Volltext Seite (XML)
1940 PAPIER-ZEITUNG Nr. 57/1914 das Getriebe einer Weltausstellung, die glänzende Beweise von dem hohen Stand und der Leistungsfähigkeit der Papierverar beitung gibt. Ich sage absichtlich Papierverarbeitung; denn die Begriffe Buchgewerbe und Graphik mögen wohl in gewissem Sinne historisch gerechtfertigt sein, aber sie umgrenzen wohl nicht ganz entsprechend denjenigen Umkreis von künstlerischen und gewerblichen Tätigkeiten, die sich aus dem allen Druckgewerbe und aus der alten Buchbinderei im Laufe der Zeiten entwickelt haben. Die Druckerei und die Buchbinderwerkstatt waren neben der Schreibstube die ersten Papierverbravchsstätten, und sie sind die Wurzeln der großen Papierverarbeitung von heute. Wie das Druckgewerbe sich von dem alten Holztafeldruck und dem alten Kupferplattendrucke entwickelt bat bis zu den modernen Wundem der Offset-Maschine und der Tiefdruckpresse wird uns in der historischen Abteilung der Ausstellung in wunderbarer Weise vor Augen geführt, und wir werden auch noch das Ver gnügen haben, in einem späteren Vortrag des Herrn Direktor Kraemer speziell die modernen Druckverfahren kennen zu lernen. Bei der Entwickelung der Buchbinderei hat man sich zu ver gegenwärtigen, daß der Buchbinder niemals und zu keiner Zeit nur mit dem Binden von Büchern sich beschäftigte. Schon die ältesten Buchbinder machten Schachteln, Kästen, Futterale usw., woraus sich die Kartonnagenindustrie entwickelt hat. Die Buch binder haben zuerst das Papier gefärbt, was zur Entwicklung der Buntpapierfabrikation und der Tapetenfabrikation geführt hat. Ebenso sind nach und nach aus der Buchbinderei entstanden die Briefumschlagfabrikation, die Geschäftsbücherfabrikation, die Gesang- und Gebetbücherfabrikation, die Albumfabrikation, die Kalenderfabrikation, die Hartpapierwarenindustrie usw. In allen diesen Fabrikationszweigen wird heute auch nach einem oder mehreren Verfahren gedruckt, wie andererseits die meisten Druckereien auch wieder mit Buchbinderei usw. verbunden sind. Es ist deshalb heute nicht mehr möglich, die graphische Industrie oder das Buchgewerbe von der übrigen Papierverarbeitung zu trennen. Die Papierverarbeitung bildet vielmehr eine trotz aller Verzweigungen und Verschiedenheiten doch ziemlich einheitliche Industriegruppe, deren Größe und Bedeutung nur leider noch immer nicht zahlenmäßig erkannt wird, da unsere amtlichen'Statistiken für diesen Zweck vollständig versagen. Trotzdem haben wir uns bemüht, in unserem diesjährigen Jahresbericht an bestimmten Zahlen eine Vorstellung von der Ausdehnung der Papierverar beitung zu geben. Wir haben gefunden, daß die gesamte Jahres erzeugung der deutschen Papierverarbeitung etwa 690 Millionen Mark beträgt, wobei aber nicht mitberücksichtigt ist der Buch- und Zeitungsverlag, für den irgendwelche Schätzungsziffern nicht zur Verfügung stehen. Wir haben weiter gefunden, daß die Zahl der Betriebe, soweit sie zu den beiden Berufsgenossenschaften gehören, 12 345 beträgt, und daß in diesen 12 345 Betrieben rund 326 000 Personen beschäftigt sind. An Löhnen werden bezahlt 362 Millionen Mark, und die Ausfuhr der deutschen Papierverar beitung beziffert sich auf nicht weniger als 227 Millionen Mark. Das sind gewiß imponierende Zahlen, die der deutschen Papier verarbeitung einen hervorragenden Platz innerhalb der gewerb- lichen Arbeit Deutschlands zuweisen. Nimmt man zu diesen Zah len den imposanten Eindruck, den die Ausstellung von den Lei stungen dieser Industrie vermittelt, so darf