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DAPIERVERARBEITUNG E Bu CH GEWERBE f Carl Kempe sen. S. Nr. 71 S. 2755 Einem von Hermann Kempe verfaßten und uns zur Verfügung gestellten schwungvollen Nachruf entnehmen wir folgende Angaben über den Lebensgang des Verstorbenen: Carl Kempe mit seinen reichen Lebenserfolgen ist, wie wir in allen Stufen seiner Entwicklung feststellen können, ureigent lich das Produkt seines ungewöhnlichen Fortbildungsdranges. Die Lebensbedingungen seiner ersten Jahre kamen diesem Drange durchaus nicht entgegen. Er entstammte einer kinder reichen Beamtenfamilie, in welcher er als letzter Sohn am 28. Oktober 1855 in Crossen a. Oder geboren wurde. Der Vater war Gerichtsvollzieher, er kam später nach Frankfurt a. Oder, wo sich nunmehr der größte Teil von Carls Jugend abspielte. Er kam zur vierklassigen Volksschule in Frankfurt. Als er 10 Jahre alt war, starb sein Vater und ließ die Mutter mit schweren Sorgen zurück. Sie behielt die Mädchen zu Hause und sorgte für die Knaben, so gut es ging. Die Last war aber zu groß. Carl kam ins Waisenhaus, und hier wird der Grund gelegt zu seiner wahrhaft tiefen Religiosi tät, hier wird ihm auch die Freude am Lernen ein geflößt. Der Oberlehrer Richter von der Frank furter Mädchenschule, auch mit kinderreicher Familie, stand dieser kleinen, mehr privaten Waisenanstalt der reformierten Gemeinde mit ihren sieben Zöglingen vor. Die kleinen Waisen gehörten mit zu seiner Fa milie, und so kam es, daß Carl mit den Söhnen Richters deren Schulauf gaben machte, den Bil dungsgang einer höheren Schule mehrere Jahre lang durchlief, ohne selbst der Schule anzugehören, mit besonderem Eifer La teinisch und Mathematik betrieb und sich so einen Grundstock von elementarem Wissen aneignete. Mit 141/2 Jahren kam Carl in der Trowitzschen Hofbuch druckerei in Frankfurt a. O. in die Lehre. Die Lehre war schwer, die Arbeit anstrengend. Da der Junge einen Begriff von Lateinisch hatte, kam er bald an bessere Arbeiten. Nach zwei Jahren bekam er mit dem Faktor Streit, und nach Empfang einer tüchtigen Tracht Ohrfeigen lief er davon und verließ Frankfurt mit einem Paß als »Schriftsetzerlehrling«. Nun be gann eine schwere Zeit; erst über mancherlei Not und viele Arbeiten hinweg, die nicht zu seinem Berufe gehörten, kam er in Wittenberg bei einem freier denkenden Prinzipal zur Be endigung seiner Lehrzeit, blieb aber nicht lange dort, sondern wanderte von Stadt zu Stadt, arbeitete in Frankfurt a. M., Berlin, Cassel, Gotha, Hildburghausen, Cöthen, Düsseldorf, Stettin, Breslau, Görlitz und in andern Städten, war dabei ein tüchtiger Setzer geworden, besonders in fremden Sprachen, und war mit 20 Jahren Metteur in Kiel. Damit war ihm der Weg zum Faktor geebnet. In einer Druckerei an der pommerschen Grenze fand er seinen ersten Posten. Die Zeitung war klein, der Betrieb aber gut und lohnend. Dort kam er zur redaktionellen Mit arbeit. Ueber Hamburg, wo er zur Leitung eines großen Ge schäftes berufen wurde, und wo er sich in dessen Interesse mit der englischen Sprache beschäftigen mußte, kam er im Alter von 23 Jahren als Faktor und Redakteur nach Aschersleben. Hier lernte er seine spätere Frau, Clärchen Breitschuk, kennen und lieben. Von Aschersleben kam er nach Hagen, von da nach Fürth. Hier begann er mit Arbeiten für die Fachpresse, zuerst für die Papier-Zeitung. Dadurch wurde sein Name be kannt, und er kam in engere Fühlung mit allgemeineren Fragen der Buchdrucktechnik. Inzwischen nahm er 1881 eine Stellung als Redakteur in Pforzheim an, aber es trieb ihn zur Selb ständigkeit. Der erste Versuch wurde gemacht, eine Druckerei gepachtet, jedoch bald zurückgegeben, denn das Geschäft war heruntergebracht und trotz zäher Arbeit und Verlust der ge machten Ersparnisse nicht zu halten. In Gummersbach legte dann Carl Kempe in Gemeinschaft mit seiner Frau den Grundstock zum späteren Geschäft. Er hatte ein Ladengeschäft in Verbindung mit seinem Verleger er öffnet, das von seiner Frau