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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.04.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-04-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020407025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902040702
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902040702
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-04
- Tag 1902-04-07
-
Monat
1902-04
-
Jahr
1902
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April: Ueber das Gefecht bei Drteknil im westlichen Transvaal liegen bis znr Stunde noch leine ergänzenden Einzelheiten zu dem wrc immer lakonischen Telegramme Lord Kitchener's vor. Vorläufig hat es den Anschein, als seien die Boeren unter Delarey und Kemp von General Walter Kitchener geschlagen worden, doch da cs schwer ist, sich aus einer ersten Meldung Lord Kitchener's ein klares Bild zn machen, so mutz abgewartet werden, bis die Vorgänge von anderer Seite beleuchtet worden sind. ES scheint, als hätten die Boeren wieder einmal ihre alte Taktik, im Centrum anscheinend zu fliehen und in den Flanken AbtyeiLungen zurückzuhalten, befolgt und als seien die Bricen im Uebereifer in eine Art Falle gegangen, indem sie sich plötzlich auf beiden Flanken an» gegriffen sahen und sogar Schützengräben ausheben mutzten, um sich gegen das vernichtende Nahfener der Boeren zu schützen. Als daun später aber Walter Kitchener mit stärkeren Kräften folgte, haben sich die auf 2500 Mann geschätzten Boeren zurückgezogen; sie sollen nach Kitchener schwere Verluste gehabt haben, doch die eigenen Verluste sind nicht minder schwer gewesen. Die englischen Blätter heben voll Triumph hervor, man habe beobachtet, daß die Boeren sich weigerten, weiter zu kämpfen, und daß Delorey und Kemp vergebens ver suchten, sie hierzu aufzufordern. Vielleicht mag es aber sein, daß der Triumph verfrüht ist, und wenn erst die Verlustliste hier ciniresfen wir-, dann wird sich wohl Herausstellen, daß der Kampf, der theilweisc auf eine Entfernung von nur 200 Meter geführt wurde, schwere Opfer gefordert hat. Ueber das Gefecht bei Boschmans Kop in der Nähe von Heidelberg weitz man auch noch nichts Weiteres. Es sind nur die Namen zweier gefallener und vier ver wundeter Officicrc genannt, die Zahl der todtcn und ver wundeten Mannschaften ist noch nicht veröffentlicht, und so scheint es, daß auch dieses Gefecht kein glückliches für die Engländer gewesen ist. Tie Transvaal-Dclcgirten befinden sich noch in Kroonstad und sollen mit Steijn Verbindung aus genommen haben. Der Freistaat-Präsi-ent befindet sich in der Gesellschaft Telarey's und De Wet's, war also jedenfalls Zeuge des letzten Gefechts bei Driekuil. Ferner schreibt man uns aus London, unter dem 5. April: Das englische Kriegsamt hat es endlich für nöthig erachtet, von den in die Ocffcntlichkeit gedrungenen Berichten über das H i n m o r d c n vonBoercn durch einige schurkische Officicrc des australischen B u s ch m ä n n e r c o rp s Notiz zu nehmen, und wenn auch nicht Alles, was den Australiern znr Last gelegt wir-, officiell zugegeben wird, so ist das, was cingcstanden wird, doch noch immer schlimm genug. Zm Oktober letzten Jahres erhielten die Militärbehörden Kcnntnitz, -atz im Verlaufe -er letzten drei Monate von dem australischen Colonialcorps im Rusch