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HH Oiepoe tie»» BeLtee... In der Reihe der großen Verbrechen der Kriminal« geschichte steht die Frau an einer besonderen Stelle. Wenn hier einige berühmte Kriminalsälle mit ihren Hinter- grüichen ausgerollt werden, in deren Mittelpunkt weib liche Verbrecher stehen, dann soll damit kein Sensations« bedürsnis befriedigt, sondern ein kulturhistorisch und psychologisch interessanter Beitrag zur Geschichte der Frau als Verbrecherin gegeben werden. Jede Staatssorm und jedes Stadium der Begriffe von Sitte und Moral haben aus die Lebensführung ihrer Zeitgenossen entscheidender. Einfluß. An den hier auf gezeigten Fällen wird klar ersichtlich, wie lies die Wurzel eines Verbrechens nicht nur in der Psyche des Verbrechers, sondern auch in der Fäulnis wankender Staatsbegrisfe verankert ist. Erstes Kapitel. Sie GifNSche -er Mrquife Am Hofe Ludwigs XIV. herrschte unter der lockeren Regierung Anna von Oesterreichs und des berüchtigten Kardinals Mazarin ein sittenloses Leben voller Aus schweifungen und Laster. Aus dieser Zeit der Intrigen, der höfischen Ränkespiele und gleisnerischer Verlogenheit stammt der furchtbare Kriminalfall der Marquise Anna Margareta von Brinvillier, deren Taten denen einer Messalina und denen des berühmten Giftmördcr- geschlechtes Borgia wohl kaum nachgestanden haben. Die Scheinehe einer großen Dame Die Marquise war eine Frau voller innerer Wider- sprüche. Schön, geistreich, gefeiert, in jeder Beziehung liebenswürdig und anmutig, spielte sie in dem eleganten Paris eine wichtige Rolle. Sie wax mit dem Obersten des Regimentes Normandie, dem Marquis von Brinvillier, verheiratet, einem verschwenderischen Wüstling, der bei der Heirat mehr Interesse für die reiche Mitgift als für die anziehende Persönlichkeit seiner Frau empfand. Er war in allem ein echter Lebemann seiner Zeit und unterschied sich auch als Ehemann nicht von seinen übrigen Standesgenossen, die kein anderes Interesse hatten, als den Kelch der Genüsse bis auf den Grund zu leeren und ihr Vermögen mit Grazie und Großzügigkeit zu ver geuden. Alle diese großen Herren einer versunkenen Zeit lebten in einer wilden Scheinehe; sie pflegten den guten Ton, indem sie selbst sich alles außer dem Hause erlaubten, was sie ihren Frauen im Hause gestatteten. Ein Mann von Welt mußte damals Schulden und Liebschaften haben, und die gnädige Frau mußte sich den Hof machen lasten, wenn beide zur guten Gesellschaft gehören wollten. Die magische Anziehungskraft, die die Schönheit der Marquise auf die Männerwelt ausübte, verwandelte ihr Haus in ein Heerlager von Liebhabern; dennoch spielte sie mit Meisterschaft, obwohl sie das gar nicht nötig gehabt hätte, die Unnahbare. Ihre Ziele lagen höher als die Gunst irgendeines Kavaliers, dessen Vermögen ein groß zügiger Haushalt bald aufgezehrt hätte; die Huldigungen dieser Männer waren der Marquise zu gering, sie rechnete auf außergewöhnliche Gunst des Schicksals. Ganz beherrscht von der unstillbaren Gier nach größerem Reichtum und höchsten Ehrungen, in einer Um gebung, deren Verlogenheit ihrem Verstellungsdrang dauernd Vorschub leistete, war ihr schließlich kein Mittel zu schlecht, um ihre ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Mit der ständig wachsenden sittlichen Lockerung ihres Haushaltes wurden diese Mittel, die mit Gewalt herbei schaffen mußten, was das Schicksal dem grenzenlosen Luxusbedürfnis der Marquise versagte, zu Giftphiolen, die über ein Jahrzehnt hindurch eine spurlose und grauenvolle Arbeit verrichteten. Gist ist das Mordmittel der Frau Der Tötungstrieb der Frau ist fast größer als der des Mannes, denn ihr Seelenleben birgt größere Höhen und Tiefen. Im äußersten Vernichtungsgefühl, im Haß, in der Rachsucht, in Neid und Zorn ist die Frau von größerer Leidenschaft als der Mann. Ihr weniger widerstands fähiger Organismus und ihre geringere Körperkrast machen sie ungeeignet zur offenen Gewalttat. Ohne häßliche Blutlachen und entstellte Todesopfer arbeitet das Gift, lautlos, unfehlbar, sauber und. nach damaligen