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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 07.12.1884
- Erscheinungsdatum
- 1884-12-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188412077
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18841207
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18841207
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1884
-
Monat
1884-12
- Tag 1884-12-07
-
Monat
1884-12
-
Jahr
1884
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 07.12.1884
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UnikrtMlmgs- Chenmiher Nr. 47. — Sonntag, 7. Dezember. Verlags-Expedition: Alexander Wiede, Buchdruckerei, Lhemnih, Theaterstraß« <S (ehemalige- Bezirksgericht, gegenüber dem Kasino). 1884. — 4. Jahrgang. Auf Umwegen. toman von Mvritz Lilie. ^ (Nachdruck verboten ) Nu einer jener schmalen, unregelmäßigen alte« Straßenh der Seevorstadt zu Dresden stand ein großes weitläufige» Sebände, welche» früher als Waarenspeicher eine» Handlung-Hause» gedient hatte, später aber, nachdem die Firma aufgehört hatte zu existire«, zu WohuuagSzweckeu amgebaut worden war. Zwei ebenfalls be wohnte -Seitenflügel flankirlen einen geräumigen Hof, sich rechtwinklig an da» Hauptgebäude anschließend, während die vierte Seite, dem Hauptgebäude gegenüber, von dem Hintcrhause eine» Grundstücke» gebildet ward, welche» bereit» zu der nächsten Parallelstraße gehörte. Im Parterre dieses alten, klosterartige« Besitztum» mit der Aussicht nach dem Hofe und dem Hintergebäude de» Nachbargrund- stücke» befanden sich zwei geräumige Gemächer, von denen da» größere zwei, das andere dagegen nur ein Fenster zeigte. In dem großen Zimmer herrschte eine gewisse Unordnung, die aber keines- weg» unangenehm ausfiel, im Gegentheil fesselte sie durch geniale Unabsichtlichkeit und jenes burschikose Junggesellenthum, wie es nur angehenden Gelehrten und Künstlern eigen ist. «''Pr. -WW An der Staffelet saß der Inhaber de» Zimmers und malte an einem Landschaftsbilde, das etwa halb vollendet war. Es war ein junger Mann von etwa sünsundzwanzig Jahren, von schlankem Wüchse und edler, ebenmäßiger Gestalt. DaS Antlitz zeigte die Frische der Jagend, auf den Wangen thronte das Roth der Gesundheit und die dunklen Augen blickten hell und lebensfroh anf die Arbeit, die sich unter seiner Künstlerhand zu einer lieblichen Natnrszenerie zu entwickeln begann. Braune, glänzende Locken fielen in reicher Fülle vom Haupte herab und ein weicher, dunkler Vollbart gab dem Gesichte etwa» männlich Festes und doch auch wieder genial Künstlerhafte» Aber die Kleidung de» jungen Mannes, wie auch die ganze Ausstattung des Zimmer» ließen erkennen, daß Fortuna diese« Sohne der Musen noch kein freunt lichcs Gesicht gezeigt hatte; in jeder Ecke kauerte die Dürftigkeit, nur über das jugendlich heitere Antlitz de» Malers schien sie keine Macht zu besitzen. Der Künstler lehnte jetzt den Malstock a« die Staffelei und trat einige Schulte zurück, um die Wirkung de» Bildes bester be- urtheileu zu können. Aber in demselben Augenblick bewegte sich in dem gegenüberstehenden Hinterhause ein offener Fensterflügel im Winde und die NachmittazSsoune spiegelte sich so grell auf den Glasscheiben, daß der Reflex mit blendender Schärfe auf das halb fertige Gemälde fiel und der junge Mann die schmerzenden Augen wegzuweudeu gezwungen war. .Diele» verwünschte Hau» dort trüben bringt mich noch zur Verzweiflung l" rief er ärgerlich au», indem er die Hand über die Auge» hielt, um das Licht zu dämpfen, und einen wenig freundlichen Blick auf das Gebäude warf. .Bei Sonnenschein wirft e» mir die grellen Strahlen zurück in's Zimmer, bei düsterem Wetter raubt es mir da» Bischen Licht, welches in dieses armselige Atelier fällt und nun noch zum Nebenflüsse offenstehende Fenster, in denen sich die Sonnenstrahlen brechen I" Unmuthig legte er die Palette zur Seite und warf sich in einen alten, mit Leder bezogenen