nördlich von Pietersburg allerlei verdächtige Handlungen vvrgcnommen worden waren. Zweifellos kam den Militärbehörden diese Kenntnitz durch Anzeige der deutschen Mission, von welcher der Missionar Heese ein Opfer der brutalen Mordlust zweier australischer Officiere gemordeu war. Lord Kitchcuer ordnete sofort ein Kriegsgericht an, und dasselbe versammelte sich am 16. Oktober, stieß aber bei den Verhören auf große Schwie rigkeiten, da mittlerweile das Corps aufgelöst war, und die Zeugen theilweisc nach Australien zurückgekehrt, theil- weise über ganz Südafrika zerstreut waren. Das Resultat der Verhöre war, daß 5 Officiere im Januar 1902 in Pietersburg schuldig befunden wurden, nicht weniger als 12 Morde begangen zu haben. Die Leutnants Handeock und Morant wurden des Mordes für schuldig erklärt, zum Tode verurtheilt und erschaffen. Sie sind eS gewesen, die unter Anderem den Missionar Heese am 23. August 1901 ermordeten. Leutnant Witton wurde gleichfalls zum Tode verurtheilt, aber zu lebenslänglicher Zwangsarbeit be gnadigt, da er auf Anstiften seiner Vorgesetzten gehandelt haben soll. Leutnant Picdon wurde infam cassirt und dem Commandeur des Corps, Major Lincham, konnte man nicht mehr den Proceß machen, weil er bereits nicht mehr der Armee angehürtc. * Oromifta-, 6. April. („Rruter's Bureau") Ob,leich Schalk Borger sich jetzt in Verbindung «it Steijn bei Delarey befindet haben di« Verhandlungen in Folge der großen Entfernung beider Tbeile keinen großen Fortschritt gemacht. Die verhandelnden Parteien sind dahin übrrringekommen, daß die Delegirten von Transvaal sich bald von Kroonstad nach einem anderen Punkte begeben sollen, um die Verhandlungen zu erleichtern. Es scheint zweifelhaft, ob sich Dewet bei Steijn befindet. Politische Tagesschau. * Leipzig, 7. April. Der „Berl. Loc.»Anz." meldete dieser Tage, nach der glücklichen Durchdringung der ersten Flottenvorlage von 1898 sei der damalige CeatrumSjübrer vr. Lieber „vor die Wabl gestellt" »vordrn zwischen einem Oberpräsidium, einem ivtaatSsekretärpostea und eiuem Ministerporte feuille; auch ein hoher Orden sei ihm angeboren worden. Die Meldung hnzd g'.L. Beachtung; jetzt aber erklärt die klerikale „Köln. VolkSztg.": „Diese Nachricht ist richtig, vr. Lieber hat in derselben Selbstlosigkeit, welche ihn je»« Angebote auSjchlagen ließ, voo diesen Angeboten auch o»r ganz wenigen vertrauten Freunden Mittheilung gemacht, und auch diesen nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Jetzt aber, nach seinem Tode, zumal wo der „Berliner Localanzeiger" von anderer Seite in die Lage gesetzt worden ist, diese Thatsache zn veröffentlichen, liegt kein Grund mehr vor, hinter dem Berge zn halten. DaS katholische Volk und die Centrumspartei werden eS dem Verstorbenen hoch anrechnea müssen, daß er eine hohe Stelle im Staatsdienste aus- schlug, welche ihm in Anbetracht seiner sehr zahlreichen Familie aus persönlichen Rücksichten nur erwünscht sein konnte, ebenso hoch, wie sie cs dem Abg. Windthorst angerechnet haben, daß er die sehr hoch dotirte Stellung «ine» Verwalter- deS fürstlich Thurn. und Taxis'jcheu BermügenS antschlug. Beide Männer haben dabei in musterhafter Weise die Jnterrssen ihrer giiten Sache und ihre Auf gabe im öffentlichen Leben höher grwerthet wie persönliche Bortheile der verlockendsten Art. Für vr. Lieber