Suche löschen...
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 12.02.1885
- Erscheinungsdatum
- 1885-02-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188502126
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18850212
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18850212
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1885
-
Monat
1885-02
- Tag 1885-02-12
-
Monat
1885-02
-
Jahr
1885
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 12.02.1885
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
KMPWWDWWM,?.WiWW M ««terbaltnugs-Blatt z«« „«hemnitzer »uzelger Augen, die sich mit einem unangenehm stechenden Blick auf den Lin- tretenden hefteten. ,WaS, Teufel, Chevalier Montfleur, Sie find noch hier?" fragt« Robert überrascht, indem er dem jüngeren Herrn die Hand bot. »Ihre Kriegsgefangenschaft ist nun doch zu Ende?' »Vi-aimvnt!" lachte der Chevalier, „aber ich habe leine Lust, unter dem Kommando de- Herrn Thiers gegen die Bürger von Paris zu kämpfen I Die Hermn gestatte» wohl, daß ich sie einander vorstell«: Herr Robert Raven, Herr Kurt von Redern, Major außer Diensten!' »Wir kennen uns schon', sagte Robert in einem Tone, der fast geringschätzend klang, während der Major zustimmend nickte, dann winkte er dem Kellner, um eine Flasche Wein zu bestellen. » DaS Gespräch, das durch seinen Eintritt unterbrochen worden war, wurde wieder ausgenommen, der Major bramarbasirte mit seinen KriegSthaten, beschwert« sich über unverdiente Zurücksetzung und goß dabei ein Glas Wein nach dem anderen hinunter. Der Chevalier rauchte seine Zigarre und hörte mit gelangweilter Miene zu, Robert war in eine Zeitung vertieft, über deren Rand hinüber er mitunter einen ärgerlichen Blick auf den redselige» alten Herrn warf. Endlich traten einige Stammgäste ei«, die sich sofort an den Spieltisch setzten; kaum bemerkte der Major, daß der vierte Mann fehlte, als er sich erbot, die Lücke auszufüllen, sein Anerbieten wurde nach einigem Zögern angenommen. Der Chevalier athmet« sichtbar erleichtert auf, als der Major den Tisch verlassen und sich in die entgegengesetzte Ecke zurückgezogen hatte. »Wie kommen Sie nur zu dem?" fragte Robert, indem er die Zeitung hinlegte. »Er war früher ein geachteter Mann, aber seitdem er sich dem Trunk und dem Spiel ergeben hat, ist er verlottert, er treibt sich in vielen Kneipen umher —" »Kennen Sie seine Tochter?' unterbrach der Chevalier ihn mit zynischem Lächeln. „Ich habe nicht die Ehre!" »Bitte, sie ist eine sehr respektable junge Dame und eine Schönheit!' »Und Sie wollen nun die Rolle des Don Juan spielen?' „Nichts weniger als dar, ich hege sehr ernste Absichten!' „Dann glaube ich nicht, daß Sie auf Hindernisse stoßen werden', spottete Robert, »wenn die Tochter in der That ehrenhaft ist, muß sie ja froh sein, von einem solchen Vater erlöst zu werden.' Der Chevalier nippte an seinen Glase und blies einige Rauch wölkchen vor sich hin, denen er gedankenvoll nachschaute. »Sie kennen das Mädchen nicht", sagte er, „also kann Ihr Urtheil auch nicht maßgebend sein. Es ist eine eigenthümliche Ge schichte — apropos, wie weit ist denn Ihre LiebeSaffaire gediehen?' „Die Festung hat kapitulirt." »Und der betrogene Bräutigam?' »Mag sich eine Andere suchen, die besser zu seinem Buckel paßt.' „Und das ist so glatt abgelaufen?' sagte der Chevalier. „Der Nebenbuhler hat sich den Fußtritt ruhig gefallen lassen?' »Daß er ihr. empfangen hat, weiß er noch nicht!" »Ah, dann dürfen Sie sich auch Ihres Sieges noch nicht freuen!' »Bah, ich fürchte diesen Krüppel nicht', erwiederte Robert ver ächtlich. .Sie könnten mir einen Gefallen erzeugen, Chevalier.' »Sehr