Volltext Seite (XML)
t596 PAPIER-ZEITUNC Nr. 41 Arbeiterausschüsse bestehen nur in wenigen der großen Be triebe. Die Organisationen der Arbeiter, sowohl der freien als der christlichen, haben verhältnismäßig noch wenig Eingang ge funden, am meisten in den großen Städten. Auf dem Lande haben die Betriebe meist einen alten Arbeiterstamm, der sich immer wieder aus dem Nachwuchs ergänzt; der Arbeiterwechsel ist im ganzen unbedeutend. Die Arbeitgeber gehören größten teils dem Bayerischen Industriellenverbande an. Die tägliche Arbeitszeit der erwachsenen Tagarbeiter, zu denen die Holzarbeiter, die Lager- und Hofarbeiter usw., sowie die sämtlichen weiblichen Arbeiter gehören, ist io bis ii stündig mit 1/2 stündigen Vor- und Nachmittagspausen und i stündiger Mittagspause. Dagegen haben die Schichtarbeiter, 7.. B. die Holzschleifer, Holländerführer, Papier- und Pappen maschinenarbeiter, die Kocherwärter, Säurearbeiter, Maschi nisten, Heizer u. a. gewöhnlich 12stündige Tag- oder Nacht schichten ohne bestimmte Pausen, also i2stündige Arbeitszeit. Dazu kommt aber meist wöchentlich einmal zum Zwecke des Schichtwechsels eine 24stündige Schicht; Wechselschichten von 18 Stunden sind selten zu finden. Nur in den Betrieben, welche Sonntags den Betrieb der Papier- und Pappenmaschinen, sowie der sonstigen kontinuierlich betriebenen Maschinen ganz oder wenigstens teilweise einstellen, entfällt die längere Wechselschicht. In einem einzigen Betriebe sind regelmäbige 15 stündige Tag- und Nachtschichten festgestellt worden, und es ist bis jetzt nicht gelungen, Aenderung herbeizuführen. Auch die Bestrebungen, die 24stündigen Wechselschichten zu be seitigen, stoßen aus Gründen der Wirtschaftlichkeit bisher auf großen Widerstand bei den Unternehmern; die Arbeiter selbst wollen auf die durch die Wechselschicht erzielte Mehreinnahme nicht gerne verzichten. Allerdings haben diese Schichtarbeiter hauptsächlich Maschinen zu überwachen, unter häufigen kleineren Arbeitsunterbrechungen, und nicht unausgesetzte größere körperliche Arbeit zu leisten, sonst würden sich wohl so lange Arbeitsschichten von selbst verbieten. Die erwachsenen Arbeiterinnen werden vorwiegend 11 Stunden, in einzelnen Betrieben 10—1o‘/, Stunden, die jungen Leute zwischen 14 und 16 Jahren durchwegs 10 Stunden be schäftigt. Kinder zwischen 13 und 14 Jahren mit der gesetzlich zulässigen Arbeitszeit von 6 Stunden sind nur vereinzelt in Pappen- und Buntpapierfabriken zu treffen. Ueberarbeit erwachsener männlicher Arbeiter ist in einzelnen Betrieben der Papier- und Zellstoffabrikation ziemlich oft zu finden, in der Mehrzahl der Betriebe aber selten. Am meisten kommen Ueberstunden bei den Handwerkern vor, welche Re paratur- und Instandhaltungsarbciten gewöhnlich während der Zeit des Stillstandes, Sonntags, oder in Abend- und Nachtstunden ausführen müssen. Ueberarbeit erwachsener weiblicher Ar beiter gemäß § 138a Abs. 1 der Gewerbeordnung wurde in den letzten Jahren nur vereinzelt in Anspruch genommen. Die Inanspruchnahme von Ausnahmen von dem Verbote der Sonntagsarbeit ist nach den Erhebungen in der Papiererzeugungs- Industrie ziemlich ausgedehnt, immerhin haben in den letzten' Jahren die Bestrebungen auf Einschränkung der Sonntagsarbeit einigen Erfolg gehabt, und die sehr verschiedene Inanspruch- nähme der Ausnahmen in Betrieben gleicher Art läßt darauf schließen, daß