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M»W, ' Nr. NS. — 8. Javrganff. Der jeden Wochentag Abend lmlt Datum de» solgenden Tages) zur Beriendung gelangende „Süchsische LaildeS-Anzeiger" mit täglich cinem besonderen Unter- baltnngSblatte nnd mit dem Extrabeiblatt Saftiges «ildeibach «ostet bei den Nusgabe, stelle» monatlichwPfg., bei de»Post-Aust. 75 Pf. (1888-r Ztgs.-Preisliste Nr. MS.) FürAbonnenten erscheintje einmal in,Jahr: Sommer-Eiskabal>»fal,i'l>lniilieft für Lachsen. Kinter-Eisk»ba!>»fal>r>,>a»üeft für Sachsen. Misst. Kalender de» Sächsischen liandlwten. IllnstriktesIahreSIiuchdeSsiandeS-Anzeigkrs. Sächsischer ToumrStag, S«. Snlt1«88. Mdks.Aäskilitr mit „Chemnitzer Stadt-Anzeiger". Unparteiische tägliche Zeitung für Sachsen «nd Thüringen. BeiWieverholnng großer Annoncen Rabatt. Bei Bestellungen von Auswärts «volle nian Jnsertiousbetrag (in Briefmarken) beifüge« i«e 8 Silben CorpnSschrift bilden ca. 1 Zeile.) Annoncenannahme nur bis Bormittag. . Mmcki Mt. Buchdrnckerci, Eheniiiitz. Lheaterstraße 8 (Fernjprechstelle Nr. 186). kelegr.'Adr.: LandeS-Anzeiger, Lheumitz. Mit täglich cincnl besonderen Unterhaltungsblatt: i. Kleine Botschaft - 2. Sächsischer Erzähler - 3. Sächsische Gerichts-Zeitung 4. Sächsisches Allerlei — 5. Jllnftrirtes Unterhaltnngsblatt — 6. Sonntagsblatt — (5rtra-Beiblatt: Lnstiges Bilderbuch. Telegraphische Nachrichtelk. Vom 24. Juli. Graz. Der gestern Abend zu Ehre» des Feldzeugmeisters Kuhn veranstaltete Fackelzug ist großartig ausgefallen; außer der gesammten Garnison hat ein massenhaftes Publikum an demselben theilgenommen. Heute findet ein Banket der Offiziere zu Ehren Kuhns statt. Wien. Nach der „Pol. Korresp." hegt man in Konstantinopel die Hoffnung, daß die direkte Verbindung zwischen Konstantinopcl und Wien längstens in drei Wochen eröffnet werden wird. Die bulgarische Regierung will ihre internationalen Züge bereits vom 27. Juli a» verkehren lassen. Politische Rmkdschan. Chemnitz, den 25. Juli. Deutsches Reich. Kaiser Wilhelm hat Rußland wieder ver lassen. Die Tage der Zwcikaiserbcgegiiung sind vorüber. Es sind die besten Nachrichten über den Empfang unseres Kaisers in Rußland zu uns gekommen, die erfreulichsten Mittheilungcn über die Herzlich keit, mit welcher der Zar nnd seine Familie dem jungen Verwandle» und Herrscher des Nachbarreiches entgcgcngctreten ist. Alles klang besser, als es erwartet war. Und so könne» wir wohl zum Schluß dieser Festtage die Hoffnung ausspreche», daß die Freundschast der beiden Herrscher dazu beitragen wird, ihren Länder» den Frieden z» sichern, ganz Europa die Ruhe zu erhalten. Erfüllt sich das, so wollen wir schon zufrieden sein/ denn an die Beseitigung ganz spccieller Schwierigkeiten im Verkehr zwischen Dentschtand und Ruß land ist so schnell ja leider doch nicht zu denken. Am Dienstag Vormittag um 9 Uhr fuhr Kaiser Wilhelm mit den russischen Herr schaften und seiner Begleitung von Peterhvf nach der im Kronstadtcr Hasen liegenden Uacht „Hohenzollern". Wetter prachtvoll. Es war wieder großer Jubel der Volksmenge an der Landnngsbrücke, be flaggte Privatdampfer begleitete» das Kaiserschiff, welches in Kron stadt mit Geschützdonner und endlosem Hurrahrufen begrüßt wurde. Der Nachtkommandant Prinz Heinrich empfing die hohen Gäste, majestätisch cnisaüelen sich am Mast die