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Von Siegfried Brase Don Erna Bükna Von Elans Back Sie sind gern an und ihi Nur mit den Augen In Rio de Janeiro gibt eS hübsche Ströhen. Sucht zur Meckerei, letzten Endes doch unendlich erkennt, vermissen wir jetzt eigentlich alle Lora Triumphgeschret. jedoch am interessantesten am Sonnabendnachmiltag. Dani wird nämlich die Paseo veranstaltet. Die jungen Leun der Stadt stellen sich in zwei Reihen am Straßenrand aui Und die jungen Damen marschieren dann in ihrem schönsten Kleid an ihnen vorüber. Mit groben, staunende' Augen starren die jungen Männer zu ihnen herüber. Abei niemand darf ein Wort sprechen oder gar eine Hand aus strecken nach einem der schönen Mädchen. ES ist ein un geschriebenes Gesetz, datz bet der Paseo der junge Man die AuSerwählte seines Herzens nur mit den Augen nn schwärmen und genietzen darf. Wenn er mehr will dann kann er sich über seinen älteren Bruder oder sein, Vater mit der Familie des Mädchens in Verbind»» setzen . . . Annemarie besah einen Freund, der hatte schönes welliges Haar und trug einen goldenen Ring mit ein graviertem Namenszeichen am Finger. Er trug äußerst schmissige Anzüge und hielt Hut und Handschuhe immer in der Hand. Dazu benahm er sich überlegen und herab lassend wie einer, der alles kennt und alles vom Leben weiß. Er hatte auch mal gesagt, er hätte schon viel mit Frauen zu tun gehabt. Das alles machte aus Annemarie großen Eindruck. Jeden Sonntagnachmittag pslegte sie sich mit ihm zu treffen, und beide fuhren dann irgendwohin, führten sich dort wie reiche Leute von weither auf und Neben sich bewundern. Eines Sonntags erschien ein Vetter von Annemarie zu kurzem Besuch. Er trug eine graugrüne Uniform, er war seit einiger Zett bei den Soldaten. Er war ziemlich jung, sah frisch und rosig aus, war sonst aber etwas un- beholsen. Was sollte man mit ihm machen? „Annemarie,' sagte die Mutter, „geh doch mit ihm nach dem Esten ein bißchen spazieren!' Annemarie war ärgerlich über die Störung, da sie sich wieder verabredet hatte. Doch sie wagte nicht, rundweg abzulehnen, der Vetter saß neben ihr und sah sie erwartungsvoll an. „Na, dann komm, kleiner Muschko!' sagte Annemarie an der Treppentür. Auf der Strabe eröffnete sie ihm, datz er leider das fünfte Rad am Wagen spielen müsse. „Oh, das wußte ich nicht,' sagte er gutmütig, „ich will euch keinesfalls stören!' — „Ach Unfug,' war die Antwort, „so ein kleiner Muschko wie du stört doch nicht!' — Er spürte den verächtlichen Ton und wurde sehr still. — Dort an der Ecke stand Annemaries Freund. Sein Anzug stach schon von weitem ins Auge. Er kam schlen dernd ein paar Schritte entgegen und lächelte nachsichtig: „Es freut mich ungemein, Ihre Bekanntschaft zu machen.' Annemarie war sehr stolz daraus, mit welcher Beherr schung er die unangenehme Ueberraschung zu verbergen wußte. Seine Haarweven lagen weich und glänzend auf dem Kops Sein Ring blitzte. Die ganze Erscheinung hatte etwas Bedeutendes an sich. Der Vetter sah daneben aus wie ein ahnungsloses Kind, fand Annemarie. Sie gingen die Straße entlang. Annemarie ln der Mitte. Der Vetter schwieg, der Freund erzählte Mords geschichten. Er sprach von indischen Tempeltänzen. Sehr fesselnd! Aber die Mädchen, die ihnen entgegenkamen, sahen nur auf den Soldaten, nie auf den Freund. Anne maries Eitelkeit wurde dadurch verletzt, und sie grollte heimlich dem Vetter. Sie traten in ein Kaffeehaus ein. Der Freund strich sich durch die Haare, blies den Rauch in die Lust, ließ den Ring blitzen. Er ließ seine Zigarettendose aufschnappen und sagte zu dem Vetter: „Gestatten Sie, daß ich Ihnen etwas ganz Erlesenes anbiete? Echt ägyptisch, aber Sie dürfen mich nicht verraten, ich habe sie nämlich geschmug. gelt!' — Der Vetter nahm eine heraus, sah