kam vom Standpunkte seiner persönlichen Neigung t» erster Linie das Angebot eines Ober präsidiums in Betracht. ES handelte sich um das Oberpräsidium seiner Heimathprovinz Hessen-Nassau. Der damalige Ober präsident Brandenburg war in Aussicht genommen als Präsident der Oberrrchuungskammer. Die so eröffnete Vakanz sollte benutzt werden, um doS Oberpräsidium in Cassel für vr. Lieber frei zu machen, vr. Lieber blieb aber, was er war: ein einfacher Privat mann. Wenn ein so uneigennütziger und selbstloser Mann bei seiner politischen Thütigkeit Vertrauen erwartete und verlangte, so wird mau zugeben müssen, daß sein eigenes Verhalten ihm dazu ein volles Recht gab." Begreiflicherweise erregt diese Erklärung überall daS größte Aussehen und bezeichnenderweise wird sie vom größten Theile der Presse geglaubt. Eine Ausnahme macht, soweit wir über sehen können, nur die „Köln. Ztg.", die Folgendes bemerkt: „Nach unserer, wie wir glauben, zuverlässigen Kenntnitz der damaligen Ereignisse halten wir diese Erzählaug für eine jener zahlreichen Märchen, wie sie mit besonderer Geschwätzigkeit in den parlamentarischen Wandelgängen verbreitet zu werden pflegen. DaS Oberpräsidium von Heffrn-Nassan ist erst neun Monate nach Erledigung der Flottenvorlage von 1898 freigemacht worden, und zwar in erster Linie für den Staatsminister Grasen v. Zedlitz- Trützschler; der damalige Oberpräsident hieß nicht Brandenburg, sondern Magdeburg, wurde am 21. Tccember 1898 zum Präsi denten der Oberrechnungskammer in Polsdam ernannt, in weicher Stellung er noch heute thätig ist, und am selben Tage wurde Graf Zrdl tz sein Nachfolger in Cassel." Wir baden zum Unglauben einen noch weit gewichtigeren Grund. Der jetzige Reichskanzler und preußische Minister präsident Gras Bülow amtirt als solcher erst seit dem l7. October 1900. vr. Lieber müßte also vor die Wahl zwischen einem Oberpräsidium, einem StaatSsekretärposten und einem Ministerportefeuille schon von dem Amtsvorgänger des Grafen, dem Fürsten Chlodwig zu Hohenlohe- Schillingsfürst, gestellt worden sein. Und das hallen wir a»S Gründen, die wir nicht darzulegen zu muffen glauben, für undenkbar. Es bliebe also nur die Annahme, die Ver handlung mit Herrn vr. Lieber hätte hinter dem Rücken des veraaiwortlicheu Staatsmannes stattgefunden. Aber auch eine ^Mche-A«madm« hätte» wer für nickt statthaft und betrachten daher, wenn wir nicht eines Anderen belehrt werde», die ganze Erzählung für ein Märchen, daö seiue Ealstehung vielleicht dem schon vor einer Reihe von Jahren umlaufenden Gerüchte, vr. Lieder solle Obcrpräsivent von Hessau-Nassau werden, seine Entstehung verdankt. Für unsere ganze innere Lage ist eS freilich, wie schon gesagt, sehr bezeichnend, daß selbst solche Blätter, die Anspruch auf Beachtung haben, nicht nur die Erzählung für wahr halten, sondern auch an sie sehr ernste Betrachtungen über das jetzige Regiernngssystem knüpfen. Die Meldungen aus München über die Ergebnisse -er PosadowSkh'schc» Rundreise werden vou der Presse der Führer des Bundes der Laudwirthe in nicht unge schickter Weise dazu benutzt, die „ Verstand i gu» gsac tio n" lächerlich zu machen, an der suhlende Organe der Cvnservativen und der CenlrumSpartei sich betbefligt halten. Die Mit theilung, daß die von rem Staatssekretär besuchten Negie rungen an den in der Tarifvorlage