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und Tageblatt. Amtsblatt für die kümglichen und städttschru Behörden zu Freiberg und Brand. verastwortliLek Redavem: Ault»« vran» i« Freiberg. B- 8 «kschemt jeden Wochentag NachmM. b Uhr für dm bb' 3ahrg«n». 1 Inserat« ««dm bl« Bormittag 11 Uhr angenom- 8 Vr » Freitag, den 8. Januar. 1886. Die Polensrage. Trotzdem die Interpellation des Aba. v. JazdzewSki und Gen. über die Ausweisungen aus Preußen im deutschen Reichstage durch Verlesung einer darauf bezüglichen kaiser lichen Botschaft und durch eine scharfe Erläuterung des Fürsten Bismarck bündig obgewiesrn worden ist, scheint diese Sache noch keineswegs endgiltig abgethan. Von deutsch-freisinniger Seite dürfte der Versuch, die Aus weisungen nochmals im Reichstage zur Sprache zu bringen, durchaus nicht ausgegeben sein; ganz bestimmt ist aber die Erneuerung der Polen-Interpellation im preußischen Abgeordnetenhause zu erwarten, dessen Kom petenz in dieser Angelegenheit unbestreitbar ist. Für die deutsche Reichsregierung haben sich seit der letzten Aus weisungsdebatte die Verhältnisse dadurch wesentlich günstiger gestaltet, daß das Zentrum bei einer Fortsetzung seiner bisherigen schroffen Opposition sich auch in Gegensatz zu dem heiligen Vater in Rom stellen würde, der in letzter Zeit dem deutschen Reichskanzler die höchste ihm zur Verfügung stehende Auszeichnung, den Christusorden in Brillanten, verlieh und in jeder Weise seine Befriedigung über die verbesserten Beziehungen des Vatikans zu dem Berliner Kabinet bekundete. Dem feinen Politiker Windt- Horst wird es nicht entgangen sein, daß er durch seine bisherige Protektion der Polen seiner Fraktion schadete, dieser und sich selbst eine» antinationalen Anstrich verlieh, der vielen Wählern der Zentrumspartei keineswegs behagt. Schon früher ist der preußische Kultusminister von Goßler den polnischen Klagen und Ansprüchen mit einer Schärfe entgegengetreten, welche darauf schließen ließ, daß man an maßgebender Stelle die deutschfeindliche Gesinnung vieler preußischer Unterthanen polnischer Nationalität nicht unter schätzt, sondern als Grund zu strengen Vorsichtsmaßregeln ansieht. Diesen Standpunkt tiefen Mißtrauens gegen die Polen nahm der jetzige deutsche Reichskanzler Fürst Bismarck schon vor 38 Jahren ein, da er noch als ein facher Gutsbesitzer am Beginn- seiner politischen Laufbahn stand. Schon damals fand er dos polnische Element an der des Schutzes so bedürftigen Ostgrcnzc Deutschlands bedenklich; seitdem Hai sich dasselbe dort aber noch sehr vermehrt und der preußischen Regierung zu jenen Aus weisungen Veranlassung gegeben, die zwar die Einzelnen hart treffen, aber als eine Art nationaler Nothwehr an gesehen werden. Wie verlautet, hegt Fürst Bismarck die Absicht, diese von der Mehrheit des deutschen Reichstages durch die Unterschreibung der Polen-Interpellation bemängelten Aus weisungen dort zu vcrtheidigcn, wo darüber nach seiner Ansicht allein Rechenschaft verlangt werden kann, nämlich im preußischen Abgeordnetenhause. Wie dies geschehen wird, darüber ist Niemand in Zweifel, der das tief wur zelnde Mißtrauen des Fürsten Bismarck gegen die Polen kennt und sich vergegenwärtigt, daß der große deutsche Staatsmann das Mißlingen so vieler Versuche, einen Aus gleich mit dem Vatikan anzubahnen, stets nur den deutsch feindlichen Einflüsterungen des im Vatikan höchst einfluß reichen ehemaligen Erzbischofs von Posen und Gnescn, Kardinal Ledochowski, zuschrieb. Wie konsequent sich Fürst Bismarck in der Bcurtheilung der polnischen Bestrebungen geblieben ist, ergiebt