkeit des Fürsten Bismarck selbst, dessen Jubeltag zu begehen die Hauptstadt und mit ihr daS ganze Reich sich onschickt. In allen Gauen unseres Vaterlandes wird dieser Tag festlich begrüßt und begangen, denn die Verdienste de» Fürsten sind so groß, daß kein gerecht denkender Mensch der Anerkennung derselben sich entziehen kann. Seit dem Reichssreiherrn von und zum Stein, der dem unwürdigen Feudalwesen die Axt an die Wurzel legte, die Bauern vom Joche erlöste und das Städtewescn neu ordnete, hat cs in Deutschland keinen Staatsmann gegeben, der sich in ähnlicher Weise den vollsten Anspruch auf den Dank der Nation erworben hätte. DaS Wesen seiner Persönlichkeit und seine staatSmäunische Geschäftsführung decken sich einander vollständig. Aller Orten ist man in fieberhafter Thätigkeit, und wenn der Setzer deS Journals, in dem Du, freundlicher Leser, diese Zeilen aber der Redner weist solchen Borwurf zurück, Indem er klarlegt, wie der Kanzler, der die Geschicke Preußens vorschaute, da» ideale Recht über den Buchstaben deS Hergebrachten setzen und dasselbe nöthigerweise sogar mit Gewalt durchsetzen mußte. Aber trotz de» Bruderkrieges 1866, trotz des Kampfes mit dem Erbfeinde 1870/71, trotz der fortwährenden Kämpfe im Parlament hat BiSnnrck doch durch die nun seit 14 Jahren herrschende politische Ruhe bewiesen, daß seine Politik eine Politik des Friedens ist; führt ja auch die ganze kirchen- und sozialpolitische Thätigkeit des Reichskanzler» den Beweis in sich, daß Bismarck stet- die einzig richtige Politik des Frie dens zur Stärkung und Kräftigung der deutschen Nation angestrebt habe. Mit scharfen Worten greift dann der Redner jene Parteien an, die diesen Mann mit den gewaltigen Zielen anfeinden, nicht, weil sie ihn verkannt hätten, oder ihn beneideten, sondern weil überhaupt einem großen Theile unseres Volkes ein richtiges Nationalgesühl fehle; in wuchtiger Rede gedenkt er jener Parteien, die Hilfe vom Ausland erwarten und in einem unglücklichen Kriege Deutschlands ihr Ideal zu erreichen suchen; energisch wendet sich der Redner auch gegen alle Diejenigen, die Partcifragen in den Vordergrund stellen und die deutsche Nationalfrage erst in zweiter Linie zu berück sichtigen pflegen, die, wie die Unrechte Mutter vor Salomo, lieber das Kind tödten sehen, als daß sie es einer Anderen über lassen. Angesichts solcher Bestrebungen trete die Pflicht doppelt au uns heran, den alten „Loki", der den alten Germanen den Frühlings gott vernichtet und den Verfall des Götterthums, die Götter dämmerung, herbeifühlt, und welcher bei uns hauptsächlich in Gestalt des egoistischen Individualismus drohe, zu bekämpfen, und dafür zu sorgen, daß nicht nur die jetzige Generation, sondern hauptsächlich auch die Heranwachsende Jugend das Werk des Reichskanzler» unterstütze und fortführe. Mit Dank wendet sich der Redner an Gott, der solchen Mann uns geschenkt und bis jetzt erhalten hat und er giebt im Nameu aller Anwesende» noch dem innigen Wunsche Ausdruck, Gottes Segen wolle auch fürder auf dem greisen Reichskanzler rnhen und ihn uns noch lange erhalten. Ein Hoch auf Fürst Bismarck, in das die Anwesenden jubelnd ein sielen, schloß die gehaltvolle, markige Rede, der reicher Beifall folgte. Zwischen verschiedenen trefflich vorgetragencn Gesängen und einigen vom Stadtmusikchor vorzüglichst ausgesührten Musikpiecen wurden noch Toaste ausgebracht von Herrn vn. Vogel auf das deutsche Reich, von Herrn Stadtrath Reitz in gebundener Redeweise auf Bismarck, von Herrn Direktor Sattler auf Bismarck als deutsche« Schulmeister, als Erzieher des Volkes, und auf die deutsche Jugend, von Herrn Alexander Philipp auf deutsche Frauen und Mädchen und schließlich von Herrn Josef Feiler*) in heiterer poetischer Weise in bairischer Mundart auf alle echten Deutschen. Schließlich brachte noch Herr Hommeyer im Namen der Chemnitzer Jugend dem Kanzler einen Gruß und Herr Reuschel toastete auf die Fa milie des Reichskanzlers. — Vor Schluß des FestkommerseS, der mit dem allgemeinen Gesang der Wacht am Rhein sein Ende fand, wurde kurz nach 12 Uhr von der Versammlung noch folgendes Telegramm an den Reichskanzler abgesendet: Eine Festversammlung deutscher Männer in Chemnitz begrüßt den au- brechenden Geburtstag Eurer Durchlaucht mit einem dankerfüllten donnernden Hoch und mit dem