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Schleierweberei begann wieder mit neuer Kraft. Die Schleier herren sahen sich nun genöthigt, wollten sie nicht Andere an den reichen Früchten ihrer Produktion Theil nehmen lassen, 1730 die gelernten Weber in Sold zu nehmen, indeß auch dies Zugeständniß hatte keine lange Dauer, die Weber setzten eS durch, daß sie in die Innung ausgenommen werden mußten. Nun schwang sich die Schleier-und überhaupt die voigttändische Weberei so in die Höhe, wie noch zu keiner Zeit ihres Bestehens. Die letzten Jahrzehnte des vergangenen Jahrhundert- waren der voigtländischen Manufaktur überaus günstig, jährlich wurden an drei Millionen Stück Mouslin verfertigt, wobei 30,000 Personen Beschäftigung fanden. Die napoleonischen Kriege thaten natürlich schweren Abbruch, die englische Konkurrenz nicht minder und die Jetztzeit mit ihren politischen Schwankungen ist eben auch nicht günstig für den Absatz; trotzdem arbeitet man im Voigtlande thätig fort. Freilich ist der jetzige Verdienst ein so geringer, daß eben nur ein heiteres voigtländisches Ge- müth noch Lust zum Singen und Tanzen haben kann. Den Frohsinn haben sie von ihren Vätern ererbt... wohl ihnen! Arbeitsamkeit und ausdauernder Fleiß sind Volkstugenden aus gezeichneter Art; heitere Sanges- und Tanzlust bei allem Kampfe um's tägliche Brot steht ihnen ebenbürtig zur Seite und die Voigtländer besitzen beide rühmenswerthe Eigenschaften. Der gewöhnlichen Annahme nach sind Tyrol, Oesterreich, Kärnten, Steiermark, Oberbaiern und die Schweiz als Berg- (Alpen)länder die Heimath der deutschen Volkspoesie, aber diese findet sich auch weiter nördlich, namentlich innerhalb der Sprachgrenze des fränkischen Dialekts, also im nördlichen Baiern, Voigtland, Egerland und im östlichen Erzgebirge. Im Voigtland allein führt diese Volkspoesie den Namen Runda, überall anderswo, hat sie die verschiedensten Be zeichnungen, wie: Schnaderhüpfl, Schnättergängl, Schlumper auch Tschumberliedl, Gestanzle, Gelangte, Gesätzte, Sprüchel, Pleppalicdl, Schelmliedl. Die Voigtländer haben aller Wahr scheinlichkeit nach das Wort Runda aus dem Lateinischen, die Studenten in alter Zeit sangen bei ihren Trinkgelagen Runda's. In Göthes Faust ruft bei der Studentenscene der immer durstige Student Siebel: Zur Lhür hinaus, wer sich entzweit! Mit offner Brust singt Runda, saust und schreit! Es fehlt uns an Raum, um eine Menge Beweise aufzu führen, daß Runda eine bedeutend alte Bezeichnung für den Rundgesang ist. Die voigtländischen Runda's sind vierzeilige Strophen, die, wer eine Halbwegs poetische Ader in sich hat . . . und die Voigtländer sind nicht arm daran . . . Jeder für sich erst macht, wenn er ans Singen kommt. Die Gegen stände, die sie behandeln, gehören dem Volksleben an, sind manchmal sogar in ihrer Einfachheit rührend, zuweilen aber auch sehr derber Natur. Vorzüglich spielt die Liebe zum Schatz eine Hauptrolle darin, wie zum Beispiel: „Du ruösenruülh's Dirndel, Du ruösenruülh's Blut, Ich soll Dich verlossen, Und bi D'r su gut" — oder: „Treu ho ich geliebt, Wos hol's ze bedeuten? Mei Schatz nimmt a Anner, Dös muß ich leiden." Und so aiebt es viele Hunderte solcher vierzeiliger Strophen für alle Liebes- und Lebenslagen, die im Volksgedächtniß einwurzeln und die, wenn die Burschen und Mädchen zusammen kommen, von ihnen mit größtem gegenseitigen Vergnügen gesungen werden. Die komischen, die zugleich nicht ohne den Stachel des Spottes sind, gehören zu den ganz besonder- beliebten Runda's, wie zum Beispiel: Es war amol Amr Hat de Madeln nät gelübt, Wie er in Himmel iS tummen, Htt er aufaehaum krieat. Namentlich geschieht diese Sange-freude beim Sommer - Haufen, in der Rockenstube und im »irth-ha«-. Sommer Haufen heißen nämlich die zwanglosen Zusammen künfte des jungen Volkes auf der Dorfgaffe an heiteren Gommer abenden. Jedes Gehöft, jedes HäuSle aiebt seine Burschen, seine Mädchen her, die sich sammeln. Arm in