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H/H Eriche lutjedeu Wochentag Nachmitt. ü Uhr für den —————— «88. S!LL WELLW»M Sonnabend, den 12. Dezember. Inserate werden btt Vormittag 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis für dir gehaltene Zülr oder deren Ramu 1b Pf. md Tageblatt Amtsblatt für die königlichen nnd städtischen Behörden zn Freiberg und Brand. Verantwortlich« Redakteur: Iuliu« vrauu iu Freiberg. Die Arbeiterschutz-Gesetzgebung. Nach einer dreitägigen Debatte hat in voriger Woche dn deutsche Reichstag sämmtliche Anträge auf Abänderung derjenigen Bestimmungen der Gewerbeordnung, welche zum Schutz der Arbeiter nicht hinreichend erschienen, an eine Kommission von 28 Mitgliedern verwiesen, der auch der Vertreter unseres Wahlkreises angehört. Dieser Kommission ist eine außerordentlich schwierige Aufgabe gestellt, die ohne die genaueste Prüfung aller einschlagendcn Einzelheiten, ohne thatsächliche Feststellungen der jetzigen Arbeitsverhält hisse gar nicht zu lösen ist. Durch die vorausgegangenen langwierigen Plenardebatten ist die Angelegenheit leider in Kiner Weise geklärt worden, trotzdem vier verschiedene mehr oder weniger weitgehende Anträge Vorlagen und dem gemäß vier Antragsteller ihre Vorschläge in langen Reden md Schlußworten begründeten. In ähnlichen Fällen, wo der Reichstag von der Nothwendigkeit einer kommissarischen Berathung schon im Voraus überzeugt ist, wird den Rednern stets nur geringe Aufmerksamkeit gezollt und die Theilnahmlosigkcit nur dann unterbrochen, wenn irgend ein Wges Schlagwort zu den Ohren der Hörer dringt. Das spöttische Verneinen ist dabei entschieden wirksamer wie das Bestreben Positives zu schaffen und doch bedarf es gerade tei der vorliegenden Materie einer wahrhaft sittlichen und menschenfreundlichen Begeisterung, wenn man nicht von dem ganzen angeregten Ärbeiterschutz vollständig abstchen soll. Hier gilt es auf das Genaueste das Für und Wider abzuwägen, damit die beabsichtigte Wohlthat nicht zur Strafe werde. Ließe man sich vabei von den Sozial demokraten, die den augenblicklich schon sehr geringen Liiernehmergewinn gleich vollständig beseitigen möchten, in ein falsches Fahrwasser treiben, so würde sicher Niemand davon größere Nachtheile haben als die Arbeiterschaft. Die agitatorische Art, wie sich auch das Zentrum während der ersten Berathung der Arbeiterschutz-Gesetzgebung verhielt, wird sich hoffentlich in der Kommission nicht fortsctzen. Tatsächlich übertrumpfte das Zentrum die Sozialdemo kraten noch mit einzelnen Forderungen und verlangte u. A. die Beschränkung der Arbeitszeit verheirathetcr Frauen auf sechs Stunden täglich. Daß dadurch das Familien leben gefördert werden würde, ist mindestens zweifelhaft, da eine solche nur die höhere Erwerbsfähigkeit der uuver- heiratheten Arbeiterinnen begünstigende Bestimmung sehr lkicht die Zahl der legitimen Ehen vermindern könnte. In der Kommission wird man sich durch ähnliche zu doch geschraubte Forderungen voraussichtlich nicht veranlaßt fühlen, sich gänzlich ablehnend zu verhalten, da das frühere Vorurtheil gegen jedes staatliche Eingreifen überall ver schwunden ist und der Ueberzeugung wich, daß dasselbe be rechtigt erscheint, wo das Vorhandensein schwerer Uebelstände und die Möglichkeit der Abhilfe klar nachgewiesen wird. Ein besonnenes und maßvolles Eingreifen der Staatsgewalt zur Abstellung etwaiger Uebelstände auf dem Gebiete des Arbeitsvertrags dürfte die deutschen Arbeitgeber weit weniger in ihren Unternehmungen hemmen, als wenn dieselben wie in England bei Abschlüssen von Arbeitsverträgen mit einer Standesvertretung im Genre der englischen