Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.04.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-04-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020430029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902043002
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902043002
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Bemerkung
- Images teilweise schlecht lesbar
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-04
- Tag 1902-04-30
-
Monat
1902-04
-
Jahr
1902
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
VezugS «Preis st, der Hauptexpedttto« oder den im Dtadd- bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljährlich 4.86, — zweimaliger täglicher Zustellung in« Hau« 5.80. Durch die Post bezogen für Deutschland u. Oesterreich vierteljährliche«, für die übrigen Länder laut Zeitungsprersliste. Nedartion an- Lrpe-Mon: Ioß-nxisgasse 8. Fernsprecher 15S und 222. FP»«levpediti»»e«: Alfred Has«, Buchhandlg., UniversitätSstr. 3, L. Lösche, ^atharinenstr. 14, u. KönigSpl. 7. — Haupt-Filiale Dresden: Gtrehlrnerstraße 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. Haupt-Filiale Lerlin: Küniggrätzerstraße 116. Fernsprecher Amt VI Nr. SSSS. Abend-Ausgabe. nMer.TaMaü Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Rathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen »PretS die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 78 H, vor den Familiennach richten («gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsap entsprechend Häher. — Gebühren sitr Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen.Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Ännahmeschtnß für Anzeigen: Ab end-Ausgabe: vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeige« find stets au dle Expedition zu richten. Die Spedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 217. Mittwoch den 30. April 1902. 96. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 30. April. Der Reichstag hat gestern die SeemannSorduung in der Gesammtabstimmung gegen die Stimmen der social demokratischen Fraktion angenommen. Damit ist eine gesetzgeberische Action zum Abschlüsse gekommen, die ein großes Maß von Arbeit und Ausdauer beanspruchte, um nicht auf einer Untiefe sitzen zu bleiben oder an einer der zahlreichen Klippen zu scheitern, die ihr aus ihrer Fahrt drohten. Ter Erlaß eines neuen Gesetzes war notkwendig, weil seit dem Inkrafttreten der bestehenden Seemannsordnung vom 27. De- cember 1872 die Verhältnisse der Schifffahrt sich von Grund aus geändert haben. Mit einem Rückgänge der Segelsckiffsahrt ist eine außerordentliche Ausdehnung der Dampfschifffahrt Hand in Hand gegangen. Wie auf anderen Erwerbs gebieten bewegt sich die Entwicklung in der Richtung zuneh menden Großbetriebes bei Abnahme deS Kleinbetriebs. Die völlig veränderte Betriebsweise, insbesondere die Zu nahme der durchschnittlichen Größe der Schiffe und die Verwendung von Maschinen, nicht nur zur Fortbewegung de« Schiffes, sondern auch zur Ausführung der ver schiedensten Schifisarbeiten, ermöglicht eS, mit einer nur wenig vergrößerten Schiffsmannschaft die nach dem Raumgebalte fast verdoppelte deutsche Handelsflotte in Be trieb zu halten. Die Veränderungen in den BetriebSverbält- niffen üben einen wesentlichen Einfluß auf die Gestaltung deS SchiffSdiensteS und die Zusammensetzung der Schiffs mannschaften. Nicht minder lag ein Antrieb dazu, die alte SeemannSordnuug zu ändern, »n dem schwerwiegenden Um stande, daß wir inzwischen in das Zeitalter der socialen Reform getreten sind und durch