Arm einge- häckelt, wie es heißt, ziehen die Mädchen in einer Reibe Pie Straße auf und ab, hinter ihnen her die Burschen ebenfalls Arm in Arm und auch in einer Reihe. Die Mädchen, am meisten sangeslustig, haben allerzeit eine besonders liederkundige Vor sängerin unter sich und diese stimmt an, die Burschen fallen sogleich ein und diese junge Welt zieht fröhlich auf und ab; ihr Veranügen ist um so größer, da es ihnen keinen Pfennig Geld kostet. Nach längeren Liedern werden, um dem Humor auch sein gebührendes Theil zukommen zu lassen, meist einige kleine Rundastrophen unter allgemeinem Jubel angestimmt. Dem Wintervergnügen öffnet sich die Rocken stube. Schon um 1580 erließ die kursächsische Regierung ein Verbot gegen die Zusammenkünfte, indeß bis heutigen Tags haben sie mcht ganz unterdrückt werden können; leider erfährt der Volks liederschatz dadurch eine bedeutende Minderung und hinsicht lich der Sittlichkeit wird auch nichts gebessert, denn geheime Zusammenkünfte machen das Uebel viel schlimmer. Selbst viele Lehrer sind mit diesem Verbote nicht einverstanden. Eine Rockenstube gewährt ein traulich anheimelndes Bild. Die Spinnräder stehen halbkreisförmig aufgestellt um den am Ofen befestigten, br«nnenden Kienspahn, über dem der Lih-Hut, der Rauchfang, sich erhebt, um den Qualm hinaus zu leiten und unter welchem ein Wassergefäß steht, um die vom Spahne fallenden glühenden Rispeln aufzufangen und unschädlich zu machen. Beim Schnurren der Spinnräder werden ernste und heitere Lieder gesungen, eswird gescherzt und gelacht, Mädchen und Burschen wetteifern in der Unterhaltung. Uralte Sagen, Geister geschichten, bei deren Anhören Allen „gruselt", werden erzählt und ist das Spinnen zu Ende, wird mit einem fröhlichen Tanze der Schluß gemacht. Das Hauptvergnügen aber bietet das Wirthshaus und der Tanzboden. Im Voigtländischen wird auf vielen Dör fern der Scheunenboden zum Lanzsaale benutzt und daher rührt auch das dort vielgesungene Lied: „Tanzbuden Hot a Loch, Hot a Loch, Tanzbuden Hot a Loch; Müss' m'r nach'n Zimmerma schicken, der muß den Tanzbuden flicken, Tanzbuden Hot a Loch, Tanzbuden Hot a Loch." Die eigenthümliche Heimathstätte scheint der Tanzboden zu sein, denn Tanzen und Singen ge hört nach uralt germanischem Brauche zusammen und die Runda's sind ihrer Natur nach ja Tanzliedchen. Die Instru mentalmusik macht das Singen jetzt zwar unentbehrlich; aber beim Voigtländer fitzt die alte Sitte zu tief im Herzen, als daß er das Singen beim Tanze lassen sollte. Zu einzelnen Tänzen singt man heutzutage noch, man singt auf dem Wege zum Tanze, man singt in den Zwischenpausen und singt noch auf der Heimkehr vom Tanze. Ist keine Musik vorhanden, tritt der Gesang für diese ein. Ern Asche st er, wie der Voigtländer das Orchester nennt, hat keine müssige Zeit, da muß flott aufgespielt werden. Man muß einem solchen Tanzeifer zugesehen haben, um zu wissen, wie das Volk in seiner Lust sich behagt. Der Tanzboden voller Tabaksqualm, das Juch schreien und Aufstampfen mit den schweren, eisenbeschlagenen Stiefeln, und wenn der Herr Gendarm zufällig einmal nicht zugegen ist, das Werfen der Tänzerinnen in die Höhe (das Hupfenlassen der Mädchen ist nämlich polizeilich streng ver boten), die Hitze und das Gedränge sind wahrhaft charakteristisch, so daß Einem Angst und Bange dabei werden kann. Singen und Tanzen gewährt ihnen die höchste Lust. Der Dreher ist der eigentliche voigttändische Nationaltanz, der Stolz des Voigtländers, zwar schwer zu lernen, aber ein sehr anmuthiger Tanz, welcher nach den Rutschermelodien, also im Takt getanzt wird. Die voigttändische Volkslust ist derber Natur, wenn sie einmal in's Geleis kommt, und beim Voigtländer gehört nicht viel dazu, ihn in's lustige Geleis zu bringen, sein Naturell bat nicht- von Kopfhängerei an sich. Und da- ist das Rechte allein. Brav fleißig bei der Arbeit und beim Singen und Tanzen geht- Herz auf, so ist'- beim Voigtländer und Gott