versehen wurde. Das Geschäft ging gut und warf schönen Verdienst ab. Durch die Fachpresse auf so manches Bedürfnis zur Arbeitserleichterung aufmerksam ge macht, kamen beide zu einem lebhaften Verkauf gestrichener Papiere für lithographische Zwecke, später auch zur Herstellung von Stereotypie-Matrizentafeln. Er hatte die grundlegende An regung zur Verbesserung des damaligen Verfahrens der Stereo typie in einem Düsseldorfer Betriebe (wahrscheinlich Schwann) erhalten, in welchem er während seiner Wanderjahre längere Zeit tätig war. In Gummersbach stellte er erst mit seiner Frau, später mit Arbeitsmädchen, kaschierte Matrizentafeln aus Kupfer druck- und Seidenpapier her, zu denen er einen plastischen, vom Bekannten abweichenden Kleisterstoff verwandte. Da durch, daß er vom Kochen dieses Kleisters absah, machte er diese Technik lebensfähig. Am 7. Januar 1883 wurde von ihm das erste Patent auf einen neuen kombinierten Stereotypie-Apparat angemeldet, der zu gleich als Abziehpresse dienen sollte. Das Patent wurde erteilt, der Apparat gebaut und dies erste und einzige Exemplar an die Kurtz'sche Papierwarenfabrik in Meißen verkauft. Der Apparat gefiel, er hat 14 Jahre gearbeitet und steht heute im Deutschen Museum in München. Noch war die Selbständigkeit mit diesen Erfindungen nicht geschaffen, es folgte noch eine Zeit der Sorgen und Entsagungen. Kempe trat als Reisender in eine Düsseldorfer Papiergroßhand lung ein, wurde bald von da aus von einem Freunde seines früheren Prinzipals angestellt und kam nach Nürnberg, das er nicht mehr verlassen sollte. Eine im Untergang begriffene Zeitung galt es zu retten, und ihrem Dienste hat er noch einige Jahre in aufreibender und doch nutzloser Arbeit gewidmet. Weihnachten 1885 trat er aus dem Geschäft und machte sich selbständig: Neujahr 1886 begründete er ein Geschäft für Stereotypie-Bedarf, für kurze Zeit mit einem Teilhaber, den er im zweiten Jahre der Selbständigkeit auszahlte. Damit stand er auf eigenen Füßen. Im Jahre 1888 gründete er seine eigene Zeitung, den »Graphischen Anzeiger«. Anfangs war das Geschäft auf den Verkauf von Stereotypie- Bedarf beschränkt. Mit der lebhaften Reisetätigkeit ergab sich von selbst eine Ausdehnung der Verkaufsgegenstände auch auf Maschinen und Eisengeräte für die Stereotypie. Viele Jahre hindurch hatte Carl Kempe Fabrikate älterer Firmen für seine Rechnung verkauft. Er mußte sie nehmen, wie sie wären. Da stellte sich mit der Zeit heraus, daß diese Bauarten veraltet und verbesserungsbedürftig waren. Er ging die Fabrikanten an, ihre Modelle nach seinen Vorschlägen zu ändern. Er wurde abgewiesen. Da war sein Entschluß gefaßt: Ich baue selbst. In wenigen Wochen stand die Maschinenfabrik an ihrem Platze, klein erst, den Bedürfnissen entsprechend, dann wachsend und wachsend, schneller, als er je gedacht hatte. In ihm war der Techniker erwacht, der nun mit eigenen Mitteln schaffen konnte und ohne Rücksicht auf Kosten das baute, was er für ersprießlich hielt. Von seinem Widder-Apparat, den er sich 1888 patentieren ließ und der seitdem seinen Namen in alle Weltteile trug, ging er über auf die Verbesserung von Hilfs maschinen und Geräten für die Stereotypie und den Stereotypen druck. Er ist der eifrigste Verfechter der Eisendruck-Unter- lagen für Stereotypien und Autotypien geworden. Das Verdienst Carl Kempes ist es, das Buchdrückgewerbe mit dem Gedanken vertraut gemacht zu haben, sein eigener Klischeefabrikant zu werden. Daß der Rotationsdruck hohen Aufschwung nahm, ist seiner Vereinfachung des Stereotypieverfahrens zuzuschreiben. Carl Kempe hat aber auch der Klischeefabrikation neue Wege gewiesen. Früher war der Maschinenbetrieb zu teuer, denn alles war auf die amerikanischen Maschinen angewiesen. Diese waren für die deutschen Betriebe zu kostspielig. Da schuf Kempe billigere Apparate und Maschinen, die den deutschen Bedürf nissen entsprossen und für sie bestimmt waren, so die »Bulldoggs und den »Kosmos«-Kalander für die Naß-Stereotypie.