Vereinheitlichung unseres bürgerlichen Recht« den Anforderungen der Neuzeit so weit entgegengekommrn sind, als e« nach Lage der Dinge möglich war. Durch Beschluß deS Reichstages vom 27. November 1900 wurden die Gesetzentwürfe einer den vorerwähnten Bedingungen möglichst entsprechenden SeemannSorduung mit Nebengesetz«« einer 21gliedrigen Commission überwiesen. Diese hielt nicht weniger als 44 Sitzungen ab. Zum Bericht erstatter für das Plenum wurde der nationalliberale Ab geordnete vr. Semler gewählt, der durch seine auf genaue Sachkunde sich stützende Entschiedenheit ganz wesentlich dazu beigetragen hat, daß das Gesetz glücklich m den Hafen ge langte. Wenn die Socialdemokraten schließlich gegen das ganze Gesetz gestimmt haben, so fanden sie den Muth zu solcher Entschließung erst dann, al« sie vollständig sicher waren, daß ihr Votum das Zustandekommen des Gesetzes nicht ge fährde. Auch ohne daß man an analoge Vorgänge aus früherer Zeit erinnert, darf man behaupten, diese Vorsicht sei ein deutlicher Beweis dafür, daß durch die neue Ordnung der Dinge die Lage der Schiffsleute erheblich verbessert werde. — Da eine Debatte der Gesammtabstimmung über die Seemannsordnung nickt vorauSzing, so batte das hohe HauS gestern noch Zeit, den NacktragSekat für die V eteranen- Beihtlfen in erster und zweiter Lesung zu erledigen und die zweite Berathung des Gesetzentwurfs über den Gerichts stand der Presse zu Ende zu führen. DaS Ergebniß der ziemlich langen Debatte war die Annahme der Regierungs vorlage mit der einzigen, aber für den Buckbandel wichtigen, einstimmig beschlossenen Abänderung, daß daS Wort „perio disch" gestrichen wurde. Stimmen die verbündeten Re gierungen dieser Abänderung zu, so werden also die Be- stimmungen de« Entwurf« auch auf die nichlperiodische Presse Anwendung finden. Am 27. d. M. hat der hochwürdiaste Prälat Herr vr. von Daller, vom verstorbenen I)r. Sigl ebenso respectlo« wie anzüglich „Seine Korpulenz" genannt, zu Ströbing in Oberbayern die „ArühjahrSparadc" des „bayerisch-patrio- tischen" Bauernvereins Tuntenhausen abgebalten. Diese Bauernparaden sind für die bayerischen CentiumSherren die hochwillkommenen Gelegenheiten, „die bayerisch-patriotischen" Gesüble der Centrumsbauern aufzufriscben. Herr vr. von Daller unterzog sich der gedachten Aufgabe am letzten Sonntag in den Spuren des welfisch gesinnten Braunschweiger LandgerichtSpräsiventen vr. Dedekind. DeS Letzteren Theorie, daß eS in Deutschland außerhalb Preußens dem Kaiser gegen über keine Untertbanenpflicht der Treue und des Gehorsams gebe, hat natürlich den ungetheilten Beifall deS bayerischen „Patrioten" vr. von Daller sür sich. Auch dieser erblickt io Braunschweig eine angebliche Ausdehnung unstatthafter „E>n- beitsstrebungen des Reiches", und er erklärt dem gegenüber: „Daran müssen wir festhalten, daß die einzelnen Bundesstaaten selbstständig sind, daß wir in Bayern Niemand den Eid der Treue leisten und Niemand Steuern zahlen, als dem König von Bayern, und diese beiden begrünten das Unterthanenverhältniß." — Gleich Herrn vr. Dedekind ist also Herr vr. von Daller offenbar der Meinung, daß gegenüber den Neichsgesetzeu, den Reichsgerichten und den Reicheämtern keinem Bayer die Untertbanenpflicht des Gehorsams obliege und daß im Reiche ter Nichtpreuße Landesverrath und Hochverrat!) begeben könne, soweit das Untertbanenverbälkmß gegenüber Kaiser und Reich in Frage kommt! Selbstverständlich wird Herr vr. von Daller gegen diese praltischen Schlußfolgerungen auS seinen Tdeorien sich verwahren; aber gezogen müssen sie trotzdem werden, um