sich aber am deutlichsten aus einem Artikel, welchen am LO. April 1848 der damalige Guts besitzer von Bismarck-Schönhausen der „Magdeb. Ztg." zugehcn ließ. Dieses Blatt veröffentlicht jetzt jenen Artikel, weil die darin entwickelten Ansichten die Elemente der in Aussicht stehenden Rechtfertigung der Ausweisungen bilden dürften. Aus gleichem Grunde lassen wir die damalige Auslassung Bismarcks über die Polen hier im Wortlaut folgen. Derselbe schrieb am oben erwähnten Tage: „Die Be freiung der wegen Landesverraths verurtheilten Polen ist eine der Errungenschaften des Berliner Märzkampfes, und zwar eine der wesentlichsten, da die konstitutionelle Ver fassung, die Preßfreiheit und die Maßregeln zur Einigung Deutschlands bereits vor Ausbruch des Kampfes gesichert waren. Die Berliner haben. die Polen mit ihrem Blute befreit und sie dann eigenhändig im Triumph durch die Stadt gezogen; zum Dank dafür standen die Befreiten bald darauf an der Spitze von Banden, welche die deutschen Einwohner einer preußischen Provinz mit Plünderung und Mord, mit Niedermetzelung und barbarischer Verstümmelung von Weibern und Kindern heimsuchten. So hat deutscher Enthusiasmus wieder einmal zum eigenen Schaden fremde Kastanien aus dem Feuer geholt. Ich hätte eSerklär- lich gefunden, wenn der erste Aufschwung deutscher Kraft und Einheit sich damit Luft gemacht hätte, Frankreich das Elsaß abzu- sordern und die deutsche Fahne auf den Dom von Straßburg zu pflanzen. Aber es ist mehr als deutsche Gutmüthigkeit, wenn wir uns mit der Ritterlichkeit von Romanhelden vor Allem damit begeistern wollen, daß deutschen Staaten daS Letzte von dem entzogen werde, was deutsche Waffen im Laufe der Jahrhunderte in Polen und Italien gewonnen hatten. Das will man jubelnd verschenken, der Durchführung einer schwärmerischen Theorie zu Liebe, einer Theorie, die uns eben so gut dadin führen muß, aus unseren südöstlichen Grenzbezirken in Steiermark und Illyrien ein neues Slawcnreich zu bilden, das italienische Tirol den Venetianern zurückzugeben, und aus Mähren und Böhmen bis in die Mitte Deutschlands ein von letzterm unab hängiges Czechenrcich zu gründen. Eine nationale Entwickelung des polnischen Elements in Posen kann kein anderes vernünftiges Ziel haben, als das, einer Herstellung eines unabhängigen polnischen Reichs zur Vorbereitung zu dienen. Man kann Polen in seinen Grenzen von 1772 her- stellen (wie die Polen selbst es hoffen, wenn sie es auch noch verschweigen), ihm ganz Posen, Westpreußen und Erme- land wiedergeben; dann würden Preußens beste Sehnen durchschnitten und Millionen Deutscher der polnischen Willkür überantwortet sein, um einen unsicheren Verbündeten zu gewinnen, der lüstern auf jede Verlegenheit Deutschlands wartet, um Ostpreußen, polnisch Schlesien, die polnischen Bezirke von Pommern für sich zu gewinnen. Anderseits kann eine Wiederherstellung Polens in einem geringeren Um fange beabsichtigt werden, etwa so, daß Preußen zu diesem neuen Reich nur den entschieden polnischen Theil des Groß- herzogthums Posen Hergabe. In diesem Falle kann nur der, welcher die Polen gär nicht kennt, daran zweifeln, daß sie unsere geschworenen Feinde bleiben, so lange sic nicht die Weichselmündung und außerdem jedes polnisch redende Dor in Ost- und Westpreußen, Pommern und Schlesien von uns erobert haben würden. Wie kann aber ein Deutscher, weinerlichem Mitgefühl und unpraktischen Theorien zu Liebe, dafür schwärmen, dem Vaterlande in nächster Nähe einen rastlosen Feind zu schaffen, der stets bemüht sein wird, die fieberhafte Unruhe seines Innern durch Kriege