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1072 PAPIER-ZEITUNG Nr. 29 Aussprache bringen, sodaß jedes Für und Wider eingehend er wogen wird. Vielleicht finden sich dann Fabriken, die die nötigen Betriebsversuche unter entsprechender Kontrolle durch führen wollen; erst auf Grund solcher im Betriebe gewonnener Angaben und Erfahrungen wird ein abschließendes Urteil gefällt werden können.. Für die Papierstoff-Erzeugung bei dem heutigen Stande der Industrie kommen eigentlich nur zwei verflüssigte Gase in Betracht, nämlich das flüssige Chlor für die Papierstoff bleiche und die flüssige schwefelige Säure für die Bereitung der Bisulfitlaugen in der Zellstoffindustrie. 1. Flüssiges Chlor a) Gasbleiche Für dieses bietet sich die naheliegendste Verwendung bei der Gasbleiche der Lumpen, wie dies schon einmal ausgesprochen wurde’). Es gibt heute noch Feinpapierfabriken, die für be stimmte Lumpensorten immer noch die Gasbleiche verwenden, der sie — ob mit Recht oder Unrecht, bleibe dahingestellt — vor der Chlorkalkbleiche den Vorzug geben:). Ich kenne Fabriken, die sich das Chlorgas für die Gasbleiche heute noch im eigenen Betriebe, allerdings mit großen Verlusten, unter starker Geruchsbelästigung und oft schwerer Schädigung des Personales, aus Braunstein und Salzsäure selbst herstellen. Diese Fabriken sollten statt dessen flüssiges Chlor verwenden. Die Vorteile sind klar. Die verwickelte Anlage der dampfgeheizten Steinguttöpfe, die trotz aller Vorsicht häufig springen, zer schlagen oder undicht werden, deren Deckel bei plötzlicher Gasentwicklung gehoben werden, und die so zu häufigen, reich lichen Gasverlusten Anlaß geben, entfällt; statt dessen wird die Chlorbombe an die Leitung zu den Bleichkammern angeschlossen und daraus die jeweils nötige Gasmenge ohne Ueberschuß und ohne Verlust entnommen. Dabei hat man ganz reines Gas. Bei Chlorentwicklung aus Braunstein und Salzsäure muß dagegen besonders gegen Ende der Entwicklung stark erwärmt werden, wodurch die Gefahr entsteht, daß saure Dämpfe entwickelt werden, die das Bleicbgut schädigen. Um raschere und stärkere Bleichwirkung zu erzielen und zur möglichst vollständigen Ausnutzung des Chlorgases kann eine Einrichtung für kontinuierliche Bleichung derart getroffen werden, daß man z. B. einen langsamen Chlorstrom durch eine Reihe hintereinander geschalteter Kammern streichen läßt, so daß das Chlor zuerst mit dem fast ausgebleichten, zuletzt mit dem ungebleichten Stoff zusammentrifft. Oder man arbeitet mit einem Bleichturm für Gasbleiche, wie er von Kellner als Ersatz für Chlorkalkbleiche vorgeschlagen wird. 3 ) Ein solcher Turm gestattet kontinuierlichen Bleichbetrieb, bei dem das Bleichgut als Stoffbrei den Turm von oben nach unten langsam durchfließt, also nicht erst abgepreßt werden muß. Bezüglich der Kostenfrage ist folgendes in Rechnung zu ziehen. Aus Braunstein und Salzsäure entwickelt sich Chlor nach der Gleichung I. MnO, + 4HCI = MnCl, + Ch 4- 2H,O dies ist nach Gewichten II. 122 MnO, + 205 HCl = 1ooCla also braucht man, um 100 kg Chlorgas zu erzielen, theoretisch 122 kg Braunstein und 205 kg looprozentige Salzsäure. Da die handelsübliche Ware nicht reines MnO, und nicht 100 v. H. HCl enthält, benötigt man mehr. Von dem mit Salzsäure zu geführten Chlor werden theoretisch 50 v. H. als Bleichchlor verwertet; in der Praxis lassen sich aber infolge der Rück stände von Salzsäure in der Lauge und der unvollkommenen Ausnutzung von Braunstein nur 30 bis 40 v. H. des in der Salz säure zugeführten Chlors als Bleichchlor ausnutzen. Nun treten noch ziemlich häufig Verluste von Chlorgas ein, ferner sind die Anschaffungskosten der Einrichtung, die Kosten für Dampf, Be dienung usw. in Rechnung zu ziehen. All dies fällt bei flüssigem Chlor weg; die Chlorbombe wird an die Leitung zur Bleichanlage angeschlossen, und nach ') Bleichen mit flüssigem Chlor, W. f. P. 1907, 13,963. Severin und Nachschrift von Kl. 2) Trotzdem mit der Gasbleiche viel größere Stoffverluste verbunden sind als mit anderen Bleichverfahren. Aber manche Lumpen, z. B. grobe Leinenlumpen, die viel schwer ausbleich bare Schaben enthalten, sollen mit Gasbleiche besser und reiner ausbleichbar sein. Auch für Strohstoffbleiche wird häufig noch eine leichte Gasbleiche jeder anderen vorgezogen. A. d. V. 3) DRP Nr. 65670 (Kl. 55c, 1) vom 5. Februar 1892. Nach den Angaben der Patentschrift werden