Volltext Seite (XML)
Von Walter persich Der Fischdampfer „Janus" lag, gründliche Ueber- holung erwartend, vor dem Dock. Einige Mann hatten Heimaturlaub bekommen. In gemütlichen Stunden holte Jack Brassepoll aus dem Logis einen schwarzen Leder kasten. Diesem entnahm er ein prächtiges Schifferklavier. Darauf wußte er meisterlich zu spielen. Komisch eigentlich, daß außer Jack Brassepott keiner von den Kerlen an Bord mit dem Instrument fertig wurde. Nur einen gab es. Und daS war der dumme Klas. Klas war Jungmann. Die Zunge gehorchte ihm nicht so recht. Oft saß er stotternd mitten im Satz fest und fand über haupt keinen Ausdruck mehr für seine langsamen Gedanken. Darum mußte er auch auf dem Fischkahn die dreckigste Arbeit machen Seine Seele aber löste sich aus dem Alltag und vom Irdischen, sobald er Musik hörte. Jack Brasse pott hatte ihm das Spiel auf dem SchifferNavier beige bracht Dieses schimmernde und tönende Ding war Eigen tum der ganzen Mannschaft Alle hatten zusammengewor fen. damit er ihnen nach den Tagen harter See, wenn der Fang eingebracht war, abends Vorspiele . . . Der Mond betupfte die Kuppel des ElbtunnelS mit magischem Licht. Jack Vrafsepott saß neben dem dummen Klas und spielte. Klas kamen beinahe die Tränen in die Augen. „Niemals hast du so schön gespielt . . ." stotterte er. „So?- brummte Brassepott. „Na, gut. Da, nimmt das Ding! Jetzt wirst du es immer spielen!" Klas ließ die Finger einmal über die Tastatur tän zeln. Mit einemmal wurde ihm klar, was Jack gesagt hatte. „Nee!" Er schüttelte den Kopf. „Da würden die an deren schönen Radau machen! Sie wollen nur deine Musik hören, Jack" Brassepott spuckte über die Reling. „Mein Seefahrisbuch liegt bereit. Ich hab abgemustert. Morgen ist Trauung Fine will mich nicht mehr zur See lassen Na. und der olle Krüger stell« mich als Lademetfter an auf dem Fischmarkt Ich bleibe an Land. Basta . . . das SchifferNavier gehört der Mannschaft des „JanuS". Es bleibt hier, und du bist der nächste." „Sie werden es dir schenken, Jack!" meinte KlaS. „Denkst du, die Mannschaft will keine Musik mehr hören, wenn ich weg bin?" Der dumme Klas wälzte sich die ganze Nacht schlaflos in seiner Kose Am nächsten Abend erschien er in der kleinen Wohnung des sungvermählten Paares. Er spielte den Gästen die schönsten Tänze vor. Es wurde Mitter nacht. ehe er. seinen Musikkasten am Lederriemen um den Hals gehängt fortging. Unglücklicherweise liegt die Hafen-Haltestelle der Linie 26 nicht nur gegenüber der Fährbrücke, von wo aus die Seeleute wieder zu ihren Schiffen hinüberfahren, sondern außerdem genau vor dem Eingang der Taverne „Zum himmelblauen Seehund" Dem von gutem Wein erhitzten dummen Klas schlug Lärm und Gelächter ent gegen und er fand einen Grog dürfe er noch nachgießen. Mit Hallo empfing man ihn Mitten unter Seevolk saß die rote Jette ein hübsches Mädchen von St. Pauli. Käp n Mnmmpitz wollte wohl auch einmal die angenehmeren Seiten des Lebens genießen und hatte seinen Arm um ihre Taille gelegt „Dünner!" Er winkte Klas heran. „Da hat der Brasse- Pott dir was rechtes aufgehängt! Habe mich immer schon über eure Katzenmusik geärgert — jetzt wird es ja ganz schlimm werden! So ein Mummpitz!" „Käp'n!" erwiderte der dumme Klas, „ich kann fein spielen!" „Nicht mal 'ne Topplaterne von einem Leuchtturm kannst du Dussel unterscheiden! Mummpitz I" Klas packte das Instrument aus. Der Wirt beschnup perte das Schifferklavier, sah. daß es mit den Geisteskräf ten des Musikanten nicht weit her war. überblickte die leeren Groggläser auf dem Tisch und legte Klas die Hand auf die Schulter. „Wenn du hier spielen willst, gehört es sich, eine Runde zu schmeißen!" Klas