sich die Sonntagsarbeit bei etwas strengerer Prüfung der Bedürfnisfrage vielleicht ohne besondere Schädigung der Industrie noch weiter einschränken läßt. Die gemäß § 105c der Gewerbeordnung an Sonn- und Festtagen zugelassenen Reinigungs- und Instandhaltungsarbeiten werden bei dem in der Papiererzeugung unvermeidlich ununterbrochenen Betriebe an den Werktagen stets vorwiegend an den Sonn- oder Festtagen vorgenommen werden müssen. Einschränkung erscheint hier, vielleicht von einzelnen Mißbräuchen abgesehen, kaum möglich. Bezüglich der Ausnahmen nach § 105c Abs. 2 der Gewerbe ordnung (Benützung unregelmäßiger Wasserkraft) wurde am Schlüsse des verflossenen Jahres vom K. Staatsministerium des Kgl. Hauses und des Aeußeren mit Rücksicht auf das schon über 13jährige Bestehen der fraglichen Ausnahmen und etwa inzwischen eingetretener Veränderungen der Betriebsverhältnisse eine erneute Prüfung des Bedürfnisses nach Ausnahmen in den einschlägigen Betrieben angeordnet. Die Unfallgefahr ist nach den Erfahrungen der Gewerbe aufsichtsbeamten in der Papierindustrie nicht größer als in an deren Industriezweigen mit vorherrschender Maschinenarbeit, nur die verhältnismäßig häufige Nachtarbeit dürfte im Zu sammenhänge mit langen Schichten die Unfallgefahr erhöhen. Ein Vergleich der in den letzten 3 Jahren aus der gesamten Papierindustrie gemeldeten Unfälle zeigt eine Steigerung der Gesamtzahl von 306 im Jahre 1906 auf 390 im Jahre 1908, der Todesfälle von 2 auf 6 und der schweren Unfälle von 20 auf 23. Diese Mehrung der Unfälle bildet eine ernste Mahnung, der Unfallverhütung in der fraglichen Industrie besondere Auf merksamkeit zu widmen. Im Jahre 1908 wurden den Gewerbeaufsichtsbeamten aus der Papiererzeugungs-Industrie, also den in die Sondererhebung einbezogenen Betrieben insgesamt 271 Unfälle gemeldet; es wurden demnach rund 3 v. H. der in diesen Betrieben be schäftigten Arbeiter von Unfällen betroffen. Bemerkenswerte Unfälle. In einer Holzschleiferei wurde ein 18jähriger Arbeiter in unaufgeklärter Weise von einer außer halb des Verkehrsbereiches liegenden Welle erfaßt und ge tötet, ehe die Abstellung des Wellenstranges erfolgen konnte. = Ein Arbeiter verunglückte an der Reservebetriebsdampf maschine zu einer Papiermaschine dadurch tödlich, daß er von der Steuerungsstange, deren Exzenter infolge mangelnder Schmierung festgelaufen und zum Bruche gekommen war, am Kopfe getroffen wurde. Ein isjähriger Arbeiter in einer Pappenfabrik spielte ver mutlich während der Mittagspause an einer hoch gelegenen Trans mission, wurde hierbei erfaßt, herumgeschleudert und getötet. In einer Papierfabrik geriet der Maschinengehilfe zwischen Trockenzylinder und Filzleitwalze der Papiermaschine und wurde erdrückt. Er war in den unter der Maschine befind lichen Kanal gestiegen, um Papier, das sich um den Trocken zylinder aufgewickelt hatte, zu entfernen. Wahrscheinlich wurde er dabei von dem sich umschlagenden Papier ergriffen und in die Maschine gezogen. An einer Papiermaschine fand ein Tagelöhner den Tod, der beim Beseitigen von Papierausschuß behilflich war und dabei zwischen Filz und Trockenzylinder kam. Die Lohnverhältnisse sind in der Papiererzeugungs-Industrie je nach der Lage der Betriebe ziemlich verschieden. In ein zelnen Landbezirken findet man teilweise noch sehr niedrige Löhne; in den größeren Städten und deren Umgebung haben