innigen Wunsche, daß dem deutschen Reich noch lange sein großer Kanzler erhalten bleibe. — Mit einem kleinen sinnreichen Geschenk sendete ein hiesiger Einwohner folgende Zeilen als Begleitschreiben an den Reichskanzler. Dem großen Kanzler d-e kleine Spende, Den heißen Wunsch, daß nie sich wende Das Glück von seinem Iheuren Haupt! Des Himmels Segen geb' ihm Stärke Zu jedem seiner großen Werke, An die das Reich vertrauend glaubt! Gedeihen seinem mächt'gen Walten, Das mit des Friedens Huldgestalten Germania's Standbild reich verschönt! Und all' sein Sorgen, all' sein Mühen Sei mit der Liebe Flammeuglühen Im garrzen deutschen Reich gekrönt! — Der morgige Tag wird sicherlich von zahlreichen junge» Erdenbürgern mit Freude begrüßt werden und auch in den Herze» der Aelteren und unserer lieben Alten manch frohe Erinnerung wach rufen. Der Gründonnerstag, in manchen Gegenden, zwar etwa» allzurealistisch, „EierdonnerStag" genannt, ist seit Alters her der Honig- und Eierspender, auch pflegt man an ihm gern die *> Diesen gemüthlichen Toast haben wir »ns zum Abdruck für eine der nächsten Nummern vom Verfasser ausgebeten. Die Red. erblicken sollst, die mühevollen Vorbereitungen dazu trifft, dann setzt sich der imposante Fackelzug, der dem Fürsten Reichskanzler darge bracht wird, in Bewegung, worüber ich Dir nun leider in dieser Woche nichts mehr schreiben kann. Der Kölner Wetterdoktor Overzier stellt freilich für die Abendstunden der nächsten Tage trübe Witterung mit „Niederschlägen" in Aussicht, aber kein Berliner läßt sich durch diese Prophezeiung Niederschlagen — Prophezeiungen sind ja doch nur da, um hinterher nicht einzutreffen. Und so wünschen wir auch dem Unglücks raben Overzier, daß er mit seiner neuesten Voraussagung einen so gründ lichen Reinfall erleben möge, wie er dem RegierungS- und Reichstags- Präsidenten v»n Wedcll-Piesdorf beschieden gewesen ist. Ein Brief dieses hohen Beamten nämlich, an eine noch höhere Excellen; gerichtet, in welchem er eine recht eigenthümliche Kritik geübt, fiel in die Hände eines Käufer», dem man in einem Laden darin ein Stück Wurst, es kau« auch ein Käse gewesen sein, eingewickelt hatte. Da der Brief eine» Regierungspräsidenten unter Umständen schon der Veröffentlichung Werth ist, so wandelte sein Inhalt flugs durch alle Zeitungen. Der Vorfall giebt einmal eine Lehre dafür, wie vorsichtig man mit seiner Handschrift umgehen muß, ein anderes Mal führt er den Beweis, wie leicht höchst unscheinbares Einwickelpapier zum Verräther der delikatesten Vorgänge werden kann. Mögen alle Liebesleute sich den Vorfall zur Warnung dienen lassen! Es gehört bei der nun einmal bei uns noch immer vor herrschenden leidigen Gewohnheit, beschriebenes und bedrucktes Ein wickelpapier zu verwenden, nicht zu den Seltenheiten, daß man seine Würstchen in verrätherisch rosenrotheS Papier eingeschlageu erhält. Stellt man hinterdrein eine nähere Untersuchung an, so entpuppt sich schließlich ein verritabler Liebesbrief, dessen Lektüre den Genuß des Einkaufs allerdings wesentlich erhöht, der aber oft Einblick in die intimsten Verhältnisse gestattet. Wie leicht kann es nun Vorkommen, daß der böse Zufall schadenfroh einen Brief des Töchterlcins in die Hände der Mutter spielt, in welchem die verfänglichsten Sachen ent halten sind! Daß die Mutter jetzt etwa Schmalz darin eingewickelt bekommen hat, dürfte daun kaum als ein Milderungsgrund angesehen werden. Und m»ß bei dem Gedanken, daß die Gattin einmal auf ähnliche Weise hinter geheime Schliche des Gatten kommen könnte, nicht alle Ehemänner, die hin und wieder über die Stränge schlagen, eine gelinde Gänsehaut überlaufen? Vorsicht also, größte Vorsicht auch hier, sowie bei allen Denen, die in häufigerer Korrespondenz mit ihren Manichäern stehen. Ein Mahnbrief, der durch Mißgunst de» Schicksals in Unrechte Hände gelangt, vermag sofort den Kredit zu untergraben. Man denke sich den Fall, ein junger Mann habe sich bei seinem Schneider einen FrühjahrS-Anzug bestellt. Jetzt geht die Frau des Meisters zum Kaufmann, holt dort Schweizerkäse, und als- man ihn auswickelt, findet man, daß da» Papier ein energischer Mahnbrief an den betreffenden Lunden ist. Würde der Schneider den Anzug machen? Er müßte ein verteufelt gntmüthiger Herr sein!
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