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hält und einen großen Theil der Zeit, welche zur Beibringung von Kenntnissen bestimmt ist, damit vergeuden muß, die erfor derliche Ruhe und Ordnung zu erzielen, was trotzdem oft mangelhaft genug gelingt. Je größer nun die Ansprüche sind, welche die Gegenwart an das Maß der zu erlangenden Kennt nisse stellt, um so bedeutender ist der Nachtheil, wenn der Lehrer seine Zeit und seine Kräfte mit Bemühungen zer splittern muß, die nicht mit auf dem Lektionsplane stehen und den Absichten der Schule im höchsten Grade hinderlich sind. Unter solchen Umständen ist es leicht erklärlich, daß der Lehrer, je redlicher sein Wille ist, die Kinder mit Kenntnissen zu bereichern, mit desto größerem Unwillen erfüllt wird, jemehr Hindernisse ihm durch die Zuchtlosigkeit der Schüler in den Weg gelegt werden, und es erklärt sich daraus die große An zahl der Stimmen aus dem Lehrerstande, welche für die ord nungsmäßige Einführung körperlicher Strafen in die Schule stimmen. So gut wir aber aus eigner Erfahrung wissen, welche tiefe und gerechte Empörung den Lehrer ergreift, wenn er sein redlichstes Streben durch Ungezogenheiten, Rohheiten, Bos heit und Widersetzlichkeit fortwährend in Fesseln gelegt sieht, so müssen wir uns trotzdem entschieden gegen die Einführung von Kör perstrafen in die Schule aussprechen. Unser Beweggrund hierzu tst keineswegs eine allzuweichliche sogenannte Humanität, son dern wir sind dagegen, weil uns nichts davon zu überzeugen vermag, daß ein officielles Prügelsystem den beabsichtigten Er folg haben werde, während wir ziemlich sicher sind, daß neben der Nutzlosigkeit auch noch bedeutende Nachtheile sich heraus stellen würden. Es ist nun keineswegs der Zweck dieser Zeilen, solche Nachtheile anzuführen und zu besprechen, denn dies ist andern Ortes und von anderer Seite schon oft und erschöpfender ge schehen; da aber die Mehrzahl der Eltern unsere Ansicht theilt, daß die Kinder in der Schule nicht geschlagen werden sollen, so ist es vielmehr unsere Absicht, die Eltern daran zu erinnern, daß sie dahingegen die Pflicht haben, die Lehrer der fatalen Nothwendigkeit, die Schüler körperlich zu züchtigen, zu entheben. Wenn es nämlich die Aufgabe des Lehrers ist, den Kindern diejenigen Kenntnisse beizubringen, welche zu ihrem späteren Fortkommen erforderlich sind, so haben die Eltern unbedingt die Verpflichtung, die Kinder durch häusliche Zucht und eigenes gutes Beispiel so zu erziehen, daß dieselben durch ihr Betragen dem Lehrer sein ohnehin so äußerst schwieriges Amt nicht noch mehr erschweren oder gar dessen Ausführung unmöglich machen. Es ist unerläßlich, daß ein Kind Achtung vor dem Lehrer habe und es nicht wage, dessen Bemühungen durch Trotz, Widersetzlichkeit und Mißachtung zu hemmen; wie kann aber dieses so nothwendige Ziel erreicht werden, wenn man dem Kinde zu Hause Widerspruch, Ungehorsam, Nicht achtung Erwachsener, ja, der eigenen Eltern ungestraft hingehen läßt oder demselben sogar einprägt, sich von Anderen „nichts gefallen zu lassen"? Was soll ein Lehrer ausrichten, wie soll er seine Autorität wahren, wenn Vater oder Mutter nicht ein mal Verweise von seiner Seite dulden wollen und auf desfallsige Beschwerden der Kinder sofort und oft in durchaus unzulässiger Form dem Lehrer Vorwürfe machen? Wenn endlich die Ge- sammtheit der Lehrer auftritt und das Verlangen nach gesetz licher Einführung körperlicher Züchtigung ausspricht, weil ein anderes Durchkommen unmöglich erscheint, dann ist alle Welt empört und schreit: nein, mein Kind lasse ich von Fremden und öffentlich nicht schlagen! Ganz gut, auch wir sind ja damit nicht einverstanden: aber so bedenkt doch, ihr Eltern, die ihr dies nicht wünscht, daß es eure Schuld allein ist, wenn die Lehrer ein Verlangen stellen, welches euch so sehr empört; bedenkt, daß ihr selbst eine eurer obersten Pflichten verletzt, wenn ihr es unterlaßt, eure Kinder in Zucht und Sitte zu erziehen; bedenkt, daß eine so mangelhafte und grundsatzlose Erziehung euren Kindern nur zum Verderben gereicht, und daß diese selbst euch schließlich anklagen und den gerechten Vorwurf machen werden: warum habt ihr uns