zu zeigen, wohin das „bayerisch-patrio tische" Staatsrecht führt. Abgesehen hiervon befindet sich indessen Herr vr. von Daller im Irrtbum, wenn er schlecht hin behauptet, daß in Bayern ein Treueid nur dem König von Bayern geleistet werde. Herr von Daller erinnert sich augenscheinlich nicht genügend des BündnißvertrageS vom 23. November 1870, dem zufolge die bayerische Armee mit dem Beginn der Mobilmachung unter die Befehle des Kaisers tritt, und er erinnert sich nicht genügend daran, daß die Verpflichtung, den Befehlen des Kaisers im Kriege gehorsam zu sein, in den bayerischen Fahneneid aus genommen ist. Sollte nickt unter den bäuerlichen Tbeil- nebmern an der Tuntenhausener FrübjahrSparade mancher gewesen sein, der von diesem Gedächinißfehler des vr. v. Daller eine gewisse Vorstellung hatte? — Was den sonstigen Verlauf deS oberbayerischen BauerntagcS anbelangt, so ist erwähnens- werth, daß der Abg. Kohl einen Weizenzoll von 6 und einen Gerstenzoll von 4Vz für unbedingt notbwendig er klärte, dagegen einen gleichen 6-^-Zoll für alle Getreidearten nicht als unerläßlich ansab. In letzterem Puncte also ist das bayerische Centrum, dessen ReichstagSmitglied vr. Heim bekanntlich den gleichmäßigen 6-^-Zoll am eifrigsten ver langt, keineswegs ein und derselben Meinung. Die französischen Kammerwahlen vom Sonntag haben außerordentlich viel Stichwahlentscheivungen notbwendig ge macht. Dessenungeachtet läßt sich die künftige Zusammen setzung deS Abgeordnetenhauses ziemlich gut überleben. Es ist im Großen und Ganzen Alles beim Alien geblieben, und man hätte jedenfalls, bevor die engeren Wahlen das Bild vollenden, keinen Anlaß, ihnen eine Betrachtung zu widme«, wenn „daS Verbiet des französischen Souve- rainS" nicht einige Erscheinungen zu Tage treten ließe, die allgemeines pol,ti>cheS Interesse beanspruchen dürfen. Das ist vor Allem das Fiasko deS SocialismuS. DaS Propbeten- tbum deS ZukunstsstaateS wird in dem neuen, 891 Mitglieder zädlenden Parlamente schwächer austreten, als in der bis herigen, 10 Mitglieder weniger aufweisenden Kammer, und e« war auch in diesem verhältnißmäßig nicht stark. Eia miß tönendes Einläuten deS „Weltfeiertags der völkerbefreiendrn Socialdemokratie" und ein merkwürdiges Echo deS revolutio nären Waffenklanges, mit dem die belgischen Socialisten eben die Welt zu erfüllen versuchten! Der „VoiwärtS" wittert auch ausnahmsweise keine internationale Morgenluft, zieht sich vorläufig, namentlich bis er zu den von ihm beliebten, anscheinend russischen Stimmen abgelauscbten Beschönigungen den Muth findet, auS der Affäre, indem er die Un einigkeit der französischen Socialisten unter sich in den Vordergrund treten läßt. Und so viel ist richtig, auch diese Wahlen zeigen, daß daS Rütli, das man vor einigen Jahren in Frankreich abgebalten und von dem der „Vor wärts" bebufS Täuschung der deutschen Arbeiter die Aera der Verschmelzung aller socialistischen Richtungen in Frankreich batirte, eine Farce gewesen. Man hat sich gegenseitig gehörig bekämpft, um nicht zu sagen, Concurrenz gemacht, und selbst die Fiction einer gewissen äußeren Zusammengehörigkeit ist vernichtet worden, denn eine Anzabl socialistischer Mandatwerber bat den Beschluß deS Congresses von Tours mißachtet, nach welchem bie Parteican- didaten verpflichtet sind, das Parteiprogramm als Wahlplacat anzuschlagen. Das socialislische Centralcomi's hatte den Candidaten auch 40 000 Programme und Affichen zugeben lassen, aber viele der Herren haben damit ihren Papierkorb bereichert, obwohl sie durch den Act der Widersetzlichkeit sür den Fall