Begriffen, spurenlos. Während der Oberst sorg- und hemmungslos in den Tag hineinlebte und sich um seinen schlechten Ruf wenig kümmerte, verstand es die Marquise, sich inmitten ihrer Kavaliere mit einem Nimbus von Ehrenhaftigkeit und ehelicher Treue zu umgeben, der in Wirklichkeit nur sehr wenig zu ihren zahlreichen galanten Abenteuern paßte; sie versagte sich nie etwas, verstand es aber vorzüglich, die ehrenhafte Dulderin zu spielen. Das Werkzeug der Marquise Und wenn der Oberst iu den Sakons die Ehren haftigkeit und Prüderie seiner Frau verspottete, glaubte die Marquise, in dem jungen Chevalier Gaudin de St- Croix, einem sehr reichen und sich der besonderen Gunst seines Königs erfreuenden Offizier, endlich das geeignete Werkzeug gefunden zu haben, das ihr die allerhöchsten Kreise erschließen sollte. Dieser St. Croix, ein verwöhnter und verweichlichter Frauenlkbling, war in der Hand der Willensstärken Marquise ein gefügiges Instrument. Völlig unter ihrem EtufinH, der um so stärker war, als sie ihm gegenüber die Rolle der betrogenen und ent ehrten Frau spielte, schwor er ihr, s« von ihrem Mann z« befreien. Die Marquise aber war zu vorsichtig, um ihre Zukunft diesem unsicheren Strohfeuer anzuvertrauen, St. Croix mußte stärker an sic gefesselt werden. Das Mittel dazu fand sie schnell. Sie ließ vor der Ocffentlichkeit die Maske fallen n«d kompromittierte sich mit dem Chevalier derart, daß selbst die dickfelligen Pariser empört waren. So abgebxüht anch der Marquis war, er mußte diesmal, um die letzte Ehre seines Hauses zu retten, eingreifen. Seinen Bemühungen und denen seines Schwiegervaters gelang es schließlich, vom König ein Dekret zu erhalten, das St. Croix wegen betriebenen Ehebruchs in di« Bastille brachte. Aeltere Kriminalisten waren der Ansicht, daß die Brinvillier den St. Croix von Anfang an glühend geliebt und ihn, nach seiner Verhaftung, wie einen Märtyrer ver ehrte. Dann müßte auch sie die Verführte gewesen und erst später durch seinen Einfluß zur Mörderin geworden sein. In Wirklichkeit ist in allem aber nur sie allein die Triebfeder gewesen; das genaue Studium ihres Charakters beweist, daß ihre schlechten Instinkte nicht durch den Ein fluß des einzelnen Mannes wach geworden sind, sondern in der heuchlerischen und hinterlistigen Umgebung reiften und dann erst auch den verbrecherisch veranlagten St. Croir zum wirklichen Verbrecher machten. Zweites Kapitel. Während die Marquise nach der Verhaftung ihres Liebhabers vor aller Welt die schuldlos verführte und reuige Fran spielte und sich damit die Sympathien der Gesellschaft und des Volkes langsam zurückgewann, heuchelte sie dem Gefangenen in mit Hilfe eines ergebenen Dieners in die Bastille gebrachten Briefen abgrundtiefen Schmerz vor, der den Chevalier, der sich nun vor Mitleid mit seiner Geliebten gar nicht mehr zu fassen wußte, zum Todfeind des Marquis machte. Hatte die Marquise, die alle Fäden dieser ganzen Intrige mit sicherer Hand zusammenhielt und ihre Puppen nach Belieben in ihr heimliches Spiel stellte, auch damit gerechnet, daß der Chevalier sie nach seiner Freilassung von ihrem Mann befreien würde —, so überstürzten sich die Folge« ihrer Berechnung schneller, als sie jemals z« hoffen gewagt hatte. Das Tofanawaffer Das Schicksal kam ihr zur Verwirklichung ihrer Pläne in Gestalt eines italienischen Bastillegefangenen Exili ent gegen, der ein Meister i« der Giftmischerei war und vor allem die Bereitung eines dem grauenhaften Tofanawaffer ähnlichen Giftstoffes kannte. Dieses fürchterliche Gift, das schon die Medicis und die Borgias benutzt hatten, wurde Ende des 17. Jahr hunderts nach der größten Giftmörderin aller Zeiten, Monna Tofana, benannt, die das inzwischen verloren gegangene Rezept von neuem zusammenzustellen vermochte. Exili war zur damaligen Zeit wohl der einzige, der die Zubereitung dieses scheußlichen Präparates kannte. Das Gift soll schon im 12. Jahrhundert von sizilianischen Banditen entdeckt und aus dem schweißigen Schaum zu Tode gekitzelter und gemarteter Menschen gewonnen worden sein. Es