abzuleiten uud uns bei jeder westlichen Veiwickelung in den Rücken zu fallen; der viel gieriger nach Eroberung auf unsere Kosten sein wird und muß, als der russische Kaiser, der froh ist, wenn er seinen jetzigen Koloß Zusammenhalten kann, und der sehr unklug sein müßte, Wenner den schon starken Antheil zum Aufstand be reiter Unterthanen, den er hat, durch Eroberung deutscher Länder zu vermehren bemüht sein wollte. Schutz gegen Rußland brauchen wir aber von Polen nicht; wir sind uns selbst Schutz genug. Ich halte daher unsere jetzige Politik in Bezug auf Posen, auch wenn man jeden einzelnen Deutschen daselbst dem deutschen Bunde vorbehält, auch wenn man nur den kleinsten Theil des polnisch redenden Antheils dem übrigen Staat durch Sondereinrichtungen entfremdet, für die bedauerlichste Don Ouixoterie, die je ein Staat zu seinem und seiner Angehörigen Verderben begangen hat." Tagesschau. Freiberg, den 7. Januar. Der anläßlich des Regierungsjubiläums von dem deutschen Kaiser an den Reichskanzler und Präsidenten des preußischen Staatsministeriums gerichtete Erlaß, dessen Hauptinhalt wir in voriger Nummer unter Depeschen mittheilten, hat folgenden Wortlaut: „Als ich im Januar des Jahres 186 l durch Gottes Gnade dazu berufen wurde, den Thron meiner Väter zu besteigen, durfte ich bei meinem schon damals vorgeschrittenen Lebensalter nach menschlicher Berechnung kaum hoffen, daß mir eine lange Dauer der Regierung beschicken sein würde. Jetzt blicke ich in Gemeinschaft mit meiner Gemahlin auf eine Reihe von 25 Jahren zurück, in denen cs mir vergönnt gewesen ist, unter sreud- und leidvollcn Erfahrungen meines schweren, verantwortlichen fürstlichen Berufes mit ungeahnten glücklichen Erfolgen zn walten. Unerschöpflich ist mein Dank gegen den Allmächtigen, der mich diesen Tag meines Negiernngs-Jubiläums noch erleben ließ, der mein ganzes langes Leben hindurch, namentlich in dem letzten Vierteljahrhundert, mit Gnade mich überhäuft, der im wcchsclvollen Laufe der Geschicke meine Königliche Regierung im Innern wie nach Außen reich ge segnet hat. Was mich bei der Feier des frohen Ereignisses ^besonders erhebt, das ist das unerschütterliche Vertrauen, die treue unwandelbare Liebe meines Volkes, welche ich bei den ver- ! schiedensten Gelegenheiten so oft erfahren, und welche sich auch bei dem gegenwärtigen zwiefach« Anlaß der Jahreswende und meines Jubiläums wiederum in der mannigfaltigst« herz lichsten Weise bekundet hat. Nicht bloS auS meiner Monarchie, auS dem ganzen deutschen Vaterlande und weit über dessen Grenzen hinaus, soweit die deutsche Zunge klingt, bin ich von kommunalen und kirchlichen Verbänden, von anderen Körper schaften und Kollegien jeder Art, von Vereinen und Anstalten <n zum Theil kunstvoll auSgestatteten Adressen, sowie von einzelnen Personen in Zuschrift«, poetischen wie musikalisch« Ergüssen und in Telegramnien beglückwünscht. Auch in fest lichen Veranstaltungen und Versammlungen hat das Gefühl dks Volks zur Feier des Gedenktages sich kund gethan; und nicht minder sind mir aus dem Kreise meiner ehemalig« brav« Krieger Beweise der Treue in großer Menge zuge gangen. Solche ungemein zahlreichen Zeugnisse von Anhäng- lichketi und Verehrung, welche dem Tage die rechte Weihe geb«, erfüllen mein Herz mit tiefer Erkenntlichkeit und stärk« mich in meinem hohen Alter zu weiterer Ausübung meiner fürstlichen Pflicht für die Zeit, welche mir hieniedm noch be schicken sein wird. AuS überströmendem Herzen danke ich Allen, Allen, welche mich und cbmso meine Gemahlin durch ihre Theilnahme beglückt hab«; mit ihnen vereinige