ihrer Wahl daS Recht verwirkt haben, der Fraction beizutreten. Die Herren Bebel, Singer u. s. w. werden aber voraussichtlich, da sie ibren Anhängern den Stand der Dinar in Frankreich möglichst zu verschleiern be müht sein müssen, ein gutes Wort für die Unbotmäßigen einlegen, und weil die Socialisten jenseits der Vogesen als französische Patrioten gleichfalls ein Interesse daran haben, das Gefolge der deutschen socialbemokratischen Hctzpatrioten über das Wesen der „Internationalen" in Frankreich unauf geklärt zu lassen, so wird diese Sache wohl beigelegt werden. Es ist übrigens auch möglich, daß die Widersetz lichen die Mehrheit der socialistischen Abgeordneten bilden und so die Vollstrecker deS Beschlußes von TourS von der Gnade Jener abhängen werden. Die französischen Socialisten haben sich nicht geeinigt und werden sich nicht einigen, weil die Verfolgung socialpolitischer und selbst socia listischer Ziele durch eine Mehrbeit von Gruppen nicht beeinträchtigt wird, und nach der Zusammenfassung zu einer strammen Partei nach deutschem Muster eine bann ge botene Rücksicht auf die Inter- und Antinationalen in Deutsch land ibnen die thatsächlicbe Pflege deS Vaterlandsgedankens und selbst den Chauvinismus erschweren würde. Die Pflege der nationalen Empfindungen und Leidenschaften ist übrigens ein Gebot der Selbsterhaltung für die franzö sischen Socialisten. Dies abermals und sehr deutlich dar- gethan zu haben, ist ein weiteres interessante« Ergebniß dieser Kammerwahlen. Die Nationalisten haben Fortschritte ge macht: aber höchstens in dem einen Falle, wo ihr Erfolg den „Genossen" Minister Millerand inS Gedränge gebracht, wird dies eine sür die Socialisten recht bedenkliche Erscheinung sein. Das „Herz von Frankreich", Paris, wird ihnen mehr und mehr ungetreu, aber auch in der Provinz haben die offenberzigsten Vorkämpfer der Revanche an Anhängern, wenn auch wohl wenig an Kammersitzen, gewonnen. Unsere blinden deutschen Verhetzungs-Fanatiker wird auch dies Ergebniß nicht beirren, aber die französischen Socialistenfübrer sind klüger als sie. Ein Moment erhöht tne Bedeutung des nationalistischen Vordringens. Diese Wablcn sind die ersten nach der Beilegung oder Escamotirung deS Dreyfus-Handels, und die Partei, die dem AotidreyfuSanden- thum eigentlich ihre Entstehung verdankt, zeigt sich m der Er starkung begriffen. Daß dies in hervorragendem Maße ge rade in Pari« geschieht, zeugt von einer fortschreitenden politischen Verwirrung der französischen Hauptstadt, denn dem Nationalismus ist eine starke Dosis von Nein- und kleinlich bürgerlichen Reactionsbestrebungen beigemengt. Aus Hermannstadt wird unS berichtet: In den hie sigen maßgebenden sächsischen Kreisen wird die Mittbeilung des Baron Banffy über die angebliche Aeußerung des Fürsten Bismarck betreffend die Siebenbürger Sachsen als ganz unrichtig bezeichnet. Banffy legt dem Fürsten Bismarck folgende Worte in den Mund: „Die deutsche Reicks politik wird sich der berechtigten oder vermeintlichen Ansprüche der Siebenbürger Sachsen nicht annehmen, wenn dieselben im Widerspruch zu de« Grundsätzen de« ungarischen nationalen Einheitsstaates stehen." In Siebenbürgen kennt man jedoch sehr genau die Gelegenheit, bei welcher zwischen dem Fürsten BiSmarck und Baron Banffy hierüber eine Unterhaltung stattgefunden hat. AuS der Umgebung deö Fürsten wurde damals einem hervor ragenden Vertreter der Sachsen hierüber Bericht er stattet, wonach die Worte BiSmarck'S etwa folgendermaßen gelautet haben: „Ich beurlheile die Frage der Sleben- bürger Sachsen weder vom Gesichtspunkte