Gewerkvereine M rechnen hätten. Durch diese letztere Einrichtung sind dir englischen Lohnarbeiter gegen jede ungerechte Bedrückung geschützt, aber auch die englische Gesetzgebung nimmt sich ihrer in einer Weise an, daß man sich auf diese letztere bei Befürwortung der Doktrin des bloßen Geschchenlajsens stets mit Unrecht beruft. Bekanntlich klagte das Zentrum bei den letzten Reichstagsverhandlungen sogar den deutschen Reichskanzler des Manchesterthums an und zwar nur deshalb, weil er mit Recht Bedenken trug, inS Blaue hinein und ohne sicheren Anhalt zur Beurtheilung der etwaigen Wirkung auf die ultramontanen Weisungen hin in die Arbeitsverhältnisse einzugreisen. Sehr belehrend schilderte vor Kurzem die Berliner »Nation al-Ztg.", welche Wirkung die Erfüllung der in den erwähnten vier Arbeiterschutz-Anträgen enthaltenen Forde- mngen auf eine Arbeiterfamilie haben müßte, in welcher, wie dies gerade in unserer Gegend häufig der Fall ist, der Mann, die Frau und mehrere Kinder industrielle Ar beiten verrichten. Zweifellos würde eine solche Familie durch den angedeuteten Platzregen von Wohlthaten voll ständig ruinirt werden. Das Berliner Blatt fährt dann sott: „Zu gleicher Zeit soll die jetzt sechsstündige Arbeit der Kinder zwischen 12 und 14 Jahren ganz verboten, die der Kinder zwischen 14 und 16 Jahren von 10 auf 8 Stunden herabgesetzt, die Nachtarbeit der weiblichen nwachsencn Personen untersagt, die Arbeitszeit der Frau auf 6 Stunden beschränkt, für die ganze Familie I jede Sonntagsarbeit ausgeschlossen und endlich die Maximalarbeitszeit des Mannes auf 10 Stunden festgesetzt werden. Unzweifelhaft giebt es sehr viele Arbeiterfamilien, welche gleichzeitig vcn allen diesen Bestimmungen betroffen würben. Für die Beurtheilung der Durchführbarkeit macht es keinen erheblichen Unterschied, ob die Wirkungen sich in den einzelnen Familien dergestalt konzentrirt oder ob sie sich mehr vereinzelt geltend machen würden.denn dieProduktionmüßtesieja sämmt- lich ertragen, und die erste Frage ist, ob sie das kann. Urber diese Frage gingen die sozialdemokratischen RednerimReichstage sehr leicht hinweg. Sie haben dieZustände in der Industrie, welche durch Arbeiterschutzgesetze beseitigt werden sollen, als so schlimm geschildert, daß die Praktische Wirkung dieser Gesetze, die dadurch herbeizuführende Ent lastung der Arbeiter, eine sehr bedeutende sein würde. Danach müßte also die Produktion, wenn nicht die Folge Ler Arbeits verminderung Lohnverminderung sein soll, von ihrem jetzigen Gewinne sehr viel an die Arbeiter obzugeben vermögen. Trotzdem waren einst wissenschaftliche Sozialisten, wie Rod- bertus und die Sozialdemokraten darüber einig, daß eine bloße anderweitige Vertheilung des Ertrags der Produktion wenig zu Gunsten der Arbeiter ändem, die Neichen ärmer, jedoch die Armen nicht nennenswerth reicher machen würde. Nur von einer viel ertragreicheren, neuen Art der Produktion, welche durch die Gemeinsamkeit der Produktionsmittel und durch eine bessere Organisation der Arbeit erzielt werden soll, erwarten sie nach ihren Glaubensbekenntnissen die Ver besserung der Lage der Arbeiter. Wie kann man da die tief eingreifende Veränderung dieser Lage, welche die Folge der vorgeschlagenen Gesetzesveränderungen sein müßte, ohne Verminderung des Lohnes der Arbeiter bei der jetzigen Produktionsweise für möglich halten?" Die Arbeiterschutz'Kvmmijsion kann, wie aus dem Ge sagten deutlich hervorgeht, nicht daran denken, auf die an nähernd vollständige Erfüllung der ultramvntanen und sozialdemokratischen Forderungen zuzukommen. Für einzelne der vorgeschlagenen Aenderungen dürfte sich dieselbe aber sehr wohl erwärmen