gern.' »Können Sie Ihre Handschrift so verstellen, daß man sie für die Handschrift einer Frau hält?' »DaS macht mir keine Mühe." »So möchte ich Sie bitten, ein Billet zu schreiben, das ich Ihnen diktiren werde." „Wenn ich mir dadurch keine Unannehmlichkeiten —' »Unbesorgt, die Sache ist nur eine Mystifikation, mit der ich meinem Nebenbuhler die Galle ins Blut treiben will." »Wissen Sie auch, daß Ihnen das gefährlich werden kann?" warnte der Chevalier mit bedenklicher Miene. »Man soll «inen Gegner nicht ohne Roth reizen —' »Die Gefahr ist für meine alleinige Rechnung, Verehrtester, Sie für Ihre Person haben ja nichts damit zu schaffen. ES muß doch auch Ihnen Freude machen, wenn ein vertrauensseliger Liebhaber geprellt wird —' »Vrsiment, dazu biete ich gern meine Hand, vielleicht leisten Sie mir später einmal denselben Dienst", icherzte der Cheva ier, »ich rechne dann auch auf Ihre Bereitwilligkeit." Robert hatte den Kellner bereits beauftragt. Schreibmaterial zu bringen, er klemmte das Lorgnon auf die Nase und sah sich wissend um; eS war Niemand so nahe, daß er das Gespräch der Beiden hätte belauschen können. »Natürlich erwarte ich von Ihnen strengste Verschwiegenheit", sagte er, »Niemand darf erfahren, daß Sie das Billet geschrieben haben, der Betreffende muß glauben, daß eine Frau ihn gewarnt hat. Sehen Sie diese Handschrift, glauben Sie, dieselbe täuschend nachahmeo zu können?" Er hatte ein kleines Papier aus seinem Portefeuille entnommen, auf das der Chevalier jetzt einen prüfenden Blick warf, während der Kellner die Schreibmaterialien brachte. »Man sollte glauben, eS sei die feste sichere Handschrift eines Mannes,' erwiederte der Franzose mit einem mißtrauischen Blick auf den Freund, »ich möchte doch nicht gerne —" „Unsinn, eS ist die Handschrift der Gesellschafterin meiner Mama, und ich gebe Ihnen noch einmal auf Ehrenwort die Versicherung, daß Sie wegen der etwaigen Folgen beruhigt sein dürfen. Also bitte, schreiben Sie!" Der Chevalier warf noch einmal einen prüfenden Blick auf die Handschrift, die er vor sich hinlegte, dann ergriff er die Feder. „Wenn Sie sich von der Untreue ihrer Braut mit eigenen Augen überzeugen wollen," diktirte Robert leise, nachdem er noch einmal sich umgeschaut hatte, „so finden Sie sich morgen Abend Punkt zehn Uhr in der Wohnung der Frau Raven, erste Thüre rechts, ein und erwarten Sie dort die kommenden Dinge. Sie werden die Thüre offen und das Zimmer dunkel finden, eS ist auch möglich, daß Sie lange warten müssen, verlieren Sie die Geduld nicht, wenn Sie Werth darauf legen, den Beweis zu erhalten. Dieses Billet müssen Sie sofort vernichten, ich erwarte von Ihrer Ehre, daß Sie diese Bedingung erfüllen, es darf nicht in Ihrem Besitz gesunden werden, ebensowenig dürfen Sie jemals verrathen, wer Sie gewarnt und Ihnen diesen Weg gezeigt hat. Eine Freundin, die Sie v:n Herzen bedauert I" „Und die Adresse?' fragte der Chevalier aufblickend. „Sie kennen sie ja: Heinrich Grafenberg." „Ich möchte ihn sehen, wenn er diesen Wisch liest! Aber waS beabsichtigen Sie damit? Wollen Sie ihn wirklich zum Zeugen Ihres Triumphes machen? In seiner Wuth könnte er Sie niederschießen, wie einen tollen Hund —" „So waghalsig bin ich nicht," unterbrach ihn Robert ironisch, während er dar Billet in die Brusttasche schob, ich will ihn nur auf «ine falsche Fährte führen. Also Verschwiegenheit, bester Freund, meiner Dankbarkeit dürfen Sie sich versichert halten. Und nun zu Ihnen I Sie wollen also die Tochter des MajorS in Ihre Heimath entführen?" Der Chevalier war eben damit beschäftigt, eine neue Zigarre auzuzünden, seine buschigen Brauen zogen sich wie im