nationaler Sym pathie noch Antipathie. Die Politik des deutschen Reiches wird gegenüber den staatlichen Erfordernissen Ungarns stets die größte Loyalität zeigen, und ich denke, daß, wenn die ungarische Regierung den Sachsen ihre nationalen Eigenheiten unangetastet läßt, diese sehr bald ein treues und zuverlässiges Glied des ungarischen Einheitsstaates werden können." — Somit hat Fürst BiSmarck von den Sachsen nur erwartet, daß sie sich den staatlichen Er fordernissen deS ungarischen Einheitsstaates anpaffen sollten, nicht aber, daß sie unter Verzichtleistung auf ihr eigenes VolkSthum in dem angeblichen ungarischen „Nationalstaat" aufgehen sollten. Leider ist man eS bei dem Baron Banffy gewohnt, daß er derartige Zugeständnisse, die von den AuSlanden dem ungarischen Staatsgedanken gemacht werde«, im einseitigsten natwnal-magyarischen Sinne auSleyt. So bat er es auch dem rumänischen Ministerpräsidenten Demeter Studzza gegenüber gemacht, als Vieser mit Banffy in Pest über einen woäus vivsuäl betreffend die Siebenbürger Rumänen verhandelt hatte. Damals versuchte Baron Banffy, noch dazu in seiner Stellung als Minister präsident, die Worte Studzza's derart in magyarischem Sinne auszubeuten, daß Studzza in Rumänien als „Verräther an dem rumänischen VollSthum" aufs Heftigste angegriffen wurde. Jetzt versucht er daS Gleiche dem Fürsten Bismarck gegenüber zu thun; doch wird er dadurch die Verehrung, welche die Siebenbürger Sachsen dem Altreichskanzler zollen, in keiner Weise beeinträchtigen können. Deutsches Reich. D Berlin, 29. Avril. Der BundeSrath ver sammelte sich heute zu einer Plenarsitzung und überwies die Vorlagen, betreffend a. Aenderungen der 88 42 und 48 der Eiscnbahn-Verkehrsor-nung (Beförderung von Leichen mit der Eisenbahn), b. den Entwurf eines Gesetzes für Elsaß-Lothringen über die gemeinschaftliche Ausführung von Wasserleitungen, Entwässerungen und Bewässerungen durch mehrere Gemeinden, den zuständigen Ausschüssen. Dem Ausschußantrage zu der Vorlage, betreffend den am 5. März 1902 in Brüssel zwischen dem Reiche und mehreren anderen Staaten abgeschlossenen Vertrag über die Beyand- lung desZuckers und den Entwurf eines Gesetzes wegen Abänderung des Zuckersteuergesetzes wurde die Zustim mung ertheilt, ebenso dem AuSschußberichtc über die Vor lage, betreffend den Entwurf einer Verordnung wegen landcsrcchtlicher Anwendung des Reichsgesetzes über Un- fallfürsorge für Beamte und Personen des Soldatenstandes Fsttillatsn. Eva oder Anneliese? 26j Roman von Ern st Georg y. Nachdruck vkrbolkii. Ein Witterungsumfchlag war urplötzlich eingetreten. — Anneliese und ihre treue Seaton waren auf ihrem Spaziergang von einem Schneestnrm überrascht worden. Sic hatten -en Heimweg nicht finden können, so daß Hotel beamte sie erst suchen und hetmbrinaen mußten. Die beiden Damen waren fast erstarrt vor Kälte. Man brachte sie zu Bett, um üblen Folgen vorzubeugen. Jedoch diese blieben trotzdem nicht ans. Die Engländerin bekam eine schwere Erkältung und mußte ihr Lager hüten. Anneliese behielt einen starken Luftrührencatarrh und hustete jämmerlich. Sie war auf ihr Zimmer gebannt und gerieth in eine fast an Schwermuth grenzende Mißstimmung. Sie war durch Vorlesen so verwöhnt, daß sie sich nie die Mühe gegeben, die Blindenschrift gut zu lernen. So griff sie nicht zu den Büchern, sondern grübelte übellaunig vor sich hin. Kahle, der ihr Gesellschaft leisten sollte, schlief ein, sobald er still aß. Und Mutti? Natürlich war sie mit dem Officter zu- ammen und sah unten den Engländern und Amerikanern bei ihren Sportsllbungen