sie an. Und warf sie aus einmal lachend aus den Tisch. „Nee, danke!' rief er, „die hab ich mir übergeraucht! Die werden in Berlin gemacht und kosten zwei Pfennige! — Ja, und den Schmöker vom Tempeltanz habe ich auch gelesen. Wir haben auf unserer Stube hinterher damit Fußball gespielt!' „Ohl' sagte der Freund, lehnte sich zurück und lächelte verächtlich. Annemarie aber sah ihn starr an: „Du warst gar nicht in Indien und Aegypten?' — Ein Weilchen schwieg der Freund lächelnd. Dann fragte er mit bedeut- samem Augenaufschlag: „Hast du das etwa geglaubt?' — Annemarie senkte den Kopf und wurde sehr rot. Der Freund saß mit überlegener Miene da und fühlte sich der Lage durchaus gewachsen. Aber sein Ruhmesglanz war dahin. Und die Stimmung auch. „Wir wollen gehen!' sagte Annemarie. Und sie gin gen. „Seh deinen Hut auf!' sagte Annemarie, denn sie ärgerte sich über das wellige Haar. Der Freund tat es lächelnd. — „Zieh deine Handschuhe an!' sagte Annemarie, denn sie ärgerte sich über den blitzenden Ring. Der Freund tat es lächelnd. — „Laß endlich das Grinsen!' rief Anne marie wütend. Aber der Freund ließ es nicht, sondern schwang den Hut und verschwand um die Ecke. Annemarie ging mit dem Detter lange aus stillen Wegen dahin. Ketns von beiden sprach. Endlich, als eS dunkel wurde und die Gesichter nicht mehr so deutlich zu sehen waren, fragte Annemarie leise: „Du, Muschkochen, was denkst du eigentlich von mir?' — Er erwiderte ebenso leise: „Daß du zu schade für so einen bist.' — Sie drückte ihm die Hand: „Du kleiner Muschko, du bist doch ein feiner Kerl!' Es ist schon ein paar Jahre her, daß SchulzeS einen Papagei gewannen, und doch hat sich dieses Ereignis ziemlich tief in das Erinnerungsvermögen aller Leid tragenden eingegraben. Heute wäre der ganze Vorgang nicht möglich; denn lebenden Tieren darf jetzt solch' unge wisses numeriertes Schicksal nicht mehr beschieden werden. Doch damals wurde Lora au? einem Rummel von Herrn Schulze gewonnen. DaS gav sofort Krach mit sei ner besseren Hälfte, obwohl Herr Schulze behauptete, Lora habe nur einen einzigen Groschen gekostet. Die Frau je doch hatte schleunigst die Brieftasche sowie die Hosentasche ihres Mannes untersucht und festgestellt, daß das gesamte Monatslaschengeld daraufgegangen war. Ob nun für das Ertrudeln des Papageis oder für die Feier nach dem glücklichen Gewinn, das erregte ihre Neugierde wenig, sie hielt sich an die Tatsache und die wurde der schwersten Vorwürfe für würdig erachtet. Das war der Auftakt zu der Bekanntschaft, die daS ganze Haus mit Lora machte. Vor Tag und Tage freilich war der lärmlustige Aerger der Frau bereits verflogen, und sie machte sich aus den Weg, um für Lora einen geräumigen Bauer zu er- handeln. Das war schnell beschafft, und als Schulzes Kaffee tranken, saß Lora bereits in ihrer neuen Wohnung Bevor die Zeit des zweiten Frühstücks nahte, wußte bereits jeder im Hause, daß lautes Geschrei einem natür lichen Drange bei Papageien entspringt. Ueberdies hatte Lora nicht nur Talent, sondern sie hatte eine wahrhaft geniale Veranlagung, krächzende und schrille Geräusche Dort wo die Sonne eben unterging, den von frischem Regen geschwellten Fluß noch beglänzend, würde also bald sein selbständiger Schaffensplatz sein. Es stimmte doch nun alles; als er heute wieder vom Gehalt etwas auf die Sparkasse brachte, hatte ihm der Sparkaffenleiter auf eine für alle Fälle gestellte Frage erwidert: „Gewiß, ein so ausdauernder Sparer erhalte auch einen persönlichen Kre dit, wenn er ihn für sein Geschäft nötig brauche.' Zu nächst hieß es ja, bescheiden anfangen, auf der erstehenden Siedlung, zu der er sonntags hinaussuhr, um von den Fortschritten sich zu überzeugen, in der sein Häuschen und sein Land mit den anderen gesichert stehen würde. Es müßte