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Tagtäglich gehen zahlreiche Bestellungen auf den „Buch-Roman" ein. Orlginalprobcseitc. Er war abgeseffen, die Schwadron hatte sich geordnet. Noch fehlten die letzten Fernpatrouillen, aber im allgemeinen ließ sich schon jetzt übersehen, daß die Schwadron Heidingsfeld mit verhältnismäßig geringen Opfern an Menschenleben durch die heißen Tage gekommen war. „In meinem Zug ist Dragoner Ruperti tot, zweie nur blessiert," meldete der kurz Vorm Ausmarsch zum Offizier be förderte Leutnant Wilding. „Aber die Gäule, Herr Graf, die armen, armen Gäule!" „Lassen Sie gut sein! Die Schonpserde wollen nichts sagen. Das war damals, ehe Sie auf Kriegsschule kamen, wo in der Schwadron zu allererst die Pferde kamen und dann erst der Mann. Brachte der Vesichtigungszauber so mit sich. Im Kriege kommt's nur auf unsre braven Reiter an. Ruperti soll ein ehrenvolles Soldatengrab haben, und die beiden Ver wundeten — das Wort „blessiert" wollen wir in Zukunft hübsch verdeutschen, lieber Freund! — hab' ich in sichrer Obhut bei einer Oberin vom Roten Kreuz in Micheroux gesehen, als ich von meinem ersten Besuch in dieser weiland uneinnehmbaren Festung zurückkam. Aber sei's ein glückliches Vorzeichen, daß Ihr Zug immer so prächtig abschneidet! Hab' / Sie reiten gesehn und meine Helle Freude dran gehabt, Wil ding! Wenns wahr ist, was ich hörte und gern für gewiß annehme, nämlich, daß Majestät das Eiserne Kreuz von 1813 und 1870 für diesen Krieg erneuert hat — wir sind ja so schnell losgezittert, daß keine Nachricht von daheim uns ein holen kann! — dann wird es nicht lange dauern, und Sie haben's im Knopfloch!" „Llnd Herr Rittmeister doch erstrechtl Dieser tollkühne Ritt ins Herz der Stadt —" Aber Graf Heidingsfeld wehrte ab. „Ach, machen Sie bloß kein Aufhebens davon! Das wäre schön gewesen, wenn . . . aber es hat nicht sollen sein! — Eskadron — Aufsitzen!" 90 Originalprobcscite. Mit klingendem Spiel kam die Fahnenkompanie der 63er. Der jüngste der Kompanieofsiziere schritt hinter den Spiel leuten — als Kompanieführer. Die anderen waren gefallen, ein Leutnant der Reserve und Oberleutnant Baumbach fast zur gleichen Minute. Hauptmann Froenert hatte das seines Kommandeurs beraubte Bataillon sammeln müssen. O, er hatte ihnen kräftig auf die Schultern geschlagen, der Sturm- geselle TOD, der ihnen entgegengebraust war beim letzten Sturmangriff, wo die belgischen Kanonen noch einmal, feuer gelb blitzend, ihre pfeifenden Falset-Töne hatten klingen und ihre Schrapnells nach dem fichtengekleideten Hang hinüber geworfen hatten, der im Sturmstreifen der zweiten Kom panie lag! Und dann noch einmal, als die Fahne der 63er im Morgen winde flog, ein mörderisches Verzweiflungsfeuer von den panzergedeckten, kanonenbespickken Wällen des Angriffsforts selbst! Vis dann auch hier die Artillerie der Hannoveraner, ihr Feuer vorlegend, die todbringenden Schlünde bald zum Schweigen gebracht hatte . . . Lieber hingestreckte Leiber waren sie vorwärtsgestürmt, über Wimmernde, über Röchelnde, die flatternde Fahne in ihrer Mitte, mit blutenden Gesichtern, mit heiserem Hurra. Vor- wärts, immer vorwärts! Hinein in die dunklen Linien des zusammenbrechenden Feindes. Und da hatten die heiseren Kehlen und die ausgepumpten Lungen ihre letzte Kraft hergegeben, und so kam es denn, daß ein Schaudern den entsetzten Gegner gepackt hatte, dieses markige deutsche-! Siegeshurra, daß sie die Flinten hinwarfen und die Hände hoben, daß sie fliehen wollten und nicht vom Flecke konnten, weil ihnen die Glieder gelähmt waren . .. »Matt wie die Fliegen!" hatte Gefreiter Locke gerufen. „Un hab'n egal hier jelegen un 's Laufen uns überlassen! Na, warte! Nu werden wir se mal laufen lernen!" 