zu. Das Hotel war tagelang eingeschneit. — Die Gräfin ließ die Schwiegertochter ab- sichtlich viel allein, weil diese nicht sprechen sollte, um den Hustenreiz zu verlieren. DaS junge Mädchen wollte aber Liese langweilige Einsamkeit, diese ewige Strickerei nicht ertragen. Sie verschwieg, daß sie heftige Stiche in der Brust und im Rücken fühlte, daß Schüttelfröste und fliegende Hitze sie von Tag zu Tag stärker belästigten. Wenn sie die Schmerzen packten, suchte sie mit ihren Ge- . danken den feinen Geliebten auf; aber bald fehlte ihr selbst dazu die Kraft und die Lust. SineS vormittags brannte wieder die Sonne Das thauenbe Eis machte die Wege unpasstrbar »nd die Hotel jugend flüchtete auf eine hochgelegene Berawtese, wo noch Schnee und Ei» festlagen. — Nach dem Dejeuner waren Alle in» Freie gegangen. Auch Gräfin vrandau und ihr Begleiter versuchten, warm eingchüllt, einen Spaziergang, s — Anneliese sühlte sich gerade etwas besser, trotzdem cigcn- thümliche Stiche sie plagten. Sie ließ sich von Kahle in das Lesecabinet geleiten und in die Nähe des Fensters! führen, welches auf die Veranda hinausging. Dort setzte j sie sich müde nieder, wickelte sich in ihr weiches Tuch und lehnte sich zurück. — Hier wollte sie träumen und sich, wie so häufig, die Zukunft an Bernd s Seite ausmalen. Hier störte sie Mißchens Schnarchen nicht. — Sie mochte eine Viertelstunde gesessen haben, als sie draußen Schritte ver nahm. Stimmen erklangen. Anneliese horchte auf. Es waren Mutti und Löwen-Polling! — „Da! Wie ich gesagt, das Nest ist leer! Alle auSgc- flogen! Schade, daß meine Patienten die balsamische Luft nicht genießen können!" meinte die Gräfin laut. „Setzen wir uns noch ein Weilchen!" — Stühle rückten, sie nahmen Platz. — „Ich kann jetzt noch nicht zu meinen Kranken gehen", fügte sie hinzu. „Sie wissen nicht, mein Freund, wie Sie mich erschüttert haben!" — „Sie Gütige!" sagte er warm, „wenn Sie damals da gewesen wären, beim Him mel, es wäre anders gekommen. Der weibliche Einfluß fehlte ihr!" „Was müssen Sie gelitten haben, wenn Sie dos Mädchen so liebten!" begann Marie nach einer kleinen Pause wieder. Er seufzte hörbar. — „Das Menschenherz kann weit mehr aushalten, als man in guten Zeiten annimmt. Sie wissen nicht, Gräfin, wie ich meine Cousine Eva vergötterte. Ich war meiner Sache so sicher, ich zweifelte gar nicht an ihrer Gegenliebe. Da kam Ihr Sohn aus Potsdam in seiner weißen Uniform, wie ein junger Gott, so schön. Sein Ge- sicht so edel und so unendlich vergrämt, um den Mund einen so weben Leibenszug, daß die Herzen ihm zuflicgen mußten. Und denken Sie, Gräfin, ich blieb noch immer harmlos!" „Was verrieth Ihnen denn, daß mein Sohn und Eva sich liebten?" fragte sie mitleidig. Anneliese wurde kreideweiß. Eie beugte sich vor und lauschte athemlos. „Branbau spielte die Geige wie ein Künstler. Man konnte auS seinen Tönen die Sprache seines Herzens herauSlesen", sagte er ernst. — „Tva war wie berauscht, da beobachtete ich die Beiden, wie ein Spürhund das Wild. Ihre gegenseitige Leidenschaft hätte ein Blinder merken müssen. Ich wollte Gewißheit, sprach mit meinem Onkel und am folgenden Tage mit Eva. Sie wies mich ab und gestand mir ein, daß sie ihn, er sie liebte!" „Armer Freund!" „Ja, damals mar ich. wie ein Wahn ¬ sinniger. Aber ich beruhigte mich nach und nach. Vor Kurzem sah ich Eva, gelegentlich eines Besuches im Krankenhaus. Er sollte für mich ein Prüfstein werden. Ich fühlte es, daß ich über den Schmerz hinweggekommen bin!" Er sprach es in ruhigem Tone. — — „Ihnen, die Sie mir in der kurzen Zeit unserer