beiden Kaiserstandcirie». Nach einer Besichtigung des prächtigen Schiffes, das allgemeine Be wunderung erregte, begann um 10 Uhr das Abschieds-Dejeuner, an welchem Kaiser Alexander mit seiner Gemahlin und die Großfürsten mit ihren Gemahlinnen theilnahme». ' Beide Kaiser tranken einander zu und drückte» sich dann kräftig die Hände. Nach beendetem Mahle unterhielt sich d>.r Zar noch einige Zeit mit der Umgebung Kaiser Wilhelms, besonders mit dein Grafen Herbert Bismarck, und ver weilte dann kurze Zeit mit dcifl Kaiser Wilhelm allein. Dann er folgte der überaus herzliche Abschied der Majestäten. Die beide» Kaiser umarmten sich wiederholt auf das Innigste. Die russische, wie die deutsche Flotille lagen, einen mächtigen Mastenwald bildend, im herrlichsten Flaggenschmncke da und nahmen dann langsam ihre Auf stellung zum Abschied ein. Bei der Abfahrt stand Kaiser Wilhelm ans der Kommandobrücke, augenscheinlich ergriffen das wunderbare Schauspiel betrachtend, welches sich ihm darbvt, immer wieder für die ihm in herzlichster Weise dargevrachien Grüße dankend. Als Prinz Heinrich das Kommando zum Lichten der Anker gab und die Signale mit Blitzesschnelle von der Kaiser-Aacht aus spielte», erscholl der krachende Abschiedssalut, ei» gewaltiges Gcschützfeuer. Die Maschinen begannen zu arbeiten, langsam setzten sich die schwimmende» Kolosse in Be wegung, und hinaus glitt das Kaiscrschisf ans de», Hafen und seine schwimmenden Begleiter folgten. Frenndc, hoffentlich dauernde Freunde, läßt es zurück. Der Zar kan, tief ergriffen von der „Hohenzollern" zurück, er sprach mit höchster Shinpcithie von dem deutsche» Kaiser, und diese innige Freundschast der Herrscher wird uns hoffentlich eine friedliche Zukunft bringen. Vor der Abfahrt nahmen beide Herrscher noch eine Flottenparade ab. Kaiser Alexander sprach sich mit größtem Lob über die deutschen Schiffe aus, die auch bei den sonst sehr mäkeligen russischen Marineoffizieren allgemeine Anerkennung gefunden haben. Besonders gelobt wird auch die strenge Manneszucht der deutschen Matrosen, deren Verhalte» sehr vvrtheilhaft sich von dem der russischen Seeleute unterscheidet, über welches viel und gerecht geklagt wird. Die Russen, welche bisher dem Glauben huldigten, in den nordischen Gewässern komme nur ihre Flotte in Anbetracht, sind von diesem Glauben resp. Jrrthum gründlich kurirt worden. — Die Ankunft Kaiser Wilhelms in Stockholm ist amtlich für nächste» Donnerstag angekündigt. Zwölf Kriegsschiffe werden den Kaiser cinholen. — Bei der Rückkehr Kaiser Wilhelms von der Ostseercise wird in der Winker Bucht das ciusrangirte Kanonenboot „Drache" durch einen Torpedo in die Luft gesprengt werde». Außerdem wird in der Winker Bucht eine Minensperre gelegt. Gerüchtweise wird bereits gemeldet, der Zar «volle de» Besuch Kaiser Wilhelms in Berlin im Herbst erwidern und über Kopenhagen nach Petersburg zurückreisen. Der Zar hat dem Grafen Herbert Bismarck die Diamanten zuin Alexaiider-Ncwski-Orden, Kaiser Wilhelm dem Minister von Giers die Diamanten zum Schwarzen Adlcrorden verliehen. — Der Hansminister von Wedell-Picsdorf hat sein Amt als Präsident des deutschen Reichstages niedergelegt und den ersten Vice- präsidFiilen vr. Buhl ersucht, die Entscheidung des Reichstages darüber hcrbe.ziisührcn, ob sein Reichslagsmandat durch die