Suche löschen...
Sächsischer Landes-Anzeiger : 08.04.1888
- Erscheinungsdatum
- 1888-04-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512384622-188804089
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512384622-18880408
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-512384622-18880408
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsischer Landes-Anzeiger
-
Jahr
1888
-
Monat
1888-04
- Tag 1888-04-08
-
Monat
1888-04
-
Jahr
1888
- Titel
- Sächsischer Landes-Anzeiger : 08.04.1888
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die werthen Empfänger dieser TextproSe werden gebeten, solche nach freundlicher Durchsicht in Bekanntenkreisen weiter gebm und Jedermann unsere volksthümlichen Blätter zum Abonnement empfehlen z« wolle«. MWWWWDMWWWWWWMI WWMWMWWWff MWWWWMWWDWWWW MWWWWWWWWWWWWWW» Textprobe aus dem Unterhaltungstheil des Hauptblattes des Siichsischen Landes-Anzeigns. Im unheimlichen Hause. Erzählung von Friedrich Berner. Nachdruck verboten. 1. Kapitel. Am Botschafterweg Nr. 3. „WaS, unseren Rothwein wollen sie nicht trinken, Franz?" rief Herr Bolte, der Hausmeister, mit einem Gesicht, als habe ihm Jemand einen Schlag versetzt. „Nein, sie mögen ihn nicht. Zuerst brachte ich ihnen Bier hinauf, von unserem guten Erlanger; da schüttelten sie die Köpfe und sagten: „Wein, Wein I" Und der Eine, der ein bischen Deutsch spricht, rief mir noch nach: „Bringen Sie uns Kiantel" Er wird wohl Cantenac gemeint haben, was doch auch Rothwein ist." Der Hausmeister lehnte sich gegen den großen Anrichtetisch — die Unterhaltung fand in der Küche statt — und schüttelte stumm sein ergrautes Haupt. „Das wird ja alle Tage schlimmer I" rief die Köchin, eine stämmige, sehr respektabel aue sehende Frau in vorgeschrittenem Alter. „Aber passen Sie auf, Herr Bolte, wir erleben noch viel mehr. Nein, hätte ich geahnt, daß hier im Hause so was passiren würde, ich wäre ja nach dem Tode des Herrn keine Minute länger hier geblieben! Daß der liebe Gott das Alles so ruhig zugiebt! Es ist kaum zu glauben! Passen Sie auf, Herr Bolte, das nimmt kein gutes Ende!" „Nicht doch, so müssen Sie nicht reden, Frau Uhlich," entgcg- nete der Hausmeister begütigend. „Ich gebe ja zu, daß die Sache da oben unsereinem etwas unheimlich Vorkommen muß, aber . . ." „Unheimlich! Na und ob! Sind wir vielleicht alte Egypter? Ich sage Ihnen, seitdem diese schwarzen Italiener hier im Hause herumlaufen, wie die drei Verschwörer, die ich mal in einem so gruseligen Theaterstück gesehen habe, seit der Zeit werde ich die Gänsehaut gar nicht mehr los. Ueberhaupt, die Polizei müßte so etwas gar nicht erlauben!" „Was soll ich den Herren hinaufbringen?" fragte Franz, der Diener, ein großer starkknochiger Kerl in dunkelgrüner Livree mit glattgebürstetem Haar, unruhigen, grauen Augen und dünnen, zu- sammengekniffenrn Lippen. Der Hausmeister strich sich langsam über Mund und Kinn und sagte: „Chianti haben wir nicht, Franz. Ich denke, Sie geben den Herren eine Flasche Chambertin." „Du meine Güte!" rief Frau Uhlich. „Chambertin. Herr Bolte?" fragte Franz. „Jawohl, ich habe meine Ordres von Herrn Doktor Horn. Die Herren sind expreß von Paris hierher gekommen und sollen, so lange sie im Hause sind, alles haben, was sie verlangen." Mit diesen Worten verließ Herr Bolte, gefolgt von dem Diener, die Küche. Frau Uhlich wendete sich jetzt an das ältliche, magere Hausmädchen. „Sie werden sich noch mal meiner Worte erinnern, Marie," sagte sie. „Es ist gegen Gottes Wort und gegen alle Natur, und die bösen Folgen können nicht ausbleiben." „Das