enthaltenen Mindest sätzen für Getreide festbalten, sei die natürliche Antwort aus die Brrständigungsvorschläge. Dann heißt es weiter: „Man vergegenwärtige sich doch einmal die Entwickelung der ganzen Angelegenheit! Zuerst verlangte man allgemein als uothwendig und gerecht Mindestzölle auf alle landwirthschaftlichen Erzeugnisse und für Getreide «inen Mindestzoll von 7,50 ./i Ehe die Verbündeten Regierungen formell Stellung zu diesem Verlangen genommen hatten, ermäßigte man die Getreidezollfordernng auf 6 ^!, allerdings unter der aus drücklichen Bedingung, daß ausreichende Miudestzülle für alle anderen laudwirthschastlichrn Erzeugnisse in den Tarif ausgenommen würden. Das geschah nicht; im Gegentheil, die anderen landwirthschaftlichen Mindestzölle wurden als unan nehmbar bezeichnet. Trotzdem zog man sich auf den soge nannten Compromitzautrag zurück, obwohl die Bedingung des srüheren Zurückweichens nicht erfüllt, sondern im Gegen» thril abgelehut worden war. Und jetzt lautet die Parole in derselben Presse, welche noch vor wenigen Wochen den Com» promißantrag als das Mindeste bezeichnete, was der LanL- wirthjchast gewährt werden müsse: Sofortige Verständigung um jeden Preis, koste eS, was es wolle! Wenn die verbündeten Regierungen das lesen, das ernst nehmen, wenn sie hören, wie man diejeoigen, welche an den ursprünglich für gerecht und uothwendig erklärten Forderungen feslhaltru, als Störenfriede uud intransigente Agitatoren beschimpft, so müssen sie doch selbstverständlich die Hoff nung hegen, daß, wenn sie selbst fest bleiben, die Mehrheit des Reichs tages sich schließlich löblich unterwerfen werde.... Wenn jetzt, nachdem di« Brrständigungsaction die unausbleibliche Wirkung gehabt hat, der Regierung zugerusea wird, sie möge doch, falls sie an ihrer Vorlage unbedingt festhalten wolle, „die Bude lieber gleich schließen", jo wird daS unseres Erachtens kaum noch einen Eindruck machen. DaS Einzige, das vielleicht noch etwas helfen könnte, wäre eine möglichst sofortige und möglichst scharfe Desavou- irung der Presse, die eine Berständiguug um jeden Preis em pfohlen hat, durch die Mitglieder der Commissionsmehrheit. Ob es dazu koinmen werde, ist freilich recht fraglich. Die verbündeten Negierungen werden voraussichtlich die Bud« nicht schließen, sondern dem Reichstage, wie die „Köln. Volksztg." ganz zutreffend sagt, eine ganz nuwürdige Rolle zumuthen." Aus dir „Kreuzztg." macht aber diese Ausmalung der „ganz unwürdigen Rolle", die sie spiele, den erhofften Ein druck nicht. Sie giebt die von uuS in unserer Souutagö- auSgabe mitgetheilte Rede de- Abg. Graf zu Limburg- Stirum wieder und knüpft an sie die Bemerkung: „Die hohe Bedeutung dieser Ansprache des konservativen Führers wird, daran ist nicht zu zweifeln, allenthalben anerkannt werden. Mit knappen, klaren Worte» sind noch einmal die maßvolle», dein Gemeinwohl« ersprießlichen Ziele gezeichnet, welche in der Zolltarif frage für unsere Partei maßgebend sind. Daß hierüber im Allge meinen Urbereinstimmung herrscht, beweist die Thatsache, daß sich die Ausführungen des Grasen zu Limburg-Stirum im Große» und Ganzen mit denen des Grasen Kanitz decken, über die wir schon berichtet haben. Nach einem unS jetzt vorliegenden ausführlichen Berichte über den Vortrag des Grafen Kanitz in dem zu Pr.