können, wenn dieselben schrittweise und nach vorausgegangener genauester Feststellung der etwa bestehenden Mißstände bewirkt würden. So haben schon jetzt viele Fabrikanten auf die Nachtarbeit der weiblichen Arbeiter freiwillig verzichtet, was eine Handhabe dafür liefert, diese Arbeit ganz zu verbieten, wo die Industrie sie nur aus Gleichgiltigkeit und Gewohnheit noch festhält. Ueberhaupt läßt sich ein korrektes Vorgehen in der Weise denken, daß der Staat die Befugniß erhält, die in ähn lichen Dingen unter der Herrschaft des Hergebrachten zurück gebliebenen Unteniehmer zu zwingen, dem Beispiel der fort geschrittenen humanen Fabrikanten zu folgen, daß ferner der Industrie Betricbsveränderungen nur nach und nach zugemuthet werden, damit dieselbe durch größere Intensität der Arbeit immer erst wieder Kraft gewinnen kann, neue Opfer zu tragen. Entscheidend für die Reformen auf diesem Gebiete scheint die Lösung der Frage der gewerblichen Sonntagsarbeit zu werden, die durch die eingeleitete En- quöte zuerst spruchreif werden dürfte. Die Schwierigkeiten und tiefen Meinungsverschiedenheiten, die sich schon bei diesem einzelnen Zweig des Arbeiterschutzes ergeben haben, zeigen aber am deutlichsten, welche Riesenaufgabe den 28 Mitgliedern des Reichstages mit den Erörterungen der gesummten Fabrikgesetzgebung zugemuthet worden ist. Tagesschau. Freiberg, den 11. Dezember. Der deutsche Reichstag genehmigte gestern ohne jede Debatte den Antrag den Abg. v. Jazdzewski wegen Einstellung des bei dem König!. Landgericht zu Konitz gegen den Abg. von Wolslegier schwebenden Strafverfahrens an und fuhr dann in der vorgestern abgebrochenen Berathung der Anträge von Helldorff wegen Verlängerung und Auer wegen Verkürzung der Legislaturperioden fort. Abg. Rickert kennzeichnete den Antrag Helldorf dahin, daß er die Regierungsgewalt verstärken, die Rechte des Reichstags und damit die des Volkes zu vermindern bezwecke; denn das Volk habe nicht das Recht wie der Bundesrath, einen ihm unbequenien Reichstag aufzulösen. Unter dem gegenwärtigen Verhältnisse habe man zu einer Verstärkung der Exekution keine Veranlassung, da man offenkundig darauf ausgehe, die Rechte des Parlaments systematisch herabzudrücken; das beweisen die Diätenklagen und die Fahrkartenangelegenheit. Bedauerlich sei es, daß sich der Reichstag damals nicht zu dem Beschlusse aufgerafft habe, die Fahrkarten einfach zurückzuschickeu. Ferner hab« man bis nach Minden hin die Redakteure von Zeitungen gerichtlich vernehmen lasten, und zwar ohne jeden Schatten eines Verdachts, ob er einen bestimmten Artikel in einer Korrespondenz geschrieben habe. Das beweise, daß man systematisch die Volksrechte be- nachtheiligcn wolle. Auch die Haltung des Reichskanzlers bei der Poleninterpellation war ein bezeichnendes Symptom dafür. (Hörl! hört I) Wenn es den Konservativen nur um den „müden Wähler" zu thun sei, warum fange man denn nicht bei de» Kreien,Provinzen und Einzellandtagen an? Der UrgrunddeS An trags sei eben daS Mißtrauen gegen das allgemeine geheime und direkte Wahlrecht. -— Die Rechte wolle Ruhe haben auf 5 Jahre, um ihr« Agitationen zur Reife zu bringen; sei doch die pommer- sche Avantgarde schon wieder eingerückt mit ihren Petita. Habe etwa die Demokratie die Agitation für die Wollzölle, die Goldwäh rung rc. in's Werk gesetzt, nein, eS waren sehr vornehme Herren. Von der Rechten habe die Linke gelernt, die Agitation zu sühren. Der Redner beklagte sich dann bitter über die Neptilienprefle und über die geringe Wahlbetheiligung in Preußen und ver schiedenen Einzelstaaten und wandte sich dann gegen die Nationallibcralen, welche in Preußen die