ist wohl möglich," brummte das Mädchen. „Aber düsterer und öder, als cs immer gewesen ist, kann'S hier im Hause kaum noch werden." „Vielleicht doch," sagte die Köchin. „Bei mir zu Hause läßt man an allen Fenstern die Vorhänge herunter, wenn Jemand im Hause gestorben ist; hier war das nicht nöthig, weil hier jahraus, jahrein die Vorhänge heruntergelassen und die Fensterladen geschlossen gewesen sind." „Ja, es ist ein altes, finsteres Haus, Marie; aber lassen Sie es gut sein, es hat noch keiner von uns klagen können. Täglich nur eine Mahlzeit — für den seligen Herrn, meine ich; sonst nichts, keine Gesellschaft, kaum mal einen Besuch. Solche Stellen giebt's nicht viel." „Nein," seufzte Marie. „Und jetzt werden wir wohl Alle den Laufpaß bekommen." „Das glaube ich nicht. Wassili meinte, daß der selige Herr Wohl sein ganzes Vermögen und alles Uebrige seinem Großneffen, dem jungen Herrn von Roland, vermacht habe. Na, der wird wohl das Haus frisch anstreichen und neu cinrichten lassen, und dann giebt's auch Gesellschaften, wie es bei anderen Herrschaften Sitte ist. Wer Weiß, vielleicht heirathet der junge Herr auch bald; das hübsche Fräulein Pokorni zum Beispiel." .Das hüvsche Fräulein Pokorni!" brummte Marie kn ihrer verdrossenen Weise. „Hübsch ist sie, wenn die aber unsere Frau werden sollte, dann würden wir etwas verspüren. Ich mag sie nicht leiden. Fräulein von Ruthart ist mir zehnmal lieber. Ich möchte übrigens wohl wissen, wo alle diese Verwandten mit einem Male hergekommen sind. Als der Herr noch lebte, da zeigte sich keine Seele, und kaum ist er todt, da haben wir das ganze Haus voll von Leuten, von denen noch keiner jemals was gehört hat." „Leichengeruch zieht die Raben und Krähen an!" sagte die „Wie können Sie nur so reden, Frau Uhlich!" rief das Mäd chen fröstelnd. „Sie brauchen ja nicht zuzuhören, meine Liebe." „Wie manchmal haben mich alle die schönen Möbel und die Teppiche und die kostbaren Sachen gedauert," fuhr das Mädchen nach einer Weile fort, „die so lange Jahre hindurch kaum einmal ordentlich abgestäubt und gereinigt worden sind. Kein Fenster durfte man öffnen, keinen Laden zurückschlagen. Von jeher ist's gewesen, als ob ein Tvdter im Hause läge. Was das mit dem Herrn wohl gewesen sein muß I Vielleicht hat er früher einmal unglücklich geliebt. Meinen Sie nicht auch, Frau Uhlich?" „Unglücklich geliebt? Unsere Exzellenz? Na hören Sie mal! Wassili hat mir erzählt, daß der Herr General zweimal verheirathet gewesen ist, das erste Mal mit einer verwittweten russischen Fürstin und das zweite Mal mit einer jungen Gräfin, und jede hat ihm ein schweres Vermögen hinterlassen. Da kommt ja Herr Wassili Petro- witsch." Die Thüre hatte sich geöffnet und ein hochgewachsener, alter Mann mit dunklem, runzligen: Antlitz, von welchem dicke, schneeweiße Augenbrauen und ein struppiger, weißer, voller Bart scharf abstachen, war in die Küche getreten. Er trug einen langen, enganschließenden tscherkessischen Kaftan von dunkelblauem Stoff, der bis unter die Knie hinabreichte und über dem hageren Leibe durch eine breite, Weiße Binde zusammengehalten wurde. Seine Füße steckten in dunklen, weichsohligen Juchtenstiefeln, über welche schwarze Pluderhosen bis zur halben Wade herabfielen. In den Ohren glänzten breite goldene Er näherte sich den Frauen mit geräuschlosem Tritt, grüßte beide mit einer Bewegung seiner braunen, fleischlosen, mit dicken Adern Übersponnencn Hände und fragte dann die Köchin: »Ist Herr Bolte nicht hier?" „Augenblicklich nicht, Herr Wassili," entgegnete Frau Uhlich. „Aber nehmen Sie