Lehnstuhl, um abzuwarten, bis die Sonne so weit gesunken sein würde, daß sie sich in dem Glase nicht mehr «iederspiegeln konnte Da Wurde durch da» heftige Anschlägen des Fensters sein Blick auf'» Neue hinüber nach dem Hause gelenkt, aber wie von einem elektrischen Schlage getroffen, sprang der Maler auf und starrte unver wanbten Auges nach dem Gegenüber, daß soeben noch seinen Zorn «negt hatte. In dem offenen Fenster erschien ein Mädchenkopf von so zauberhafter Lieblichkeit, daß der junge Künstler mit seiner em pfänglichen Phantasie eher an ein Wesen aus dem Feenreiche als an ein sterbliches Menschenkind zu glauben geneigt war. Die prächtigen, goldblonde» Haare, die wie ein Heiligenschein da» Haupt des Mädchens umflossen, diese blauen Vergißmeinnicht- Augen, die so schwärmerisch und doch auch wieder so schalkhaft zu blicken verstanden, diese saftigen, kirlchfarbenen Sippen, die man mit dem Munde hätte pflücken mögen, das Alles vereinigte sich zu einem Bilde, welches das Auge des Malers mit unwiderstehlicher Gewalt feffelte. Da» Mädchen beugte sich jetzt zum Fenster hinaus, um den Flügel, welcher als Spiel des Windes diente, zu befestigen; dabei fiel ihr Blick auf da» Atelier des Malers, einige Sekunden schaute sie auf den jungen Mann, dann zog sie sich erröthend in den Hintergrund de» Zimmers zurück, das Fenster schließend. Dem Beobachter in der Künstlerwerkstätte aber schien es, als bewege sich drüben der tadellos saubere, aber nur ans rothbedruckten Kattun bestehende Vorhang, als lausche Jemand, der ungesehen zu bleiben wünsche, hinter demselben. Lange stand der Maler, aber seine Hoffnung, das bezaubernde Antlitz wieder am Fenster erscheinen zu sehen, erfüllte sich nicht; ge dankenvoll trat er endlich zur Staffelet zurück, um seine Arbeit wieder aufzunehmen. Aber so sehr er sich auch bemühte, das Bild des Mädchen los zu werden, — es gelang ihm nicht. Zum zweiten Male legte er die Palette weg; es war ihm nn möglich, jetzt weiter zu arbeiten. Das gehaßte und oft verwünschte Hinterhaus erschien ihm jetzt wie ein Zauberpalast, barg es doch ein Juwel, wie eS die Phantasie des Künstlers nicht schöner erfinden konnte. Ob das herrliche Mädchen in dem unscheinbare» Gebäude wohnte und wie es kam, daß er sie noch nie am Fenster gesehen, da» waren Räthsel, die er vergeblich zu lösen versuchte. Er versank in tiefes Sinnen. Da klopfte es an die Thür und gleich darauf trat eine Frau herein, machte dem Rücken des Malers, der ihr Kommen ganz über hörte, einen Knix und ries mit durchdringender Stimme: .Guten Tag, Herr Wallburg! „Sie kommen heute gerade zur rechten Zeit, Frau Streuber. um mich mit ihrer ausgezeichneten Lokalkenutniß zu unterstützen," sagte Herr Herbert Wollburg, an Jene herantretcnd; kennen Sie die Bewohner dieses Hauses? Dort zwei Treppen, wo die rothbedruckten Vorhänge sichtbar sind, wohnt sie, wenigsten» schaute sie dort zum Fenster hinaus." „Ach, steht es so, Herr Wallburg,' lachte die Aufwartefrau des Malers, und ein leichte» Wiegen des KopfeS schien anzudeuten, daß sie völliges Verständnis; sür die Neigung des jungen Mannes besitze .Da kann ich Ihnen dienen, denn ich habe dem alten Hertling, der dort wohnt, fünf Jahre lang die Aufwartung - besorgt Die Frau war längst gestorben, und Agnes, sein einziges Kind, noch zu klein, um die Hauswirthschaft verrichten zu können. Aber es ging manch mal recht knapp her dort drüben; die kleine Pension, die der alte Mann als Registr-tor bezog, war immer schon in der Hälfte der Zeit, für die sie reichen sollte, aufgezehrt und dann wurde Schmal hans Küchenmeister. Du lieber Gott, dein armen Kinde habe ich . manches Weißbrod zugesteckt, wenn ich kam, um die Wohnung in Ordnung zu bringe«; aber der Vater durfte beileibe Nicht» davon erfahren, er wollte seine Armuth nicht merke« lasse» - „Also arm ist sie — desto bester I- sagte »er Maler zu sich selbst, und. zu der Frau geweadet, fuhr er bau» fort: „Hielt sich da» Mädchen