-Holland erscheinenden „Oberländer Volks blatt" ist darin über dir Wichtigkeit der Vieh- und Fleisch-Zollsätze im Tarisentwurf gesagt, Gras Kanitz werde den Antrag stellen, daß die nothwendigsten Zollsätze nicht herab gesetzt werden dürfen. Er bezeichnete aber insonderheit die in der Vorlage enthaltenen Erhöhungen der Prerdczölle als einen er- freulichen Fortschritt, meinte, daß die Landwirthschast auch mit den übrigen Sätzen für Biehzölle auskommen werde, und sprach die Hoffnung auS, daß, wenn diese Sätze nicht weiter heruntergehandelt würden, der deutschen Landwirthschast eine bessere Perspective eröffnet werde, daß wir besseren Feirillrton. Eva oder Anneliese? 6j Roman von Ernst Gcorgy. Viachdriuk verboten. Zweites Capitcl. Lange Jahre waren seit dem Sommer verstrichen, der die Familien Brandau und Ncubcrt in Dievenow zu- fammcngeführt hatte. In dem wcitvvrspringendcn Erker des wuuderschöucn Grvßbrandaucr Schlosses saß Gräfin Marie. Ihre weißen Hände lagen im Schoße verschränkt. Die traurig blicken, den Augen schauten aus dem blaffen, lcidbcrührten Gesicht in die wogenden Banmwipfcl Ein schwarzes Trauer gewand umschloß die hohe, schlanke Gestalt. Eine drei eckige Trancrschnebbc unt laugherabwallendem Schleier war, tief in die Stirn herabrcichend, in dem blonden Haar, durch das sich weiße Fäden zogen, befestigt. Neben ihr stickte die Engländerin Mitz Seaton, an einer Gcigcndeckc. Ihr gegenüber saß Anneliese und las. Aus dem sieben jährigen Lockenkops >var ein hübscher Backfisch von fünf zehn Jahren geworden, dem zwei dicke blonde Zöpfe über die Schultern hingen. — Von Zeit zu Zeit hob Anneliese die Lider und blickte verstohlen nach der Pflegemutter. Die war auch heute gar zu still, und doch sollte morgen der Erbe des riesigen Be sitzes, der sehnsüchtig erwartete Bernd kommen. Ihr Herz stüpfte vor Freude bei dem Gedanken. Sic begriff ihre Mutti garnicht, die jetzt schon stundenlang vor sich hin grübelte. Tic ganzen acht Jahre hindurch hatten sic die Heimkehr des Fernen als den schönsten Lichtblick der Zu kunft gepriesen. Da würde cö wieder lebendig werden in den weiten, hallenden Corridoren! Lachen und Gesang in den Gemächern: Jnbcln, Schüsse und frohes Leben in dem Park. Jetzt war cö ja so still, so schweigsam hier gewesen, besonders in den Wintern, wo die Eltern im Süden waren! Ganz allein mit Mitzchcn und der Dienerschaft hatte sic im Schlöffe gehaust. Ihre ruhige Veranlagung entwickelte sich dadurch noch bedeutend. Als Mutti zurück- kam, fand sie ihre „kleine Dcrn" noch schweigsamer, noch stiller als früher. Sie wollte das Kind in eine Pension bringen; aber Anneliese flehte und bettelte so herz zerreißend, daß sich die Gräfin nicht dazu entschließen konnte. Sic selbst war ja so froh, wenn sie das Mädchen um sich hatte, ihre leise Zärtlichkeit, ihre zarten Aufmerksam keiten spürte. Auf ihren Gängen, bei ihrem Zusamimn- sein war immer Bernd das Gesprächsthema. Marie fand in der Kleinen eine stets willige Lauscherin. Als sie mit ihr einige Male den Pflegebrudcr in Berlin besucht hatte, da lebte Anneliese nur noch in der Erinnerung an jede Einzelheit jener Tage! — In den letzten drei Jahren war Graf Brandau nicht mehr rcisefähig gewesen. Da war man daheim geblieben. Eine schreckliche Zett brach für alle im Schlöffe herein. Das qualvollste Hinsicchcn hatte aus dem schon imvrcr nörgeln den Patienten