Volltext Seite (XML)
Reichsverband für den Papier- und Bürobedarfs- M ‘Handel Wir bringen hiermit zur Kenntnis unserer Mitglieder, daß unser erster Verbandstag am 29. und 30. August in Leipzig stattfinden wird, um den Teil nehmern gleichzeitig den Besuch der für alle Fachgenossen hochinteressanten „Bugra” und der Leipziger Messe zu ermög lichen. Nähere Mitteilungen über den Verbandstag lassen wir in Kürze folgen, bitten aber heute schon sämtliche Mitglieder, zu diesem Verbandstag zu erscheinen, wo sehr wichtige An gelegenheiten zur Besprechung kommen werden. Etwaige Wünsche zur Verhandlung auf den Verbandstag bitten wir unserer Geschäftsstelle in Frankfurt a. M., Wiesenhüttenstr. 14 bekannt zu geben, für jede Anregung sind wir dankbar. Alle Mitglieder, welche Zimmer bestellt haben möchten, wollen sich möglichst bald an unser Mitglied Herrn F. G. Mylius in Leipzig wenden, der sich liebenswürdig dazu erboten hat. Jetzt sind trotz der dann beginnenden Leipziger Meßtage noch schöne Zimmer erhältlich, werden aber kurz vor dem Verbands tag nur schwer zu beschaffen sein. Der Arbeits-Ausschuß Die Stenographie auf der Bugra Auf der Bugra sieht man neben vielen interessanten Dingen auch manche amüsanten. Für einen Teil des Vergnügens sorgt z. B. der ausgedehnte Vergnügungspark, für einen anderen Teil sorgt die Ausstellung der — Stenographie. Wer etwa bezweifelt, ■was eine so ernste und wichtige Sache wie die Stenographie Amüsantes bietet, der überzeuge sich selbst und gehe in die Halle der Stenographie, wo die verschiedenen Systeme der Kurz schrift wie feindliche Brüder einander gegenüberstehen und mit scharfen Waffen bekämpfen. Das Belustigende daran ist, wie ein jedes seine Vorteile und seines Gegners Nachteile hervor zukehren sucht. Das machen sie alle so überaus geschickt, daß man von einem jeden der Reihe nach überzeugt ist. Kommt man zum ersten System, so hält man (falls man ganz unparteiisch ist), dieses unstreitig für das beste, um sich dann ein paar Schritte weiter davon zu überzeugen, daß das andere eigentlich noch viel besser wäre. Wieder beim nächsten findet man — es ist in den einzelnen Abteilungen sehr geschickt gemacht — daß diese neue Schreibart eigentlich die Vorzüge der vorhergehenden vereinige. Das wird dann zu einem belustigenden Sport, den man nach Belieben weiterführen könnte, falls genug Systeme da wären. Aber es scheint, daß die Kurzschrift, die so kurz ist, daß sie kaum nachgeschrieben zu werden braucht, noch immer nicht erfunden ist. Als älteste deutsche Kurzschrift tritt uns die von Gabels- berger erfundene entgegen. Seine Jünger treiben mit dem An denken des Erfinders einen regelrechten Kult, indem sie ängst lich alles sammeln und ausgestellt haben, was von ihm und über ihn vorhanden ist. In Gips gegossen prangt seine Büste auf einer Säule mit einem langen, verhimmelnden Gedicht darunter, das mit den schönen Worten beginnt: „Heil Dir, Meister Gabels- berger, der uns mit dem Flügelstift . . . .” Weiß man immer noch nicht, daß bei derartigen großen Weltideen, wie die Steno graphie es ist, die Persönlichkeit des Erfinders ganz hinter der Tat zurücktreten muß. — Viel lehrreicher als diese Verse ist die statistische Ueberscht, die uns genaue Angaben über die Ver breitung des Gabelsberger Systems gibt. Wir erfahren hier, ■daß Deutschland in der Hauptsache in zwei stenographische Lager geteilt ist: Gabelsberger und Stolze-Schrey. In Süddeutsch land herrscht noch heute unumschränkt die alte Gabelsberger, während der Norden Deutschlands Stolze-Schrey bevorzugt. 113 496 Deutsche schreiben heute Gabelsberger, 87 791 Stolze- Schrey. 