ein wenig Platz, er muß sogleich erscheinen. Setzen Sie sich doch, Sie sehen recht angegriffen aus. Ja, ja, das ist wohl auch kein Wunder." Der Tscherkefse schüttelte den kahlen Kopf und stellte sich vor das breite, auf den Hof hinausgehende Fenster. Gleich darauf kam der Hausmeister zurück; Wassili wendete sich schnell um, ging auf ihn zu und legte ihm die Hand auf den Arm. „Stille, stille, mein lieber Herr Wassili Petrowitsch," sagte Herr Bolte sanft und beschwichtigend. „Es hilft alles nichts; wir müssen gefaßt sein und die Ohren steif halten. Es ist das LooS, welches uns Alle erwartet." „Ich weiß, ich weiß," antwortete der Andere mit unterdrückter Aufregung. „Allein das, was da oben geschieht, ist das . . . ist das recht?" Der Hausmeister schwieg einen Augenblick. „Je nun, Wassili Petrowisch, es ist recht und es ist auch nicht recht, wie man's nehmen will. Des Herrn Generals Exzellenz Habens befohlen, mithin ist's recht. Die Ordre lag in seinem Pult, ein großer Brief mit der Aufschrift: „Instruktion für meinen Testa mentsvollstrecker." Herr Justizrath vr. Horn ließ mich das lesen, Wassili; ich bin der älteste Diener im Hause des seligen Herrn." „Ja, ja, er hat mir es auch gezeigt," nickte der Tscherkefse. „Nun, da haben Sie's!" fuhr der Hausmeister fort. „Soweit also ist's recht. Aber, soweit es unser Gefühl betrifft, ist's aller dings auch wieder nicht recht . . . denn es ist kein ehrliches, christ liches Begräbniß." „Nein, nein," rief der alte Tscherkefse mit erhobenen Händen und niedergebeugtem Kopfe — die Stimme ging ihm wie ein heiseres Gekreisch aus der Kehle — „kein christliches Begräbniß ... das ist's, Herr Bolte . . . und auch kein Soldatenbegräbniß . . . o, heilige Gottesmutter! Keine umflorte Fahne, kein Trommelwirbel, kein Trauermarsch, kein Kanonenschuß für meinen großen Generali . . . . Und ich lebe noch!" Er schlug die Hände vor das Gesicht, kauerte vor dem bestürzten Hausmeister nieder und brach in ein winselndes Weinen aus. Die beiden Frauen halten der Scene ganz erstaunt zugeschaut; bei dem lauten Gejanimer des alten Tscherkessen aber verloren auch sie ihre Fassung, und schluchzend suchten sie ihre Taschentücher hervor, während der Hausmeister seine Nase schnaubte und wiederholt hustete. Endlich legte er dem Weinenden die Hand auf die Schulter. „Stille, stille, Wassili Petrowitsch," sagte er liebevoll. „Seien Sie ein Mann! Stehen Sie auf, geben Sie mir Ihre Hand! Fünf zehn Jahre lang sind wir Kameraden hier im Hause, Freunde kann man sagen, wenn wir auch manchmal nicht übereinstimmten. Das aber lag in der Natur der Sache, in der Verschiedenheit unserer Herkunft. Solch ein Trauerfall aber bringt alle Menschen zusammen, Eingeborene und Fremde, alle! Wir haben einen guten Herrn ver loren, Gott gebe ihm die ewige Ruhe. Glauben Sie mir, es ist mir ebenso nahe gegangen, wie Ihnen." Der Tscherkefse sah den Andern einige Augenblicke stumm an, dann nahm er dessen ausgestreckie Hand in seine beiden, schüttelte sie und ging geräuschlos der Thüre zu. „Wollen Sie nicht eine kleine Herzstärkung zu sich nehmen, Wassili?" rief der Hausmeister ihm nach. Wassili Petrowitsch schüttelte den kahlen Schädel, schloß die Thür hinter sich, ging einen langen Gang hinab, erstieg dann eine breite Treppe, öffnete eine Glasthür und befand sich nun in einem hohen, geräumigen Vestibül, welche schachbrettartig mit schwarzen und weißen Marmorfliesen auSgelegt war und an dessen Pilastergeschmückten Wänden eine große Anzahl von Bildwerken stand, wie riesige Schach figuren, die auf de» Beginn der