einen wahren Teufel gemacht. Er quälte seine Umgebung Tag und Nacht auf das Entsetzlichste. Wenn alle anderen, selbst Kahle,vor ihm flohen, sein Weib hielt standhaft neben ihm aus. Sie wich nur dann von seiner Seite, wenn ihre eiserne Gesundheit zusammen brach, ihre Nerven versagten. Dann ritt sie einige Stunden durch die Wälder oder fuhr mit Anneliese spazieren. Nach einigen Stunden nahm sie ihr Pflcgcamt wieder auf sich, wortlos und ohne Bitterkeit. Sie war die geborene Dulderin! Mit der größten Energie hatte sie eS durchgeseyt, daß Bernd in diesen martervollen Jahren nicht nach Hause kam. Er sollte den in jeder Weise entstellten Vater nicht mehr sehen. Brandau verlangte nie nach -em Sohne, verbot ihr, feinen Namen zu erwähnen oder seine Briefe vorzulesen. - Vor einem Monat nun war Gras Brandau plötzlich während der Nacht gestorben. — Bernd stand vor dem Abiturtcntcncxamcn. Da hatte Marte alle Mittel aufgebotcn, um ihm die Nachricht zu verschweigen, bis er die Prüfung bestanden hatte. ES war ihr gelungen. — Sang- und klanglos hatte man den Verstorbenen beige- setzt. Die prunkvolle Lrauerfeicr sollte erst bei der Heim kehr des Sohnes stattfinden, verbunden mit der Uebcr- führung des Sarges in das neue Mausoleum. Die Brandau'schc Erbgrnft war bis zum letzten Plätzchen be setzt, da seit Jahrhunderten sämmtlichc Brandau's hier ruhten „Ich wünsche keinen Anbau an die alte Kirche!", hatte Gräfin Marie dem Baumeister gesagt. „Eine neue Zeit ist angebrochen, ein frischer Geist weht. Ich habe meinen Sohn im Sinne der neuen Zeit erziehen lassen. Er denkt und fühlt anders als seine Ahnen! Darum wünsche ich den Bau einer völlig neuen Gruft!" Ihrem Wunsche kyar gehorfamt worden. Am Ende deS Parkes erhob fich ein dorischer Säulcnbau. Hohe Bäume beschatteten ihn, dichtes (Gebüsch umgab ihn. Auf dem Giebeldreicck waren die Worte eiugcgrabcn: „Wir strebten, darum hoffen wir! —Begräbnißstätte der gräflich Rrandau'schen Familie!" Mit Feuereifer wurde hier noch gearbeitet. Denn am kommenden Sonntage sollte der Ban beendet sein. Mit der Beisetzungsfeierlichkcit war die Einweihung verbunden, zu der die ganze Verwandtschaft und Freundschaft der Familie erwartet wurde. Gleichzeitig fand am Nachmittag die Uebcrgabe des Majorates und der Erbschaft an den jungen (Srafcn: Bcrnlmrd Hubert Christian Ludwig Willi bald von Brandau statt. Die Vormundschaft führte Marie und ein Vetter bis zur erfolgten Mündigkeit. Die Gräfin hatte ihres l^atten sehr bedeutendes Privatvermögcn nnd einen Wittwcnsiy geerbt. Jedoch war Julians letzter Wille so verklausulirt, daß sie wenig Geld zur freien Ver fügung hatte. Sic genoß nur die Zinsen in vierteljähr lichen Raten. Dadurch wurde sic allerdings eine sehr reiche Frau; aber das Testament nahm ihr auch diesen Reichthnm, sobald sie an eine Wicdcrverheirathung dachte! Wer durch lange Zeit hindurch an eine strenge, selbst unangenehme Pflichterfüllung gewöhnt ist, dem fehlt sie, wenn er ihrer enthoben ist. Marie fühlte sich in den Wochen nach dem Tode ihres Gemahls vereinsamter und unglücklicher als zuvor. Sie konnte sich zu keiner Thätig- kett aufraffcn. Ihre künstlich erhaltene Widerstandsfähig keit brach zuscnnnrcn. — In stillem Borsichhindämmcrn verbrachte sie die Tage Sie grübelte und grübelte, ohne zu einer Klarheit ihrer Gedanken zu kommen. So wenig