1.7: : Das nächste System, zu dem wir kommen, ist das von Stolze erfundene. Auch hier treffen wir wieder auf die Verherrlichung des Erfinders und seiner lieben Familie, deren Bekanntschaft wir in zahlreichen Photographien machen. Der hier gegebene Vergleich der Systeme fällt natürlich zugunsten der Stolze- Schrift aus. Die weitverbreitetste norddeutsche Stenographie ist die sogenannte „ Stolze-Schrey. In den drei Hansastädten herrscht sie unbeschränkt und nennt sich stolz die „Hochburg des deutschen Kauf mannswesens”. Auf dieser Ausstellung können wir an der Statistik, Beschreibung und Darstellung des Systems stu dieren und näheren Einblick in das Wesen dieser für uns so wich tigen Schrift gewinnen. Haben wir uns so überzeugt, daß Stolze-Schrey das beste System ist, dann beweist uns in der nächsten Abteilung die National-Stenographie, daß sie die anderen überbiete.' Denn sie wartet mit der Höchstleistung von 440 Silben in zwei Minuten auf und kann in höchstens 8 Stunden „perfekt” erlernt werden. Die nächste der besten Kurzschriftarten ist die von Roller erfundene, die sich ebenfalls einer großen Verbreitung erfreut. Auch das Faulmannsche System dürfen wir nicht außer acht lassen, wenn wir von den in Deutschland verbreiteten Steno graphie-Systemen reden. Eine eigene Kurzschrift besitzen die deutschen Arbeiter, die sich im „Deutschen Arbeiter-Stenographenbund” zusammen geschlossen haben und dort die Arends Idealschrift erlernen. Die Vorzüglichkeit dieser Schrift beweisen u. a. Blätter in steno graphischer Zierschrift. Es bedeutet eine vollständige Verkennung der Idee der Kurzschrift, eine stenokalligraphische Schrift zu pflegen, weil es doch hier nur darauf ankommt, möglichst schnell zu stenographieren. Es ist recht schade um die Arbeit, die diese fein säuberlich mit Ranken und Ornamenten versehenen Buch staben gemacht haben. Die Arends Idealschrift beschenkt uns ferner mit der recht fragwürdigen Neuerung einer Zahlenschnell schrift, deren Güte uns an der Uhr mit den stenographierten Zahlen bewiesen wird. Die allerbeste aller Stenographien ist aber doch die Reform- Stenographie, die, wie sie selbst sagt, um 28 v. H. besser ist als Gabelsberger und die nur 65 Schriftzeichen kennt gegen 134 der National-Stenographie. Die Reform-Stenographie beglückt uns mit der Mikroschrift, die man in freier Uebersetzung: Augen pulver benennen möchte. Ein kleines Papiermodell des Völker schlachtdenkmals ist ganz mit dieser Mikroschrift beschrieben. Der Reformstenograph hat hier 130 Stunden gebraucht — der Aermste! — um die Geschichte der Völkerschlacht auf das Denk mal zu schreiben. Den Gipfel stenographischen Unsinns stellt aber unbedingt das Modell eines Zeppelin-Luftschiffes dar, auf dem man 5700 Silben der Mikroschrift verewigt hat. Ein Gedicht darunter, das mehr von dem Enthusiasmus als von der poetischen Begabung seines Verfassers Zeugnis ab legt, sei der Kuriosität halber hier wiedergegeben: „Wie Graf Zeppelin dem Spötter — dem Wind und Wetter Trotz gebot — Wie sein Luftschiff stolz im Fluge — Sich über Deutschlands Gauen hob — So hebt an Kürze unerreicht — Reformschrift sich durchs ganze Reich.” Der greise Graf wird begeistert sein, daß sein Werk hier in so poetische Verbindung mit der Reformschrift gebracht wird. Eine Abwechselung in das Bild der streitenden Kurzschriften bringen die Ausstellungen der fremden Systeme, die man in der Hauptsache kennen lernt, ferner die sehr lehrreiche Ausstellung der Kgl. sächsischen Staatsregierung und die mit viel Sorgfalt ausgestattete Abteilung der ungarischen Stenographen. Die Berufs-Stenographen werden durch den Verein Deutscher Kammerstenographen” vertreten, der uns zahlreiche Photo graphien deutscher Parlamentssitzungen zeigt. Am Schlüsse unserer Wanderung durch die gewiß sehr lehr reiche Stenographie-Ausstellung gedenken wir noch einmal des Kampfes der Systeme und entdecken die ernsthafte Seite dieser Uneinigkeit. Wir fragen uns, ob die Existenz so vieler Steno graphie-Arten wirklich nötig und der Idee förderlich ist. Ob Einig keit nicht viel schneller zum Ziel führt ? Vielleicht bringt diese Ausstellung die streitenden Parteien einander näher und läßt sie in der Zukunft wenigstens von marktschreierischen An preisungen absehen. Das wäre dann der Humor davon. E. H. C.