tötete augenblicklich, ohne auch nur die allerkleinsteu Spuren im Körper des Vergifteten zurück zulassen. Auch die heutige Wissenschaft steht diesem Tofana- wasser, dessen Ingredienzien schon seitJahrhunderten nicht mehr in der Welt existieren, ohne die Möglichkeit einer Erklärung gegenüber. Nach Berichten Pasco da Gamas sollen die Chinesen, die wahre Künstler im Erfinden von Giftmischungen gewesen sind, hohe politische Verbrecher mit einem dem Tofanawaffer ähnlichen Präparat hin gerichtet haben. Dieser Exili machte, bevor sein Haupt unter dem Beil des Henkers fiel, St. Croix zum Erben seiner furchtbaren Geheimnisse. Die Marquise unterstützte nach besten Kräften diesen unheimlichen Unterricht, der ihr für später die schönsten Aussichten erschloß; kein Mensch sollte ihr mehr hindernd in den Weg treten können, sobald der Chevalier sie nach Beendigung seiner Haft laufend mit Giftpräparaten zu versorgen vermochte. In sämtlichen Gerichtsakten, die von dem Falle noch vorhanden sind, ist ausdrücklich vermerkt, daß die Mar- quise ein Opfer der Giftleidenschaft ihres Freundes ge worden ist; die Brinvillier hatte es also meisterhaft ver- ssanden, noch lange über ihren Tod hinaus ihre Urheber- schäft an den vielen Verbrechen zu verschleiern. Während der Chevalier nach Beendigung seiner Hast, deren Aufhebung die Marquise mit Erfolg betrieb, zu- irächst nur eine spielerische Freude an dem Gedanken, Herr über Leben und Tod seiner Feinde zu sein, hatte, trieb ihn die Marquise immer wieder von neuem an, seine Kennt- nisse zu erweitern. Auf ihre Anregung hin entstand in der Wohnung des Chevaliers ein ausgedehntes Giftlabora torium, in welchem zuerst praktische Versuche an kleineren Tieren und schließlich an Bettlern und Vagabunden, deren Tod niemand bemerkte, unternommen wurden. Um die Leute zu täuschen, verkehrten beide nicht mehr öffentlich miteinander, sondern hatten nur noch geheime Zusammen künfte Nach einem später aufgefundenen Brief soll die Brin- villier sogar St. Croir mit der Drohung, sich selbst zu ver giften. gezwungen haben, ihr immer wieder neue und wirksamere Giftstoffe auszuhändigen. Der satanischen Schlauheit der Frau war es ein leichtes, dem Chevalier einzureden, daß er sich an ihrem Manne, dem Marquis, unbedingt rächen müßte. Sich selbst aber stellte sie, um dem Chevalier das Gefühl ihrer Mittäterschaft unter keinen Umständen aufkommen zu lassen, in das Licht der Unglück- lichen Frau, die den Geliebten, auch den verbrecherischen Geliebten, nicht verlassen kann. Diese Vorsicht gab sie ihrem Giftkumpan gegenüber erst später auf, als beide schon tief in die gemeinsamen Morde verstrickt waren. Die ersten Opfer. Einen neuen Giftstoff, de« St. Croix herstellte, pro- vierte die Brinvillier, um ganz sicher zu geben, erst einmal an ihren Bedienten. Mehrere starben, und hierüber zeigte sich die Marquise ganz untröstlich und gab sich sogar selbst die Schuld, weil sie den Bedienten wohl verdorbene Speisen gegeben habe. Von allen Bedienten wurde mrr ihre Kammerjungfer gerettet und von der Marquise «st so großer Sorgfalt gepflegt, daß die Fürsorge der Brin- villier in Paris fast sprichwörtlich wurde. Zunächst sollte ihr alter Vater beseitigt werden, von dem sie ein stattliches Vermögen erhoffte. Sie versöhnte sich mit ihm, der ihr bis dahin immer noch nicht ihr früheres schamloses Verhalten verziehen hatte, und lebte noch zurückgezogener als vorher. Sie mied alle öffent lichen Festlicksteiten, Schauspiele und Gesellschaften war fast nur in Krankenhäusern zu sehen, die ihre« fürchterlichen Versuchen reiche Nahrung boten. Die Kranken, deren Liebesgaben sie mit Gist versetzte, starben, ohne daß ein Verdacht aufkam. Endlich schien der Marquise ihr Frömmlertum ein genügend sicherer Schrtz gegen böse Gerüchte, die sich nach dem Tode ihres Vaters ergeben könnten, zn sein. Sie pflegte den alten Mann mst aufopfernder Liebe, so daß ihre Legate im Testament deS alten d'Aubray noch vergrößert wurden. Dann gab st« dem Ahnungslosen einige Tassen vergifteter Fleischbrühe, an deren Genuß der Greis nach