stet» bei ihren Vater auf? Ich sah sie noch nie, ob gleich ich täglich unwillkürlich unzählige Male die Blick« nach dem Hause wende, wenn ich an der Staffelei sitze - »Sie ist sehr fleißig, und daher mag «» Wohl auch kommen, daß Sie sie noch nicht sahen," entgegnete sie. .Sie arbeitet Stickereien sür ei« Geschäft in der inneren Stadt. Diese Arbeit wir) schlecht bezahlt und man darf nicht oft von derselben aufblicken, wenn man einen nennenswerthen Verdienst erzielen will. Und die Leute dort drüben könne« jeden Groschen brauchen, der ihre dürsti zen Verhältnisse ein wenig erleichtert; da» fühlt da» Mädchen und darum sitzt sie von Früh bis Abends über ihr« Stickerei gebückt und nur die Zeit, welche zur Bereitung des bischen ärmliche» MittagSbrodes eiforder lich ist, darbt sie sich von der Arbeit ad." „DaS ist sehr traurig; da» Kind hat ein besseres Loos ver dient!" meinte Herbert im Tone inniger Theilnahme, und wieder schweifte sein Blick hinüber nach den Fenstern mit den bunten Vor hängen; aber der liebliche Mädchenkopf erschien nicht, so sehnsüchtig auch der Maler nach ihm verlangte. „Sonst noch etwas zu besorgen, Herr Wallburg?" fragte die Frau, indem sie die Arbeitsschürze losband und sich ein sauberes gleichartiges Kleidungsstück um die Hüften legte „Theilen Sie mir Alles mit, wa» sie über den pensionirten Registrator und seine Tochter erfahren, Frau Streuber," erwiderte der Gefragte. „Ich verhehle Ihnen nicht, daß ich sür Agnes ein mehr als bloS flüchtiges Interesse hege und mich ihr gern persönlich nähern möchte. Können Sie mir dazu behilflich sein, so dürfen Sie auf meine Erkenntlichkeit rechnen, Sie wissen, es kommt mir auf eine an gemessene Belohnung Ihrer Dienste nicht an." „Ich weiß, ich weiß!" siel Frau Streuber rasch ein, ganz das Gegentheil von dem alten Hertling, der mir von den sauer verdienten paar Groschen noch manchen Fünspfenniger abgczwickt hat. Aber da fällt mir ein, daß einmal des Tages Agnes doch auf einige Minuten allein zu sprechen ist, nämlich früh Morgens, wenn der Vater das Frühstück holt, was er selbst zu besorgen Pflegt. Wenn sie also ein Briefchen, ein Sträußchen oder etwas Aehnliches zu besorgen haben Sie vollendete den Satz nicht, sondern schaute mit verschmitztem Lächeln auf den jungen Mann. Der Nachsatz war freilich nicht schwer zu errathen. „Vielleicht komme ich in diese Lage, Frau Streuber, und dann rechne ich aus Sie," versicherte Herbert. „Für jetzt bedarf ich Ihrer nicht mehr." Die gesprächige Frau ging und der Maler befand sich wieder allein im Zimmer. Es war ihm so seltsam zu Muthe, so bang und doch auch wieder so froh; rin wonniges, glückliches Zu- kunssbild entfaltete sich vor seinen Augen, hell und rein, in harmo nischer Farbenpracht strahlte es ihm entgegen. Es ward ihm zu eng in seiner Werlstatt, er mußte hinaus, de» brennenden Kopf in der frischen Herbstluft abzukühlen. Noch einen Blick hinüber zu den Fenstern, hinter welchen das schöne Mädchen ihr freudloses Dasein vertrauerte! Sie erschien ihm wie eine Gefangene, die ein grimmiger Othello bewacht, wie die herrliche Jo, deren Bewegungen der hundert äugige Argus mit mißtrauischen Blicken folgt. Aber er fühlte in sich den Muth und die Kraft, die Geliebte zu befreien und im Stillen gelebte er sich, nichts unversucht zu lasten, dieses Ziel zu erreichen. U. Wer jemals Elbflorenz, wie Herder bezeichnend die schöne Zachsenhauptjiadt an der Elbe nennt, besucht hat, der wird sicher nicht versäumt haben, ein Stündchen auf der berühmten Brühl'schen Terrasse zu lustwandeln An der großen Freitreppe, welche vom Schloßplatze hinauf zn dem schattigen Lindengarten führt, stehen d e herrlichen, jetzt in bleu dendem Gotdglanze strahlenden vier Gruppen von Schilling'» Meister hand, die Tagesze>ten darstellend, oben auf der in reizende Spazier gänge umgewandelten Plattform der ehemaligen Festungswälle aber öffnet sich dem Beschauer ein entzückender Blick aus die Stadt, auf die drei