Partie warteten. Bei dem matten TageSschimmer, der durch die fächerförmigen, mit Glasmalereien bedeckten Oberlichtfenster der großen Flügelthür in das Vestibül fiel, erkannte man in den Bildwerken, die theils in schwarzer Bronze, theils in weißem Marmor ausgeführten Statuen griechischer Heroen und Götter. In den Ecken standen groteske, asiatische Eisenrüstungen, Figuren mit kegelförmigen tscherkessischen Helmen, in Kettenpanzern und reichen, bunten Untergewändcrn; in den Feldern der getäfelten Wände funkelten Waffentrophäen aus den kaspischen Ländern, aus Persien und Kleinasien. Lange, geflammte Dolche, krumme Scimitars, Speere mit blutdürstigen, gezähnten Spitzen, schwerfällige Fcucrsteinpistolen mit silbernen Läufen, Schwerter mit vollständig gefingerten Eiscnhandschuhen als Griffen, runde Stahl schilde, Bogen und Pfeile umgaben das lebensgroße Oelbild eines Offiziers in russischer Generalsuniform, eines schönen, kühnblickenden Mannes in der Blüthe der Kraft; er hielt den mit dem Federbusch geschmückten Helm im Arm und seine Brust zierten kostbare Orden von seltsamer, ausländischer Pracht. Der alte Tscherkefse stand in dieser Umgebung, als sei er selber eine Statue, den Blick auf das Bild des Generals gerichtet. Da öffnete sich im Hintergrund des Vestibüls die hohe, eichengeschnitzte Thür des Speisezimmers, und drei Gestalten kamen heraus, Männer mit gelblich bleichen Gesichtern, kurzgeschorenen, schwarzen Haaren und starken, schwarzen Schnurrbärten; sie waren gleichmäßig schwarz gekleidet und trugen niedere, umgcschlagene Halskragen und schwarze Binden. Die allenthalben liegenden Teppiche machten ihre Schritte uuhörbar, und so schienen sie, einer hinter dem andern, die ins obere Geschoß führende Treppe thatsächlich hinaufzuschweben. Es lag etwas seltsam Unheimliches in der lautlosen Prozession dieser drei Männer, wie sie die in weitem Bogen den oberen Thcil des Vestibüls halb umkreisende Treppe erstiegen, und, ans der Etage angelangt, den weiten, halb dunklen Korridor entlangschritten, bis hinunter zur letzten Thür im Giebel des Hauses, wo durch ein düster bemaltes Bogenfenster ein gespenstisches Licht auf ein am Boden ausgebreitetcs Löwcnfell fiel. Vor dieser Thür stand der erste der drei Männer still und wartete, bis seine Begleiter sich neben ihm ausgestellt hatten. Dann flüsterte er denselben einige Worte zu, nahm einen Schlüssel aus der Tasche, drehte ihn zweimal im Schloß, steckte ihn wieder ein, öffnete die Thür, und alle Drei verschwanden in dem anscheinend ganz dunklen Gemach, welches von innen wieder verschlossen wurde. Gleich darauf erschien die lange, gebeugte Gestalt des alten Tscherkessen im Korridor; lautlos glitt er heran bis in das dämmernde Licht des Bogenfensters; auf dem Lüwenfcll kniete er nieder, faltete die Hände und lehnte, den Kopf gesenkt, den hageren Körper gegen das Tafclwerk der festen Mahagonithür. 2. Kapitel. Die Verwandten des Verstorbenen. „Ich weiß Ihnen eigentlich nicht sonderlich viel darüber zu sagen' Herr von Roland. Als Ihr Herr Großonkel nach Rußland ging, war ich noch ein Kind; damals aber kannte er mich schon, und so kam es, daß er mich aufsnchte, als er nach langen Jahren wieder in die Heimath zurückkehrte. Seit jener Zeit bin ich sein Rechts freund gewesen und ich bins heute noch, über das Grab hinaus, wenn dieser Ausdruck hier anwendbar ist." „Seit fünfundzwanzig Jahren also, Herr Justizrath." „Ja. Also zufällig auch seit Ihrer Geburt." „Es läßt sich denken, daß Sie sein volles Vertrauen besaßen?" „Soweit der General irgend einem Menschen