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HAPIER’VERARBEITUNG ■ Bu CH GEWERBE [13 Berliner Typographische Gesellschaft Hntiqua gegen Fraktur. Fortsetzung zu Nr. 17 Herr Prof. Dr. Gurlitt bemerkte, daß er seinen bekannten Standpunkt als Freund der Altschrift entgegen allen bisher ge hörten Einwendungen beibehalten müsse, da er aus eigener -prak tischer Erfahrung wisse, wie außerordentlich nötig die Schulkinder jede mögliche Entlastung haben. Er denke dabei nicht an die Schüler höherer Schulen, sondern in erster Linie an die breiten Massen der Volksschüler. Die den Kindern durch die doppelte Schriftform er wachsenden Schwierigkeiten sind wesentlich größer, als sie sich irgend ein Unkundiger vorstellen könne. Nur der praktische Erzieher könne diese Schwierigkeiten ermessen und könne beurteilen, daß die Schul kinder wirklich in hohem Maße überbürdet seien. Er wünsche auch die zu ersparenden Unterrichtsstunden durch keine anderen Fächer besetzt zu sehen, man möge die Kinder nur ruhig während der frei- gewordenen Zeit in Freiheit spielen lassen. Herr Schriftgießereibesitzer Klingspor vertrat mit großer Ent schiedenheit die Berechtigung der Frakturschriften. Er hatte sich mit zahlreichen im Kunstgewerbe und in der freien Kunst tätigen Männern in Verbindung gesetzt und sie um ihre Ansicht über die zur Beratung stehende Frage gebeten. Die Antworten dieser Künstler, unter denen Richard Riemerschmid, Otto Hupp, Hans Thoma und viele andere berühmte Namen sind, lauten durchweg dahin, daß sie den Fortfall der Fraktur sehr bedauern würden, und sie erklären zum Teil auch den Reichstag für nicht zuständig in der Beurteilung einer solchen künstlerischen Frage. Herr Klingspor verlas mehrere der Briefe, die sehr ausführlich und nachdrücklich für Aufrechterhaltung der Fraktur eintraten. Er konnte auch den früheren Direktor des Buchgewerbemuseums, Prof. Dr. Kautzsch, in diesem Sinne an führen und bemerkte, daß auch seine eigehe Meinung Wert und Bedeutung beanspruchen dürfe, da er für die Fraktur wie für die Antiqua mehr getan als irgend einer seiner Zuhörer. Er erinnerte daran, daß Albrecht Dürer eine der berühmtesten Frakturschriften entworfen habe, und teilte mit, daß sich in Süddeutschland Ver leger, Künstler und Schriftgießer zur Abwehr der frakturfeindlichen Bestrebungen vereinigt hätten. Die Ausführungen des Herrn Klingspor und seine Berufung auf die ersten Künstlernamen der Gegenwart, welche für die mo derne Schriftentwickelung einen guten Klang haben, fanden besonders unter den anwesenden Fachleuten lebhaftes Interesse, und es wurde deshalb dankbar begrüßt, als sich unmittelbar im Anschluß daran Herr Geheimer Kommerzienrat Büxenstein erhob, um mit einigen Worten den Versammelten den Standpunkt des praktischen Buch druckers zur Antiqua- und Frakturfrage zu entwickeln; er trat hierbei zunächst seinem Vorredner entgegen, dessen Darstellung — unbeschadet der anerkannten künstlerischen Verdienste der Offen bacher Firma — viel zu sehr von ästhetischen Gesichtspunkten ausgegangen sei und die nötige Objektivität vermissen lasse. Auch bei anderen Rednern sei im Interesse eines Erfolges dieser heutigen Besprechung möglichst große Sachlichkeit zu wünschen. Herr cand. phil. Hans Drewes, der nächste Redner, sprach vom germanischen Nationalstolz, um der Sache der Fraktur das Wort zu reden. Es sei eine ganz irrtümliche Vorstellung, daß die Fraktur schrift im Auslande unbeliebt sei und in andern Weltteilen nicht gelesen werden könne. Als Beispiele des Gegenteils verweise er auf die deutschen Zeitungen in Amerika, zumal diejenigen in Porto Alegre und die New Yorker Staatszeitung, die seit jeher in Fraktur gedruckt und unter den Deutsch-Amerikanern weit verbreitet seien. Hier helfe die deutsche Frakturschrift unmittelbar, den Deutschen im Auslande ihr Deutschtum zu bewahren. Ein Telegramm von Dr. Wil helm Pollauf in Wien, im Namen des dortigen Ausschusses zur Ab wehr des Lateinschrift-Zwanges, diente dem Redner als Zeugnis für die Auffassung der Deutschen Oesterreichs. Einen Beweis für die Kenntnis der Fraktur in breiteren Volksschichten selbst in slavischen Ländern bildeten auch die immer wieder in Fraktur aufgelegten Bibeln der Britischen Bibel-Gesellschaft für Polen und Tschechen. Herr Hermann Smalian war der Meinung, das deutsche Buch gewerbe habe erst dann nötig, der Frage „Fraktur oder Antiqua ?" erneut näher zu treten, wenn nachgewiesen würde, daß durch Ver wendung von Frakturschrift der Absatz deutscher Geistesprodukte im Auslande benachteiligt würde. Professor Heinrich Winkler habe zwar schon vor zehn Jahren geschrieben, daß seiner Ansicht nach die Geistesschätze des deutschen Volkes erst nach Beseitigung der Frakturschrift wirkliches Gemeingut der Kulturwelt werden könnten. Aber um fast dieselbe Zeit hätte die Verlagsbuchhandlung Georg Reimer bei zehn der ersten Gelehrten in außerdeutschen