Selbstverleugnung so weit getrieben hätten, daß sie nicht einen einzigen Sitz für sich, ober 20 für die Konservativen erkämpften. Wie undank bar sei es, jetzt die Spitze gegen das Zentrum zu richten, mit besten Hilfe die Konservativen ihre zollpolitischen Pläne durch setzten. Gemeint sei damit nicht dwS Zentrum, sondern daS kleine Häuflein freisinniger Männer im Lande, welche mit dem Zentrum zusammcngckoppelt werden sollen, um sie vor dem Volke herabzusetzen. Wenn Stöcker und die „Kreuz-Zeitung" jetzt kaltgestcllt werden, so hänge das mit der beabsichtigten Bildung der Mittelpartei ab; sie sollen diele nicht stören; ist die Mittelpartei erst gebildet, dann wird die „Kreuzzeitung" wieder mit offenen Armen ausgenommen werden. „Wenn je mals ein Zeitpunkt gewesen," schloß der Redner, „die Ver fassung intakt zu halten, dann sei es der heutige, wo Tabak, Branntwein, Wolle rc. noch mehr bluten sollen. Wir sagen zu Ihrem Anträge immer Nein und heute ein entschiedenes Nein". (Lebhafter Beifall.) Abg. Graf Behr-B ehren- hoff meinte, man hätte einen derartigen Antrag nicht ein- bringcn sollen, oder doch nur mit Unterstützung aller natio nalen Parteien. Trotzdem aber sei ihm der Antrag auf Verlängerung der Perioden sympathisch, wenn er sich auch für zweijährige Budgetperioden nicht erwärmen könne. Der Abg. Windthorst sprach sowohl gegen den Hell- dorff'schen, wie gegen den Auer'schen Antrag, wie er sich aus drückte, in dem Vorgefühl, daß jetzt sehr ernste Verfassungs änderungen geplant würden. Nach einigen Acußerungen deS Ministers von Puttkamer zu urtheilen, scheine man auf Be schränkung des allgemeinen Wahlrechts hinzustreben. Seine Partei werde nie die Abschaffung des allgemeinen Stimm rechts zugeben. Abg. Marquardsen erklärte, daß die Nationalliberalen sachlich mit dem Anträge des Abg. v. Hell dorfs einverstanden seien, da die Vortheile einer Verlängerung der Legislaturperiode bei Weitem die Nachtheile derselben überwiegen. Ein längeres Zusammensein werde die Partei- gegcnsätze im Reichstage mehr verschwinden machen. Abg. Meyer (Württemberg) sprach gegen beide Anträge. Abg. Hänel meinte, durch eine Verlängerung der Legislaturperiode verkümmere man dem Volk« das Wahlrecht, das heiligste aller Rechte. Von einer Wahlmüdigkeit sei keine Rede. Hierauf wurde die Diskussion geschloffen. Nach den Schlußworten der Abgg. v. Helldorff und Bebel wurde die Sitzung vertagt. Der Präsident schlug vor, die zweite Lesung des Etats (auf die Tagesordnung zu setzen. Abg. v. Jazd zewski beantragte aber, die Besprechung seiner Interpellation für nächste Sitzung zu beschließen. Abg. Windthorst hielt dafür, die Besprechung der Interpellation erst bei der Be rathung des bezüglichen sozialdemokratischen Antrages vor zunehmen. Abg. v. Jazdzewski hielt eine baldige Be sprechung für nothwcndig, da die Ausweisungen Tag für Tag fortdauerten, um aber dem Anträge des Abg. Windthorst zu entsprechen, beantrage er, zunächst den sozialdemokratischen Antrag auf die Tagesordnung zu setzen. Die Abgg. Hänel und Payer unterstützen den Antrag, der Antrag wurde jedoch gegen die Stimmen der Polen, der Sozialdemokraten, der Volkspartei, eines Theiles der Freisinnigen und einiger Mitglieder des Zentrums abgelehnt.- Es bleibt sonach bei der vom Präsidenten vorgeschlagenen Tagesordnung. In seiner gestrigen Plenarsitzung verwies der deutsche Bundesrath den Handels- und Schiffsahrtsvertrag mit der Republik Domingo und den Entwurf eines Gesetzes über die Bürgschaft des Reichs für die Zinsen rc. einer egyptischen An leihe an die zuständigen Ausschüsse. Der Gesetzentwurf über den Nord-Ostsee-Kanal wurde einstimmig nnverändert ange-