91 Jede Ltefttung umfaßt 28 solcher Seiten i« klarem, leicht lesbarem Druck auf gutem, kräftigem Papier. Außerdem erscheint eine auf besserem Papier gedruckte Buch-Ausgabe. im Iagdwagen seines Schwagers und von seinem Neffen Maurus begleitet, dem Helmerstädter Bahnhof zufuhr. Schwerlich dachte er, während er scherzend dem Neffen beim Abschied auf die Schulter schlug, daß es das letzte Mal ge wesen sein sollte, daß er in die blauen Augen dieses fröhlichen Knabengesichtes schaute. Wenige Minuten später brauste der Zug in die Station ein, der den Hofmarschall der Neichshaupt- stadt entgegen tragen sollte. Zweites Kapitel. m Friedrichshain und in allen menschenfaffenden Volkssälen an der Peripherie der Reichshauptstadt hielten die Mitglieder der Groß-Berlinischen Arbeiter schaft erregte Volksversammlungen ab, deren Redner sich mit der Kraft ihrer Lungen gegen die „Kriegshetze", die das Land durchdonnerte, wandten. Mit dem Rufe: „Wir wollen keinen Krieg!" wälzte sich die Arbeiterschaft aus den Massenversamm lungen nach dem Inneren der Riesenstadt. Nun — auch die anderen, die nicht zum Zuge dieser Demon strierenden gehörten, wollten ganz gewiß den Krieg nicht. Alle Deutschen konnten dem zustimmen. Aber leider — jeder fühlte es stündlich deutlicher, sollte dem deutschen Volke dieser Krieg unerbittlich aufgedrängt werden. Es wurde ernst. Noch hielt die Ungewißheit die Herzen im Vanne schwerster Sorge. Je weiter die Woche vorschritt, um so schwerer em pfand jeder einzelne ohne Ansehung der Partei, daß dieses lange und bange Schwanken zwischen Sorge und Hoffnung fast zur Unerträglichkeit wurde. Die erregte Phantasie malte sich die kriegerischen Verwickelungen, die die herausfordernde Haltung des Zaren heraufbeschworen hatte, bereits in un geheuerlichen Bildern. Ganz Berlin hatte sich aufgebäumt vie ein sporniertes Riesenpferd ... Als der Hofmarschall Graf Leopold Treffz nach kurzem Auf- rnthalt in Potsdam in das Schloß des Prinzen Karl Ludwig auf der Wilhelmstraße in Berlin übersiedelte, hatte sich die vaterländische Begeisterung des deutschen Volkes allerorten schon derartig verdichtet, daß es allenthalben zu außerordent lichen Kundgebungen kam. Von Stunde zu Stunde nahm der Zustrom des Publikums nach den Linden, wo der Kaiser in mitten seiner politischen und militärischen Führer weilte und ernsten Rat Pflog, zu. Alle, gleichwohl welcher Art und Par tei sie waren, schloffen sich zusammen über allen kleinlichen Hader hinweg in dem Bewußtsein, daß das Schicksal der kom menden Tage die Entscheidung der allen gemeinsamen großen Sache bringen mußte. Am Freitag, den 31. Juli, vermochte Unter den Linden das Schutzmannsaufgebot kaum noch notdürftig den Fuhrwerks verkehr aufrecht zu halten. Leutnant v. Viebahn, Bataillons- Adjutant im Kaiser Alexander-Garde-Grenadierregiment, hatte soebey die Bekanntmachung des Oberkommandierenden in den Marken verlesend, den Kriegszustand proklamiert. Von allen Seiten kamen Tausende und Abertausende, Männer, Frauen und Kinder aller Stände in undurchdringlicher, wandelnder