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Nr. 54/1915 PAPIER-ZEITUNG 1081 den Fall des Krieges gemacht wurde, oder wenn durch die Kriegs lage die Lieferung unmöglich gemacht worden ist (§ 323 BGB). Dies kann der Fall sein, wenn die zu liefernden Waren aus dem Ausland kommen und die Einfuhr tatsächlich oder gesetzlich (durch Einfuhr verbote) unmöglich geworden ist; ferner wenn dem Fabrikanten die Roh- und Hilfsstoffe zur Herstellung der zu liefernden Waren fehlen, oder wenn ihm durch den Krieg Arbeitskräfte entzogen sind, oder wenn die Verfrachtungs-Gelegenheiten unterbunden sind u. dgl. Ist die Lieferung der Ware nur vorübergehend unmöglich gemacht, so besteht eine nachträgliche Lieferungsberechtigung bzw. Ab nahmepflicht nur insoweit, als nicht ein Interesse des Lieferungs berechtigten oder des Zahlungsverpflichteten entgegensteht. (Im Sinne der §§ 325 und 326 BGB.) Die Zahlungspflicht des Abnehmers bleibt durch den Krieg unberührt, wenn die Lieferung bereits erfolgt ist. Im Falle der Zahlungsfähigkeit des Abnehmers kommen die für die Dauer des Krieges erlassenen Vorschriften zur Linderung der Kriegsnot in Betracht (vgl. unten). Bei Unmöglichkeit der Lieferung kommt die Zahlungsverpflichtung in Wegfall. Eine Zurückziehung bereits erteilter Aufträge, wenn die be stellten Waren geliefert werden können, ist rechtlich ohne jede Bedeutung. Hat also der Besteller kein Interesse mehr an der Ab nahme der Waren, so bleibt ihm nur der Versuch übrig, sich gütlich mit dem Lieferanten zu einigen. Die vereinbarten oder handelsüblichen Zahlungsbedingungen ■erleiden durch den Krieg nicht ohne weiteres Abänderungen. Der Lieferant kann also nicht sofortige Zahlung verlangen, wenn ein Zahlungsziel vereinbart war oder handelsüblich ist. Als Berichterstatter in der heutigen Sitzung waren die Herren Syndikus Hager und Dr. Kubatz bestellt. Beide Bericht erstatter hatten Gutachten ihnen nahestehender Rechtsanwälte eingeholt, die als Anlagen 1 und 2 dieser Niederschrift bei gegeben worden sind. An der ausgedehnten Aussprache be teiligten sich außer den Berichterstattern besonders die Herren Dr. Cohn, Generalsekretär Ditges, Dr. Hankwitz, Dr. Lejeune- Jung, Hans Krämer, Kommerzienrat Steinbock, Braunwarth und der Vorsitzende. Der Aussprache und den ihr folgenden Beschlüssen wird für die Klärung des wichtigen Rechtsgebiets umso größere Be deutung beizumessen sein, als der Kriegsausschuß aus Männern zusammengesetzt ist, die Handel und Industrie, Lieferanten- und Abnehmerkreise vertreten, so daß man die im Kriegs- ausschuß für das Deutsche Papierfach herrschende Auffassung als die Meinung, die in den wirtschaftlichen Kreisen im allgemeinen geteilt wird, betrachten kann, umsomehr, als sie in der Haupt sache auch mit den Standpunkten übereinstimmt, die die Vertreter der Rechtswissenschaft eingenommen haben. Die Auffassung der Versammlung lautet in Kürze dargestellt •etwa folgendermaßen: Die Rechtslage ist in. solchen Fällen ohne weiteres klar, in denen eine Kriegsklausel in die Verträge aufgenommen worden ist. Die Kriegsklausel muß jedoch eindeutig bestimmen, daß der Ver käufer berechtigt ist, nach Ausbruch des Krieges oder während seiner Dauer vom Vertrage zurückzutreten. Es gibt aber eine solche Mannigfaltigkeit von Kriegsklauseln, daß in jedem einzelnen Fall, wenn