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zum Elbeblatt. 1. Der Dorsarzt. Nach dem Französischen der Madame d'Arbouville über setzt von Dr. W. Schlesinger. (Fortsetzung.) „Es war. ich versichere Sie, meine Damen, ein rühren den Schauspiel, diese iunge. blasse, schwache Mutter zu se hen, welche fuQsich selbst auf,ede Zukunft verzichtet hatte, wie sie sich wieder an das Leben King, eines ganz kleinen Kindes wegen, welches dazumal nicht einmal: „ich danke, meine Mutter!" sagen konnte! Welch ein Wunder ist unser Herz, dasaus einer Kleinigkeit viel zu machen weiß! Gebet ihm ein Sandkorn, cs wird einen Berg aufrechten; bei seinem letzten Pulsschlage zelge man ihm nur noch ein Sonnenstäubchen zu lieben, und schnell wird es wieder zu schlagen anfangen; cs steht nur dann für immer stille, wenn um es her nichts weiter als das Leere ist, und wenn selbst der Schatten von Dem, was ihm einst theuer war, von der Erde ver schwunden ist! Eva legte das Kind auf einen Teppich zu ihren Füßen, und, ihm spielen zusehend, sagte sie zu mir: „Herr Barnabä, wenn mein Sohn groß sein wird, will ich, daß er ausgezeichnet, gelehrt sei; ich werde ihm eine edle Laufbahn auswäklen, ich werde ihm überall hin folgen, auf'S Meer wenn er ein Secman ist, nach Indien, wenn er bei der Armee ist; Ruhm und Ehrenzeichen sollen ihm zu Theil werden, ich werde mich auf seinen Arm stützen, werde mit Stolz sagen: „Ich bin seine Mutter!" Nicht war Herr Barna bö er wird mir gestalten, ihm zu folgen ? Ein armes Weib, das nur ein wenig Stille und Einsamkeit zum Wei nen braucht, fällt Niemanden zur Last, ist es nicht so? „Sodann gingen wir die verschiedenen, zu wählenden Laufbahnen durch, dachten uns im Augenblicke das Kind als einen zwanzigjährigen Jüngling, und vergaßen alle Beide, daß diese zwanzig Jahre uns alt machen würden, daß Sie unser kleiner Antheil an den schönen Tagen des Lebens seien. Allein, was thut das! Wir dachten nicht an uns; wir hielten uns nur dann für jung und glücklich, wenn cs für das Kind Jugend uns Glück gäbe. „Indem ich diele schönen Träume anhörte, konnte ich nicht umhin, mit Schrecken dieses Kind zu betrachten, von dem das Dasein einer Anderen so sehr abhing. Eine ge wisse Unruhe bemächtigte sich meiner gegen meinen Willen; aber ich sagte zu mir: „Sie Kat genug geweint ; Gott, zu dem sie ihre Bitten erhebt, ist ihr auch ein wenig Glück schuldig." „So weit waren wir gekommen, als ich von meinem Oheim, dem einzigen Verwandten, der mir noch geblieben, einen Brief erhielt. Mein Oheim, an der Facultät zu Montpellier angcstelit, berief mich zu sich, um mich in die ser G-lehrtenstadt in die Geheimnis,« meiner Kunst vollends cinzuweihcn. Dieser Brief, in Form einer Bitte ubgefayt war für mich ein Befehl: ich mußte abreisen. Eines Mor gens begab ich mich mit schwerem Herzen — die Abgeschie denheit, in welcher ich die Wittwe und die Weise zurückließ, bedauernd — in daß weiße HauS, um von Eva Meredith Abschied zu nehmen. Nachdem ich ibr gesagt, daß ich im Begriffe ,cl, sic auf lange Zeit zu verlassen, weiß ich nicht, ob ihre Züge den Ausdruck von Traurigkeit angenommen. Ihr schönes Gesicht kalte seit dem Tode von William Me redith einen Ausdruck so tiefer Melancholie, chag man nur noch Lächeln darauf bemerken konnte, wenn sich ein solches zeigte, Traurigkeit aber — die war immer darauf cinge- vrcigt. „Abreisen!" rief sie au». „Ihre Bemühungen waren meinem Kinde so nützlich!" „Die arme Frau dachte nicht daran, zu bedauern, daß ihr letzter Freund sich von ihr entferne, die Mutter bedau erte bloß die Entfernung des für ihren Sohn so nützlichen Arztes. Ich beklagte mich nicht darüber. Das Bewußtsein, nützlich zu fein, ist der süße Lohn Derjenigen, die Hinge, bung besitzen. „Adieu," sprach sic, mir die Hand reichend. „Möge Gott Sie segnen überall, wo Sie hingehen, und ist cs einst sein Wille, daß Sie unglücklich seien, so möge er wenig stens ein eben so theilnehmendes Herz, wie das Ihrige, in Jbre Nähe versetzen!" „Ich neigte meine Stirne auf di« Hand Merediths und entfernte mich tief gerührt. „Das Kind lag auf dem Nasen, vor der Frei treppe, in der Sonne. Ich ging hin, nahm es in meine Arme, herzte es zu wiederholten Malen, be trachtete es lange, lange aufmerksam und mtt traurigen, wekmüthigen Gefühlen, dann befeuchtete eine Thräne meine Augen. „O nein, nein, ich täusche mich," lispelte ich, und vskließ eilends das weiße Haus. „Mein Gott, Doktor," riefen zu gleicher Zeit alle Zu hörer des Dorfarztcs, „was fürchteten Sie denn für dieses Kind?" „Lassen Sic mich, meine Damen," antwortete Barnabu „diese Geschichte nach meiner Art zu Ende führen; es wird schon Alles zur rechten Zeit vorgebracht werden. Ich erzähle die Begebenheiten in der Ordnung, wie sie für mich erfolgt sind. In Montpellier angekoinincn, wurde ich von meinem Okeim auf'S Beste empfangen, abgerechnet, daß er >mir sofort erklärte, er könne mir weder Wohnung, noch Kost geben, noch mir Geld leihen. Und daß ich, als ein Fremd ling, ohne Ruf, nicht hoffen dürfe, einen einzigen Patien ten zu bekommen in dieser von sehr berühmten Acrzten angefülltcn Stadt. „Unter diesen Umständen, mein Oheim," sagt« ich zu ihm, „kehre ich nach meinem Dorfe zurück." „Nein, nein," entgegnete er, „ich kabe eine ehrbare Anstellung für Dich ausgcfunden. Ein sehr alter, steinrei cher Engländer, der heftig an der Gicht leidet und dabei sehr ängstlich ist, wünscht, einen Arzt beständig unter seinem Dache zu haben, einen junge», einsichtsvollen Mann, der seine Krankheit unter der Leitung eines andern Arztes beo bachte. Ich habe Dich vorgeschlagen. Du bist angenom men worden. Laß uns nun kingehen." „Unmittelbar darauf begab«» wir uns zu Lord James Kifington. Wir traten in ein großes und schönes Gebäude, das eine zahlreiche Dienerschaft batte, und nachdem wir mehrere Male stille gehalten, zuerst In den Vorzimmer», dann in den ersten Sälen, wurden wir in. das Kabinet des Lord James Kisington eingcfübrt. „Lord James Kisington saß in einem großen Lehnstuhl. Er war ein Greis von kaltem und strengem Aussehen. Seine vollständig weißen Haare bildeten einen auffallenden Gegensatz zu seinen Augenbraunen, die das schönste Schwarz behalten. Er war groß und mager, wenigstens glaubte ich «S zu errathen durch die Falten eines weiten Tuchüber rockes, der wie ein Schlafrock gemacht war. Seine Hände waren in den Aermcln versenkt und ein weißes Bärenfäll aimhüllte seine leidenden Füße. Neben sich hatte er ein Tischchen, auf welchem mehrere Arzneigläser standen. „Mylord," begann mein Onkel, „ich habe die Ehre, Ihnen meinen Neffen, den Doktor Barnabä vorzustellen." „Lord James Kisington grüßte mich, das beißt, er