sich wohl ein berech tigtes Gefühl des Stolzes unter den Angehörigen dieser Industrie regen, und trotz aller geschäftlichen Sorgen darf wohl einmal eine festlizhe und feierliche Stimmung Platz greifen, diesem Ge werbe und der Förderung seiner Interessen zu dienen. Der Papier industrie-Verein ist seit 38 Jahren diejenige Stelle, die der Pflege und Förderung der Angelegenh iten der Papierverarbeitung gewidmet ist. Und wenn der Papierindustrie-Verein seinen Ob liegenheiten seither gerecht geworden ist, so darf auch er mit einiger Genugtuung auf das Errungene hinweisen und die Hoff nung auf weitere gedeihliche Entwickelung erwirken. (Leb hafter Beifall). Fortsetzung folgt. Aus dem Berliner Buchgewerbe vermochte die Berliner Typographische Gesellschaft durch das Entgegenkommen einer Anzahl erster Firmen Berlins bei Anwesen heit der deutsch-russischen Fachgenossen aus Riga einen auch für manchen Berliner Fachmann interessanten Ausschnitt zu geben. Es wurde gezeigt, wie die heutigen technischen Errungen schaften bei einsichtsvoller Zusammenfassung der gewerblichen Kräfte und entsprechendem Aufwand des arbeitenden Kapitals zur Durchführung großer Ziele nutzbar gemacht werden. In schätzenswerter Weise hatte sich zunächst die Zeitungs- und Großdruckerei Ullstein & Co. bereit finden lassen, ihre Pforten den fremden Gästen für einige Stunden zu öffnen. Herr Rudolf Ullstein war selbst zum Empfang anwesend und ließ die Teilnehmer von den Herren Güttlich und Prechlick geleiten, die mit eingehender Erklärung in liebenswürdigster Weise durch die einzelnen Ab teilungen des gewaltigen Betriebes führten. Von den technischen Arbeitsräumen streng geschieden bietet sich beim Eintritt die große Halle für den Verkehr mit dem Publikum und den Zeitungshändlern, darüber in den oberen Stockwerken des Vorderhauses — durch ein prächtiges Treppenhaus untereinander verbunden — lange Fluchten von Zimmern und Sälen für Redaktion, Anzeigenwesen, Buch haltung und Versand. Um eine Anzahl größerer und kleinerer Höfe angeordnet türmen sich in den anschließenden neuen und modernen Fabrikgebäuden von fünf und sechs Stockwerken über einander Arbeitssäle. Bei über 30 großen Rotationsmaschinen, ungezählt die Flachdruckpressen und Illustrationsmaschinen neuester Bauart, kann sich auch der Fernstehende leicht eine Vorstellung davon machen, welche Mengen von Satzmaterial und Stereotypie einrichtungen, von Papiervorräten in Ballen und Rollen und nicht zuletzt wieviel Arbeitskräfte dazu gehören, um den nimmer rastenden Lauf der Tagespresse zu bewältigen. Den ins Riesenhafte ange wachsenen Leistungen der Großdruckerei Ullstein & Co. entspricht der Erfolg in der Reihe ihrer großen Zeitungsunternehmungen. Daß dabei eine geniale, großzügige Organisation und ein muster hafter Betrieb zu solchen sich ständig mehrenden Ergebnissen Zu sammenwirken müssen, ist selbstverständlich. Besonderes Interesse fand bei den Besuchern die Beobachtung der letzten Entstehungs stadien der ,,B. Z. am Mittag"; wie die Mittagskurse der Börse an elektrisch aufleuchtender Tafel telegraphisch dem ganzen Saale der Maschinensetzer angezeigt werden, das Schlußstück der letzten Kolumne in die Mater eingefügt und diese — nach Bruchteilen von Minuten wird dabei gerechnet — in der Citoplate zum fertigen Rundguß (für jede Platte 20 Sekunden) gelangt; wie dann wieder eine ganze Anzahl mit gleichen Platten laufender Rotationsmaschinen die Auflagenmenge in kaum dreiviertel Stunden bewältigt, die, von einem kleinen Heer von Radlern und Automobilfahrern in Empfang genommen, die Reichshauptstadt bis in ihre entlegensten Enden und die Provinz durch die Mittagseilzüge in kürzester Zeit mit den neuesten Nachrichten versorgt. Aehnlich wiederholt sich der Vorgang bei der „Morgenpost", der „Vossischen Zeitung", für die ein eigener Neubau angegliedert wird, der „Berliner Illustrierten Zeitung" u. a. Die Einrichtungen des großen Reproduktions- Ateliers, die aus Sicherheitsgründen im Dachgeschoß untergebrachte Dampfkesselanlage fesselten nicht minder das Interesse der Be sucher wie die Illustrations-Rotationsmaschinen und diejenigen, die Text und Umschlag der Wochenblätter zugleich in fertigen Heften liefern. Zu einem besonderen Verlagszweige hat sich der Vertrieb von Modeschnittmustern herausgebildet, deren Herstellung stoßweise durch an Hebelarmen laufende Kreismesser erfolgt. Pater nosterwerke für die fertige Zeitungserzeugung, in verschiedener Art und Größe, selbst über Höfe hinwegführend, vervollständigten das Bild industriellen Schaffens. Ein ganz anderes Gebiet, nicht minder umfangreich und eigen artig, bot die Papierausstattungsfabrik Max Krause in der Alexan- drinenstraße 93, deren jetziger Inhaber in einigen der Besucher Kunden aus den russischen Ostseeprovinzen begrüßte und die Gäste von den Herren Krause jr. und Lüders durch die mannigfachen Abteilungen seines Welthauses führen ließ. . Viel bemerkt wurde, wie sich die Betriebsorganisation und die Kontrolle der Leistungen und Selbstkosten in scharfsinnig durchdachtem System der Eigen art der Waren angepaßt haben und wie zur Bewältigung eines alle Erdteile umspannenden Vertriebes auch alle Hilfsmittel neuer Büro technik in Registratur und Kalkulation dienstbar gemacht wurden. Die Papierausstattung mit Reliefdruck, Prägerei, Umschlag- und Kartonnagenanfertigung feinster Art gab vielen Besuchern völlig Neues, zu sehen. Nicht nur die ungewöhnlich große Zahl von Ma schinen, die großen Vorräte schöner Papiere und Kartons, sondern auch die Erholungsräume und Wohlfahrtseinrichtungen für die Arbeiterschaft boten ein anziehendes Gesamtbild der deutschen Papierindustrie der Gegenwart. Die Setzmaschinenfabrik Typograph G. m. b. H., Hutten- Straße 18-20, im äußersten Nordwesten, hatte im voraus das Interesse der meisten Besucher für sich, da so manche von den ausländischen Herren langjährige Geschäftsverbindung mit der Firma unterhalten. Herr Direktor Thomas gab in zuvorkommendster Weise die Er läuterungen für die Massenherstellung der einzelnen Maschinen teile, ihre immer mehr vervollkommnete Arbeit und den Gesamt bau der Typograph-Setzmaschine; die neue Vorrichtung zum mechanischen, zeitsparenden Matrizenwechsel wurde praktisch vor geführt. Bei einem sich anschließenden Frühstück, das die Direktion liebenswürdigerweise darbot, ergab sich die Gelegenheit zu einer willkommenen Aussprache über so manche technische Einzelfragen, die den Besuchern am Herzen lagen. Die Besichtigung der Messinglinienfabrik und Schriftgießerei H. Berthold A.-G. nahm bei dem ausgedehnten Betriebe der Firma einen vollen Nachmittag in Anspruch, und mancher der Gäste hätte in einzelnen Abteilungen bei den interessanten Entstehungs vorgängen gern länger verweilt. Herrn Direktor Kohler galt auch der einstimmige Dank der Versammelten, daß er sie mit welt männischem Freimut und ohne kaufmännische Aengstlichkeit in den gesamten Fabiikations- und Werdegang der Schrift Einblick tun ließ. Von dem zeichnerischen Entwurf bis zum vollendeten