sein Vertrauen geschenkt hat, konnte ich dasselbe wohl für mich in Anspruch nehmen." „Und hat er stets in dieser Weise gelebt?" „Stets. Er füllte sein Haus mit Seltenheiten und Kostüm» keiten aller Art, in, Uebrkgen aber blieb er für sich und mochte mit den Menschen nichts zu thun haben." Der Justizrath Doktor Horn, ein kleiner, alter Herr mit rosigem, glatt rasirtem Antlitz, schwarzen, hellblickenden Augen und weißem Haar, zog seine goldene Dose hervor, nahm eine Prise, klopfte mit den Fingerspitzen einige Körnchen Schnupftabak von seiner weiß« Weste und steckte die Dose wieder in die Hintere Rocktasche. „Hat mein Großonkel vielleicht einmal eine trübe oder traurige Erfahrung gemacht?" fragte Herr von Roland, ein junger Man« mit frischen:, offenem Antlitz, zierlichem Schnurrbärtchen und krausem, dunklem Haar. „Sie suchen das Motiv für seine abgeschlossene Weise? O nein. Er war gewissermaßen ein Sonderling, er fühlte sich aber nicht» weniger al» unglücklich. Nach einem ungewöhnlich bewegten, thateu- reichen Leben mochte ihm diese Ruhe wohl ein Bedürfniß geword« sein; ich habe ihn nur als einen zufriedenen, heiteren und zuweilen, wenn er mit uns im Klub saß, sogar auch als eine« recht fröhlichen Mann kennen gelernt." „Den Klub hat der alte Herr also auch besucht?" fiel hier ei« zweiter junger Mann ein, der in einiger Entfernung in einem weit« Lehnsessel saß. „Gewiß. Ost, wenn wir geschäftliche Dinge zu arrangir« hatten, habe ich mit dem Herrn General im Klub dinirt." „Und vorhin deuteten Sie an, daß der alte Herr eigentlich «i« halber Knauser gewesen sei." „Ich bitte um Verzeihung. Herr von Kamphoven, das ist mir nicht eingefallen. Ihr Herr Großonkel hatte nicht die geringste An« läge zu einem Knauser. Im Gegentheil, er war ein Mann mit warmem Herzen und mit offener Hand. Niemand weiß bester als ich, wie oft und reichlich sich der General an der öffentlichen Wohl« thätigkeit betheiligt hat." Diese letzten Worte waren an zwei junge Damen gerichtet, die in dem dunklen Hintergründe des großen Gemaches faßen. „Ich erinnere mich nicht, seinen Namen jemals in einer Wohl« thätigkeitsliste bemerkt zu haben," sagte die brünettere der Damm mit wohlklingender Stimme, deren süßer Schmelz sogleich die Blicke der beiden jungen Männer auf das schöne regelmäßige Antlitz der Sprecherin lenkte. „Nein, Fräulein Pokorni, das wäre auch nicht gut möglich ge wesen," sagte der alte Herr, indem er sich aus seinem Sessel erhob und, zwei Finger vorn in der Weste und die andere Hand mit der Dose auf dem Rücken, auf dem dicken, persischen Teppich hin und her zu schreiten begann. „Sie werden mir aber glauben, wenn ich Ihnen sage, daß der Verstorbene seinen Mitmenschen thatsächlich häufige und große Wohlthaten erwiesen hat. Er war ein guter, eiu herzensguter Mann." „Das war er," sagte Herr von Roland. „Daran ist wahrlich nicht zu zweifeln. Ich habe ihm bis heute alles zu danken gehabt: meine Erziehung, die Mittel zum Besuch der Universität, zur Be gründung meiner Karriere und noch unendlich viel mehr." „Sehr richtig," bemerkte der alte Justizrath. „Heute ist es kein Bertrauensbruch mehr, wenn ich Ihnen dies bestätige." „Und auch ich habe dem seligen Herrn für ganz ähnliche Wohl« thaten dankbar zu sein, nicht wahr, Herr Doktor Horn?" sprach die zweite der jungen Damen; die tiesen Schatten im Gemach aber ver bargen die Röthe, welche ihr dabei in die Wangen stieg. In diesem Augenblick trat Franz, der Diener, mit einem silbernen Präsentirbrett herein, auf welchem ein Brief lag. Während er direkt auf den Justizrath