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Elbeblatt für Riesa, Strehla «nd deren Umgegend. 5. Dienstag, de« S. Februar 1852. Der Dorfarzt. Nach dem Französischen der Madam« d'Arbouville über seht von Dr. W. Schlesinger. (Fortsetzung.) „Die Hoffnung, die sorgliche Pflege, Alles war ihr allbiälig abgenommen worben; sie hatte nur noch zu wachen von fern« zu wachen. Tag und Nacht, wie die ewig bren nende Lampe in einem Kirchengewölbe. „Allein, ihre Kräfte waren erschöpft. Mitten tn diesem Schmerze, der sich in Verbindung mit der früheren Stille und Unbeweglichkeit wieder eingestellt, als er sie eben zu »erlassen geschicnen, nachdem sie es vergeben« mit der An strengung, mit dem Muthe, mit der Hoffnung versucht, verfiel Eva Meredith in eine Abzehrung. Den Hülfsquel- lcn meiner Kunst zum Trotze sah ich sie abmagern und schwach werden. Wie kann da das Heilmittel wirken, wenn die Seele angegriffen ist? „Arme Fremde! Sie hätte der Sonne ihres Geburts landes und etwas Glückes zu ihrer Erwärmung bedurft ; aber der Sonnenstrahl und der Glücksstrahl sehlten ihr glelchwets. Es verging eine geraume Zeit, ehe sie die Ge fahr bemerkte, weil sie nicht an sich selbst dachte; aber als «S ihr nicht mehr möglich war, den Lehnstuhl zu verlassen, da mußte sie nothwendig darauf aufmerksam werden. Ich wage cs nicht, Ihnen die Herzcnsbeklemmungen dieser Frau zu ichildern bet dem Gedanken, William ohne Stütze, ohne «nen Beschützer zu verlassen, ihn wie einen verlornen Men schen mitten unter Gleichgültigen zurückzulassen, ihn, den man wie ein Kind lieben und bei der Hand führen mußte. Ach! was versuchte sie nicht Alles, sich das Leben zu erhal ten! Mit welcher Gier warf sie sich auf die Arzeneien, die ich ihr bereitete! Wie viele Male wollte sie sogar an ihre Genesung glauben! Allein die Krankheit machte Fortschritte. „Nun hielt sie William häufiger zu Hause; sie wollt« ihn nicht mehr von ihrer Seite lassen. „Bleibe bei mir!" sagte sie. „William, der immer gern bei seiner Mutter war, setzte sich ru ihren Füßen. Sie betrachtete ihn lange, bis ein Thränenstrom sie verhinderte, die sanfte Gestalt ihres Kin des zu unterscheiden; dann rief sie ihn noch näher zu sich, drückte ihn an ihr Herz, und in einer Art Verzückung rief- fie: „O, könnte doch meine Seele, die sich nun bald von meinem Körper trennen wird, die Seele meines Kindes »erden, wie glücklich würde ich mich dann im Sterben preisen!" „Eva war cs schlechterdings nicht möglich, ganz und gar an der göttlichen Barmherzigkeit zu verzweifeln, und als alle menfchliche Aussichten schwanden, Halle dieses lie bevolle Herz süße Träum«, aus denen sie sich neu« Hoff nungen bildete. Ach, wie traurig war es jedoch, dies« arme Mutter langsam unter den Augen ihres Sohnes hinsterben zu sehen, eines Sohnes, der keinen Begriff hatte, und der Ihr zulächelle, wenn sie ihn umarmte. „Er wird mich nicht bedauern," sagte sie/„er wird mich nicht beweinen, er wird sich meiner nicht erinnern!" Hierauf blieb sie unbeweglich, tn einer stummen An schauung ihres Knaben; ihre Hand suchte dann zuweilen die meinige. „Nicht war. Sie lieben ihn, Freund Doktor?" stam melte sie. „Ich «erde ihn nicht verlassen," sagte ich zu ihr, „so lang« er keine besseren Freunde al« mich haben wird." „Gott im Himmel und der arme Dorfarzt auf Erden, das waren die 'Beschützer, denen sie'ihren Sohn anvertraute. E« ist etwas Großes um den Glauben! Diese enterbte, sterbende Wittwe, ein Kind ohne Verstand um sich sehend, gab sich keiner gränzenlosen Verzweiflung«--'^», die für Manche eine Veranlassung wird, in ihrer Todesstunde noch eine Gotteslästerung zu begehen. Ein unsichtbarer Freund war bet ihr; auf ibn schien sie sich zu stützen, und zuwei len ihr Ohr heiligen Worten hinzuneigen, welche sie allein verstand. . „Eines Morgens ließ mich Eva Meredith frühzeitig holen; sie hatte ihr Bett nicht verlassen können, und mit ihrer abgemagerten Hand zeigte sie mir ein Blatt Papier, auf welchem einige Zeilen geschrieben waren. „Freund Doktor," sagte sie zu mir mit ihrer sanftesten Stimme, „ich habe nicht die Kraft fortzußahren, vollenden Sie diesen Brief." „Ich las wie folgt: „Mylord! Es ist das letzte Mal, daß ich an Sie schreibe. Währen» die Gesundheit Ihrem Greiscnalter wiedergeschenkt wurde, bin ich leidend und zum Sterben bereit. Ich lasse Ihren Enkel, William Kisington, ohne Beschützer zurück. Mylord! Dieser letzt« Brief beabsichtigt, ihn in Ihre Erin nerung zurückzurufen; ich verlange für ihn nicht sowohl Ihr Vermögen, als vielmehr eine Stelle in Ihrem Herzen. Von allen Dingen im Leben hat er nur eine einzige Sache begriffen: die Liebe seiner Mutter. Und nun muß ich ibn für immer verlassen! Lieben Sie ihn,-Mylord, er versteht sonst nichts als die Zuneigung!" ' „Sie hatte nicht vollenden können; ich fügte hinzu: „Lady William Kisington hat nur wenige Tage zu le ben; wie lauten die Befehle von Lord James Kysingtvn bezüglich des Kindes, welches seinen Namen trägt? Doktor Barnabä." „Dieser Brief wurde nach London geschickt, und wir warteten das Weitere ab. Eva verlieft das Bett nicht mehr; William saß neben ihr und hielt den lieben Tag lang seine Hand in der ihrigen; seine Mutter versuchte ihm zuzulächeln; ich bereitete an der andern Seite des Bet tes die Arzeneien, welche das Nebel mildern konnten. „Sie fing wieder von Neuem an, mit ihrem Sohne zu reden, als ob sie gar nicht daran zweifelte, daß nach ihrem Tode einige von ihr gesprochenen Worte in sein Ge- dächtniß sich einprägcn werden; sie gab diesem Kinde alle Rathschläge, alle VerhaltuugSregcln, die sie einem vernünfti gen Wesen gegeben hätte; darauf wandte sie sich zu mir: „Wer weiß, Doktor," sprach sie, „vielleicht wird er ei nes Tages meine Worte im Grunde seines Herzens wie- derfinden!" „ES »ergingen noch einige Wochen. Der Tod nahete, und wie ergeben auch die fromme Seele Eva's war, so hatte doch dieser Augenblick die Angst der Trennung und den feierlichen Schrecken der Zukunft in einem Gefolge.