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296 PAPIER-ZEITUNG Nr. 8 Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten im Königreich Württemberg für 1907 Schluß zu Nr. 6 Schutzvorrichtungen. Durch Zurückrollen von Holzstämmen beim Verladen wurde ein Arbeiter im Betriebe einer Papier fabrik so schwer getroffen, daß er nach wenigen Tagen seinen Verletzungen erlag. Als besonders bemerkenswerter Unfall möge nachstehender angeführt werden: In der Buchdruckereiabteilung einer Bücher fabrik hat ein Maschinenmeister seine rechte Hand dadurch verloren, daß er, während die Schnellpresse im Gang war, so genannte Spieße im Drucksatz hinunterdrücken wollte. Bei dieser Tätigkeit kam er mit seiner Hand zwischen Walze und Satz. Das gefährliche und verbotswidrige seiner Handlungsweise war dem Verletzten jedenfalls bekannt. Einen Beitrag zur Behandlung der Frage, ob es nicht an gezeigt wäre, Dampfapparate einer strengeren Aufsicht zu unter werfen, liefert die Explosion eines Trockenzylinders, die den Tod eines Arbeiters herbeiführte. Der Fall ereignete sich in einer Kartonnagenfabrik an einer Papierolinmaschine; bei der Explosion eines Trockenzylinders dieser Maschine erhielt der Maschinenführer eine schwere Schädelverletzung durch ein ab gerissenes Mantelstück. Beim Versuch, eine drohende Beschädigung an Maschinen zu verhindern, haben zwei Arbeiter nicht unerhebliche Ver letzungen davongetragen. Einer verlor den Finger an der Etikettenstanze einer Buchbinderei; einem andern wurde der Unterarm gebrochen, als er sich anschickte, Fremdkörper, die zwischen Gurte und Walze eines Transportwerkes gefallen waren, zu beseitigen. In einer Druckerei wollte ein Arbeiter während des Ganges der Schnellpresse einen sog. Spieß in der Druckform nieder drücken, dabei wurde seine Hand von den Auftragwalzen und der Druckform erfaßt und ihm der Arm bis zum Ellenbogen zerquetscht. In einer anderen Druckerei wurde einem jugend lichen Arbeiter ebenfalls die Hand zwischen Form und Farb walze zerquetscht. Offenbar wollte er am Farbduktor Schrauben' stellen, verlor hierbei das Gleichgewicht und suchte, da der von der Berufsgenossenschaft vorgeschriebene Handstab nicht an gebracht war, auf der in Bewegung befindlichen Druckplatte sich zu stützen. Der Handstab wurde nachträglich an der Presse angebracht. In einer Papierwarenfabrik setzte eine an einer Registerschneidmaschine beschäftigte Arbeiterin die mit dem Fuß zu betätigende Einrückvorrichtung aus Versehen in Tätig keit, während sie noch eine Hand unter dem Messer hatte, und es wurde ihr die rechte Hand am Handgelenk vollständig ab geschnitten. In den kleinen und mittleren Buchdruckereien wurde das Interesse der Arbeitgeber hingelenkt auf die Erstellung und Erhaltung der nötigsten allbekannten Schutzvorrichtungen, wie Riemenverwahrungen, Ueberdeckung von Rädern und Zahn stangen an Schnellpressen, Anbringung der vorschriftsmäßigen Handabweiser an Tiegeldruckpressen u. a. m. Die früher an den Papierkalandern vorhandene Gefahr des Erfaßtwerdens der Fingerspitzen durch die Walzen ist durch die Anbringung automatisch wirkender Zuführung des Papiers erheblich vermindert worden. Die Heilbronner Papierfabriken, welche in den letzten Jahren diese Verbesserung an allen Kalandern, an welchen die nachträgliche Anbringung sich er möglichen ließ, durchgeführt haben, haben seitdem Unfälle an den Kalandern nicht mehr zu verzeichnen