Ernennung zum Hansminister erloschen sei oder nicht. — Der bekannte Zahnarzt vr. Erans, welcher Kaiser Friedrich wiederhol! und auch in letzter Lebenszeit behandelt hat, thcilte einem Wiesbadener Arzte interessante Einzelheiten über die Constitution des Verblichenen mit. Er bemerkte, daß dieser anscheinend kraftstrotzende Mann, der wie die Gestalt aus eincr deutschen Heldensage aussah, sehr vulnerabel war. Die kleinste Wunde, die er sich durch einen Riß oder einen leichten Schnitt mit dem Federmesser beigebracht hatte, heilte nur zögernd und neigte zur Geschwttrsbildnng. Erans ist der feste» Ucbeczcugnng, daß bei dieser Körpcrcvnstiintivn jede Kehlkopfoperation rasch zu», Tode geführt haben würde. Auch andere Aerzte ans der Umgebung des Kaisers Wilhelm 1. theiltcn diese An sicht, die dem greisen Herrn auch nicht verhehlt worden ist. Oesterreich-Ungarn. In ganz Oesterreich hat, wie aus Wien geschrieben wird, die Entfernung des ehemaligen Kriegsministers, Feldzcngmeisters Baron Kuhn, von' seinem Cvmmando in Graz das größte Aussehen erregt. Kuh» galt in den weitesten Kreise» der politischen Welt und auch in der Armee fü^ den befähigtesten General, über welchen die Monarchie verfügte. Seine Leistling in Tirol im Jahre 1866 reiht ihn den hervorragendsten Feldherren an, die Oester reich besessen; sein späteres Auftreten i» de» Delegationen, zur Zeit als die verfassungsmäßige» Einrichtungen in Oesterreich noch ganz ne» waren und namentlich von militärischer Seite den vielfachsten Anfeindungen begegnete», ließ ihn als einen gewissenhaften und gc- setzestrciien Mann erscheine», der Anspruch ans die höchste Achtung dcr bürgerlichen Gesellschaft erheben durfte; seine Thäiigkeit als Kricgsmiiiister Wird stets unvergeßlich bleiben. Er ist der Schöpfer dcr neuen Wehrordnung dcr östcrrcichisch-nngarischcn Monarchie, er hat sie dnrchgeführt, und ihm ist cs zu danken, wenn ans der Ar mes, die 1859 und 1866 sich nicht ans der Höhe ihrer Ausgabe gezeigt hat, ein Werkzeug geworden ist, dem das Schicksal des Reichs mit Beruhigung aiivertraut werden kan». Auf jedem Felde hat Kuhn sich als ein Mann bewährt, der Oesterreich zur Zier und zu hohem Nutzen gereichte. Einen Fehler mochte er allerdings haben, wenn dergleichen bei einem Manne von solchem Wcrthe überhaupt ei» Fehler genannt werden darf. Baron Kuhn hat nichts vom Höfling an sich, seine Rede ist nach den Worten der Schrift: Ja oder Neu,. Und seine Rede ist immer dieselbe, wem er auch gegenübersteht; diese Eigenschaft hat seiner Zeit dazu geführt, daß er Hais über Kopf aus dem Kriegsmlnisterinm entfernt wurde. In Wien und Pest war man nicht wenig erstaunt, als der Kriegsminister, der soeben erst von den Delegationen ein glänzendes Vertrauensvotum erhalten hatte, Plötzlich in die Verbannung geschickt wurde. Heute ist nun Kuhn ganz aus der Armee entfernt. Der Grund soll sein, daß sich der erfahrene General über das Comniandv einer hochstehenden Persön lichkeit mit einer drastischen Deutlichkeit ausgedrückt hat, wahr, aber sehr offen. Das hat zu seiner Beseitigung geführt, die allgemeines Bedauern erweckt. Italien. Ein neuer französisch-italienischer Grcnzkonflikt ist aufgctaucht, aber erfreulicherweise sofort im Keime erstickt worden. Am 20. Juli überschritten nämlich bei Claviöres mehrere italienische Alpenjäger