nötig durch das ordentliche Gericht, Rechte und Pflichten vom Lieferanten und Abnehmer festgestellt werden müssen. In solchen Fällen, in denen eine Kriegsklausel in die Verträge nicht aufgenommen worden ist, bleibt sowohl die Lieferungs- als auch •die Abnahmeverpflichtung der Verträge grundsätzlich bestehen. Namentlich berechtigt den Lieferanten die Notwendigkeit, höhere Kosten für seine Rohstoffe und Maschinenteile, für Arbeitslöhne und Beförderung der Waren aufzuwenden, nicht zur Aufhebung des Vertrages oder zu höheren Preisforderungen. Vertragaufhebend wirken nur Fälle höherer Gewalt, in denen •die Ausführung des Vertrages zur Unmöglichkeit wird. Hierhin .gehört Wagenmangel nur dann, wenn die Lieferung durch ihn aus geschlossen wird. Auch kann nach Ansicht der Versammlung beim vollständigen Fehlen bestimmter Arbeiterkategorien Lieferungs- runmöglichkeit unter Umständen vorliegen. Ist ferner — wie auch das Reichsgericht in ständiger Praxis entschieden hat — die Be- ■schaffung der verkauften Ware mit Schwierigkeiten verknüpft, die der Unmöglichkeit zur Beschaffung nahekommen, so ist der Lieferant ebenfalls von der Lieferpflicht befreit. Etwaige Streitig keiten in solchen Fällen können nur durch das ordentliche Gericht fallweise entschieden werden. Das Entstehen einer Rechtsübung, wonach der Krieg als Fall höherer Gewalt ohne weiteres anzusehen wäre oder in bestimmten anderen Fällen zur Auflösung von Verträgen berechtigte, wurde als nicht wahrscheinlich oder wünschenswert bezeichnet. Dagegen wurde angenommen, daß der Fabrikant, wenn er selbst nicht liefern könnte, nicht verpflichtet wäre, die verkaufte Ware einzukaufen und an den Abnehmer zu dem vereinbarten Preise weiterzugeben. Nach der Feststellung des Kriegsausschusses spielt bei den Ver suchen zur Aufhebung laufender Verträge die angebliche Beschlag nahme der Roh- oder Hilfsstoffe eine große Rolle. Es sind Fälle geradezu wucherischer Ausbeutung der Abnehmer, die auf eine angebliche Beschlagnahme der Roh- und Hilfsstoffe zurückgeführt worden sind, bekannt geworden, obgleich die Beschlagnahme in Wirklichkeit garnicht stattgefunden hat. Aber selbst dann, wenn eine Beschlagnahme erfolgt sein sollte, wäre der Lieferant zur Ein haltung seines Vertrages Verpflichtet und dürfte höhere Preise für seine Ware nicht fordern, wenn er überhaupt zu liefern imstande wäre. Die Beschlagnahmungen dienen übrigens zunächst nur einer gerechten Verteilung der vorhandenen Vorräte (namentlich für militärische Zwecke), und es steht jedem Industriellen frei, einen Antrag an die Rohstoffabteilung des Kriegsministeriums wegen Freigabe benötigter Rohstoffe zu richten. Es wurde deshalb allgemein der Rat erteilt, im Falle des Ver suchs der Aufhebung von Lieferungs- und Abnahmeverträgen den Beweis der Unmöglichkeit der Lieferung bzw. der Abnahme zu verlangen und es, wenn dieser abgelehnt würde oder mißglückte, auf eine Klage ankommen zu lassen. Durch diese rein rechtlichen Ausführungen wird die Mahnung, nach Möglichkeit durch Vergleich zur Ausgleichung etwa ent stehender Schwierigkeiten beizutragen, nicht berührt. In vielen Fällen ist das Verlangen der Lieferanten nach Preiserhöhung oder dasjenige der Abnehmer nach Stundung der Abnahme durchaus in den Verhältnissen begründet. Der andere vertragschließende Teil hat in