gehabt. Auch lassen es sich einzelne Unternehmer sehr angelegen sein, ihre Arbeiter zur Benützung der vorhandenen Sicherheits maßnahmen zu erziehen. Besonders verdient hier die Betriebs leitung der Firma C. Scheufeien, Kunstdruckpapierfabrik in Oberlenningen, hervorgehoben zu werden. Hier werden mit dem Arbeiterpersonal in bezug auf die Rettung bei Feuers gefahr regelmäßige Uebungen abgebalten. Um sich von der Wirksamkeit dieser Uebungen zu überzeugen, regte der Ge werbeinspektor in der Hadernsortieranstalt, in der ausschließ lich Arbeiterinnen beschäftigt sind, eine Alarmierung an. Werk führer und Arbeiterinnen waren darauf nicht vorbereitet; aber auf ein kurzes Zeichen des ersteren leerte sich der ganze Saal und in weniger als einer Minute waren 30 Arbeiterinnen auf der Nottreppe im Freien. Gesundheitsschädliche Einflüsse. Ueber einzelne Erkrankungen der Arbeiter in besonders gesundheitsschädlichen Betrieben ist mitzuteilen: In einer Farbenfabrik, wo die Arbeiter mit Blei präparaten in Berührung kommen, kamen bei 56 Arbeitern im ganzen 3 verdächtige Fälle von Bleierkrankungen vor, welche das Versetzen derselben an andere Arbeiten veranlaßten. Eigent lichen Erkrankungen wurde dadurch vorgebeugt. Die Unter suchung der Arbeiter auf Bleikrankheiten wird monatlich zwei mal vorgenommen, und es ist anzunehmen, daß durch diese Vorsichtsmaßregel Fälle von ernstlichen Bleierkrankungen ver mieden worden sind. In einer Buchdruckerei hatte sich ein 30- jähriger Schriftsetzer infolge seiner beruflichen Tätigkeit chronische Bleivergiftung zugezogen. Der Arbeiter war schon im Frühjahr 1906 annähernd 3 Monate lang arbeitsunfähig ge wesen und nach Wiederaufnahme der Arbeit stellten sich im Herbst des gleichen Jahres die früheren Anzeichen der Krank heit wieder ein, sodaß die Ueberweisung desselben an ein Ge nesungsheim der Versicherungsanstalt notwendig wurde. In einer Farbenfabrik, in welcher bleihaltige Farben und Bleiweiß hergestellt werden, kamen im Berichtsjahr 8 Fälle von Er krankungen an Bleikolik vor. Die Mehrzahl der an Bleikolik erkrankten Arbeiter nahm die Beschäftigung in der Fabrik nach ihrer Genesung überhaupt nicht mehr oder nur noch auf kurze Zeit wieder auf. Bedauerlicherweise muß aber auch festgestellt werden, daß gerade bei einer Anzahl größerer Firmen der Papier-Industrie z. T. noch recht ungünstige Verhältnisse in bezug auf Staub absaugung vorliegen. In den meisten derartigen Fällen trägt daran der Umstand Schuld, daß die Firmen Neubauten zu er stellen beabsichtigen und deshalb keine großen Ausgaben für die alten Räume mehr machen wollen; bei einer Firma konnte auch mit Rücksicht auf deren finanzielle Verhältnisse die er betene Terminverlängerung zur Fertigstellung einer Staub absaugungsanlage nicht beanstandet werden. Bei den Papier fabriken (Lumpensortierereien) hat sich der Gewerbeinspektor auch schon vorläufig damit zufrieden gegeben, daß er von den Firmen die Aufstellung eines mit Staubabsaugung versehenen und überhaupt dem heutigen Stand der Technik entsprechend ausgeführten Lumpendreschers gefordert hat, in welchem die Lumpen, ehe sie in den Sortiersaal gelangen, von dem größten Staub und Schmutz gereinigt werden. Als vollständiger Ersatz für eine Staubabsaugungsanlage kann eine derartige Maschine selbstredend nicht angesehen werden. In einer Buchdruckerei hatten die über dem Maschinensaal beschäftigten Schriftsetzer unter