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Nr. 62/1914 PAPIER-ZEITUNG 2095 Die Untersuchung von Kasein Von Professor Dr.-Ing. E. Heuser, Darmstadt Im Papierverarbeitungsgewerbe wird das meiste Kasein als Bindemittel für Streichfarben in der Papierstreicherei ver wendet, und es schien deshalb von Wert, bei einer Untersuchung von Kaseinsorten gerade diejenigen Eigenschaften des Kaseins zu berücksichtigen, die für seine Verwendung zu dem genannten Zweck besonders in Frage kommen 1). Diese Eigenschaften sind die Zähflüssigkeit (Viskosität) und die Quellfähigkeit, welche die Absitzgeschwindigkeit der Substratteilchen (Kaolin, Blanc Fixe, Glanzweiß u. a.) beein flussen, die Löslichkeit in Wasser, die für Beurteilung von Ver lusten bei dem oft üblichen Auswaschen des Kaseins vor der Weiterverarbeitung in Frage kommt, die Löslichkeit in Am moniak, Borax oder Alkalien, deren Bestimmung den Anhalt zum sparsamsten Verbrauch an Lösungsmitteln gibt und die Gärfähigkeit des Kaseins, deren Kenntnis von Wichtigkeit ist, wenn die Haltbarkeit (Lagerbeständigkeit) einer Sorte beurteilt werden soll. Zum Teil stehen nun die erwähnten Eigenschaften mit anderen in Beziehung, zum Teil sollten solche Beziehungen ermittelt werden, um ein möglichst vielseitiges Bild von dem Verhalten des Kaseins zu entwerfen und so Mittel und Wege zu finden, wie man der vielerlei Schwierigkeiten Herr werden könne, die bei der Verarbeitung von Kasein in der Papier streicherei auftreten. Solche Beziehungen bestehen zunächst zwischen der Vis kosität und der Menge des zugesetzten Lösungsmittels: Wie die Viskositätsbestimmungen von Kaseinlösungen mit verschiedenem Ammoniakgehalt ergaben, wird die Lösung umso dünnflüssiger, je mehr Ammoniak sie enthält, was ja vorauszusehen war. Je doch nimmt die Viskosität mit steigendem Ammoniakgehalt bei weitem nicht so ab, wie zu erwarten wäre. Die Ausflußzeit einer 8,57 prozentigen Kaseinlösung mit einem Gehalt von 3,04 v. H. Ammoniak betrug HO Sekunden, sie war aber bei einem Ammoniakgehalt von 15,2 v. H. nur auf 98 Sekunden gefallen. Die Färbung der Kaseinlösung wird mit steigendem Ammoniakgehalt dunkler. Eine weitere Beziehung besteht zwischen der Viskosität, dem Quellungsgrad und der Löslich keit des Kaseins: Das gequollene Kasein 2 3 4 ) löst sich einerseits wesentlich leichter, d. h. braucht weniger Ammoniak, um ge löst zu werden als das ungequollene, anderseits werden die Lösungen des gequollenen Kaseins dünnflüssiger mit steigendem Ammoniakgehalt als die des ungequollenen. Der Unterschied ist jedoch nicht so groß, wie man hätte erwarten können. Das gequollene Kasein ist heller gefärbt als das nicht gequollene. Der geringere Bedarf an Ammoniak zum Lösen des gequollenen Kaseins erklärt sich hauptsächlich aus der leichteren Durch dringbarkeit und größeren Oberfläche der gequollenen Teilchen, anderseits aber auch dadurch, daß sich durch Auswaschen — wie es beim Quellenlassen geschah — eine gewisse Menge Säure aus dem Kasein entfernen läßt. Die Löslichkeitsgrenze, ausge drückt durch die geringste zur Lösung notwendige Ammoniak menge, liegt für ungequollenes Kasein zwischen 2,19 und 2,56, für gequollenes Kasein aber schon bei 1,46 v. H. Ammoniak. Je stärker ein und dieselbe Kaseinsorte aufquillt, d. h. je länger sie mit Wasser in Berührung bleibt, desto tiefer sinkt die Lös lichkeitsgrenze, d. h. desto geringere Mengen Ammoniak sind notwendig, um das Kasein gerade zu lösen. Aber auch die Quellung hat eine Grenze: Wird die Zeit des Wässerns über ein gewisses Maß ausgedehnt, so geht die Quellung in den Zustand der Peptisation über, d. h. das Kasein gibt eine kolloide Lösung, in der sich die Zahl der festen gequollenen Teilchen immer mehr verringert. In diesem Zustand ist das Kasein in Ammoniak am leichtesten löslich. Praktisch kann man aber die Zeit des Wässerns nicht so weit ausdehnen, weil diese Peptisation gleichbedeutend ist mit einer Zersetzung des Kaseins, die zum Verlust der Klebkraft solcher Kaseinlösungen und andern Nachteilen führt. Die Bestimmung der Löslichkeitsgrenze kann in rascher Weise nicht titrimetrisch geschehen, da das Auftreten einer alkalischen Reaktion der Kaseinlösung nicht mit dem Zeit punkt zusammenfällt, wo wirklich Lösung eingetreten ist. Der 1) Die Versuche wurden von Herrn Dipl.-Ing. W. Schmeil aus geführt. 