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so weitrntfernten P —, und wußten sich schnell nach einer Anhöhe Bahn zu brechen, um dort ihr Lied vom heiligen Vaterland« erschallen zu lasten. Doch wer, wenn er von Amtsgesckäften ruhend in ei nem Bade Erholung suchte, wüßte sich nicht all' dieser Scenen au« solchen Versammlungsorten zu erinnern, wo Menschen au» allen Weltgegenden mit den verschiedensten Ansichten zusammengeführt werden? Wer gedenkt nicht der allgemeinen Aufregung bei dem ersten Erscheinen einer neu angckommenen Familie, deren Mitglieder wahrhaft zergliedert werden, oder der Ankunft «ine» einzelnen Fremden, dessen vornehm anspruchloses Aeußere und ausländisch klingender Nam« die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zieht? So machte sich auch ein solcher Ankömmling bemerkbar und bald beliebt, aber auch befürchtet. Es war der junge polnische Graf N . . . . ski, welcher sich lediglich au» Langweile oder Vergnügens halber schon seit einigen Wochen hier in einem großen Kreise von neuen Bekannten und älteren Freunden bewegte. Die Vortheile seines kolossalen Vermögens wußten mehrere seiner jungen schnell erworbe nen Freunde im ganzen Umfang zu schätzen. Seine jugend lich kräftige Gestalt, seine Sitten, sein ganzes Benehmen verfehlte auch selbst bei dem schönen Geschlechte nicht, wür dige Anerkennung zu finden. Diese Vorzüge erlaubten dem Grafen, nicht allein seinen eigenen Neigungen, sondern auch denen seiner Freunde je den möglichen Spielraum zu geben, worin er, von jugend licher Kraft und Lebenslust unterstützt, nicht ermüdete. Nur «ine Leidenschaft, zum Spiele nämlich, konnten seine Ge fährden nicht in ihm erwecken, so viele Mühe sich auch schon manche gegeben hatten. Er widerstand aus dem natür lichen Grunde, d«n er, so oft er deßwegcn angegangen wurde, aussprach: „Es ist mir zu langweilig, stundenlang das monotone Einerlei des Spielgangs zu verfolgen, und überdem mag ich nickt gewinnen, und mir Langeweile zu kaufen, ist mir doch mein Geld zu etwas Anderem brauchbarer, obwohl ich sonst, wie gewiß bekannt, keinen Werth darauf lege." Die wiederholten Aufforderungen aber und die nur halb verdeckt geäußerte Vermuthung, al« ob es dennoch vielleicht Geiz sein dürfte, was den Grafen so beharrlich vom Spiele entfernt hielt, fing zuletzt diesen selbst an zu reizen. TbeilS nun, um den entferntesten Schein dieser wahren oder scheinbaren Vermuthung zu entfernen, theils auch, um nicht moralischer erscheinen zu wollen, als seine Freunde, setzte er eines Tages, auf neues Zureden seiner Bekannten ohne Interesse und unbekümmert um den Erfolg seines Spiels. Jedem aber, der sich nur einigermaßen Muße nahm, Beobachtungen am grünen Tisch« anzustellen, wird es nicht entgangen sein, daß grade diese Kinder des Froh sinns die Glücksgöttin niemals unbegünstigt läßt! Das fand auch seine "Bestätigung beim Grafen R . . . . Ski. Je weniger er an dem Spiele Interesse nahm, desto größer und überraschender war nach seinen starken Sätzen sein Gewinnst. Der junge Graf, mit Gratulationen und Glückwün schen über Geschicklichkeit und Scharfsin überhäuft, spielte lächelnd, den Werth oder Nnwertb dieser Schmeicheleien er kennend, auch den folgenden Tag, den zweiten, dritten und ferner jeden Tag, aber immer mit gleicher Gleichgültig keit, aber auch mit dem gleichen unwandelbaren Glücke Seine Gewinnste waren oft so enorm, daß sie die Aufmerksamkeit der gesammten Badegäste auf sich zogen. And der Gras!? — In ihm bildete sich unwillkürlich der feste Glaube, daß, da er noch niemals einen Einsatz ver loren, er auch keinen verlieren könnte, ja daß das Glück unwandelbar an seine Seit« gebannt sei, und dieser Ge danke bildete sich zur festesten Ueberzeugung, da wirklich sein Glück von seltener, nie