den durch die Treppen- und Aufzugsöffnungen aufsteigenden Gasen zu leiden. Die Gewerbe inspektion forderte entweder wirksame künstliche Absaugung der im Gasmotorraum entstehenden Gase oder Ersatz des Gas motors durch eitlen Elektromotor. Da beide Forderungen an fänglich auf Widerstand stießen, wurde vor der oberamtlichen Entscheidung das ärztliche Mitglied der Gewerbeinspektion bei der Nachrevision zugezogen. Das Ergebnis war eine oberamt liche Verfügung, durch welche die Druckerei verpflichtet worden ist, das Eindringen schlechter Dünste in die Arbeitsräume durch einen kräftigen Ventilator zu verhindern. Eine mustergiltig eingerichtete Entstaubungsanlage verdient im Interesse des Arbeiterschutzes auch in ihren technischen Einzelheiten in den weitesten Kreisen bekannt zu werden. Es ist dies die Entstaubungs- und Lüftungseinrichtung in der Hadernsortieranlage der schon mehr erwähnten Ersten deutschen Kunstdruckpapierfabrik Carl Scheufeien in Oberlenningen. Wohl/ahrtseinrichtungen. Die Erbauung von Arbeiterwohn häusern ist durch Private, Genossenschaften, gemeinnützige Ge sellschaften und Gemeinden gefördert worden. Im einzelnen ist hierüber zu berichten: Die Firma Göppinger Papierfabrik von G. Krum hat in Göppingen und Marstetten je ein Arbeiter wohnhaus mit 6 bzw. 4 dreizimmrigen Wohnungen erstellt. Ueber die Einrichtung und Beschaffung von Wasch- und Badeeinrichtungen wird mitgeteilt: Die Kunstdruckpapierfabrik Carl Scheufeien in Oberlenningen hat mit ihrer bestehenden Badeanstalt sehr gute Erfahrungen gemacht, sodaß sie sich ent schlossen hat, dieselbe zu erweitern. Die neue Anlage stand zur Zeit der Berichterstattung noch nicht im Betrieb, sie wird so bemessen, daß den Arbeitern 6 Wannen und 6 Brausen, den Arbeiterinnen 4 Wannen zur Verfügung gestellt werden. Es wird darauf gesehen, daß jede Arbeiterin monatlich mindestens einmal ein Bad nimmt. Der die Liste führende Meister hat die Arbeiter und Arbeiterinnen zum Baden aufzufordern. Die Bäder werden kostenlos abgegeben. In kleinen Buchdruckereien fehlten zum Teil die Spuck näpfe. Vielfach werden solche absichtlich beseitigt oder ver steckt, weil niemand deren Reinigung übernehmen will. Für Wascheinrichtungen war nicht immer hinreichend gesorgt; mehrfach mußte auch das Weißen der Arbeitsräume gefordert werden. Die unter der Arbeiterschaft herrschende Antialkohol bewegung wird seitens der Unternehmer durch die Beschaffung gesunder, alkoholfreier Getränke — Himbeer- und Zitronen limonaden — wesentlich unterstützt. So gibt z. B. die Kunst druckpapierfabrik Carl Scheufeien in Oberlenningen alkoholfreie Getränke zum Selbstkostenpreis an die Arbeiter ab. Die Ein richtung hat sich vorzüglich bewährt. Die Kuvertfabrik von Ernst Mayer in Heilbronn gibt jedem Arbeiter nach 2 bis 3 Jahren Dienstzeit eine Gratifikation von 300 M., welche zur Hälfte ausbezahlt, zur Hälfte bei der Ober amtssparkasse angelegt wird. Dienstjubeljeste. Eine Geschäftsbücherfabrik feierte das Fest ihres 40jährigen Bestehens, wobei zugleich der jetzige Chef und Besitzer und drei Angestellte und Arbeiter ihr 25jähriges und ein Angestellter sein isjähriges Dienstjubiläum mitfeiern konnten. Dem Chef wurde bei dieser Veranlassung von den Arbeitern eine kunstvoll ausgeführte Adresse überreicht. Eine weitere Firma feierte zugleich mit dem 80. Geburtstag ihres Besitzers das Fest des 50jährigen Bestehens mit einem Arbeiterfest.