aus Unkenntniß die französische Grenze, kehrten aber sofort um, als sie auf ihr Versehen aufmerksam gemacht wurden. Nur zwei Sergeanten waren einige Minuten länger auf französischem" Gebiet zurückgeblieben und wurden rasch von etwa 50 französischen Soldaten umzingelt, verhaftet und nach Briantzon gebracht. Der Kommandant von Brianyon erkannte indessen die Unschuld der beiden Italiener und ließ sie wieder in Freiheit setzen. Der Hauptmann der italienischen Alpenjägerkompagnie wird wegen seiner Unachtsamkeit vor ein Militärgericht gestellt werden. Frankreich. Bonlaiiger läßt den Muth nicht sinken, trotzdem er in allen am letzten Sonntag staitgehabten Kammerersatzwahlen in den Departements Ardcche und Dordogne mit Glanz ducchgefallen ist. Er meint, er sei nur deshalb unterlegen, weil er nicht persönlich die Agitation habe beireibcn können, und läßt sich deshalb flott in allen anderen noch ausstchenden Ersatzwahlen als Kandidat aufstellen. Die Blamage kann also leicht »och größer werden. — Nach Privat berichten aus Tonkin wüthet unter den französischen Trnppen die Cholera fürchterlich und rafft besonders viele Ofsiciere fort. — Das Ministerium Floquet wird im Herbst in den Kammern einen Gesetz entwurf über die Revision der Verfassung einbringen. Danach behält der Senat, die erste Kammer, nur das Kontrollrecht über die Finanzgcsetze. Der Präsident der Republik erhält dagegen das Vor recht, im Einverständniß mit dem Ministeriui» ohne die bisherige Befragung des Senates die Kammern aufzulösen. — Der Ausschuß der Pariser Weltausstellung erläßt einen Ausruf an Italien, dcr mit großer Wärme die italienisch-französische Freundschast betont und eine glänzende Vertretung Italiens in Paris für eine Nothwcndigkeit er klärt. In Nom will man merkwürdigerweise diese Nothwcndigkeit gar nicht erkennen. — Russland. In Kiew hat jetzt die Jubelfeier zur Einführung des Christenthums in Rußland begonnen. — Der bekannte russische Parteigänger Zaiikvff und mehrere ehemalige bulgarische Ofsiciere sind in Kiew angckoinmen und auf städtische Kosten empfangen und be- wirthct worden. Dieselben wollen angeblich eine Denkschrift aus- arbeitcn, welche die russische Regierung über die „wahre Lage" in Bulgarien aufklären soll. Orient. Wie aus Belgrad mitgctheilt wird, besteht König Milan jetzt unbedingt ans der Scheidung von seiner Gemahlin und lehnt alle Ausgleichsvorschlnge ab. Die Scheidung wird denn auch in absehbarer Zeit ausgesprochen werden. — Fürst Ferdinand von. Bulgarien ist aus Numelien wieder in Sofia angekommen. Afrika, lieber die Verhältnisse im Sudan liegen jetzt aus führlichere Berichte vor, welche einen Sturz der Arabcrherrschaft als bevorstehend erscheinen lassen. In Suakin am rothen Meere sind in den letzten Tagen viele Pilger und Flüchtlinge angekommen, die alle sorgfältig ausgcfragt wurden. Es ist nicht zweifelhaft, daß irgend ein Weißer mit einer starken Streitmacht bei Bahr-el-Gazelle erschienen sei. Zwar sind die Mittheilungen unvollständig, doch stimmen sie sämmtlich darin überein, daß eine Trnppenmacht in jenen Gegenden erschienen fest und die Einwohner von Darfur und Bongo in freund schaftlichen Verkehr mit den Weißen getreten seien. Der Khalif Abdurrahman in Khartum soll eine Vision über die Vernichtung iMr.