Volltext Seite (XML)
daß die gängige Ansicht von den absolut nachtheiligen Einflüssen höherer Kältegrade auf die Entstehung und Verschlimmerung der Lungenschwindsucht (Tuberkulose) nicht stichhaltig sei, indem in vielen kalten Gegenden, wie z. B. m der, im Winter oft 16 Grad Kälte erreichenden Kirgisensteppe, auf Island und den Karöer-Jnseln, die Lungenschwindsucht zu den Seltenheiten gehört, so verfiel man in das andere Extrem, hielt die Wärme nicht für wichtig und schrieb dem anderen klimatischen Factor die Heilwirkung zu. Wenn nun auch kein Brustkranker sich in großer Hitze wohlfühlt, so ist dies doch nicht geringer der Fall m niedrigen, als Kälte fühlbaren Temperaturgraden, die immer reizend auf die Athemorgane einwirken z erwiesen ist aber, daß eine mittlere und gleichmäßige Wärme am wohlthätiasten für Brustkranke ist und daß es bei der Wahl eines klimatischen Kurortes für sie besonders auf eine konstante Temperatur ankommt, das heißt, daß der höchste und niedrigste Ba rometerstand während 24 Stunden möglichst nahe liegen. Nicht minder zu berücksichtigen sind die Wißrde, die vor herrschenden Richtungen der Luftbewegung eines Ortes; denn stärkere oder kühle Winde vermehren die Körperausdunstung, entziehen dem Körper zu viel Wärme, wirken, in heftigerem Grade auf die Blutbewegung und Empfindungsnerven ein. Bekanntlich begünstigen dre norddeutschen Ost- und Nordostwinde entzünd liche Zustände und steigern Rheumatismus, Gicht, Katarrh und Nervenleiden; in unserer Zone hängt von der Temperatur und dem Feuchtigkeitsgehalte der Winde vornehmlich die Witterung ab. Auch derLuftdruck, jener Druck, welcher die Atmosphäre auf unseren Organismus ausübt und in der Ebene des Meeres spiegels dem Gewichte einer Wassersäule von 32 Fuß, oder einer Quecksilbersäule von 28 Pariser Zoll (760 Millimeter) das Gleichgewicht hält,, hat einen fühlbaren Einfluß auf den Ge sunden, aber noch mehr auf den Leidenden. Je höher wir über dem Meeresspiegel leben, desto geringer wird dieser Druck; die Luft, weniger von den übereinander liegenden Schichten be lastet, wird dünner, aber auch ärmer an Sauerstoff und Waffer- dunst. Steigen wir nur 5—6000 Fuß (1 Fuß Meter) höher über die Ebene des Meeresspiegels, so empfinden wir be reits den geringeren Sauerstoff im unwillkürlich rascheren und tieferen Athembedürfniß, und den geringeren Wassergehalt an der stärkeren Verdunstung unserer Haut und unserer Lungen; es wird, bei schnellerem Pulse und erweiterten Gefäßen, die Blutcirculation lebhafter, das Blut strömt stärker nach der Peripherie, während bei dichterer, komprimirter Luft, wie in der Tiefe der Erde, oder in den pneumatischen. Kabinetten, die Athmung und der Herzschlag verlangsamt werden, das Blut nach den inneren Organen drängt und die Haut-und Lungenausdünstung sich vermindert!, wie z. B. bei Lungenemphysem und Asthma. Es ist deshalb bei der Wahl eines Kurorts nicht gleich gültig, wie hoch oder niedrig derselbe, liegt, ob die Ath- mungsorgane die erregende dünnere, oder dre beruhigende dichtere Lust respiriren sollen; auch kommt dabei in Betracht, ob der Luftdruck eines Ortes ein mehr konstanter oder öfteren Barometerschwankungen unterworfen ist, abhängig von den wechselnden nordöstlichen oder südöstlichen Windrichtungen, und es muß wohl erwogen werden, daß schroffe Schwankungen des Luftdrucks nachtheilige Störungen in der Blutcirkulatwn und in den Gemüthsstimmungen Hervorrufen, besonders bei Herz kranken und Solchen, welche zu Blutungen Hinneigen oder sehr nervös sind. Aber auch der vorherrschende Feuchtigkeitsgrad der Lust muß berücksichtigt werden. Die Atmosphäre enthält immer Wasserdunst; steigt die Temperatur, so steigert sich auch die Verdunstung des Wassers, und die Lust kann mehr von diesem Dunste aufnehmen, so daß sie bei Nullgrad etwa nur bei 12 Grad Wärme schon bei 30 Grad Wärme aber ihres eigenen Rauminhalts (Volumens) an Wafferdunst auf saugt. AZo deshalb verdunstendes Wasser reichlich vorhanden ist, da füllt sich die Luft, je nach der Sättigungsfähigkeit ihres Temperaturgrades, vollständig mit Wafferdunst, und läßt diesen, wenn fie überfüllt wird, in veroichtetem Zustande als Nebel, Thau, Regen