sie vor sich selber heuchelte, so unglücklich sie an seiner Seite gewesen, der Verstorbene fehlte ihr! Neun ¬ zehn Jahre war ste mit ihm vcrhcirathet gewesen. Diese Zeit genügte, nm sic an ibn zn gewöhnen. — Entbcbrt doch selbst der lyefangcne anfangs seine Zelle, wenn er sie nach Jab re n verläßt! Drnm hofften Diejenigen, welche sie liebten, von Bernd s Heimkehr eine Aufrüttelung aus ibrrr Apathie, eine Genesung! Auch jetzt starrte sic gefuhl- nnd ge ¬ dankenlos hinaus. Anneliese wurde das Schweigen un heimlich. Sic unterbrach eS, ganz gegen ihre sonstige Ge wohnheit. „Mutti, liebe gute Mutti!" rief sie leise. „Ist unser Bernd morgen um diese Zeit schou da?" Marie fuhr erschreckt ans ihrem Brüten ans. „Wie spät ist cS denn, mein Kind?" „TS hat eben vier Uhr vom Thurm geläutet. Dfe große Uhr geht jetzt richtig. Der Gärtner hat sic nach der aus dem Bahnhof gestellt!" „So? so?" Die Gräfin scheuchte mit der Hand über die Stirn, als wolle sic die Bilder dahinter vertreiben. „Bier Uhr! Ja, dann ist er längst hier!" Das Mädchen stieß einen kleinen Schrei auS vor Wonne. „Der liebe, gute, schöne Zunge! Und einen Schnurrbart hätte er, so schrieb er mir! Mutti, freust Du Dich denn garnicht ein wenig? Ziernd, unser Bernd kommt!" „Gewiß freue ich mich, Kind, darum habe ich ja gelebt!" -Ein inneres Leuchten kam in ihre Augen. Lebhafter fuhr sie fort: „Daß aber der arme Zunge nach dem mühevollen Eramcn die traurige Botschaft hören mußte, die ihm alle Freude nahm! Daß er in sein Elternhans hcimkehrt, um seinen Vater zu begraben, das erste Ereignis; daheim — eine Beisetzung, — das nimmt mir die Wonne, welche ich sonst empfunden hätte!" Annelies verstummte. „Aber, Fran Gräfin, bis zum Sonntag sind noch vier Tage!" — fiel die Engländerin in ihrer Sprache ein. — „Da hat der junge Herr noch Zett, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen Die Liebe zu Ihnen, die Lust, mit Ihnen und Anneliese zusammen sein zu können, mir- größer sein, als der Schmerz. Er ist ja noch so jung! In dem Alter überwindet man leicht. Besonders, da er den Herrn Grasen so viele Jahre nicht gesehen hat!" „Ich habe in ihm die Erinnerung an den Vater stets leben dig erhalten, durch meine Briefe oder durch meine Er- zählungc», wenn ich ihn Weihnachten besuchte!" — ent gegnete Marie. Die Engländerin sah sie bewundernd an. Die Mär- turcrschaft, welche so treu getragen wurde, trieb sic zu einer Verehrung ihrer Herrin, die an Schwärmerei grenzte. Eine lurze Pause entstand. Dann sagte Anneliese fragend: „Kommt Onkel Ncubcrt auch mit, Mutti?" „Za, Lieb ¬ ling, er ließ cs sich nicht nehmen! Er und Bernd s bester Freund, Stephan von Wärest. Sie wollen der Feierlich keit beiwohnen!" — „Ist der junge Graf Wärest so schön wie Graf Bernd?" — fragte die Erzieherin. — Marie schüttelte den Kopf: „Nein, ich muß selbst gestehe«, mein Sohn ist schöner; aber Stephan ist ein prächtiger Bursche! Je tanger und je näher ich ihn kennen lernte, umso mehr gefiel er mir! Sonst hätte ich auch Bernd nicht erlaubt, die Ferien mit ihm auf Linden-Aue zu verleben. Der alte Graf und seine greise Schwester, die -cm Haushalte vvrstcht, sind mir lieb nnd werth! Zch freute mich innig, daß mein Freund, der Professor, den Stephan gleichfalls in Pension nahm. Er ist genau so alt, wie
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