Unmuth zu sammen. „Ich würde das gern« thun, wenn ich erst so weit wäre", sagte er mit einem ärgerlichen Achselzucken. »ES ist eine seltsame Geschichte, das Mädchen befindet sich in einem Kloster.' »Ja dem es erzogen wird?' »Ah, bah, im Kloster der barmherzigen Schwestern.' „Und Sie wollen nun —' »Lassen Sie mich doch zu Wort kommen. DaS Mädchen war schon einmal mit einem Offizier heimlich verlobt, und zwar so heimlich, daß selbst der Vater nichts davon wußte. Der Verlobte fiel schon zu Anfang des Krieges, und ich weiß nicht, ob der Schmerz über diesen Verlust oder die Scham über den verlotterten Vater sie be wogen hat, in den Orden der barmherzigen Schwestern einzutreten. Wenn ich einige Aeußerungen des MajorS richtig deute, so ist der letztere Beweggrund maßgebend für sie gewesen, Antonie von Redern soll im Punkte der Ehre sehr zartfühlend sein. Sie mag auch wohl im Hause des Vaters kein angenehmer Leben gehabt haben, wa- versteht dieser Mann, der nur an die Befriedigung seiner eigenen Leidenschaften denkt, von den Bedürfnissen und dem Seelenleben eines jungen Mädchens!' »Also kannten Sie daS Fräulein schon vor dem Kriege?' »Nein, nein, obgleich ich oft in Deutschland gewesen bin." „In der That, Sie reden unsere Sprache wie ein geborener Deutscher!" Der Chevalier strich die Asche von seiner Zigarre ab und füllte sein leeres Glas wieder. „Ich könnte daS als ein Kompliment betrachten', sagte er gleichgiltig, »indessen beweist es mir nur, daß ich vorzügliche Lehrer gehabt habe. Nein, ich sah das Fräulein zum ersten Male in Nancy, bald nach der Schlacht bei Orleans. Sie wohnte mir gegenüber, ich hatte also Gelegenheit genug, sie zu beobachten. Da fiel eS mir denn auf, daß sie in den ersten Tagen die Tracht einer barmherzigen Schwester trug und später in dem modischen Kostüm einer Weltdame auSging. Ich intercssirte mich für sie und war im Handumdrehen bis über die Ohren verliebt. Ein Versuch, mich ihr zu nähern, fiel allerdings nicht nach meinen Wünschen aus, ich hatte dabei etwas den Don Juan durchblicken lassen, ihr Stolz und ihr Ehrgefühl machten mich nur noch verliebter. In dem Hause, in dem sie wohnte, fand ich einen Dienstboten, der gerne ein Geldstück verdiente, durch ihn erfuhr ich den Namen der junge» Dame und die Stadt, aus der sie Briefe empfangen hatte. Sie war nach jenem Abend, an dem mein Versuch scheiterte, wieder die barmherzige Schwester Martha geworden, ich sah sie nicht wieder und mußte auch sehr bald darauf Nancy verlassen, um auf Umwegen die französische Südarmee zu erreichen, in die ich als Offizier eintreten wollte Später gerieth ich nach einem unglücklichen Gefecht in Kriegsgefangenschaft, und da mir, dem Offizier, freigestcllt wurde, die Stadt zu wählen, in der ich meinen Aufenthalt nehmen wollte, so wählte ich diese in der Hoffnung, hier die Geliebte wiederzufinden. Ich erkundigte mich nach ihren Angehörigen, der Major wurde mir als ihr Vater bezeichnet, und daß er mich mit offenen Armen aufnahm, als er meine volle Börse sah, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen.' „Nein wahrhaftig nicht, in diesem Punkte kenne ich ihn", spottete Robert „Die Tochter ist jetzt wieder bei ihm?" „Hier im Kloster, sie weigert sich, es zu verlassen." „Und der Vater? Kennt er Ihre Wünsche?" „Allerdings, er ist auch bereit, sie zu erfüllen, aber sein guter Wille scheint an dem Eigensinn der Tochter scheitern zu sollen." „Haben sie selbst mit dem Mädchen noch keine Unterredung ge habt?" „Nein, sie weigert sich, mich zu empfangen." „Wohl jenes Abends wegen, an dem Sieden Don Juan spielten?" „Keineswegs, wenigsten« hat sie ihrem Vater nichls davon ge- sagt, ich