gehen, sein Geschäftchen, wenn man zu jedem freundlich, gewissenhaft und preiswert war; er hatte doch sein Fach gelernt und da draußen Konkurrenz so leicht nicht zu fürchten. Von diesem Gedanken bewegt, schritt Hans Frilow durch die Anlagen der großen Stadt, in der er noch als Verkäufer eines Lebensmittelgeschäftes, ohne jeden per sönlichen Anhang, arbeitete. Künftig müßte er freilich doppelt werken, denn auch das Gartenland wollte beschafft sein, sowie es aus dem elterlichen Schrebergarten ihm ver traut geworden war. Immerhin mangelten die Fähig keiten so wenig wie die Mittel zum fleißigen Aufbau. In den nächsten Seitenpfad bog ein Pärchen. Da schlug er sich vor die Stirn. Fehlte ihm nicht doch etwas — das Wichtigste, der andere Mensch und Kamerad! Aller dings, vor Jahren, als er der eleganten Trude sein volles, warmes Herz entgegengebracht hatte, war ihm mit vielem Kummer der Wunsch nach einer Lebensgefährtin vergan gen. „Das ist keine Frau für dich', so warnte damals der jetzt ferne Jugendfreund, aber er mußte erst selbst durch Schaden klug werden, einen Charakterfehler nach dem anderen entdecken. Genuß- und Verschwendungssucht, Egoismus, Untreue, Lieblosigkeit. Seit jenem Trennungs schmerz war er viel für sich geblieben. „Aber, Herr Frilow — abends kennen Sie mich Wohl nicht?' Der Angerufene hob den Nacken und stieß beinahe an das Brückengeländer, über dem die Bogenflamme ent brannte. „Verzeihung, Fräulein Mell. Ich freue mich im Gegenteil, daß wir uns so auch einmal begegnen, anstatt nur immer bei der nachbarlichen Aushilfe mit Wechsel geld. Wenn Sie keine Verabredung haben, gehen wir vielleicht noch eine Strecke.' „Ich laufe abends oft hier ins Blaue und meistens allein. Draußen ist solch friedlicher Feierabend nach all dem Straßenlärm.' Im gleichen, gemeinsamen Schritt glitt ihm plötzlich eine Kalkulation durch den Sinn. Fräulein Mell, seit lan gem Verkäuferin im Wäschegeschäft nebenan, war am Ende keine schlechte Ergänzung: mit ihrem kräftigen Wuchs, den gesunden Farben, flinken Händen und festen Beinen, die ordentlich ausgriffen — offenbar naturlieb und kundig in der anderen Branche, daß man vielleicht später mit Erfolg einen Doppelladen, ein Gemischt geschäft — „Andere Mädchen sitzen um diese Stunde im CafS, drehen sich beim Tanz. Sie sind genügsam — sparsam Wohl auch — zur Aussteuer, zum ersten Zimmer schon...' „Mein Vater hat selber eine Tischlerei. Doch eS ging uns lange schlecht — zwei Brüder ohne Arbeit — da mußte ich alles abgeben. Jetzt sind wir ja aus dem Schlimmsten heraus, aber nun wollen erst die Schulden abgezahtt sein.' Schade, dachte der Begleiter bei diesem aufrichtigen Geständnis. Paßte der Sparsame in eine verschuldete wiederzugeben. Leider mußte sie bisher Gelegenheit ge habt haben, viele solcher unerforschlichen Geräusche aufzu nehmen. Am Abend waren sämtliche Hausbewohner schachmatt, und Lehrer Meier prägte den unwidersproche nen Ausdruck:,LoraS Leben ist mit dem Zweck belastet, zu schreien'. Doch waren unsere Ohren noch nicht darauf ringe- stellt, dieses Geschrei willig aufzunehmen. In Lehrer Meier jedoch siegte der Erzieher. Er machte vor Frau Schulze eine tiesstmögliche Ver- beugung, begab sich zu Lora und pfiff stundenlang das schöne Lied „Ach, wie ist's möglich dann'. Das wieder holte er täglich, ja, dieses löbliche Tun wurde eben die Ausfüllung seiner Freizeit. Lora war geduldig; sie erwies sich als angenehmer Charakter; sie hatte nie schlimme Ab sichten, aber sie öffnete den Schnabel auch gerade nicht zu einem freundlichen Ton. Frau Müller stand sich nie gut mit Herrn Lehrer Meier, das war wohl noch so eine kleine rückständige Aus- lehnung aus der Schulzeit. Darum meinte sie, Herr Meier tauge durchaus nicht zum Tierlehrer, und sie taufte eine Grammophonplatte mit dem