kurzer Zeit verschied. Unersättlich . . . Ganz Paris bewunderte am Grabe des Ermordeten die Kindesliebe der „schwergebeugten" Tochter. Um so besser gestimmt war die Marquise, wenn sie sich unbeob- achtet glaubte, denn ihr Erbteil war unerwartet hoch aus- gefallen. Doch die Habsucht ließ sie nicht ruhen, der Nachlaß mußte noch mit zwei Brüdern und einer Schwester getettt werden — es gatt jetzt, auch diese drei Menschen aus dem j Wege zu schaffen. Drittes Kapitel, Zu diesen Morden bediente sich die Marquise eines gewissenlosen Dieners, Hamelin, dem sie einredete, daß St. Croix ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen ihren Vater vergiftet hätte. Das Vertrauen der vornehmen Dame brachte den einfachen Mann, den sie auch durch sonstige Vergünstigungen an sich zu ketten verstand, auf ihre Seite. Hamelin erpreßte von nun an unter Drohungen von dem Chevalier neue Giftvorräte, mit denen auch die beiden Brüder der Marquise beseitigt werden sollten. Das Gift wurde ihnen von Hamelin, der ihnen von ihrer Schwester als Kammerdiener empfohlen worden war, in so geschickter Weise eingegeben, daß der eine drei, der andere vier Monate später starb. Zwar schöpfte man diesmal wegen der ausfallend gleichen Krankheitssym- ptome Verdacht und ließ die Leichen öffnen, aber keine Spur, die auf Vergiftung hinwies, konnte entdeckt werden. Sonderbarerweise wurde dieser Verdacht weder gegen die Marquise noch gegen den neuen Kammerdiener der Ermordeten ausgesprochen Aber auch jetzt war der Erb- schaftshunger der beiden noch nicht gestillt; es blieb noch eine Schwester übrig, und so wurde auch für diese der Gifttrank gebraut. Die Dame war jedoch durch die dr^ aufeinanderfolgenden Todesfälle stutzig geworden und prüfte jeden Bissen vor dem Essen; schließlich flüchtete sie in ein Kloster, um den Nachstellungen, die sie allerdings nur ahnte, zu entgehen. Nun hätte wohl die Mörderin mit der leicht errunge nen Beute zufrieden sein müssen; der Aufwand, den sie trieb, war kostspieliger als der des Hofes, ganz Paris sprach von ihrem sagenhaften Reichtum. Aber sie kam von der Manie des Giftmordes jetzt nicht mehr los und mordete aus reinem Vergnügen, und mehr als fünfzig Personen aus höheren und niederen Ständen wurden von ihr mit Hilfe Hamelins beseitigt. Keine Woche verging, in der nicht Paris durch die Kunde eines neuen Giftmordes in Schrecken versetzt wurde. Niemand aber wäre daraus gekommen, daß die schöne und vornehme Marquise, die in ihrer goldstrotzenden Staats- karoffe, in spitzenbesetzter Robe, mit dem Gebetbuch in den Händen, fromm zur Kirche St. Germain Auxerrois fuhr, die Urheberin all dieser scheußlichen Morde war. Es ist eigentlich verwunderlich, daß die furchtbare Giftmanie der Brinvillier in ihr mit der Zeit eine tiefe, aufrichtige Leidenschaft zu dem Chevalier aufkommen ließ. Vielleicht verschaffte sich die Natur damit einen versöhnen den Ausgleich gegen das überragend Böse in dieser ge fühllosen Mörderseele. Je stärker aber die Liebe der Marquise auf Beseiti- gung ihres Gatten drängte, um so mehr wehrte sich der Chevalier dagegen, die Frau, die gewissenlos mit dem Leben ihrer Mitmenschen spielte, fester an sich zu binden. Wenn er selbst bei der Vergiftung armer, zerlumpter menschlicher Opfer auch keine Gewissensbisse empfunden hatte, weil sein verschrobener Standesdünkel solchen Wesen eben keinen Menschenwerl zuzusprechen vermochte, so war er doch mehr der Leidenschaft seiner Giftmischerei verfallen als der Leidenschaft der Giftmorde. Das Grauen vor der Mörderin siegte über seine frühere Liebe, und aus dem alten Wunsch, den Marquis zu töten, wurde nun der ver zweifelte Kampf um dessen Äben, um nicht die Marquise heiraten zu müssen. Ein grotesker, aber um so fürchterlicher Kamps setzt« nun zwischen den beide« Verbündete« ein. St. Croix war wohl gegen die Erpressungen des Hamelin machtlos und mußte immer neue Giftstoffe herausgeben, er verhinderte aber den Mord an Marquis Brinvillier duvch dauernde Gegengifte. Fortsetzung folgt' Druck unv Vertag von Emit tzonnevohn in Lrbenyock.