solchen Fällen eine moralische Verpflichtung, den Be dürfnissen des Lieferanten oder des Abnehmers, so weit es ihm irgend möglich ist und billig erscheint, entgegenzukommen. Anlage 1 Gutachten An den Papierindustrie-Verein Auf Ihr gefl. Schreiben vom 28. Januar erwidere ich ergebenst folgendes: Soweit es bei der Kürze der Zeit möglich ist, will ich mich gern zu den von Ihnen angeregten Fragen äußern. Es wäre mir ganz lieb gewesen, wenn ich von Ihnen bestimmte Fragen, welche das Interesse der Mitglieder erregt haben, vorgelegt erhalten hätte. Die Grundsätze betr. das Verhältnis zwischen Lieferanten und Abnehmern im Fall des Krieges sind in der Schrift des Kriegs-Aus schusses für das Deutsche Papierfach vollständig richtig wieder gegeben. Inzwischen haben sich aber in Theorie und Praxis bereits einige Streitfragen eingestellt, auf die ich hier kurz eingehen will. Vorweg möchte ich bemerken, daß höchstrichterliche Entscheidungen über derartige Streitfragen naturgemäß noch nicht ergangen sind. Streitfragen sind besonders aufgeworfen worden über die Auslegung der Kriegsklauseln. Gegen Kriegsklauseln wird man mitunter den Einwand hören, daß sie gegen die guten Sitten verstoßen. All gemein kann solcher Einwand natürlich nicht erhoben werden. Es kommt auf den jeweiligen Wortlaut der betr. Klausel an. Manche Firmen haben allerdings Kriegsklauseln mit einem Wortlaut auf genommen, der mitunter tatsächlich gegen die guten Sitten ver stoßen kann. Zweifellos geht es aber zu weit, wenn Rechtsanwalt Dr. Stadecker in der Juristischen Wochenschrift 1914 Nr. 16, Seite 848 meint, daß ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt, wenn ein Lieferant die von ihm verkaufte Ware ohne Nachteile liefern könne und er die Kriegsklausel gebraucht, um seinen Ab nehmer zur Bewilligung eines höheren Preises zu zwingen. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Wenn Kaufleute sich derartigen Kriegsklauseln unterwerfen, so wissen sie, was das zu bedeuten hat. Anderseits kann es zu dieser Frage natürlich auch auf den Wortlaut ankommen. Mit Recht braucht z. B. Rechtsanwalt Reigers a. a. O. Nr. 18, Seite 951 folgendes Beispiel: „Wird z. B. nur gesagt, Krieg gelte als höhere Gewalt und entbinde daher den Verkäufer von der Lieferung, so wird unbedingt dem Käufer der Nachweis offenstehen, daß eine Behinderung des Lieferanten nicht vorliegt." Dieser Ausführung ist durchaus beizustimmen. Viel fach findet sich in den Lieferungsverträgen — mir ist z. B. ein Lieferungsvertrag der Deutsch-Amerikanischen Petroleumgesellschaft in Erinnerung — der Passus, daß der Krieg zwar die Lieferungs verpflichtung aufhebe, der Verkäufer (also der Lieferant) der Ware aber berechtigt sei, nach Beendigung des Krieges die Abnahme der Ware zu verlangen. Auch hier sind Zweifel aufgetaucht, ob eine derartige Bestimmung nicht den guten Sitten widerspreche, allgemein darf man diesen Einwand bei einem derartigen Passus natürlich nicht erheben, es kommt selbstverständlich auf die je weiligen Umstände an. Dauert der Krieg z. B. mehrere Jahre, so ist es dem Käufer der Ware natürlich nicht zuzumuten, die seit Jahren rückständige Ware abzunehmen, wenn es dem Verkäufer so paßt. Andere interessante Streitfragen sind aufgetaucht bezüglich des Verhältnisses von Kriegslieferungen zu Privatlieferungen. Hier