Liede „Am Brunnen vor dem Tore' Die ließ Frau Schulze nun andauernd ab laufen, wenn Herr Meier gerade durch Schulunterricht ver- hindert war, hier zu lehren. Die Nachprüfung aber, wel cher Unterricht der gegebene sei, und ob Lora überhaupt lerne, wurde freiwillig vom ganzen Hause besorgt DaS war ziemlich leicht, denn damit Lora frische Luft habe, stand sie den ganzen Tag auf dem Balkon. Doch weder Grammophonplatte, noch menschliches Ge- flöte erwiesen sich als die richtige Lehrmethode; Lora lernte nichts, sie schrie nur desto toller. Um mit Lora in Konkurrenz zu treten, erwachten plötzlich im Hause alle möglichen Geräusche, doch sowohl Spieluhr, wie Grammophon und Radiolautsprecher über tönte Lora nicht nur einzeln, sondern auch gemeinsam. Vom schwachen Hoffnungsschimmer beseligt, verfiel dann und wann ein Mieter deS Hauses noch mal auf irgendeinen geräuschvollen Erziehungszuschutz, doch Lora blieb bei ihrem Geschrei. Wir wußten es ja schon lange, SchulzeS würden siedeln Aber, waS waren uns Schulzes, dieser Name war längst untergegangen in Loras Gekrächz. Wir sagten darum nicht mehr „Schulzes werden demnächst siedeln', sondern „Lora siedelt bald'. Und nun ha« Lora gesiedelt. Doch geht keiner aus dem Haus, ohne den Kopf zu wenden und nach dem Balkon zu sehen, wo sonst Lora stand. Wir vermissen sie tatsächlich, und auf Postkarten bat man sich schon nach ihrem Wohl- befinden erkundigt. Denn eS ist und bleibt für den Menschen nun mal eben außerordentlich imponierend, wenn ein so kleines Lebewesen allen musikalischen Annäherungsversuchen er- folgreich Trotz bietet und nerven- und stimmgewaltig so- gar mit den Geräuschen aller technischen Errungenschaftei fertig wird. Und da der Mensch, trotz aller bekundeten Familie? Dann fragte er doch teilnehmend des Näheren nack den Schicksalen der Familie Mell, als eine Bank am verdämmernden Fluß zum Weilen lud. Es fand sich nichts Außerordentliches darin, aber alles schien sonst in Ordnung. Daß sich einer, der mit ihr gegangen war, zu- rückzog, als sie mit jedem Pfennig rechnen mußte, er wähnte das Mädchen nur nebenbei. „Ich könnte Ihnen jetzt auch nichts bieten', hob der Mann auf dem Heimweg an, „wenn wir uns wieder tref fen wollten — weder Vergnügen noch besonderen Bei stand. Ich muß daS Meinige sehr zusammenhalten — bin schon gebunden — da...' Er deutete irgendwie ins Dunkle. „Aber wenn es Ihnen trotzdem zusagt, würde ich Sie gern auch nach Feierabend Wiedersehen. Sie sind so verständig, haben Hartes mit durchgemacht und für den Bruder Rat gewußt. Ich habe allerlei vor und in der Stadt niemand, hätte manches mit einem Menschen zu be sprechen, dem man etwa« anvertrauen kann — freilich nichts zu versprechen.' „Uneigennützige Ratschläge — die hat mir jemand einmal angeboten, von dem ich mehr erwartet hatte. Doch wenn Ihnen das genügt — so können wir dann und wann zusammen ein Stück gehen wie jetzt und überlegen, was Sie brauchen.' Die frauliche Bereitschaft, einem anderen ln ernste, ihr noch unbekannte Ziele einzuhelfen, übertraf sein Erhoffen, beschämte. War eS nicht doch die Richtige? Ihre brave Familie verdiente eS wohl, daß auf diese Tochter die Sonne aus langen Wolken besonders hell scheinen müßte. Und bedurfte er selbst nicht mehr als bloß eines einzelnen Menschen? In seiner Brust regte sich Erstorbenes wieder, Vertrauen zu einem geprüften Herzen, daS nicht schnell be stach, doch durchwärmte. Zeichnung: Grunwald. Schon in den ersten Straßen, näherte sich daS Paar der Haltestelle, die für heute beide schied. ,^ch dachte eben nach, welcher Vorname zu Ihrem Wesen am besten paffen möchte.' „Meinen Ramen tragen viele. Grete heiß' ich.' „Mit der Grete müßte sich der Hans immer verstän- digen. Ich glaube, Fräulein Grete, jetzt sind wir beide auf dem richtigen Weg.'