-.c' ' L Leidenschaftliche Herzen. Roman von Karl Zastrow. Fortsetzung. Nachdruck verboten. „Ich war einmal im Zuge, Herr Grosser," sagte er mit leichtem Lächeln; „wenn inan gewissermaßen noch Anfänger ist, muß man alle Kräfte aufbieten, um sich einzuarbeiten." „Ei! Sie sollten sich doch »immermehr zu den Anfängern zählen," meinte der alte Herr gutmüihig und musterte mit einem prüfenden Blicke die sauberen Zahlenkolonnen, die unter der fleißigen Hand seines neuen Buchhalters entstanden waren. „Hm, sehr sorg fältig und accurat arbeite» Sie!" setzte er in ernstem Tone hinzu; „dieser und je»er von meine» Leuten, der lange genug im Geschäft thätig ist, könnte sich ein Muster daran nehmen." „Ich denke, cs wird mit der Zeit werden," sagte Werner be scheiden, „für jetzt glaube ich wirklich Ihr Lob noch nicht ganz z» verdienen, es ist »och so Manches, worüber ich nicht im Klaren bin." „Lassen Sie für jetzt die Arbeit ruhen, und kommen Sie mit mir zu Tisch. Da Sie sich durch meine Geschästsverhältnisse habe» vom Essen abhalten lassen, ist es billig, daß Sie bei mir speise». Kommen Sie! Keine Umstände weiter!" setzte er beinahe gebieterisch hinzu, als der junge Mann einige bescheidene Einwendungen machen wollte. Nach wenigen Augenblicken befand er sich in dem Speisezimmer, in dessen Mitte der bereits gedeckte Tisch stand. Die Gattin des Bankiers bildete zu dem bejahrten, beinahe ehrwürdig aussehende» Manne einen eigenthümlichen Gegensatz. Sie war eine noch jugend liche Dame von kleiner Figur mit einem sehr hübschen, regelmäßigen Antlitz. In dem Augenblick, wo der junge Buchhalter eintrat, prüfte sie die Anordnung der Mittagstafel, und als der Hausherr, Werner gleich sam vorstellend, sagte: „Unser junger Freund wird mit uns esse», Therese! Sei so gut und laß noch ein Couvert auflegen!" nickte sie — was vielleicht nicht jede Frau gethan hätte, — freundlich mit dem Kopfe und begab sich sogleich hinaus, um das Nöthige anzuordnen. Die beiden Töchter de« Hauses begrüßten beim Eintritt in den Salon den Gast mit anmuthiger Freundlichkeit, welche jedoch bei alledem einen gewissen Anstrich von Ehrerbietung hatte, was jungen Mann wohlthuend berührte. den Als man die Plätze einnahin, traf es sich, daß Werner der ältesten Tochter, der schönen Ottilie, gegenüber zu sitzen kam. Ein eigenthümlicher Gedanke aber durchzuckte ihn, als er während dcr leichten Unterhaltung, die.er mit dem Principal unter dem Esse» führte, einige Male ganz zufällig den Blick auf die junge Dame richtete und dabei ihrem Auge begegnete, das in so Hellem Glanze und mit einem so gespannten Ausdruck an seinen Zügen hing, als wolle sie kein Wort von dem, was er sagte, verliere». Als bald darauf eine Pause in dem Gespräch entstand, wandte sie sich Plötzlich mit der Frage an den Gast: „Sie sollen sehr musikalisch sein, Herr Werner, wie Papa uns versichert hat! Ist es wahr, daß Sic so vortrefflich Violine spielen?" „Da haben Sie's!" lachte der alte Herr. „Ja, die Musik, das ist ihr Steckenpferd! Sie werden einen schlimmen Stand mit ihr haben, mein junger Freund! Sorgen Sie nur bei Zeiten für Colophonium!" Das rosige Antlitz der jungen Dame nahm eine dunklere Färbung an. Werner aber erwiderte bescheiden: „Ihr Herr Vater ist gütiger gegen mich, als ich es verdiene, mein Fräulein! Ich bin nur Dilettant!" „Aber Sie spielen doch fertig vom Blatt, nicht wahr?" fragte die kleine Adele naiv. „Sachen, die nicht allzu schwierig sind und namentlich nicht zu große Fingerfertigkeit in Anspruch nehmen, treffe ich wohl. I» Bivlin - Concerten berühmter Virtuosen habe ich mich noch wenig versucht." „Aber die Sonaten von Beethoven, Mozart, Haydn und Clemcnti?" fragte Ottilie. „Die spiele ich allerdings sämmtlich," erwiderte Werner, „denn ich habe sie seit meiner frühesten Jugend geübt." „Ah! das ist vortrefflich!" rief das junge Mädchen, in deren dniikelblaiiei» Auge es wunderbar aufblitzte, „da könnnen wir zusammen —" „Aber, Ottilie!" warf die Mutter mit einem mißbilligenden Blicke dazwischen. „Meine Tochter ist leidenschaftliche Musikliebhaberin," nalnn der Bankier das Wort, „und vor allen Dinge» sind es die klassischen Musikwerke, welche sie so oft stundenlang an das Piano fesseln. Ich sehe nichts Besonderes darin," wandte er sich dann in ruhiger Weise an die Gattin, „wenn unser junger Freund sich zuweilen bereit finden läßt, Ottiliens Spiel mit seiner Geige zu begleiten. Es macht das bei weitem mehr Effect, als das einseitige Spiele», und kann beiden Theilcn nur Vergnügen gewähren." Die Mutter zuckte, scheinbar unzufrieden, mit einem zweifelhaften Lächeln die Schulter». Die kleine Adele aber sagte ziemlich naseweis: „Der Ansicht bin ich auch, Papa!" „Wir können also beispielsweise gleich nach Tisch anfangen, wenn es Ihnen recht ist?" fragte Ottilie; „ich nehme Sie gewiß nicht länger als eine kleine Stunde in Anspruch. Papa hat auch nichts dagegen, nicht wahr, lieber Papa?" So lebhaft und freimüthig das schöne, junge Mädchen diese Worte sprach, konnte sie doch nur unvollkommen das rasche Roth verbergen, welches ihr Antlitz bis an die Stirn überflammte. Werner sah sie einen Augenblick forschend an; aber der Ge danke, daß die Tochter seines Prinzipals sich durch Vorliebe für klassische Musik zu einer Verletzung der Mädchenhaftigkeit habe hin- reißen lassen, schwand sogleich, als er in ihrem schämigen Erglühen und in dem sittigen Niederschlagen der Auge» erkannte, daß sie cs bereits bereute, so weit gegangen zu sein. Wieder warf auch die Mutter ihr einen vorwurfsvollen Blick zu und sah dann höchst ernst den Gatte» an. Der Bankier aber schien das Alles sehr natürlich zu finden, denn er sagte lächelnd: „Meinetwegen, Kinder! ich habe nichts dagegen. Sie wissen ja, lieber Werner, daß Sic von der Nachmittags-Arbeit dispensirt sind." „Ich stehe sehr gern zu Diensten," erwiderte Werner mit einer sehr artigen Verbeugung. „Nur müßte ich schon »m die Erlaubniß bitten, mein Instrument herbeiholen zu dürfen." „Sie brauchen sich nicht zu bemühen," sagte der Bankier, „unser Johann kann das besorgen. Ich bin, offen gestände», selbst neugierig auf Ihr vielgcrühmtes Talent." Eine Stunde später befand sich die Familie in dem kleinen Ge- sellschasts Salon, wo ein prächtiges, offenstchcndcs Piano sogleich die Aufinerksamkeit des jungen Musikers bei seinem Eintritt in Anspruch nahm. Als er den vollen und weichen Klang des Jiistrunientes unter dem sicheren Anschläge der jungen, vortrefflich geschulten Dame vernahm, mußte er sich unwillkürlich gestehen, daß die Kunst in dieser Familie eine überaus treue Pflege fand. 'Z > Der heutigen Nummer des Sächsische» Landes-Anzeigers liegt bei r>as Beiblatt ..Sächsische Gerichtszeitung"'