winkle zustimmend. Die rote Jette brachte Grog gläser und Klas legte los. „Weiße Taube" und „Nach der Heimat möchl ich wieder", „Auf der Reeperbahn nachtS um halb eins' und „In Hamburg da wartet ein Mädel auf mich' Er spielte sich fast die Seele aus dem Leib, und vor jedem Lied schrie Käp'n Mummpitz nach der roten Jette und nach Grog Ein Plan war ihm plötzlich einge fallen - jetzt würde er Gelegenheit haben, meinte er, den „Leierkasten" vom Schiff loszuwerden! Er tuschelte mit dem Wirt - und dann war es Zett, die Bude dicht zu machen und der dumme Klas sollte 67 Mark und 40 Pfen nige für alle seine Grogrunden bezahlen. SOS! Von seiner Heuer hatte er einen glatten Fünfziger an seine Mutter in Flensburg abgeschickt. Keine 17 RM. kamen mehr auS der Tasche „Sind die Eier auch frisch?" „Darauf können Sie sich verlassen, gnädige Fra^ die Henne weiß noch nicht einmal, daß wir fle schon Haven." (The Sydney Mail.) „Käp'n l" bat er. „Bürgen Sie für michl Ich will meine ganze Heuer vom nächsten Monat . . ." „Und dann kneifst d» Bursch« mir aus? he? Mumm- Pitzl" Der Wirt betastete mit begehrlichen Händen das Schiß» ferklavier. Im stillen überlegte er schon, daß er einen Mann suchen würde, der dann jeden Abend im „Himmel blauen Seehund" musUteren könne. Der dumme Klas mußte Kasten und Inhalt alS Pfand »urücklassen. Und Käp'n Mummpitz brachte die rote Jette nach Haus, wäh rend Klas eben noch die letzte Fähre erwischte . . . In aller Herrgottsfrühe schrubbte der dumme KlaS schon das Deck. Der hinkende Steuermann kam erstaunt aus der Kom büse. „Nanu? Heute, Sonntagmorgen arbeitest du, Un sinn . . ." „War dreckig l" erklärte KlaS hoffnungsvoll. „Steuer mann . . ." fügte er bescheiden hinzu, „können Sie mir 50 Mark pumpen? Ich have . . Der Hinkende lachte auS vollem Halse. „Ach so. aus der Richtung weht der Wind! Denkst Wohl, wenn du wie ein Idiot sauber machst, mich wetch -u kriegen! Ree — " Klas wütete mit Wasser und Scheuerpulver. Der Koch wollte ihm kein Geld leihen, der Bootsmann zuckte die Achseln. An der Mittagstafel meldete der Steuermann: „Der Alte bleibt heute und morgen an Land. AuS- gang gibt's nicht. Nachmittag« wird KlaS uns was Schö- neS Vorspielen. Wollen sehen, ob er Brassepott ersetzen kann!" Erschreckt ging KlaS an Deck. DaS SchifferNavier befand sich im „Himmelblauen Seehund"! Und übermor gen würde Mummpitz die ganze Geschichte erzählen! Er, KlaS, hatte daS Eigentum der Mannschaft verschachert — er war ein Hund, ein Bandit, ein Verbrecher . . . Inzwischen spielte sich im „Himmelblauen Seehund" eine heftige Auseinandersetzung ab. Mittags kam die rote Jette. Bevor sie ihren Dienst anttat, legte sie zwei Scheine auf die Theke. ,Hch muß daS SchifferNavier an Bord der Hanus' bringen!" behauptete ste. „Käp'n Mummpitz hat mir daS Geld gegeben, so deutlich habe ich ihm die Wahrheit ge sagt!" „Kommt nicht in Frage!" pfiff der Wirt ste an. Aber, wie gesagt, der Jette war eine resolute Person. Der Nachmittag rückte vor. Der dumme KlaS schwebte in tausend Aengsten. Endlich hätte er Farbe bekennen müssen — aber er zog eS vor, seinem qualvollen Dasein ein Ende zu bereiten. Am Sonntag ruht die Arbeit auf den Wersten. DaS sollte sein Vorhaben erleichtern. Er stieg vom Schiff hinüber zum Dock. Einer der Riesenkräne war schnell erreicht. KlaS kletterte in da« Schallhäuschen. Er hatte gesehen, wie daS gewaltige, mit übermenschgroben Hell steht die Sonne am Himmel. Aber ste hat jetzt nicht mehr die Kraft, die sie noch vor einigen Wochen gehabt hatte. Der Sommer war vergangen — und die warmen, schönen Tage, die jetzt noch über die Erde gingen, verbargen doch schon sehr merklich in all ihrer Schönheit