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S. 62 £, 66). Berücksichtigt man noch die anscheinend geringfügigen degenerativen Veränderungen an der Wirbelsäule und den Großgelenken, so kommt am ehesten mittel- bis spätadultes Alter in Betracht. Der Verstorbene hat also im fortgeschritte nen Leistungsalter gestanden; er ist etwa 30/35 Jahre alt geworden. Einer Bestimmung als „männlich“ steht auf den ersten Blick die Grazilität der Knochenreste entgegen. Eine solche wird freilich durch die starke Fragmentierung (z. B. scheinbare Dünnwandigkeit des Hirnschädels) sowie den erheblichen Volu menschwund (lineare Schrumpfung bis 25%) im Leichenfeuer zum einen vorge täuscht (Knußmann 1988, S. 581; Herrmann et al. 1990, S. 271). Zum anderen kennen wir die Variabilität innerhalb jener Population, welcher der Tote angehört hat, nicht einmal in Andeutungen, und auch individuell kann sich bei einem jungen Manne (zumal aus gehobenem sozialem Milieu) die endgültige Merkmalsausprägung erheblich verzögern (Herrmann et al. 1990, S. 81). Ansonsten sprechen die faßbaren Maß- und Formmerkmale am Schädel (Knuß mann 1988, S. 449 f.; Herrmann et al. 1990, S. 79ff.) und Körperskelett eine eindeu tige Sprache: Felsenbeine und Warzenfortsätze besaßen mittelgroße bis große Dimen sionen (Abb. 25,9,17). 62 63 Die gewölbte Stirn lief in deutlichen Überaugenbögen aus (Abb. 25,6,7). Die Augenhöhlen wiesen niedrig-rechteckigen Umriß (Abb. 25,2/8) und einen gerundeten Rand auf. Aus der entsprechenden Gelenkfläche am ersten ist auf einen kräftigen Zapfenzahn am zweiten Halswirbel zu schließen; auch der errechnete Durchmesser des Femurkopfes sowie der Winkel, den Femurhals und -schäft bilden, liegen in der erwarteten Variation (Herrmann et al. 1990, S. 84f., 271). Der enge u-förmige Winkel der Incisura ischiadica major (Abb. 26,77) weist auf typisch männlichen Beckenbau hin (Knußmann 1988, Tab. 10). Deutlicher als am Schädel wird die Robustizität am postkranialen Skelett durch Muskelmarken und Wandungsstärken ausgewiesen, die besonders an den Schäften der großen Langknochen studiert werden können. Die Rauhigkeiten unterhalb der Trochanter major und minor und der im Wortsinne vorspringende Pilaster am Femur zeugen ebenso wie die entsprechende Schaftprofilierung an der Tibia von einer kräftigen Beinmuskulatur. Linea aspera, Tuberositas tibiae und Linea poplitea scheinen sogar überdurchschnittlich ausgebildet gewesen zu sein (Abb. 26,72— 14,17). b?l Offensichtlich waren speziell diejenigen Muskelgruppen entwickelt, die für Streckung, Beugung und Außenrollung im Hüftgelenk (M. adductor brevis), Streckung (M. quadriceps femoris) und Beugung im Kniegelenk sowie Einwärtsdrehung des Unterschenkels (M. popliteus) verantwortlich sind. Das Relief zwischen Crista tuberculi majoris und minoris am oberen Humerus (Abb. 26,7) spricht für die Beanspruchung jener Muskeln, die der Außen- und Innenrollung, Ab- und Anwinklung, Vor- und Rückführung des Armes dienen (M. teres major, M. deltoideus). Diese Befunde passen in der Summe recht gut zu der Vorstellung, daß unser Mann ein routinierter Reiter gewesen ist. 62 Auf eine Diskriminanzanalyse nach Maßen der Felsenbeinpyramiden wurde angesichts der Fehlerquote von rd. einem Viertel verzichtet; vgl. Kemnitz 1987, S. 163ff.; Knußmann 1988, S. 581 f.; Herrmann et al. 1990, S. 81 ff., 272f. 63 Nach einem Vergleich mit Tibien von Männern verschiedener Skelettserien.