Be kanntschaft lieb geworden sind, wie eine zweite Mutter, Ihnen, Gräfin, kann ich es ja sagen, ich hoffe jetzt auf ein anderes Mädchen!" „Wie mich daS freut, Löwen- Polling!" entgegnete sie herzlich. — „Doch sagen Sie, haben Sie den Eindruck, als ob die arme Eva meinen Sohn noch liebt?" Der Hauptmann schien nachzudenken. „Ja!" rief er dann. „Ich bin sogar überzeugt davon!" Wieder entstand eine Pause. Anneliese blieb regungs los. — „Gräfin!" begann er das Gespräch von Neuem. Ich habe Ihnen offen und rückhaltlos meine Geschichte erzählt. Sic kennen mich und wissen, -aß Sie mir vertrauen können! Mir ist damals so viel unklar geblieben. Darf ich jetzt einige Fragen stellen?" „Sie dürfen; ich werde Ihnen eben so wahr antworten, weil ich auf Ihre strengste Dis kretion rechne!" „Mein Ehrenwort " „Ich vertraue Ihnen auch ohne dieses, lieber Freund!" „Liebt Ihr Bernd meine Cousine noch heute?" Anneliese preßte die Lippen zusammen, um nicht zu schreien. Sie mar ganz Ohr. „Leider ja!" entgegnete Marie seufzend. „Er liebt sie noch derart, daß er nicht im Stande war, meine arme Anneliese schon jetzt zu beirathen. Die Komödie der Zu neigung, welche er spielen muß, schien ihm vorläufig noch so unerträglich, baß er hauptsächlich deshalb in die Fremde floh. Die Angabe der Lungenerweiterung ist für Anne liese gefunden. Sie liebt ihn und ahnt nicht, was er um ihretwillen leibet und gelittcHhat!" „Warum zum Teufel hcrrathet -ieser schöne, talent volle Mann diese, gelinde gesagt, unbegabte, blinde Person? Warum opfert er ihr seine Zukunft und die seiner Geliebten?" schrie Löwen-Polling und schlug auf einen Tisch. „Pscht Ruhe, junger Brausekopf!" besänftigte Marie. „Bernd hat bei einer Schciben-Schicßübung unwissentlich Anneliese um ihr Augenlicht gebracht. Das unglückliche Kind hatte sich hinter dem Zaune verborgen, um den theueren Pflegebruder bis zum letzten Moment zu sehen! Opfer um Opfer!" „Na, da hört doch Alles auf, sind Sie denn blind, Gräfin? Selbst das strengste Gericht würde ihn frei sprechen, und Sie gestatten, daß er in sein Unglück sehenden Auges hincinrennt? Die Blinde mutz ihm ja zum Ekel werden, weil sie ein Menetekel ist für eine That, die er nicht zu verantworten braucht. Donner und Dorta!" „Still, um Gotteswillen, hörten Sie nichts?" unterbrach sic ihn. „Ich? — Nein, was ist denn?!" fragte er erschreckt. Marie mar aufgesprungen. Sic war blaß, ihre Füße versagten den Dienst. „Um Gotteswillen, das klang ja wie ein erstickter Seufzer. Man wird uns doch nicht be lauscht haben! Sehen Sie dock nach!" Der Baron eilte an das Fenster und spähte hinein: „Niemand da, Sie hörten Gespenster!" „Nein, nein!" „So kommen Sie doch her, und sehen Sie selbst nach!" Die Gräfin näherte sich schwer. Sic schaute hinein: „Nein, wirklich nicht!" Ich hatte Todesangst, — — — meine Schwiegertochter könnte uns gehört haben!" — Sie athmetc auf. „Aber ich bitte Sic, die Blinde hätte sich doch nicht so schnell entfernen können!" „Das ist wahr!" sagte sie erleichtert. „Aber kommen Sie mit hinauf in unsere Zimmer. Ich habe keine Ruhe, ehe ich mein armes Kind nicht gesehen habe!" „Gewiß, gern!" entgegnete er bereitwillig. Höflich bot er ihr den Arm und führte sic forgsaui treppauf. Bor dem Eingänge zu ihren Räumen fand sie die Beweglichkeit wieder. Hastig stieß sic die Thür aus. Im Salon saß Kahle und schlief. Sie rief ihn an. Er war sofort nmntcr. „Wo ist Miß Seaton?" „Im Bett, Frau Gräfin!" meinte er, verwundert über diese Frage. „Und — und Fräulein Anneliese?" fuhr fi«
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite