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Eibenstock, den 3. Luli 1938 Ore Aee»re »LA Leere»/ Ist es nicht ost im Leben so? Wir ver zetteln uns an tausenderlei mehr oder weniger belanglosen Dingen und Ange legenheiten, ärgern uns und hallen uns dar- >iber nutzlos auf; wir wissen genau, daß es das nicht wert ist, aber wir versäumen oft, zu oft, den Schritt, den einen Schritt, der von dieser Erkenntnis zum Nichtbeachten all jener Nichtigkeiten führt. Sechs Werktage und nur einen Sonntag hat die Woche — im Kalender. In Wirk lichkeit könnten wir, wenn wir nur wollten, mindestens sechs Sonntage in jeder Woche haben: ein Tag voller Alllagssorgen und Alltagsgedanken reicht vollauf. Wir ver gessen, daß das Schöne für die Menschen geschaffen ist — für wen sonst? — und die Menschen für das Schöne! Man wende nun nicht ein: ja, aber wir müssen doch nun mal arbeiten und uns mit dem „Ernst des Lebens" auseinander setzen, ohne das geht es halt nicht hier aus Erden Freilich, ohne das geht es nicht. Aber mit zuviel davon oder gar nur damit geht es erst recht nicht! Wir dürfen uns nicht vom Alltag unterkriegen und auffressen lassen, wie es leider viel zu oft geschieht. Immer noch gilt das Dichterwort: Der Mensch ist für den Sonntag geschaffen; die Werktagssorgen schafft er sich selber! Wie kommen wir dahin? Poesie im weiteren Sinne ist alles, was das Leben lebenswert und schön macht. Aber wieviel mal in jeder Minute wird dieser Poesie ins Gesicht geschlagen! Da wird lieber geklatscht und getratscht, lieber geschimpft und sich geärgert — um unzähliger verschiedenster Kleinig- und Kleinlichkeiten willen, die es, im Grunde genommen, allesamt nicht wer» sind, daß ei»» Mensch, „die Krone der Schöpfung", sie überhaupt beinerkt. Wie richtig wäre da ein leichterer, für das Schöne aufgeschlossener Sinn! Und — wenn es gar nicht anders gehen will: ein freund liches Wort, eine ruhige Ueberlegung, und alles ist wieder klar, die Sonne kann wieder ungehindert scheinen. Die Poesie als Perdichtung und Inner lichkeit alles Wesentlichen unseres Seins ist das lebenspendende Master für die dürren Felsen unseres Lebens, deren Namen alles Jrdisch-Allzuirdische bezeichnen und alles, was uns hinabzieht anstatt emporzuheben. Dieses heilkräftige Master wäscht alle Schwere, alle Verkrustungen von unserem Herzen, auf daß es froh, gesund und leicht wird. Rehmen wir nur rech« oft die Hilfe der Poesie in Anspruch, dann wird uns gar manches Röslein frisch und rot erblühen, das immer den gleichen Namen trägt: Glück! Für den Lebcnskünstler ist schon ein Lächeln ein Stück Poesie, an dem er sich freut, aus dem er Kraft zieht, durch das er die nächste Unannehmlichkeit leichter tragen kann Doch er läßt sich nicht nur zulächeln, sondern lächelt oft und kräftig zurück. Ob dies Lächeln ein sichtbares Lächeln ist oder ein gutes Wort oder nur ein freundlicher Gedanke — das bleibt sich ganz gleich. Immer wird dadurch eine Atmosphäre ge schaffen, in der die Poesie üppig gedeiht, in der aber alles Ueble, Schlechte und Widrige, wenn es überhaupt darin vorkommt, seine natürlichen kleinlichen Ausmaße behält und gar nicht erst wuchern und stark werden kann! Das Durch-Freude-Krast-Gewinnen darf nicht nur auf einige Erholungsstunden beschränkt bleiben. Und denken wir daran, daß auch die Freude, die wir anderen be- reiten, letzten Endes uns ebenfalls zugute kommt. Genaue Untersuchungen ergaben, daß der Anblick eines freundlich-schön gedeckten Tisches auf alle Organe und Drüsen des menschlichen Körpers derart günstig ein wirkt, daß Verarbeitung, Erschließung und Wirkung der eingenommenen Mahlzeit in ungeheurem Maße gefördert werden. Ge nau die gleiche Mahlzeit aber, auf einem lieblos gedeckten Tisch ebenso dargereicht, wirkt auf die natürlichen Vorgänge im Organismus so hemmend, daß auf die Dauer sogar schwerste Krankheiten entstehen können. Beschreiben kann man diese Vor gänge zwar genau, aber ihr innerstes Wesen zu erfassen, bleibt uns versagt, denn auch das gehört in weiterem Sinne zur Poesie, zur Seele, zur ewigen Lebenskraft. Uns ist gegeben, zwischen gut und böse zu unterscheiden. Das ist, wenn man es kann, durchaus genug. Haben wir aber das Gute erkannt, so wollen «vir uns ihm ganz und gar verschreiben. Den Tisch des Lebens wollen wir richtig decken Uns und anderen! Das bedeutet nicht Augenschließen vor dem Widrigen, sondern seine leicht sinnige Be seitigung. Hier ein gutes Wort, da ein schönes Lächeln, dort ein freundlicher Ge danke. Gleiches zieht Gleiches an! Suchen wir auch der unangenehmsten Sache etwas abzugewinnen, was irgendwie schön ist, was uns emporführi. Es ist da — und wenn nicht, dann findet es sich bestimmt in der Nähe. Sucht nur recht oder seid nicht faul und macht euch daS Schöne selbst. Diese Poesie wird dann, anfänglich vielleicht klein, bald alles Häßliche überstrahlen und jede Schwere ausheben, zumindest aber bedeutend leichter machen. Die meisten Menschen haben eine fatale Eigenschaft. Sie sehen wegen einer an sich wenig bedeutenden Unannehmlichkeit all die rings um sie ausgebreitete Pracht und Herr lichkeit der Sonnentage nicht, vergällen sich so ihr, ach so kurzes Leben, schlagen der Poesie ins Gesicht und merken nicht einmal, daß sie so tun, und daß die Poesie um Hilfe ruft — nicht um Hilfe für sich selbst, denn ihr ist ernstlich nie etwas anzuhaben, son dern um Hilfe für die, die sie schlagen. Solche Menschen verlieren immer mehr die Verbindung zur ewigen Lebenskraft. Für sie, für uns, für alle gibt es nur ein Heil- mittel: mit leichtem Sinn den Urkampf gegen alles aufnehmen, was letzten Endes lebensfremd, nicht gut ist und tausenderlei Ramen hat: Klatsch und Tratsch, Aerger, falscher Stolz, Dummheit, Unfreundlichkeit und wie sie alle lauten mögen. Wie heißt es doch in jenem alten Lied: „Ruf« um Hilf die Poesei Gegen Zopf und Philisterei, Dann heraus bei Tag und Nacht, Bis sic wieder frei gemacht!" Bei uns selbst aber müssen wir auch hier anfangen... Die Poesie ruft immer. Geben wir unsxr Wort, Freunde, stets dem Schönen, wie es im einzelen auch heißen mag, zum Siege zu verhelfen — und nie im Alltag aufzugehenj Kurt «ldn» Von Josef Hübner Der Roßwirt war dabei, im Hausplatz eine Kiste zuzunageln. Es kam der Schmied barthel. „Kommst gerade recht, Barthel", sagte der Roßwirt. „Wieso...?" „Kannst dir eine Mark verdienen, wenn du mir die Kiste zum Güterbahn hof trägst." Der Schmiedegeselle war schlecht auf gelegt. „Ich pfeife auf deine Mark", brummte er und ging in die Wirtsstube. Da erschien der Weberlorenz. „Magst dir eine Mark verdienen, Lorenz?" „Das will ich meinen, Roßwirt." „Hol dir einen Schubkarrell und schaffe die Kiste zum Güterbahnhofl" „Dazu brauche ich keinen Schubkarren", meinte der Weberlorenz. „Der Schmicd- barthel, der im Gastzimmer hockt, trägt sic mir gerne für eine Maß Bier hinunter." „Glaubst du?" grinste der Wirt. „Bestimmt!" „Da bin ich gespannt. Ich habe ihm nämlich genau so wie dir eine Mark ver sprochen. Er ist jedoch nicht darauf cin- gegangen." Der Weberlorenz schmunzelte. „Du kennst halt den Schmiedbarthel nicht, Roßwir». Aber ich weiß, wie man ihn behandeln muß." Damit betrat der Weberlorenz die Wirtsstube. Ohne den Gruß entboten zu haben, begann er: „Das ist überhaupt un möglich!" Der Schmiedbarthel hob den Kopf. „Was ist unmöglich?" „Daß jemand die Kiste da draußen auf den Schultern fortträgt." Der Schmiedegeselle lachte: „Das soll auch was sein?" „Aber nicht bloß einige Schritte, Bar thel." Der Schmied stand auf und wuchtete seine bärenstarken Arme. „Meinetwegen fünf Kilometer weit." Der Weberlorenz meckerte: ,Zch habe herum: „Ohne stehenzubleiben." Der Schmied nickte. „Ohne die Kiste ein- mal abzustellen." Der Schmiedbarihel wurde ungeduldig: „Wie weit also?" „Sagen wir bis zur Steinschleiserei." Die lag in unmittelbarer Nähe des Güter bahnhofes. „Was gilt die Wette, Lorenz, daß ich die Kiste bis dorthin trage?" „Wetten kann ich nichts, Barthel. Ich habe kein Geld." „Zu einer Maß Bier wird es langen." Damit waren sie einig. Der Schmied barthel lud sich die Kiste auf, und der Weber lorenz schritt neben ihm her. Etwa zwanzig Meter vor dem Güter- bahnhof hörte der Schmiedbarthel den Roß- Wirt hinter sich sprechen. Er drehte sich her um. Der Roßwirt hatte ein Papier in der Hand — den Frachtbrief. Dem Schmiede gesellen ging blitzschnell ein Seifensieder auf. Er warf die Kiste in den Straßengraben. Der Weberlorenz meckerte: „Ich habe es ja gewußt..." Der Schmiedbarthel zog auf: „Wenn du keine Watsche fangen willst, Lorenz, dann mußt dl« augenblicklich ruhig sein." Der Weberlorenz war still. Der Schmied ließ die Kiste liegen und lief fluchend davon. Da sich der Weberlorenz nicht stark genug fühlte, die Kiste über die Straße zu schaffen, rannte er ihm nach, um ihn wegen der Mark zur Umkehr zu be- wegen. Der Roßwirt wartete aber nicht lange. pJetzt kann ich mir di« Mark selber ver dienen", lacht« er dreckig nnd wälzte die Kiste »um Güterbahnhos.