den kühleren Hauch des Herbstes. Eben stand die Sonne am Himmel. Da zog aber ein« dunkle Wolkenwand herauf. Die Sonne verschwand mit einem Male, der Wind wurde zum Sturm und don nerte durch die Straßen der Stadt, er fegte heulend um die Ecken, er riß morsche Aeste und rotbraune Blätter aus den rauschenden Baumkronen und verlor sich pfeifend und jaulend draußen in den Feldern und Wäldern. Durch diesen Herbststurm schritt Thomas Rottkamp. Weil man nicht genau wissen konnte, ob es nicht doch an- fing zu regnen, hatte er lieber seinen Wettermantel an gezogen. Knitternd und sich blähend wehte der Wetter mantel wie eine Sturmfahne hinter ihm her. Seinen Hut trug Thomas Rottkamp in der Hand, seine Haare flat terten. Es waren dunkelbraune Haare. Aber an den Schläfen begannen ste bereits grau zu werden. Wenn man die Mitte der Vierzig hinter sich hat, geht der Sommer des Lebens auch so langsam seinem Ende entgegen, auch dann, wenn man nichts davon wissen will. Thomas Rott kamp lehnte sich kraftvoll gegen den drängenden Sturm und freute sich, wie dieser wilde Geselle an ihm zerrte und riß. Dort unten, wo Hagemanns HauS, das letzte an der Straße, stand, befand sich eine Wiese. Da ließen die Jungen Drachen steigen. ES war schon sehr lange her, seit Thomas Rottkamp einmal dieses Spiel betrieben hatte. Fast hatte er eS vergessen. Thomas Rottkamp bog um die uralte Ruine deS Klosters herum und ging den ein wenig abschüssigen Weg ins Tal hinab. Hinter ihm lag die steine Stadt. Der Wetterhahn auf dem Kirchturm vollführte einen wahren Hexentanz. Uever die Dächer der Stadt donnerten die Böen hinweg. Vor Hagemanns HauS standen einige Kastanien- bäume. Der Garten, der sich links am Hause hinzog. leuchtete im Schmuck bunter Herbstblumen. Aber darauf achtete Thomas Rottkamp nicht. Di« schönste Blume, di« er sich überhaupt vorstellen konnte, war Petra Hagemann. Vor ihrer jugendfrischen Schönheit konnten die rötesten Herbstastern nicht bestehen. Thomas Rottkamp war stehen geblieben, lehnte sich etwas an den Drahtzaun des Gar tens an und betrachtete Petra, die, ohne ihn bemerkt zu haben, im Garten hantierte. Neunzehn Jahre alt war das Mädel — Helles, weiches Haar umrahmte das ge sunde, frische Gesicht. Boll und rot leuchtete der Mund. Strahlend blaue Auaen blickten lebensfroh und erwar tungsvoll inS Leben hinein. Und wie Thomas Rottkamp jetzt die schlanke, kraftvolle und biegsame Gestalt des MädelS sah, da schoß eS wie eine lodernde Flamme in ihm empor: Petra konnte sein Glück werden! Er, der sich bisher an keine Frau gebunden hatte, er fühlte mit einem Male die unbezwingliche und drängende Sehnsucht nach dem Glück, daS eine geliebte Frau dem Manne zu bteieu vermag. Ob, er wußte schon lange, wie es um ihn stand. Und wie es schien, mochte auch Petra ihn gern. Da» merkt« man doch; an Blicke«, an leisen, fast stummen Wo» tt». Man mußte nur de» Mut haben zu frage». Und Zeichnung: Grunwald. Greifzangen Lasten umspannende Dina bedient wurde. Die Kette rasselte, der Strom ließ die Greifer nach unten sinken und sich ausbreiten — in vier Minuten würden ste sich automatisch schließen. Dort unten erwartete Klas seinen Tod — zwischen den stählernen Greifern wollte er sterben, lautlos und tapfer... , Schon schwebten die Gigantenzangen über seinem Kopf. KlaS dachte noch einmal an seine Mutter, an Jack Brassepott und an das Schifferklavier. Rief man seinen Ramen? Eiskalt stieß der Stahlgreifer gegen seine Schul ter — der dumme Klas sprang vor und starrte -um Schiff hinauf. Ja — der Steuermann, der Koch, der Bootsmann standen an der Reling, schreckensbleich neben ihnen die rote Jette. Sie hielt hoch in den Händen den schwarzen