gesehener Beständigkeit war und »lieb. II. Nach einem starken Gewitter, an einem regnerischen Nachmittage in der Hälfte des Juli, wo sich die Hitze plötz lich mehr als zur Kühle gedämpft hatte und die Stille der verödeten Promenaden nur durch das Geräusch der lang sam von Blatt zu Blatt herabrollenden Tropfen oder durch da« Rauschen einer Drossel unterbrochen wurde, welche durch die Gebüsch« hüpfte, wo endlich kleine heitern Land partien oder Waldrendezvous zu veranstalten waren, zogen sich im Gegensatz zu diesem trüben Anblicke, die markirten Gesichter der Croupiers in die heitersten Falten. Die weiten Säle waren überfüllt mit Zuschauern und Spielern ; nur einen schon gewöhnlichen Gast vermißte man an der grünen Tafel, während der Banquier seinem Kom men mit Furcht cnlgegcnsah. Mehrere dienstbare Geister waren eben beschäftigt, die Abnahme des Tage» durch riescnmäßige Lampen zu ersetzen, als sich ein leises Geflüster in den Gruppen der Gesellschaft bemerkbar macht«; ein momentaner Stillstand des Spieles trat ein und an der oberen Seite der c-ncn Tafel wurde von einem in reiche, sehr geschmackvolle Livree gekleideten Be dienten ein Sessel hingestellt, und in dem dadurch entstan denen Raume zwischen den Zuschauern bemerkte man kurz darauf die jugendlich schlanke Gestalt des Grafen N ... .Ski. Er nahm mit der leichten, geschmeidigen Eleganz, die nur den wirklich höheren Ständen eigen ist, seinen Sitz ein, und augenblicklich schlossen sich die Gruppen der Zu schauer, theils seine Freunde, theils Neugierige, dicht um ihn, um das wunderbar glückliche Spiel Les Grafen zu beobachten. Wie gewöhnlich waren seine Sätze sehr bedeutend und der Tischraum vor ihm faßte bald nicht mehr die gewonne nen, aufgehäuften Goldrollen — da sah der junge Graf vom Spiele auf und sein Auge traf den dunklen, festen Blick eines Mannes, der halb verborgen hinter dem Kreise der Zuschauer seinem Spiele zugesehen hatte. ES war einer, dessen Physiognomie und ganzes Aeußere im normalsten Zustande der größten,Nuhc und Schweig samkeit mehr ausdrückcn. als die weitiäuftigsten Worte zu sagen vermöchten. Die schmale, wenig gebogene Nase, der gcheimnißvolle, tiefe Blick der dunklen Augen, über denen sich die cbenholzschwarzen Brauen gegen die Mitte herabnciglen und auf der gewölbten, etwas kahlen Stirne eine leichte Falte bildeten, das bervortrctcnde Kinn und der um die Mundwinkel ausgedrückte Zug voll kalter Ruhe machte, mit der durchsichtigen Blässe des Ganzen überein stimmend, auf den von diesem Blick Getroffenen einen fast gespenstigen Eindruck. Der Fremde war, so weit eS sich durch den weiten, über die linke Schulter geschlagenen Ne- berwurf beurtheilen ließ, von schlankem, beinahe schwäch lichem Körperbaue, obgleich er an Höhe die Umstehenden etwas überragte. In den Moment, wo sein Auge mit dem des Grafen zusammentraf, hatte er das Haupt vorgeneigt, um aufmerk sam das Spiel des letzteren zu verfolgen, und schon öfters hatte sich bei der unveränderlich glcichbleibendcn Sicherheit des Grafen — war es nun Zufall, oder Absicht — fein sonst schön geformter Mund zu einem Lächeln verzogen, was einen Zug seines Gesichtes hervorrief, der ihm den Ausdruck zwischen Mitleid und Schadenfreude verlieh. Der Graf hatte eben einen sehr bedeutenden Satz ge- than. Der Croupier zog ab, und der Graf hatte verloren — zum ersten Mal verloren! Sein Blick ruhte noch immer auf dem Fremden, als schon das: „Hkossiours! I<- jeu ost tust!" des Croupiers abermals erschallte. Ein allgemeines Gemurmel ging um die Tafel und eine merkliche Bewegung des Erstaunens entstand unter den Freunden des Grasen. Dieser nahm sich sichtlich zusammen und setzte; aber auch dieser Satz war verloren. (Fortsetzung folgt.) °»)7 Redaction, Druck und Verlag von E. F. Grell mann.