Ländern angefragt, ob sie der Fraktur- oder der Antiquaschrift bei der neu herauszugebenden akademischen Kant-Ausgabe den Vorzug geben würden. Den meisten (sechs) war die Schriftart gleich gültig; drei verlangten Fraktur und nur einer glaubte einen Erfolg versprechen zu können, wenn Antiquaschrift verwendet würde. Der Druck erfolgte dann in Fraktur. Es müsse also sehr vorsichtig an die Beantwortung der heutigen Frage herangetreten werden. Herr Georg Wagner, Maler und Graphiker, unterzog die Zuneigung zur Antiqua und die Abneigung gegen die Fraktur einer eingehen den Würdigung und empfahl denjenigen, welche sich ein gerechtes Urteil bilden wollten, das Studium des Schriftschreibens. Un möglich ließen sich alle Rücksichten auf die künstlerischen Formen der Fraktur durch eine pädagogische Befürwortung der Antiqua beiseite setzen. Im einzelnen wandte sich Redner gegen die Aus führungen des Professors Gurlitt, die er lebhaft bedauerte. Seiner Meinung nach zieme sich für deutsche Wissenschaft auch deutsche Frakturschrift, während romanisches Wissen der lateinischen Zeichen nicht entraten könne. Herr Schriftsteller Paul Westheim hielt beide Schriftarten in ihrer äußeren Unterscheidung nochmals gegeneinander und gab die vielfach ausgeprägte Einförmigkeit der Antiqua zu bedenken. Die leichte Unterscheidbarkeit sei bei der Fraktur ein Hauptvorzug, sie schone die Augen, daher müßten schon augenhygienische Er- W'ägungen für ihre Förderung und Weiterverbreitung sprechen. Herr Jakob Bucher stellte sich der Versammlung als deutscher Bauernsohn vor; schon als solcher würde er ein Zurückdrängen der Fraktur lebhaft beklagen. Sie gebe nach seiner Meinung z. B. die Lautbilder für den Leser viel markanter wieder als die Antiqua. Er erinnerte an alle Lehrer in Oesterreich, deren Eintreten für deutsche Art und Sitte bei etwaigem Fortfall der deutschen Frakturschrift ungemessenen Schaden erleide. Herr Wieynk trat als frakturfreundlicher Schriftkünstler persön lich vor die Oeffentlichkeit und stellte sich auf den Boden klassischer Schreibkunst und Schriftforschung. In kurzem interessantem Rückblick führte Herr Wieynk aus, wie das Schrifttum vom 5. bis 15. Jahrhundert und unter der Vorherrschaft der Humanisten tot gewesen und z. B. jede Entwicklung der Minuskel — im greifbaren Gegensatz zur Folgezeit — kraftlos unterblieben sei. Der zahlreich vertretene Lehrerstand fand in Herrn Rektor Schmitt einen beredten Sprecher. In gefälligen anschaulichen Formen entwickelte der Redner den methodischen Standpunkt der Volks schullehrerschaft, welcher sich mit den angefochtenen Beschlüssen der Reichstagskommission deckt. Die Volksschule müsse in Rück sicht auf erleichterte, einheitliche Erziehung der obligatorischen Einführung der Lateinschrift durchaus das Wort reden; man müsse den Maßstab für diese Parteinahme nicht in den großen Städten, den Zentren der Volksbildung, sondern draußen auf dem flachen Lande suchen, wo mit wesentlich niedrigeren Faktoren zu rechnen sei. Herr Geheimrat Büxenstein begab sich in vorgerückter Stunde zum zweiten Male zur Rednertribüne. Er faßte alles Für und Wider der Gründe und Gegengründe der stundenlangen Diskussion zu sammen und wog es gegeneinander vor der Zuhörerschaft ab, die die sachliche Darstellung mit außerordentlichem Beifall anerkannte. Das ästhetische Bild müsse man in beiden Schriften — in Antiqua und Fraktur — suchen, meinte Geheimrat Büxenstein, und man könne es bei beiden finden; die allzu eifrigen Lobredner der Fraktur erinnerte er beispielsweise an die Schönheit vieler Mediaeval- und Elzevirschriften. Vom wirtschaftlichen Standpunkt habe der Buch drucker zu bedenken, daß der Satzpreis der Antiqua bis zu 10 v. H. höher sei als der der Fraktur, und daß die starke Vermehrung der Schriftarten durch die Schriftgießereien es sehr erschwere, allen Wünschen der Verleger und des Publikums gerecht zu werden. Gegen die beabsichtigte Vorherrschaft der Antiqua in den ersten Schuljahren müsse er Widerspruch erheben. Den Kindern sei aller dings, auch ohne Fortfall der Fraktur, mehr Erholung und Spiel zu gönnen. In verbindlicher Form wandte sich Redner an den Be richterstatter der Reichstagskommission, Herrn Professor Stengel, und sprach die Hoffnung aus, daß der heutige Meinungsaustausch nicht ohne Wirkung auf das weitere Verhalten des Reichstags und seiner Kommission bleiben möge. Er fasse alle seine Wünsche in dieser Schriftenfrage dahin zusammen: man übereile nichts mit der Streitfrage und lasse es mit Fraktur und Antiqua beim Alten. Die Ausführungen des letzten Redners Herrn Lehrers Schultz litten unter der Unruhe im Saale erhebliche Einbuße, und die Wieder holung einzelner Beweisgründe für die Zweckmäßigkeit der Antiqua und ihre Lesbarkeit fand bei der ermüdeten Hörerschaft nicht mehr die verdiente. Würdigung. Fa Vom Vorstand der Berliner Typographischen Gesellschaft richtete