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Londoner Brief Eigenbericht unseres Londoner Korrespondenten London, im Januar 1911 Das Weihnachts- und Neujahrsgeschäft war trotz der Wahlen für das Parlament, von denen man befürchtete, daß sie die Laden umsätze sehr verringern würden, recht gut für das gesamte Papierfach, und bereits erscheinen die ersten Muster für die Frühjahrs- und Sommerzeit. Gilt es doch von dem Goldregen, welcher sich im laufenden Jahre über London ergießen wird, einen Teil zu erhaschen. Die Themsestadt wird nämlich in den Sommermonaten drei great attractions besitzen: die Königs krönung, die Krönungsausstellung in Shepherd’s Bush und die Ausstellung der englischen Kolonien im Kristallpalast und auf dessen ungeheurem Gebiet. Schon sind die Luxuskabinen und die Schiffsräume erster Klasse der ,,Windhunde des atlantischen Weltmeeres” belegt, aber auch Industrielle aller Völker werden kommen, um hauptsächlich die koloniale Ausstellung zu be sichtigen, denn noch niemals vorher hat man die Erzeugnisse aller englischen Kolonien auf einem Punkt vereinigt gesehen. Luter anderem wird Kanada, das Wunderland, elektrisch be triebene Papierfabriken vorführen, und auch andere Kolonien werden sehr viel Anregendes oder Lehrreiches aus dem Papier fach ausstellen, über das wir eingehend berichten werden. Wer London nicht kennt, glaubt gewöhnlich, daß die Kauf läden hier ziemlich groß sind, aber dagegen spricht die Bauart der alten Häuser, welche nur zwei, äußerst selten drei Fenster breit sind. Da nun der ziemlich schmale Privateingang des Hauses und die Ladentür Platz fortnehmen, kann das Schau fenster der Papierläden nicht'sehr groß sein und wird deshalb mit allem möglichen, was zum Papier- und Schreibwarenfach gehört, gewöhnlich ziemlich kunstlos vollgepfropft. Da die Scheiben des Schaufensters meist noch nach alter Art mehrfach geteilt sind, macht eine solche Auslage keinen sehr erhebenden Eindruck. Dies verhindert nicht, daß es den Tausenden von Besitzern solcher kleiner Papierhandlungen sehr gut geht, be sonders wenn sie nebenbei Spielwaren für Kinder und Zucker werk führen. Sehr viele sind auch Zeitungs- und Zeitschriften- Verkäufer. Außerdem bestehen einige sehr bedeutende Handlungen von Papier- und Schreibwaren, welche ganze mehrstöckige, breite Häuser einnehmen. Die Besitzer sind meist geldkräftige Gesellschaften mit beschränkter Haftung, welche über das ge waltige Gebiet Londons zerstreute Läden besitzen, und einige erzeugen ihr Papier sowie verschiedene Waren daraus selbst. Beinahe alle diese Handlungen bezeichnen sich mit Riesenbuch staben als Cheap Stationery (billige Papierhandlung), aber man kauft in Wirklichkeit dort im kleinen nicht billiger als anderswo, sie gewähren jedoch bei größeren Bestellungen einen ziemlich ansehnlichen Nachlaß auf die Ladenpreise. Im Herzen Londons, der City und dem vornehmen West- end, findet man große Luxuspapierhandlungen mit Preisen, welche nur für große Geldtaschen eingerichtet sind. Schon ohne die kunstreich von besonderen Dekorateuren behandelten Schau fenster fallen diese Läden durch einen reich betreßten Pförtner und fein uniformierte Laufburschen auf, während die Verkäufe rinnen gleichmäßig in schwarzem Seidenstoff mit weißen Spitzen kragen gekleidet sind. Für diese Läden ist die eigentliche Ge schäftszeit von drei bis fünf nachmittags, in der Herrschaften im Auto und in der Victoria vorfahren,' sich sehr oft eine Menge Waren vorlegen lassen und — nichts kaufen, eine besonders bei Damen in England sehr beliebte Mode. Dafür kommt der Auftrag häufig später durch den Fernsprecher. Wollen die Besitzer dieser glänzenden Verkaufsräume bestehen, so müssen sie fort während auf Neuheiten sinnen oder solche von erfinderischen Köpfen für teures Geld kaufen. Das neueste in Briefpapier ist das „teuflische”. In der linken Ecke auf der ersten Seite des Bogens befindet sich ein sehr künstlerisch behandelter roter Teufel oder eine Gesellschaft von solchen in meist sehr spaßhaften Stellungen. Die volle Adresse, welche in der rechten