zuschritt, warf er schnelle und verstohlene Blicke nach allen im Zimmer befindlichen Personen. „Eine Mittheilung, wie?" sagte der Doktor, indem er die gold gefaßten Augengläser auf der Nase balancirte. „Aha, ganz recht, ganz recht; sagen Sie den Herren, daß ich mir sogleich die Ehre geben würde." Der Diener verneigte sich und ging auf den Fußspitzen zur Thür. „He, Franzi" rief der Justizrath ihm nach. „Zu Befehl, Herr Doktor." „Sagen Sie Herrn Bolte, daß diesen fremden Herren unab lässig die sorgsamste Aufmerksamkeit gewidmet werden müsse." „Zu Befehl, Herr Doktor!" Die Thür schloß sich geräuschlos. Die im Gemache herrschend« Dunkelheit schien durch die Lautlosigkeit aller Schritte und Bewegung« der Anwesenden noch zuzunehmen. Allenthalben, über Thüren und Fenstern, hingen Draperien aus den schwersten, dunklen Stoffen bis zun: Fußboden hernieder, so daß die durch die Fenstervorhänge herein- dringenden, spärlichen Lichtstrahlen nur einen schwachen Widerschein auf den großen Spiegeln und auf dem vergoldeten Schnitzwerk der Nahmen und Konsolen erzeugen konnten. Es bedurfte keiner großen Einbildungskraft, um den Gedanken gelten zu lassen, daß der Einfluß des Verstorbenen, der so viele einsame Jahre in diesen: düsteren, ab geschlossenen Hause zugebracht hatte, noch immer hier walte und sich fühlbar mache, wie eine dunkle, die Seele bedrückende Last, die Nie mand abzuschütteln vermochte. Paul von Roland hatte seine Blicke auf das schöne Gesicht Janka Pokorni's geheftet Er wunderte sich halb unbewußt darüber, daß auf demselben keine Spur von der inneren Ergriffenheit zu lesen war, die sich auf den Zügen ihrer Cousine Helene von Ruthart, so deutlich widerspiegelte. Sie saß lässig zurückgclehnt, einer ihrer klassisch geformten Arme hing über die Lehne herab, und die großen, dunklen Augen waren halb geschlossen. Paul empfand einen Krampf der Eifersucht in seinen: Herzen, als er wahrzunehmen glaubte, daß die Blicke dieser halbvcrhüllten Gluthaugen unverwandt auf das Antlitz Max von Kamphovcns gerichtet waren. „Ja," sagte der Justizrath plötzlich und nach einer so langen Pause, daß alle Anwesenden, mit Ausnahme des Fräulein Pokorni leicht zusammenschreckten. „Wie ich Ihnen bereits sagte, Herr von Roland, sonderlich viel weiß ich Ihnen nicht mitzutheilen. Sie müssen sich gedulden, bis das Testament eröffnet wird." Und der alte Herr klopfte sinnend auf den Deckel seiner goldenen Dose. „Es existirt also ein Testament?" fragte Janka Pokorni. Der Justizrath wendete sich scharf nach ihr um, und seine Augen brauen zogen sich unwillig zusammen, während er die Fragende musterte. „Es existirt ein Testament, mein Fräulein; jawohl!" sagte er. „Und die Eröffnung desselben wird unmittelbar nach der Be erdigung stattfindcn, wie?" nahm Max von Kamphoven das Wort. Ter Justizrath gab ihn: keine Antwort. „Sie scheinen die Ansicht zu haben, daß solche Fragen in dieser Zeit nicht am Platze seien," fuhr der junge Mann fort. „Meiner Meinung nach aber sind dieselben natürlicher, als etwa ein langes Trauergesicht, das man bei den: Tode eines ManneS aufsetzen wollte, den man nie im Leben gesehen hat." „Der Verstorbene war ein alter Freund Ihres Vaters." „Allerdings, das ist richtig." „Und das ist auch der Grund Ihre« Hierseins, junger Herr," fuhr der Justizrath fort. „Meine Instruktionen lauten klar und bündig. Es war mir aufgegebcn, Sie hierher in dieses Trauerhaus zu laden, und während Ihrer Anwesenheit meines verstorbenen Freundes Stelle, als Ihr Wirth, zu vertreten. >.-4
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)