ich mich in Kem gemeinsamen Wunsche: Gott sei auch ferner mit unserem deutschen Vaterlande! Ich beauftrage Sie, dies« Erlaß zur öffentlichen Kenntniß zu bringen. Berlin, dm 4. Januar 1886. (gez.) Wilhelm." — Nachträglich ist auch noch folgender, bereits am 30. v. M. an den Reichskanzler ergangener Erlaß bekannt worden: .Ich habe von dem mir vorgelegten Bericht über die Ergebnisse der ReichSpost- und Tclegraphenverwaltung während der Etatsjahre 1882 bis 1884 eingchmde Kenntniß genommen. Es ist mir von hohem Interesse gewesen, die stetigen Fortschritte in der gedeihlichen Entwickelung des Post- und Telegraphenwesens des Reichs, insbesondere die wesentlichen Verbesserungen, welche aus dem Gebiete der auswärtigen Verkehrsbeziehungen zu verzeichnen sind, im Zusammenhänge zu überblick« und zu erfahren, welch' überraschend günstige Finanzergeb- niffe dank der sachgemäß sicheren Leitung der Verwaltung und der pflichttreuen Mitwirkung aller Beamten erzielt Word« sind. Ich nehme gern Veranlassung, sämmtlichcn Be- theüigtcn meine Anerkennung auszusprcchen. gez. Wilhelm." Eine umfassende Amnestie, die vielseitig erwartet wurde, ist anläßlich des Regierungsjubiläums nicht erfolgt, wohl aber verfügte der Kaiser verschiedene Straferlässe, die von Fall zu Fall geprüft sind und nicht einseitig eine bestimmte Kate gorie von Strafen treffen. Unter Anderem sind laut Ver fügung des Justizniinisters durch einen Gnadenakt des Kaisers drei in den Kölner Gefängnissen untergebrachte Gefangene, zwei Brüder und der« Schwester, welche vor 25 Jahren wegen Verleitung zu einem in Saarbrücken begangenen Morde zum Tode vcrurtheilt, bei der Thronbesteigung des damaligen Königs Wilhelm aber zu lebenswieriger Zuchthausstrafe be gnadigt worden waren, am 4. d. M. in Freiheit gesetzt worden. — Der Antrag des Magistrats von Frankfurt am Main, die Standbilder aller deutschen Kaiser in Zukunft im Kaiser saale auf städtische Kosten auszustcllen und diesen Beschluß be züglich Sr. Majestät des Kaisers Wilhelm sofort auszuführen, wurde am Dienstag von der dortigen Stadtverordnelenschaft einstimmig ohne Debatte angenommen. — Die bekanntlich zu dem Reichskanzler in nahen Beziehungen stehende „Nordd. Allg. Ztg." bringt folgende für die Währungsfrage bedeutsame Notiz: „Neben dem großen Jubiläum der letzten Tage ist noch ein kleineres fast spurlos vorübcrgegangen. Am 1. Januar waren es 10 Jahre, seit die neue deutsche Münzgesetz gebung für ganz Deutschland in volle Wirksamkeit getreten war. Der Umstand, daß kaum Jemand dieses Erinnerungs tages Erwähnung geihan, zeigt wohl am besten, wie tief wir uns in die neuen Münzverhältmsse hineingelebt haben und wie gering die Neigung sein dürste, zu der früheren Viel gestaltigkeit mit ihren mannigfachen Arten von Groschen, Kreuzern, Batzen, Schillingen w. w. zurückzukehren." Morgen beginnen die Sitzungen des deutschen Reichs tages wieder, sechs Tage später nimmt wieder das gleich zeitige Arbeiten desselben mit dem preußischen Abge ordnetenhause seinen Anfang. Dabei hat der Reichstag vor den Weihnachtssericn von seinen zahlreichen und wichtigen Aufgaben noch nicht den kleinsten Theil erledigt. In den nächsten Tagen wird demselben außer dem Weißbuch über die Karolinen-Angelegenheit auch das Protokoll über di« Ver ständigung mit Frankreich, welche bezüglich der westasrikanischen Besitzungen erzielt worden, vorgelegt. Das Protokoll bezüglich der Karolinen ist sehr umfangreich. Die Verhandlungen mit England sind noch nicht abgeschlossen, so daß die Vorlage der hierauf bezüglichen Aktenstücke noch nicht zu erwarten sein