Ecke nie fehlt, ist in deutscher Schrift — in England eine Neuheit, — rot gedruckt. Früher war starkes ,,Elfenbein”-Papier beliebt, jetzt ist es ein sehr dünner, aber fester sahnenfarbiger Stoff. „Krönungspapier” steht in diesem Jahre mit an erster Stelle und nimmt die verschiedenartigsten Formen an. König, Königin und der jugendliche Kronprinz sind in Medaillon-Brust bildern oder in ganzer Figur in Gruppen vereinigt und mit patrio tischen Sinnbildern umgeben. Auch das rein „patriotische” Papier mit den Wahrzeichen Englands, Schottlands und Irlands in je einer Ecke des Briefbogens spielt eine bedeutende Rolle, es zeigt in der vierten Ecke das Miniaturbild des Königs oder das Doppelbild des Herrscherpaares, wohl auch das V. R. I. (Vivat Rex Imperator). Trauerpapiere aller Art zeigen keinen breiten schwarzen Rand mehr, sondern nur einen ganz schmalen, manches Mal von einem noch schmäleren eingefaßt, was hübscher und weniger aufdringlich erscheint. Für Halbtrauer erhalten diese Ränder violette Farbe. Großes Geschäft wird auf den britischen Inseln mit kunstvoll ausgestaltenen Karten für die Speisenfolge gemacht, die sogar beim abendlichen Familienessen, das in festlicher Kleidung eingenommen wird, auch wenn keine Einladungen dazu ergangen sind, nicht fehlen. „Der beste Freund des Menschen”, das Sinnbild der Treue, der Hund, dient sehr oft als Schmuck dieser Karten, und alle Hundearten vom japanischen Zwerghund bis zur riesenhaften deutschen Dogge sind dabei vertreten, teilweise in ganzer Figur, teilweise nur der Kopf. Zeichnung und Farbengebung sind höchst vollendet. Den Hund ersetzt auf diesen Karten oft das in England sehr beliebte Pferd, und man sieht darunter Abbil dungen berühmter Renner. Auch fehlt es nicht an Bildern von Fuchsjagden, Hindernisrennen und dergl. Für Jagdmahlzeiten sind die Speisenfolgen entweder mit Jagdszenen oder mit in England jagdbaren Tieren geschmückt. Das neueste ist, die Tiere erhaben und Vögel teilweise aus Federn darzustellen. Auch die Komik findet auf diesen Karten ihr Recht, besonders durch Darstellung von Tieren in Menschengestalt und von Gruppen holländischer Kinder beiderlei Geschlechts in ihrer Landestracht. Erst seit wenigen Tagen sind Speisenfolgen auf dem Markt, mit humorvollen Bildern aller Art in Silhouettenmanier schwarz auf weißem oder pastellfarbigem Papier gedruckt. An den vornehmen Konditorwaren-Geschäften (confectioners) des Londoner Westends haben die Fabrikanten von Luxus papier und hochfeinen Kartonnagen eine vorzügliche Kund schaft, denn ihr Bedarf darin ist sehr bedeutend. Das meiste wird auf Bestellung angefertigt. Die Schaufenster der „Con fectioners” werden alle acht Tage frisch ausgestattet, meist nur in zwei, seltener in drei eigenartigen Farben, während im Innern des Ladens die Warenpackungen in denselben Farben gehalten sind. In einem so geschmückten Schaufenster wird verhältnis mäßig wenig vorgeführt. Ueberhaupt hassen alle größeren Geschäfte Londons die Ueberladung der Auslage. Da stehen z. B. auf weiß und grün ausgelegten Estraden grün und weiß geschmückte Bonbonnieren mit bunten Bildern darauf. Um schlungen sind sie von weißen oder grünen Bändern. Daneben stehen in weißen oder grünen Glas- oder Porzellanschalen kunst reich angeordnet Bonbons, Schokoladen usw., welche in grünem und weißem Papier eingewickelt sind, kleine Kuchen aller Art liegen auf weiß-grünen Papiertellern, und die weißen mit Schlagsahne angefüllten Glastöpfchen stehen auf Gondeln aus grünem Papier, welche mit kleinen weißen Blumen geschmückt sind, oder das Sahnentöpfchen bildet den Mittelpunkt einer weißen Blume (Chrysantheme, Sternblume oder dergl.). Der Vordergrund ist mit grüner und weißer Papierwolle ange füllt, während Körbe aus grünem und weißem Rohr von der Decke herabhängen und mit weißen Blüten und grünem Blatt werk aus Papier beladen sind. In Töpfen mit weiß-grüner Papier umhüllung stehen aus Papier hergestellte Topfgewächse mit weißen Blüten. Drei Farben wirken nicht so gut, denn sie machen die Auslage zu bunt und beunruhigen das Auge. F. Sch.