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als verfehlt, die Krankenkassen zu Trägern der Arbeitslosen versicherung zu machen. Die betreffenden Landesregierungen find der Auffassung, die fast von allen Sachverständigen vcr treten wird, daß eine gute Turchsührung der Arbeitslosen Versicherung nur möglich ist in engster Angliederung an die Arbeitsnachweise, deren planmäßiger Auftau durch einen gleichfalls im Reichsrate schon vorliegenden Gesetzentwurf ge schehen s»v. Allgemein wird vorgeschlagen, die Gemeinden zu Trägern der Arbeitslosenversicherung zu machen, welche die Arbeitklosenverfichcrung in organischem Zusammenhang mit den Arbeitsnachweisen durchführen, unter Heranziehung der Einrichtung der Krankenloflkn als Hilfsstellen Die offiziöse „Deutsche Allg. Ztg." schreibt: Aus Anlaß der letzten Unruhen in Oberschlesien ist vielfach die Be fürchtung entstanden, daß die Sicherheit der zur Abstimmung Reisenden gefährdet sein könne. Würde unter heutigen Verhältnissen abgestimmt, so wären diese Befürchtungen in der Tat nicht unbegründet; aber es ist selbst»! rstän blich, daß der Abstimmungstcrwin nicht eher anberavmt werden kann, als bis «ine geordnete Durchführung der Abstimmung unter allen Umständen gewährleistet und damit auch die Sicherheit der zur Abstimmung Reisenden verbürgt ist. Der Graudenzer „Gesellige", ein weithin bekanntes, 113 Jahre altes ZeitungSunternrhmen, ist in polnische Hände übergegangen und wird Ende März verschwinden. Die Meldungen von französischen Rüstungen im Rhein land werden entgegen einem Halbamt ichen französischen Dementi von der Reichsrcgierung bestätigt. In Groß-Berlin ist mit der Ausgabe der Steuerbescheide für dar Reichsnotopfer begonnen worden. In den Zu stcllungcn wird die Bezahlung des ReichSnotopferS bereits für Dezember angefoidert. Der Reichstag findet bei seinem Wikdrrzusammentr'tt am 19. d. ein umfangreiches Arbeitspensum vor. Bei der Be ratung deS HauShaltplaneS wird es zu ausgedehnten Ver Handlungen über die gesamte Finanzlage des Reiches kommen. Dazu find einige kleine Steuervorla eu, darunter das Woh nungSsteuergesetz, zu erwarten. In Vorbereitung sind ferner das Gesetz über die Schlich'ungsauSschüffe, ein Arbeitsnach Weisgesetz, ein Gesetzentwurf betr. die Bewirtschaftung der Kohlen. Außerdem ist eine No?elle zur Reichsverficherungs ordnung zu erwarten, durch welche die land- und forstwirt schastlichen Arbeiter den gewerblichen Arbeitern gleichgestellt werden sollen. Neben dem Mietssterergesetz ist ein Gesetz entwurf betr. die Festsetzung von Höchstmieten zu erwarten Für die Rechtsprechung stehen Novellen zur Strasprozeßord nung in Aussicht. In kultureller Beziehung dürfte von weit tragender Bedeutung dar Reichrschulgeseß sein, an dessen Be ratung der Reichstag demnächst herarzutreten berufen sein soll. Fertiggestellt ist bereits ein Rahmengesetz für die Jugend Wohlfahrtspflege. In Vorbereitung find ein Gesetz über die Lehrerbildung, die Festlegung des Begriffes der konfessionellen Schule, über das Fachschulwesen und betr. die Berufsschule. Dazu kommt die Besoldungsordnung und ein Gesetz zur Regelung des Volksen.scheid; nach Artikel 75 der Reichrver- fassung, sowie die Ordnurg der Ländersrage auf Grund von Artikel 18 der Reichsverfassung. Der Parteitag der Unabhängigen in Halle hat dar Büro und die Kommissionen paritätisch besetzt. Zu Präsiden ten werden gewählt Dittmann vom rechten und Braß Rem scheid vom linken Flügel. Der Antrag vom rechten Flügel, den Geschäftsbericht obzusetzen und gleich die Frage der Inter nationale zu besprechen, wurde mit 25 t gegen 174 Stimmen abgelchnt. Darauf gab Luise Zietz den Geschäftsbericht des Vorstandes, aus dem zu ersehen war, daß die Partei 893,923 Mitglieder hat, davon 135,464 weibliche. Die Referentin > klagte sehr über die mangelhafte Ablieferung der Pflichtbei träge der Bezirke. Dasselbe Thema behandelte Bock Gotha, der den Bericht der