glaube auch nicht, daß sie mich wiedererkennen würde. Zu dem waren solche Abenteuer damals in Nancy nicht selten, Antonie von Redern mußte sich darauf gefaßt machen, wenn sie Abends in weltlicher Tracht ohne Begleitung ansging." (Fortsetzung folgt.) Uever das Heirathen. Von Karl Görlitz. (Nachdruck verboten.) »Die soziale Frage" ist das Schlagwort unserer Zeit. Tausend und tausend Mal wird dies Wort gesprochen und geschrieben, und von Hunderttau'eoden gehö,t unk gelesen, ohne daß der größere Theil dieser Hunderltausende sich üvcr die Bedeutung des wichtigen und ominösen Wortes recht klar sein mag. Eine erschöpfende Erklärung an dieser Stelle darüber zu geben, dürfte sehr schwer sein, man kann sich deshalb nur mit einem Theil derselben beschäftigen, weil die soziale Frage ein vielköpfiges Ungeheuer ist und man stets nur auf einen dieser Köpfe sein Augenmerk zu richten vermag, um sich seiner gefahrdrohenden Angr.fse zu erwehren. Haben die vielen Köpfe dieses modernen Ungeheuers, „Soziale Frage" genannt, untereinander einen ganz verschiedenen Ausdruck, spiegeln sich in ihnen die heterogensten Dinge ab, so haben alle doch einen gemeinsamen Zug von frappantester Familienähnlichkeit. Dieser gleiche Zug, welcher alle Köpfe des modernen Drachens »Soziale Frage" charakterisirt, spiegelt immer ein Defizit ab. In allen Dingen und Verhältnissen, welche in das Bereich der »Sozialen Frazr" Hin einspielen, steht immer das kategorische »Bezahlen sollen" und das löbliche „Bezahlen wollen" dem leidigen „Nicht bezahlen können" gegenüber Demgemäß könnten die Pessimisten in der sozialen Frage immer eine Fatalität, einen bösen Konflikt, ja geradezu ein Unglück sehen, während die Optimisten sie als glückverheißendes Zeichen auf ihre Fahne schreiben werden mit dem Motto: »Ohne Kamps kein Sieg" oder »Durch Nacht zum Licht!" Einer dieser Köpfe der sozialen Hydra, vielleicht d.r kraftvollste, weil nie zu vertilgende, heißt „Heirath", wohlverstanden: »Moderne Heirath", denn die soziale Frage ist als Kind der Gegenwart immer modern toilettirt. Es steht unumstößlich fest, daß das meiste Unglück, welches die irdische Existenz zerstört, von unpassenden Heirathen kommt. Hierbei müssen die »unpassenden" aber ganz besonders betont, vorzugsweise hervorgehobcn werden, denn das Heirathen, an und für sich, kann oft das Glück — freilich ist Glück ein relativer Begriff, — manche Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten im Gefolge haben, nur vor den „unpassenden Heirathen" sei gewarnt. Was aber sind unpassende Heirathen? Welche Anzeichen dafür giebt es, um sich vorher gegen solche schützen zu können? Die Antwort darauf läßt sich theilweise schon aus dem Worte selbst herleiten. Unpassende Heirathen sind diejenigen, die von Personen geschlossen, welche nicht für einander passen. Es giebt heute Mißheirathen so gut, wie es in früheren Zeiten solche gegeben hat, nur daß heute ein ganz anderer Ehebund als Mißheirath angesehen werden muß, als früher. In vergangenen Zeiten galt es — wie man damals sagte — für eine Mesalliance, welche dem Betreffenden nie vergeben wurde, ihn fast ehrlos machte, wenn ein schloßgeseffener, adliger RitterSmann zum Aergrr und Ent setzen seiner hochgeborenen Sippe ein ehrbare- liebliche» vügertöchier- lein freite, heut zu Tage liegt der Schwerpunkt für eine Mesalliance nicht mehr in der Verschiedenheit de- Ranges und Namen», sondern in der Verschiedenheit der Bildung. Wehe dem begabten, klugen Manne, der, durch weibliche Schön heit und Körperreize verführt, ein ungebildetes Mädchen ohne Takt- und Zartgefühl zu seiner Hausfrau, zur Mutter seiner Kinder macht! Ein gleiches