nicht besser erzogen? so bald sie später von den unausbleiblichen Folgen ihrer moralischen Verwilderung betroffen werden. Es ist ganz recht, wenn ihr eure Kinder nicht wollt vom Lehrer schlagen lassen, aber wendet eure sittliche Entrüstung gegen euch selbst, gegen eure Affenliebe, gegen eure unver nünftige und unverantwortliche Nachsicht, mit welcher ihr eure Kinder zu zügellosen und widersetzlichen Menschen heranzieht. Sorgt dafür, daß eure Kinder Achtung vor euch selbst haben, bringt ihnen schon frühzeitig Gehorsam, Bescheidenheit und achtungsvolles Benehmen gegen Erwachsene bei, straft sie selbst, wenn sie sich gegen diese Punkte vergehen, dann wird der Lehrer gern auf die Anwendung des Stockes verzichten, denn er sehnt sich wahrlich nicht danach, sich selbst zum Zuchtmeister fremder Kinder herabzuwürdigen. Also nicht klagen, nicht raisonniren, nicht die eigne Schuld auf Andere wälzen, erkennt vielmehr euren Fehler und haltet eure Kinder in strenger Zucht, dann habt ihr nicht mehr nöthig zu fragen: soll der Lehrer mein Kind schlagen? O. V. Der neue Inspektor. Erzählung von Äugust Lriiger. (Fortsetzung.) „Ich will Ihnen," sprach die Baronin, nachdem sie die Weinende mit einem gewissermaßen schadenfrohen Blick betrachtet hatte, weiter, wobei sie das „Ihnen" scharf betonte, „ich will Ihnen, liebstes Kind, mit meinen Worten nicht etwa einen Vor wurfgemachthaben, denn was wußten Sie auch von den finanziellen Verhältnissen Ihres Gatten, überhaupt von solchen Dingen. Ihr seliger Papa hatte Ihnen nur ein höchst bescheidenes Leben gewähren können und Sie waren damit zufrieden, weil Sie eben ein anderes nicht kannten. Oft mögen Sie aber doch, es kann ja auch nicht anders sein, einen Blick um sich geworfen haben, einen Blick voll Sehnsucht nach einer Existenz, ausge schmückt mit mancherlei Genüssen dieser Welt. Der General war stolz auf sein schönes junges Weib; er wollte sie doch der Gesellschaft präsentiren und belebte dadurch die langunter drückten, stillen Wünsche in Ihrer Brust. Und so ließen Sie sich willig betäuben von dem süßen, neuen Zauber, den die neue Welt, in welche Sie traten, auf Sie ausübte und konnten nicht bedenken, daß all' der Glanz, der Sie umgab, be zahlt werden müsse, und daß die pekuniären Verhältnisse Ihres Gatten solchen Anforderungen für die Dauer nicht würden ge nügen können. Das hätte er überlegen müssen und nicht toll und blind, wie ein junger Gatte dies bisweilen thut und auch wohl thun darf, Ihnen Rosen und andere kostbare Gegenstände verschwenderisch auf Ihren Lebensweg streuen sollen. Aber so sind diese Alten; schlimmer und gedankenloser wie das junge Volk. Und Sie, armes Kind, müssen nun dafür büßen. Er ist zur ewigen Ruhe eingegangen und schläft nun in seinem prächtigen Marmorsarge — Sie haben damit auch zu viel Luxus getrieben — seinen letzten, dauerhaftesten Schlaf, während Sic die wenigen goldenen Tage, die er Ihnen bereitet, mit einem langen Leben voll Entbehrungen bezahlen müssen, falls Sie es nicht endlich einmal für zweckmäßig erachten, eine Ihnen Mit leids- und liebevoll entgegengestreckte hilfreiche Hand anzu nehmen." Die Baronin machte hier eine — Kunstpause und blickte scharf auf die regungslos dasitzende junge Frau. Als diese keine Bewegung machte, auch keinerlei Miene, zu sprechen, fuhr sie nach einem tiefen Athemzuge fort, wobei sie wohl dachte: jetzt habe ich sie mürbe gemacht, nun werde ich meine letzten Trümpfe ausspielen, und Du Fränzel, magst Dich bei Deiner Mutter bedanken. — „Mein liebes Herzchen, lassen Sie uns offen mit einander reden, ganz offen, denn ein höfliches Vertuschenwollen kann hicr nichts helfen, im Gegentheit geradezu Schaden anrichten. Sehen Sie, Kindchen, Ihre Verhältnisse sind nun einmal total derangirt. Vermögen besitzen Sie nicht, Verwandte auch nicht, die Ihnen helfen könnten, Dehnitz ist über und über verschuldet und muß über kurz oder lang unter den Hammer kommen, da bleibt Ihnen nur Ihre, für Ihre Verhältnisse gar karge Witt- wenpension, mit welcher Sie, wenn Sie überhaupt leben wollen — von einer standesgemäßen Existenz werden Sie so wie so absehen müssen -- nach irgend einer obscuren kleinen Stadt, oder