Kontrollkommission gab. Ec stellte fest, daß auf die Anordnung des ZrntralvorstandeS hin, wonach nur solche Bez rke Delegierte zum Parteitag senden können, die ihre Pflichtbeiträge abgeführt hätten, noch 205,000 Mk. an die Zentralkaffe gezahlt worden seien. Schon der erste Verhandlungstag zeigte, daß die Gegensätze innerhalb der U. s. P. bis zu einem Grade gediehen find, der es ausge schlossen erscheinen läßt, daß die beiden Richtungen noch wei ter in eu er Organisation zusammen sein können. Am Mitt woch sollen d e Referate über den Hauptpunkt, die Inter nationale beginnen. ES verlautrt, daß der russische Volks kommissar Sinowjew noch am Dienstag Abend in Halle ein- getrofsiu ist. Ferner ist aus Rußland der Menschewisten- sührer Martow an«ese»d Dem Reichsarbritsn inisterium ist es nach vielem Bemühen gelungen, die streitenden Parteien des Groh-Berliner Zeitungs gewerbes zu Verhandlungen zusawmenzubringen, die Mittwoch Vormittag unter Leitung von Prof. Or. Brahm begannen Ueber den Verlauf der Verhandlungen wurde bisher noch nichts Näheres bekannt, doch heißt es, daß beide Teile zu Anfang nachgiebig waren, so daß Hoffnung vor handen ist, daß der unhaltbare Zustand im Birliner Zeitungs wesen sein Ende findet. Tie Vorlegung eines neuen Gesetzes gegen die Kapital flucht wurde veranlaßt durch die Tatsache, daß das bisherige Gesetz mit dem 1. d. außer Kraft getreten ist. Man hatte bei der Festsetzung dieses kurzen Termins angenommen, daß die Veranlagung der hauptsächlichsten neuen Steuern bis dahin abgeschlossen sein würde. Diese Voraussetzung ist nicht eingetroffen, und so müssen die Abwehrmaßnahmen gegen die Kapitalflucht aufrechterhalten werden. Der „Deutschen Allg. Ztg " ruiolge ist nunmehr die schon seit langer Zeit angekündizte Novelle zum Beamten, Be soldungsgesetze dem Reichstage zugegangen, die die Her aufsetzung einer Anzahl von Beamtengruppcn in eine höhere Besoldungsklasse vorsieht. HrktrkreiH Die französische Regierung hat gegen den französischen Ge werkschaftsbund, die C. G. T, eine neue Untersuchung eingeleitet. Die C. G. T. soll durch die Aufnahme der Ge Werkschaft der Beamten sich gegen das Gesetz von 1884 ver gangen haben. Jouhaux und andere Mitglieder des Ver- waltungSrats find kürzlich vom Untersuchungsrichter vernom men worden Italien. In Mailand versuchten die Arbeiter wiederum die Fabri ken mit Gewalt zu besetzen. Diesmal aber wurden sie durch die Polizei daran gehindert, ohne daß es jedoch zu Blutvergießen kam. Die Direktion der großen Fiat Werke in Turin bot den Arbeitern die Leitung und Kontrolle des Be triebeS an. Diese- Angebot wurde jedoch auf Anraten der Sozialistenführer abgelehnt, weil sie dahinter ein Börsenma növcr vermuteten. Eiegla«». Die Verhandlungen zwischen London und Paris über die Genfer Konferenz dauern immer noch an. Ter belgische Ministerpräsident De la Croix ist in London eingetroffen und sucht zwilchen den Gegensätzen zu vermitteln. Es scheint, als ob Frankreich bereit wäre zu einem Zusammentreffen zwischen Sachverständigen der Alliierten und Deutschen möglicherweise in Spaa Es wird davon abhängen, welche Vorschläge hin sichtlich der Wiedergutmachung gewacht werden. Wenn d ese Vorschläge befriedigend sein sollten, so nimmt man in der englische Welt an, daß Millerand den englischen, italienischen ! und belgischen Wünschen »ach Abhaltung der ursprünglich in Aussicht genommenen Genfer Konferenz entgegenkommen wird. Lord Palmer eröffnete Dienstag- in der Contonhall in London die internationale WirtschastSkonferenz. Der deutsche und der österreichische Botschafter wohnten der Ver handlung bei. Frankreich war nicht, Belgien und Italien nur schwach vertreten. Die wirtschaftliche und politische Not- tage Europas und rer daraus salzende Zwang zum solida rischen Ausbau wurden durch zahlreiche, viel ach ausgezeichnete Reden üachgtwiesen. Die Engländer Bebson, Mackinson, Load, LecS u a. gestalteten ihre Reden zu schweren Anklagen. Adele Schreiber schilderte di» soziale Zerrüttung Deutschlands, i»S- besvndere die Verelendung der Heranwachsenden Generation, die so nicht Trägerin» des Wiederaufbaues werden könne. Ihre fließend englisch gesprochene Rede machte sichtlich Eindruck. Starken Beifall fanden di« Ausführungen von Schulze Gräve- nitz und Helmut v Gerlach, von denen ersterer die Ursachen der Notlage, dernnler den Kruder Svertraz und die Grund linien des Wiederaufbaues mit Betonung der Bereitschaft zur lvyilen Erfüllung der Neparationkpflicht darlegte Seine Ausführungen gipfelte» in dem Satze: Gebt uns Kohlen, dann arbeiten wir. ». Gerlach vertrat den Standpunkt de- radikalen Pazifismus, legte ein beifällig ausgenommen»- Be keuntnis zum Völkerbünde ob und forderte die baldige Auf nahme Deutschlands in dcuselben. Noch kein Minister hat den Engländern so klar gezeigt, wie jetzt Lloyd George, welche Gefahren ihm von einer Verwirklichung der irischen Pläne drohen. Nach seiner Auffassung wollen die Iren eine bewaffnete Macht zu Wasser und zu Lande, die England zwingen würde die allgemeine Wehrpflicht einzuführen. Lloyd George hält also in diesem Falle einen englisch irischen Krieg für »özlich, und wenn mau an dir Milliontu Iren in Amerika denk-, die fest an ihrer Heimat hängen, so kann ma» seinen Befürchtungen nicht alle Berechtigung absprechen. Unser Jahrhundert scheint ein sol ches der unbegrenzten Möglichkeilen bleiben zu sollen. Ufien. Wie „HavaS" a«S Konstantinopel vom S. d. berichtet, sollen aus Mesopotamien schlechte Nachrichten vorliegen. Dir Bolschewisten bedrohen das Land osm Norden, während die türkischen Nationalisten er an seinen anderen Grenzen angriffen. Nach einer Meldung der „Daily Mail" aus Konstantinopel haben russische Aufständische und ein russisch tatarisch bolsche wistisches Herr unter Führung von Nury Bey, dem Bruder Enver Paschas, an süns Siellen Armenien angegriffen. Die Armenier halten bis jetzt stand, obwohl die Angreifer ihnen überlegen find. Die armenische Regierung hat Mustasa Kemal den Krieg erhärt. Georgien zieht Truppen zusammen, um Batum zu verteidigen. Aus allen größeren Städten Indiens werden Unruhen gegen die Engländer gemeldet. Die Postbeamten, Gararbeiter und Straßenbahner' in Bombay streiken. Nach einem Tele gramm des „Exchange Telegraph" soll in Kleinasien eine Ge- heimversammlung von 50 Königen, Prinzen, Sultanen und Häuptlingen türkischer, ägyptischer und arabischer Völker statt gefunden haben. In dieser soll ein Weltausstand aller Mo hammedaner gegen England und Frankreich beschlossen wor den sein. Awe»tk». Nach einer Meldung der „Chicago Tribune" aus Washing ton ist in Amcrika in den nächsten Monaten mit einem Preis rückgang der Nahrungsmittel um 33 Prozent zu rechnen. Dieser Rückgang erklärt sich aus der guten diesjährigen Ernte Lieselotte. Roman von Fritz Gantzer. SH (Fortsetzung.) Er setzte seinen Stock heftig auf die Steinfliesen und verließ mit einem unwirschen: „Guten Abend, Mamsell!" die Küche. — Drüben in Lindeneck stand das ganze Haus im Zeichen Hellen Aufruhrs. Heinz fand bei seiner Rückkehr erregte Gesichter und tuschelnde Gruppen mit dicht zusammengesteckten Köpfen. Mau ging scheu auseinander, als man ihn erblickte. Er zuckte zusammen. Nun begann es schon. In seinem eigenen Hause und bei seinen Leuten. Was würden erst Fremde tun! Mißmutig und gedrückt ging er in sein Zimmer und entzündete die Lampe. Verwundert sah er sich um . .. Was sollte das bedeuten? . . . Dort ein Strauß frischer Veilchen und nm die Bilder seiner Eltern eine Girlande aus Tannenreisern! Und auch um den Sessel vor dem Schreibtische das grüne Band... Und in dem Rahmen von Lieselottens Bild ein kleines Tanuenzweiglein und ein Sträußchen duftender Teilchen... Wer hatte das getan? ... * Da pocht- es bescheiden an die Tür. Und auf sein „Herein!" schlüpfte Dörte mit rotgeweinten Augen in das Gemach. Sie zupfte verlegen an dem