Wehe der gesitteten, edeldenkenden Jungfrau, die sich durch eine stramme Figur bestimmen, durch einen »forschen" Schnurr bart mit gedrehten Spitzen iwponiren läßt und einen gut gewachsenen, aber rohen und renommirenden Prahlhans mit glänzenden Augen und schmutziger Seele zum Gatten wählt. Ein Mädchen ist noch etwas Unvollendetes, ein unverheiratheter Mann noch ein im Kampf um's Dasein nicht Erprobter; erst im dauernden ehelichen Zusammenleben wird sich Beider wahrer Charakter zeigen. Jede Ehe, auch die relativ glücklichste, bedingt bei beiden Theilen eine vollständige Selbstverleugnung. Bruder und Schwester, die in gleichen Verhältnissen ausgewachsen, unter gleichen Gewohnheiten erzogen worden find, werden fast immer in vollster Harmonie leben können, weil eben die gleichen Gewohn heiten, die ruhige, feste, durch die Stimme des Bluts bedingte Neigung daS Zusammenleben Beiden leicht und sympathisch macht. Aber in der Ehe kommen zwei, sich bi» dahin wildfremde Menschen mit ganz verschiedenen Gewohnheiten, oft mit durchaus entgegengesetzten LebenSansichten zusammen. Der Mann liebt die Ordnung bis zur Peinlichkeit, — die Frau hat weder Verständniß für Ordnung, noch Schönheitssinn, oder — der Mann ist nobel bis zum Verschwende«, und die Frau würde durch angeborene weise Sparsamkeit Schränke und Kasten bis zum Reichthum füllen, — wodurch sollten wohl die hieraus nothwendiger Weise entstehenden Konflikt« ansgeglichen werden? Durch die Liebe — möchten hierauf vielleicht die Idealisten antworten —, denn die Liebe kann Berge versetzen. — DaS klingt sehr schön, wie vieles Ideale, aber da- Leben stellt verdammt prak tische Anforderungen, und wie das herrlichste, grandioseste Gebäude eines feste« Fundaments bedarf, wenn es nicht mit furchtbarem Krach zusammenstürzen soll, so muß auch die Ehe auf realem und nicht, idealem Boden gegründet sein. »Heirathen aus Neigung" sind ideale und schlagen selten glücklich aus, denn — nur Heuchler leugnen die Wahrheit — Neigungen halten nicht ewig vor, sie sind vergänglich wie alles Irdische, und wenn die Neigung durch Gewohnheit oder bittere Erfahrungen verflogen ist, bleibt die nur aus Neigung ge schlossene Ehe ein furchtbarer Zwang. Heirathet ein reiche-, wenig hübsches Mädchen aus Neigung einen stattlichen, männlich schönen Kavalier, wird sie sich selbst mit dem Glauben an Gegenliebe täuschen, während der schöne Kavalier im Stillen nur darauf spekulirt, von dem Reikythum seiner zukünftigen Frau seine Schulden zu bezahlen, die arme Frau also nur als »sein Portemonnaie" zu betrachten. Und heirathet, umgekehrt, ein vermögender Mann eine blendend schöne, aber arme Frau, wird diese in den meisten Fällen eine solche Heirath nur darum schließen, um eine reiche Frau zu werden und mit dem Gelbe ihres Gatten ihre ganze dürftige Familie, Vater» Mutter, Schwestern, Brüder, Schwägerinnen und deren Männer und Kinder unterstützen, oder, wenn möglich, ganz und gar unterhalten zu können. Ist ein Sprichwort richtig und namentlich auf das Heirathen anwendbar, so ist eS der alte Satz: „Gleich und Gleich gesellt sich gern" — und »gesellt sich auch harmonisch und gut", muß man für die Ehe hinzusetzen. »Gleiche Bildung, gleiche BermögenSverhältnifle, ähnliche LebenS- gcwohnheitm" werden die Grundbedingung für eine passende Heirath sein. Die arme, aber tüchtige und sparsame Frau wird mit dem unbemittelten, geschickten Manne zusammen arbeiten und zusammen erwerben, die vermögende Gattin wird mit dem ihr im Vermögen gleichstehenden Gatten ihr beiderseitiges Vermögen gemeinsam zu vergrößern suchen, die reiche Frau nnd der reiche Mann werden in vereintem Streben