mit diesem Verfahren bessere Ergebnisse als mit Chlorkalkbleiche erzielt und die Fasern weniger angegriffen. Oeffnen des Ventils erhält man einen gleichmäßigen Strom reinen Chlorgases, bei dem keine Störungen und Verluste zu befürchten sind. Es ist fast keine Bedienung erforderlich, es bleiben keine Rückstände, und es ist ein präzises, reinliches Arbeiten ermöglicht. Diese Vorteile dürften selbst Mehrkosten bis zu gewisser Höhe wett machen. b) Bleiche im Holländer Viel schwieriger ist die Frage der Verwendung flüssigen Chlores als Ersatz der Chlorkalkbleiche, also der Bleiche im Holländer. Es handelt sich dabei vor allem um eine geeignete Art, das Chlor dem Bleichgut zuzuführen, also einen geeigneten Ueberträger für das Chlor zu finden. Der nächstliegende und ein gewiß gangbarer Weg ist ja der, Chlorgas in Alkalilösungen oder Kalkmilch einzuleiten, und auf diese Art Hypochloritlösungen herzustellen. Allerdings muß dieser Vorgang unter beständiger Ueberwachung gehalten werden, um unerwünschte Nebenreaktionen, wie die Bildung von Chloraten, die einen Verlust an Bleichchlor zur Folge hätte, zu verhindern oder möglichst einzuschränken. Die Reaktion mit Alkali vollzieht sich nach der Gleichung: III. 2KOH--2Cl=KCI+KOCl-H,O Bei starker Temperaturerhöhung 1 2 ) und besonders bei Ueber schuß von Chlor bleibt es aber nicht bei dieser Umsetzung, sondern es tritt weiter eine Chloratbildung auf nach Gleichung: IV. 3KOC1=2KC1+KC1O, Im Chlorat ist aber das Chlor nicht mehr als Bleichchlor wirk sam, geht also verloren. Inwieweit eine solche Verwertung des flüssigen Chlores in der Praxis lohnend erscheint, ist noch nicht klargestellt, trotz dem die Frage wiederholt in der Oeffentlichkeit behandelt wurde?) Ein Vorteil gegenüber Chlorkalklaugen besteht sicher darin, daß z. B durch Einleiten von Chlorgas in Kalkmilch reine, schlammfreie Laugen hergestellt werden können, sowie darin, daß das unangenehme Arbeiten mit trockenem, staubendem Chlorkalk vermieden wird. Ich halte jedoch diesen Weg nicht für Erfolg verheißend, aber aus einem anderen Grunde. Das flüssige Chlor enthält 100 v. H. wirksames Chlor, die auch voll bezahlt werden müssen. Bei der Hypochloritbildung gehen aber hiervon infolge der nebenher verlaufenden Chloridbildung 50 v. H. Chlor für die Bleichwirkung glatt verloren (Gleichung III); dadurch wird das Verfahren zu teuer, also unlohnend. Ich glaube vielmehr, daß die Lösung dieser Aufgabe im Auffinden eines geeigneten Lösungsmittels für Chlor besteht, das möglichst viel Chlor ge löst aufnimmt, es aber auch wieder als Bleichchlor abgibt. Ein solches Mittel ist das Wasser (Tabelle 1). Tabelle 1: 1 1 Wasser löst bei 760 mm Druck bei 15° rund 2,37 1 Chlor = rund 7 g Chlor „ 20° „ 2,16 I „ = „ 6,2 g „ »25» „ 1,95 1 » = » 5,5 g » Rechnet man mit 7 v. H. Stoffeintrag im Bleichholländer, so ergibt sich für 100 kg Stoff eine Menge von 1400 1 Wasser, die bei 15° C und 760 mm Druck 0,979 kg, also rund 1 kg Chlorgas zu lösen vermögen. Rechnet man z. B. mit einem Bleichbedarf von etwa 10 v. H. Chlorkalk oder 3—4 v. H. Bleichchlor, so wäre also die 3—4 fache Menge Wasser erforderlich, um die nötige Menge Bleichchlor zuzuführen oder — und das halte ich für einen gangbaren Weg — indem man das Wasser wiederholt dem Bleichgut zuführt, nachdem es vorher immer wieder mit Chlorgas angereichert wurde; ein zweiter Weg wäre das Hinter einanderschalten einer Anzahl Holländer, durch die man ge sättigte Chlorlösung derart strömen läßt, daß die frische Lösung zuerst mit dem in der Bleichung am weitesten vorgeschrittenen Stoff zusammengebracht wird. Endlich wäre zu erwägen, ob >) Im Bleichholländer ist nach Schwalbe eine Chloratbildung bei Temperaturerhöhung nicht zu befürchten, da diese langsamer verläuft als die Bleichwirkung. P.-Z. 07, 79, 3464. In obigem Falle wird jedoch die Chloratbildung durch Chlorüberschuß be schleunigt. 2) Ich verweise hier auf die Ausführungen Herrn W. Schacht’s bei der Aufstellung der Preisfrage über die Verwendung des flüssigen Chlores in unserer Hauptversammlung im Jahre 1906, sowie auf die anschließende Aussprache (Jahresbericht d. Ver. d. Zellst, u. Pap.-Chem. 1906); ferner auf die Publikation von Ebert und Nußbaum über dieses Gebiet, P.-F. 1907, S. 174 usw. Ziffernmäßig mitgeteilte, in der Praxis gefundene Ergebnisse hierüber konnte ich in der Fachliteratur der letzten Jahre nicht ermitteln.