Schürzenbande und fagte nach einem kurzen Schweigen: „Wir^wußten nicht, wie wir's machen sollten, gnädiger Herr, um Ihnen zu zeigen, wie lieb wir Sie haben. Und da sind wir am Nachmittag alle schnell dabeigegangen und haben die Girlanden gewunden und die Veilchen gepflückt- Es lieb und traut ausseben, wenn Sie hcimkämen. Seien Sie uns nicht böse, lieber gnädiger Herr!" Bei-ihrer letzten Worten kollerten schon wieder dicke Trepscu über ihre Wangen. « einz ivar lief ergriffen. Er vermochte nicht zu sprechen. Aber er tat mehr, als Worte zu sagen ver» mochten. Mir zwei schncll'N Schritten stand er neben der alten Ge reuen, legte beide Arme um ihren Hals und küßte sie aus Lie Slirm Tann schob er sie hinaus, damit sie die Tränen nicht sähe, Lie in seine Augen tr-nen . . . In tiefer Bewegung schritt er im Zimmer auf und ab. Ach, er war ja so reich und glücklich! Er mußte es sein, wenn so vieler Herzen warm und treu sür ihn schlugen. Freunde im Hause und die Freundin, die liebe, treue Freundin, k.rükötk"in Dri.busch. Ach ja, sie war der beste Biensch auf der Welt! Er nahm ihr Bild und stellte es auf seinen Schreib tisch . . . Und ein anderes entfernte er. Er riß die unterste Schublade des Arbeitstisches auf und warf es mit einem verächtlichen Ruck hinein, daß das Glas klirrend in Stücke sprang. Noch einmal wollte ihn ein maßloser Zorn packen. Und die alte Verzweiflung lauerte neben ihm mit gierigen, lüsternen Augen. Sekundenlang ging ein Zittern durch seinen Körper. Er ballte die Hände und knirschte mit den Zähnen .... Aber dann fiel das alles von ihm ab. Mit einem Schlage .... Denn sein Auge fand Lieselottens Bild. Er nickte ihm zu und murmelte: „Du wirst mir noch oft helfen müssen. Aber du kannn es nun auch; denn ich werde dich immer sehen. Immer! Das ist nun dein Platz." Heimlichsüß schwebte der Duft der Veilchenblüien durch den Raum. Er rief die Erinnerung an den März tag im Driebuscher Park in ihm wach .... Besaß er jene Veilchen überhaupt noch, die sie ihm da mals ge-chenkt? Lauge suchte er in seinem Schreibtisch und fand endlich in einem Fache, ganz unten, zwischen Rechnungen und Briesen, eia vergilbtes Blatt Papier. . . Er faltete den zujammengelegten Bogen ausein ander . . . Halb zerfallene, verblaßte Blüten barg er . . . Der Duft einer längs: vergangenen Zeir sirimte ihm ent gegen . . . Und dann las er mit umflorten Augen: „Dieser Frühlingsblüten Düste Werden bald und eckig schwinden Selbst das Schönste finkt in Erliste, Läßt sich nie und nimme finde». Mögen dann Lie wellen Bfüccn Hcimatsdnst ins Herz dir senken Heimatssehnsucht dir behüten, Heimntsglück dir ewig smenkcn." „Hetmatsglück!" sagte er bitter. „Wo ist mein Heimatsglück!" Ach^ er hatte es noch nie sein eigen genannt, er wurde eS auch nimmer besitzen. Aber wie hatte doch Lieselotte gesagt? „Wenn du mit frischem Mut hineinschreitest!" Ja, er wollte es! Alles Zagen und Grübeln wi h von ihm ! Er sammelte sorgfältig jedes Blättlcin Ler verblaßten Teilchenblüten und tat sie mit ihren frischen, duftenden Schwestern und dem Tanuenzweige von Lieselottens Bilde in ein Kuvert, das er verschloß und mit dem Gedichte in seine Brieftasche steckte. — Lange stand er dann noch vor Lieselottens Bild. Und ehe er sich abwandte, sagte er leise: „Nur unsere Freundschaft. Nichts weiter! Aber die- eine ganz. Nicht wahr, mein lieber, treuer Kamerad?" 13. Kapitel. Der Frühlingsmond brachte nach seinem verheißungs vollen Anfang noch einmal kalte Tage und überraschte so gar mit Schneeflocken. Griesgrämig und nnwirscü ge worden, schien er sich seiner erMl freundlichen Blicke gar nicht mehr zu erinnern. Der wetterwendische April tat's ihm im Anfang nach. Aber jeder neue Tag wischte dann eine der bösen Kalten hinweg. Und als die ersten Schwalben ins Land lugtcn, nm als Quartiermacher für das nach folgende Gro? di: alten Nester zu inspizieren, wurde das sonnigste Lächeln Losung und Feldgeschrei. (F. s,)