namentlich in den letzten Jahren die teueren Lebensverhältnisse die Arbeitgeber veranlaßt, teils freiwillig, teils unter dem Drucke der Arbeiterorganisationen die Löhne zu erhöhen. Die fortgesetzte Steigerung der Preise für fast alle Lebensbedürf nisse, besonders für die Wohnungen, steht einer Besserung der Lebenshaltung entgegen. Im ganzen genommen ist aber seit einer Reihe von Jahren ein wenn auch langsames Steigen der Löhne unverkennbar. Das namentlich in Arbeiterkreisen wegen seiner Unübersichtlichkeit oft angefochtene Prämiensustem findet sich in der Papiererzeugungsindustrie noch vielfach, meist in Gestalt von Quantitätsprämien, teilweise auch von Qualitäts prämien; doch zeigt sich ein langsamer Rückgang in der An wendung des Prämiensystems, ganz wird es wohl kaum ver schwinden. Besondere Mißstände wurden im Berichtsjahre nicht beobachtet. In den Wohnungsverhältnissen, welche im allgemeinen als beschränkt und einlach bezeichnet werden können, treten seit einigen Jahren Anfänge zur Besserung zutage, die in der Haupt sache den Wirkungen der Vorschriften über die Wohnungs aufsicht zuzuschreiben sein dürften. Von Betriebsunternehmern errichtete Arbeiterwohnungen, die zum Teil mietfrei, zum Teil gegen billigen Mietpreis abgegeben werden, sind etwa 800 vor handen; außerdem einige Ledigenheime. Bestechung der Angestellten Die grundlegenden Behauptungen des Aufsatzes über »Schmiergelder« in Nr. 25 sind sehr übertrieben. Vor einigen Jahren beschäftigte die Angelegenheit den Reichstag und die Regierung, bis der Staatssekretär des Innern im Reichstag er klärte, daß die beteiligten Kreise, in erster Linie die Kaufleute und Industriellen, in der Sache außerordentlich verschiedener Ansicht seien, und daß eine gesetzgeberische Maßnahme deshalb nicht angebracht sei. Der Rcichstagsabgeordnete Dove, Syndikus der Berliner Handelskammer, erklärte damals, daß die beteiligten Kreise des Handels und Gewerbes in ihrer großen Mehrheit die Gesetzgebung für ungeeignet halten, die Mißstände auszurotten, die bestehen. Verwerflich erscheint mir in Nr. 25 die Uebertreibung, die in der Behauptung liegt, daß in dem Bestechungswesen »eine Unsitte zu erblicken sei, die beinahe allgemein geworden sei«, daß »die Prozente in manchen Industrien schon so fest cinge- führt seien, daß man von einer üblichen Höhe sprechen könne«. Das ist einfach nicht wahr. Diese Behauptungen beleidigen die Gesamtheit der Angestellten in Handel und Industrie. Die vorkommenden Bestechungen sind nur selten. Es sind zwar häufige Behauptungen, aber wenige tatsächliche Fälle be kannt geworden. Der Wirklichkeit gegenüber dürfte die Selbst hilfe ausreichen. Die Schuldigsten sind die Fabrikanten, die bestechen. Derart unlauteren Firmen gegenüber läßt sich durch Gesetze nichts erreichen. Wo aber eine solche Firma entdeckt wird, da sollte man sie öffentlich an den Pranger stellen und allen Fachgenossen bekannt machen. Sie würde sich dann ihr Grab selbst gegraben haben und als abschreckendes Beispiel er zieherisch wirken. Angestellten gegenüber, die sich schmieren lassen, ist von dem Recht der sofortigen Entlassung Gebrauch zu machen, weil die Voraussetzungen des § 72 des Handels gesetzbuches zutreffen, indem der Handlungsgehilfe »im Dienst untreu ist oder das Vertrauen mißbraucht«, das ihm entgegen gebracht werden muß. Max Koslowski Wir schließen die Aussprache.