Menschenmauer nach dem Schloßplatz. Ueberall ertönten vaterländische Gesänge, die von brausenden Hochrufen auf Kaiser Wilhelm und das Deutsche Reich unterbrochen wurden. Mit diesem sich vorwärtsschiebenden Menschenstrom er reichte kurz nach 6 Uhr auch Graf Treffz zu Fuß den Platz vor dem Schlöffe. Am Lustgarten hatte die allgemeine be geisternde Erregung jetzt ihren Höhepunkt erreicht. An den Kandelabern in der Mitte des Platzes klommen einzelne hin- auf, die tausendstimmig aufgenommene Hochrufe zu den Fenstern des Schlosses hinaufsandten, und auf einmal wurden Hüte, Mützen und Tücher geschwenkt und an einem der großen Fenster des zweiten Stockes erschien die Gestatt des Kaisers, und ein heiliger Schauer durchzuckte den Aeltsten wie den Jüngsten, ein jeder wußte jetzt: „Der deutsche Kaiser will zu seinem Volke reden!" Und da trat Wilhelm H., während in atemloser Spannung alles emporschaute, auch schon auf den weitbeherrschenden Bal kon des alten Zollernschloffes und mit weithin schallender Stimme sprach er die denkwürdigen Worte: „Eine schwere Stunde ist heute über Deutschland hereingebrochen! Neider überall zwingen uns zu gerechter Verteidigung. Man drückt uns das Schwert in die Hand. Ich hoffe, daß, wenn es nicht in letzter Stunde meinen Bemühungen gelingt, die Gegner zum Einsehen zu bringen und den Frieden zu erhalten, wir das Schwert mit-Gottes Hilfe s o führen werden, daß wir es mit Ehren wieder in die Scheide stecken können! — Enorme Opfer an Gut und Blut würde ein Krieg von uns fordern. Den Gegnern aber würden wir zeigen, was es heißt, Deutsch land zu reizen! Und nun empfehle ich euch Gott! Geht jetzt in die Kirche, kniet nieder vor Gott und bittet ihn um Hilfe für unser braves Heer!" Dreimal wurde die große Ansprache des Kaisers durch jubelnde Zurufe der Menge unterbrochen, und wenn Leopold Treffz auch nicht jedes Wort verstanden hatte, der machtvolle Zauber der kaiserlichen Ansprache teilte sich auch ihm mit. Ernst dankend verbeugte sich der Kaiser nach allen Seiten und zog sich dann in das Innere des Schloßzimmers zurück. Unten aber klang jetzt tausendfach das „Zeil dir im Siegerkranz!" Eine ungeheure Begeisterung warf ihre Wogen über den Platz. So wogte eine Menge, von der der Freiheitsdichter gesagt hatte: „Das Volk steht auf, der Sturm bricht los ..." Nun wußten's alle! Der Kaiser, unser Friedens kaiser, war vom russischen Zaren schmählich betrogen wor den. Der unter Trommelwirbel am Zeughaus proklamierte Kriegszustand war die Antwort darauf. Die Spannung war gewichen, und jetzt machte sich eine Begeisterung geltend, wie sie machtvoller und nachhaltiger kaum gedacht werden konnte. Wohin auch Graf Treffz blickte, überall sah er, wie ihr die Leute, namentlich alte Soldaten und Reservisten, Ausdruck gaben. MitMühe undNot bahnte er sich seinenWeg nach einer der stilleren Nebenstraßen, von wo aus er das Palais des Prin zen Karl Ludwig erreichte. Im Vorzimmer traf er mit dem Flügel-Adjutanten Graf Heidingsfeld zusammen, der die Ritt- meister-Anisorm eines westdeutschen Kavallerie-Regiments trug. „Seine Königliche Hoheit erwartet Sie schon. Er hat gute Nachrichten für Sie. Sie kommen natürlich vom Schlosse?" „Erraten! Eine unvergeßliche Stunde!" Llnd er nahm Veit Weg in das Zimmer, wo der Prinz soeben mit einem Llni- formschneider verhandelte. - s „Deutschland über alles" ist eine zeitgemäße, sehr spannende Lektüre!