Kasten mit dem SchifferNavier. „KlaS — KlaS!" schrien ste allesamt. Klas hörte noch den rasselnden Griff de» KraneS über den Boden schurren und, da keine Last zu umspannen war. sich wieder heben. Und dann stand er an Bord und fiel der roten Jette schluchzend um den Hal». Etwas von ihrem Puder blieb in seinem wirren Haar haften. „Dummer Kerl!" sagte sie, „ich habe da- Schiffer- klavier! Und nun wirst du un- allen ein schönes Lied spielen!" KlaS streichelte die Tasten und die Perlmuttknöpfe. Eine nie gekannte Seligkeit erfüllte ihn. Sie reihte sich in die Töne eines LiedeS ein und schwang in einer süßen Melodie über die am Steven glucksenden kleinen Wellen der abendlichen, von den Weltmeeren in die Elbe spülen den Flut, / Von Horst Thieme wenn Thomas Rottkamp auS irgendeinem Grunde bisher nicht den Mut gehabt hatte, jetzt — in diesem Augenblick hatte er den Entschluß gefaßt, heute noch an Petra die schwere, entscheidende Frage zu stellen. „Fräulein Petra —", rief er in den Garten hinein Das Mädchen richtete sich auf, strich mit einer Arm bewegung die Haare aus der Stirn und winkte dem Manne lachend zu. „Kommen Sie doch 'rum, Herr Rottkamp — die Hintere Gartentür ist auf." Rottkamp schritt am Zaun entlang und fand die Hintere Gartentür unverschlossen. Er streckte Petra schon von weitem die Hand entgegen zum Gruß Petra stand lachend da. Der Sturm, der durch daS Haus etwas ab gehalten wurde, war immer noch stark genug, um daS weiche, blonde Haar wie eine Krone aufzubauschen. „Sie können 'n bißchen mithelfen, Herr Rottkamp", neckte das Mädchen. Aber daraus wurde nickt viel. Bald standen sie an die Bretterwand des kleinen Schuppens gelehnt und unter hielten sich. RottkampS Herz klopfte wie ein schwerer Hammer. Jetzt, hier war die beste Gelegenheit, um da auszusprechen, was ihn so lange schon bewegte. Eben wollte er den Mund offnen, um den Anfang zu machen, als Petra plötzlich sagte: „Wir haben übrigens Besuch bekommen, Herr Rott- kamp — mein Vetter Albert ist ganz plötzlich angekommen. Ach so, ich glaube, Sie kennen ihn gar nicht. Er war seit drei Jahren nicht mehr hier. Was meinen Sie, wie ich mich freu« — — das ist ein lustiger Kerl — dreiund- zwanzig Jahre alt ist er. Da paßt er doch gut zu mir. was?" Petra warf den Kopf in den Racken und bot ihr frisches, gesunde- Mädchengestcht dem pfeifenden Sturm dar. Ihre Augen blitzten, die weißen Zähne glänzten. Ehe Rottkamp antworten konnte, fuhr Petra fort: „Manchmal war ich ganz unglücklich, wissen Sie — ich habe ja hier keine Freunde weiter — ich leb' ja allein mit Mutter — und manchmal kam ja auch Onkel Ewald — und dann waren Sie ja auch viel bei uns — aber — so in meinem Alter — da hatte ich eigentlich niemanden — und deshalb freu' ich mich so, daß Vetter Albert mal für ein paar Wochen gekommen ist." Thomas Rottkamp starrte das junge Mädchen an. . „So", sagte er, und seine Stimme klang etwa- belegt, „daran hab' ich wirklich noch nicht gedacht, daß so ein junger Mensch wie Sie sich nicht wohl fühlen könnte, wenn nur lauter alte Leute — so, wie Onkel Ewald — und ich — " „So hab' ich daS ja nicht gemeint", sagte ste. „Alt —' „Natürlich nicht, Petra", sagte Rottkamp und fand ein leichtes Lächeln. „Immerhin — Sie haben ja recht — Jugend will eben zur Jugend " Durch die Luft wurde ein gelbe- Kastantenblatt ge- Wirbel«, daS sich auf Rottkamp« Jackenärmel niederlteß Nachdenklich nahm er e« zwischen seine Finger, betrachtete «s und ließ e« dann vom Winde weitertragen. „Herbst", sagte er und blickte über Petra hinweg. Dann fuhr er sich mit der Hand über die Schläfen, o« denen da« Haar schon grau zu werden begann Ls war wirklich Herbst geworden...