oder Schnee mederfallen. An einem klimatischen Kurorte muß daher der mittlere Feuchtigkeitsgrad bekannt sein, denn zwischen der Luftfeuchtigkeit und dem Organismus, in welchem die flüssigen Bestandtheile an zwei Drittel feines Gc- sammtgewichts betragen, findet eine ununterbrochene Wechsel wirkung statt, indem Haut und Lungen fast die Hälfte der dem Organismus zugeführten Flüssigkeiten durch unmerkliche Aus dünstung wieder ausscheiden. Bei trockner Luft geschieht dies rascher, als bei feuchter; die organischen Gewebe streben sich mit dem Feuchtigkeitsgrade der umgebenden Luft ins Gleich gewicht zu setzen; anhaltend trockene Luft magert den Körper ab, feuchte dagegen disponirt zur Fettbildung und Gedunsenheit, ein mittlerer Keuchtigkeitsgrad ist daher für die Gesundheit am zuträglichsten. Als günstige, mäßig trockne Luft, darf man durchschnittlich eine solche bezeichnen, welche 56—70 Procent und als mäßig feuchte, welche 71—81 Procent Wafferdunst enthält. Ferner sind an einem klimatischen Kurorte die atmosphärischen Niederschläge, als Nebel, Thau, Regen oder Schnee zu berücksichtigen, mdem man die Durch schnittszahl der Sonnen-, Wolken- und Regentage kennt, um zu ermitteln, ob ein Kranker viele Tage den erwärmenden und belebenden Sonnenschein genießen kann, oder an das Zimmer gebannt ist. Desgleichen muß die Reinheit und der Ozon gehalt der Luft ermittelt worden sein, sowie die Bodenbe schaffenheit, von welcher die wichtige und immer noch nicht ge nug gewürdigte Grundluft und das Trinkwasser abhängig sind. — Fassen wir die Faktoren der Klimas zusammen, so haben wir ein Höhenklima und ein Seeklima zu unterscheiden. Mit der Exhebung über den Erdboden nimmt, wie gesagt, die Temperatur, der Luftdruck, die Feuchtigkeit ab; mit jeder Erhebung von 140—180 Meter (450-580 Fuß) fällt durchschnittlich die Wärme um einen Grad Celsius; in der Schweiz rechnet man auf einen Grad 166 Meter- (588 Fuß) Höhe. Diese Bestim mungen sind indessen nicht durchgreifend, denn es treten hier mancherlei Modifikationen zu Tage, die durch die Lage des Berqab- hanges gegen die Sonnenseite, den Schutz gegen Wmde, die Äähe der Gletscher, Seen und Holzungen bedingt werden, und es ist nicht zu übersehen, daß die Temperaturunterschiede auf Höhen punkten, namentlich Hochgebirgen, zwischen Sonnenschein und Schatten sehr differiren; auch wird das Gesetz, nach welchen! mit Höhe und Verdünnung der Luft der Wasserdunst abnimmt, durch die wechselnden Winde der Höhenluft vielfach modi- sicirt; erst über 8000 Fuß hinaus beginnt die regenarme Region der Gebirge. — Das Höhenklima erregte nun in der Heilkunde dadurch Aufmerksamkeit, daß man erfahren zu haben glaubte, es sei dasselbe ein Schutz gegen die Entstehung und Ausbil dung der Lungenschwindsucht, indem dort diese Krankheit eine Seltenheit sei und mit zunehmender Höhe abnehme; man zog deshalb eine Höhenlinie, die s. g. „Jmmunitätslinie", über welche hinaus die Lungenschwindsucht nicht begünstigt werde, eine Linie, wo reine Luft und mäßige Wärme in einer günstigen Vereinigung stattfinden und die, gegen den Aequator hin auf steigend, in Deutschland etwa 2000, in der Schweiz 4500 bis 5000, am Aequator 11—14000 Fuß hoch liegen soll. — Aber auch diese Annahme bietet keine Sicherheit dar, denn in den warmen Gegenden Nubiens und Oberägyptens ist die Lungen schwindsucht äußerst selten, ebenso auf Island, auf der klemen Insel Marstrand bei Gothenburg, in Venedig, im feuchten Pisa und in den Maremmen Toskanas; gewiß ist es aber, daß die Lungenschwindsucht besonders da vorkommt, wo Menschen in größeren Städten zahlreich zusammen gedrängt leben; und wenn wir dem Höhenklima einen heilsamen Einfluß auf die Lungenschwindsucht beimessen müssen, so beruht derselbe vor nehmlich auf dem verminderten Luftdruck, der dünneren Luft und der Abwesenheit engbevölkerter Wohnplätze. — Auch das Seeklima "wirkt vorbeugend und heilsam, obgleich hier der Mensch unter stärkerem Luftdruck lebt; es ist jedoch der Tem peraturunterschied zwischen Tag und Nacht, Sommer und Winter geringer und die Luft rein und mit wohlthätigen Salztheilchen erfüllt. Der Bewohner nordischer oder gemäßigter Breitegrade,