2) Das Kasein wurde mit Wasser versetzt, blieb über Nacht stehen, wurde durch Abnutschen von überschüssigem Wasser be freit und dann gelöst. Lösevorgang geht verhältnismäßig langsam vor sich und es würde das Ammoniak titriert werden, das nach einer gewissen Zeit sicher noch verbraucht wird. Deshalb ist vorderhand eine schnelle Ermittlung der Löslichkeitsgrenze nur auf empirischem Wege möglich: Man versetzt abgewogene Kaseinmengen mit ver schiedenen Mengen Ammoniak, angefangen mit einer äußerst kleinen Menge und wählt die Zeit, bis sichtbare Lösung eingetreten ist, als Maß für die Löslichkeitsgrenze. Um das Auswaschen und Quellenlassen des Kaseins mit Wasser zu rechtfertigen, sind also genug Gründe vorhanden. Außerdem hat sich jedoch in der Praxis oft gezeigt, daß das unangenehme Schäumen der Streichfarbe bei der Verarbeitung auf der Streichmaschine fortfällt, wenn das Kasein vor der Weiterverarbeitung aus gewaschen wurde. Es lag deshalb nahe festzustellen, welche Stoffe das Wasch wasser enthält. Unter diesen mußte schließlich der Schaum erreger aufzufinden sein. Eine qualitative Prüfung ergab die Gegenwart organischer und anorganischer Stoffe im Waschwasser. Die anorganischen Bestandteile waren Chloride und Phosphate des Kalziums, Magnesiums, Kaliums und Natriums; es waren dieselben, welche das Kasein selbst enthält: Mineralische Bestandteile wurden also aus dem Kasein mit Wasser ausgelaugt. Die organischen Stoffe des Waschwassers bestanden aber zum größten Teil aus Eiweißstoffen, zum weitaus kleineren aus Milchzucker. Die Gegenwart des Milchzuckers ist nicht verwunderlich, da ja Milch, aus der man das Kasein erhält, bedeutende Mengen dieser Zuckerart enthält. Milchzucker gibt sich im Waschwasser des Kaseins durch sein Reduktionsvermögen gegen Fehlinglösung zu erkennen. Diese Reaktion kommt weder dem Kasein noch den wasserlöslichen Eiweißstoffen zu. Zur Prüfung kocht man eine Probe des Waschwassers mit Fehlinglösung (Kupfersulfat und Seignettesalz für sich in Wasser gelöst und zusammen gegossen). Bei Gegenwart von Milchzucker entsteht eine Grund färbung, die in Rot übergeht. Aus der trüben Lösung scheidet sich ein Niederschlag ab. Die löslichen Eiweißstoffe konnten kein Kasein sein, da dieses in Wasser unlöslich ist; auch Laktalbumin kam nicht in Frage, da dieses als Acidalbumin bei der Gewinnung des Kaseins ausgewaschen wurde. So können wir nur sagen, daß wir es hier mit löslichen eiweißartigen Ab bauprodukten des Kaseins zu tun haben. Es drängte sich nun zunächst die Frage auf, einerseits wie viel sich von den genannten Stoffen während einer praktisch noch brauchbaren Zeit des Auswässerns löste, anderseits ob durch längeres Auswaschen ein Ende des Auslaugens eintrat. Um den zweiten Teil der Frage gleich vorweg zu nehmen, so zeigte sich zunächst, daß sich umsomehr Stoffe des Kaseins lösten, je länger das Kasein der Quellung mit ein und demselben Wasser unterworfen wird und je öfter das Wässern mit frischem Wasser bei längster Quellungsdauer vorgenommen wurde. Das Ueber- gehen von löslichen Stoffen in das Waschwasser kam zu keinem Ende. Der Gehalt der nach jedesmaligem Wässern erhaltenen Waschwässer an Trockensubstanz, bestimmt durch Eindampfen, mineralischen Bestandteilen, bestimmt durch Veraschen des Trockenrückstands und an Milchzucker wurde festgestellt. Bevor die gefundenen Werte erörtert werden, sei hier über die quanti tative Bestimmung des Milchzuckergehalts Näheres mitgeteilt. Gewöhnlich geschieht diese nach der Methode von Rodewald und Tollens 1 ). Genauere Werte erhält man, wenn man die Schwalbesche Methode zur Bestimmung der Kupferzahl berücksichtigt und das abgeschiedene Kupfer elektrolytisch bestimmt. Seit einiger Zeit aber steht noch eine dritte Methode zur Verfügung, die von Pavy 2) zuerst auf Traubenzucker angewendet, zu diesem Zweck von Kumogawa und Suto ) verbessert und auf die Er mittlung des Milchzuckers von Shimidzu ) übertragen wurde. Nach dieser Methode wird der Gehalt einer Lösung an Trauben zucker titrimetrisch mit ammoniakalischer Kupferlösung fest gestellt. Zur Bestimmung von Milchzucker muß die Lösung dieses Zuckers zunächst mit verdünnter Schwefelsäure erhitzt werden; dadurch spaltet er sich in Traubenzucker und Galactose, die nun beide durch ammoniakalische Kupferlösung, genauer als Milchzucker selbst, titriert werden können. 1) Berichte d. Deutschen Chem. Ges. 1878 S. 2078. 2) Deutsche medizin. Wochenschrift 31 Nr. 36 und Pavy : Die Physiologie der Kohlehydrate 1895, S. 14. 3) Beiträge zur wissenschaftlichen Medizin 1-904 (Festschrift). 4) Biochem. Zeitschrift 13, S. 243 — 261.