ihren Reichthum zu erhalten wissen. Nichts ist gefährlicher beim Heirathen wie Illusionen. Welch' eine bis an Wahnsinn grenzende Verzweiflung erfaßt nicht oft die Betheiligten, wenn einer gewünschten Heirath sich unbesiegbare Hindernisse entgegenstellen, wenn eine Verlobung zurückgeht, oder eine solche gar durch den Tod getrennt wird! Aber der trauernd« Jüngling oder die tiesbetrübte Jungfrau mögen sich mit dem Ge danken trösten, daß sie nicht wissen können, vor welchem namenlosen Elend der Himmel sie bewahrt hat, indem er durch eins solcher Hindernisse eine Heirath unmöglich gemacht hat Die beiden Haupt personen in dem, von einem genialen Dichter gesungenen und von idealen Dichtern besungenen »Hohen Lied der Liebe", — Romeo und Julia können hierfür als Anhaltspunkte dienen. Der durch LiebeS- rausch irrsinnig gewordene Romeo — ein Selbstmörder ist nie bei Verstand — nahm Gift, als er seine Julia im Sarge vor sich sah, und die nachher erwachte Julia erstach sich selbst, als sie ihren Romeo todt erblickte. Aber Romeo hätte an die Zukunst denken sollen und was aus seiner Julia hätte werden können. Die fünf zehnjährige Julia, welche bei der ersten Begegnung zu Romeo sagen kann: „Ihr küßt recht gesch ckl", möchte doch, nach jeder logischen Folgerung, nach zehn Jahren, vielleicht auch schon viel früher, keine allzu beueidenswcrthe Gattin abgegeben haben. Die Sehnlichkeit mit ihrer Amme wäre wahrscheinlich sehr bedenklich hervorgetreten. — Auch ist es eine der größten Illusionen, wenn eS heißt: »Die Frau verläßt Vater und Mutter und geht in das Haus des Manne» über" Dieser Fall findet fetten statt, fast immer der umgekehrte: Der Mann tritt vollständig in die Familie der Frau ein. Schon die ganze Einrichtung wird nach den Gewohnheiten aukgesührt, wie die junge Frau im Hause ihrer Ellern lebte, da der Mann in seinem Amt oder LebenSberuf beschäftigt ist und der Frau die inneren Ein richtungen ia der Wirthschaft überlassen bleiben. Auch werden die Verwandten der Frau, namentlich die Mutter derselben, in ihrer neuen Würde als Schwiegermutter, viel öfter and auf längere Zeit in der neuen Häuslichkeit anwesend sein, wie di« Verwandten de» Manne«, welche um ihren Sohn und Bruder, der ja zum stärkeren Geschlecht gehört, nicht so besorgt oder eigentlich wohl gar nicht besorgt sein werden; dagegen wird um die zarte junge Frau, die zum schwachen Geschlecht gehört, (wer lacht da?) deren ganze Familie stet» in Angst und Nöthen schweben, und die Schwiegermutter, Schwestern, Tanten, Kousinen und ehemaligen Schulsreundinnen der jungen Frau werden so viel wie möglich bei ihr sein, um ihr mit Rath und That fort während beizustehen, so erstaunlich und wenig angenehm die» auch dem jungen Ehemanne sein dürfte. Bei einer projektirten Heirath sollte der Mann, wenn auch nicht mehr, so doch ebensoviel auf die Mutter seiner AuSerwählten sehen, wie auf diese selbst; in dem Mädchen sieht er nur die Gegenwart, aber die Gegenwart ist flüchtig wie Spreu im Winde, — in der Mutter dagegen eiblickt der hoffnungsreiche HeirathSkandidat die Zu kunft. Er hat da» Bild vor sich, was aus seiner Herzenskönigin, die er mit allen Blüthen seiner Phantasie und Verliebtheit ausputzt, in Wirklichkeit werden wird. Alles dies soll aber kein Bedenken gegen daS Heirathen Her vorrufen, sondern nur zur Vorsicht mahnen, denn »Unverheirathet- bleiben" kann auch sehr leicht ein großes Defizit im Portemonnaie, wie im Herzen herbeiführen. Berantworllicher Redakteur Franz Götze in Chemnitz. — Druck und Verlag von Alexander Wiede in Chemnitz.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Nächste Seite
10 Seiten weiter
Letzte Seite