eleganten, von Passanten, Rittern und Wagen aller Art wimmelnden Brücken, auf den prächtigen, breiten Elbstrom, dessen Rücken buntbewimvelte Dampfschiffe, Gondeln, Frachtkähne und Schleppdampfer, eine lange Reihe von Elbzillen hinter sich herziehend, trägt, auf die herrlichen, mit zahllosen Villen bedeckten Gelände de» Elbthales, die sich zu beiden Seiten des Beschauers in blauer Ferne verlieren. Bor ihm aber, jenseits des Stromes, dehnen sich weithin die Häuser der Neustadt au», von schlanken Lhürmen überragt, und darüber, aus der Höhe, erglänzen in langer Reihe die gewaltigen Fazaden jener viclbewunderten und von Fachleuten hochgepriesenen militärischen Prachtbauten, eine Schöpfung der neuesten Zeit. Und hinter ihnen, einen sammtgrünen, tiesdunklen Hintergrund bildend, erstrecken sich die endlosen Nadetholzwatdungen der Dresdner Haide, jene unschätzbaren Vorrathskammern, die der Bevölkerung der Residenz bereitwilligst ihren Ueberfluß an frischer, kräftigender Watd- luft spenden. Die Tcrasse selbst aber ist zu jeder Tageszeit, ganz besonders in den Abendstunden, von Spaziergängern belebt, die zahlreichen Ruhebänke werden die leer und an dem starken eisernen Geländer stehen lange Reihen Neugieriger, die dem munteren Treiben unten aus dem Elbquai und auf dem Strome selbst zuschauen. Bon Ferne aber tönt Konzcrtmusik und ockt Tausende von Zuhörern an, die im langsamen Lustwandeln kostenlos die musikalischen Darvieiungen genießen. Letztere kommen aus dem Garten des könig lichen Belvedere am Ende der Terrasse, des fashior übelsten Restaurants der Hauptstadt. Hier ist der Sammelplatz aller Einheimischen und Fremden von Distinktion, und hier vernimmt man alle Sprachen der zwilimten Welt Es wird aber auch wenig Vergnügungslokale geben, die sich einer so bevorzugten, reizvollen Lage erfreuen; das Auge wird nicht müde zu schauen und zu bewundern, und wohin es sich auch wend-t, immer wieder entdeckt es neue Schönheiten in der lachenden, wechselvollen Landschaft. An einem kleinen runden Tische in einer schattigen Ecke de» Gartens saßen zwei Herren im eifrigen Gespräch begriffen. Der Eine vo» ihnen war ein Mann in den fünfziger Jahren mit stark ausgeprägte», von Leidenschaftlichkeit zeugenden Gesichtszügen und sür seine Jahre raschen, lebhaften Bewegungen. Ein grauer, kurz- verschnittener Schnurrbart gab ihm etwas Militärisches, ebenso der Schnitt des Haares, das zwar ebenfalls stark gebleicht, aber »och auffallend stark und voll erschien. In seinen grauen Augen blitzte es zuweilen seltsam auf; wenn das Gespräch eine ihn besonde.s fesselnde Wendung nahm; dann wurden auch die Bewegungen seiner Hände rascher, un» ein krampfhaftes Zucken, ein wiederholtes Ocfsnen und Schließen derselben schien den Grad der inneren Erregtheit an- zudeuten. i« welcher er sich befand. Die Kleidung war »ach m»> dernstem Sch«itt« ««d di« Wäsche vo« äußerster Sauberkeit. Sei« Gefährt« war etwa ei« Jahrzehnt jünger, größer und kräftiger als der A«dere und im Gegensätze zu diesem vo» auffaleud ruhiger Haltung. Seine Muskel seine» volle«, van Gesundheit z«»-- genderr Antlitze« zuckte, wenn er sprach, nur in de« dunkle« Auge« ruhte der Ausdruck van Verschlagenheit, der sich hi« «ud wieder bi« zur tückische« Hinterlist zu steigern schien. Aber nur ein scharfer» aufmerksamer Beobachter vermochte die» zu bemerke», den« rasch und flüchtig wir rin Schatten schwebte dies« häßliche Charaktereigenschaft über sein Gesicht, dann nahm es sofort wieder seine frühere schein bare Unbefangenheit und Ruhe an. Auch er war wie sei« Gegen, über auf das Eleganteste gellridet, eine schwör«, goldene Uhrkette wiegte sich auf der Weste, und an de» Finger» der feinen fleischige« Hand blitzten mehrere Brillantringe. Die Musik spielte die geräusch volle „Tonnhäuser"-Ouoertüre und zwang die beiden Herren, ihr ohnehin leise geführte» Gespräch abzuvrechen. Aber man merkte e» ihnen an, daß ihre Gedanken nicht den schwellenden Töne« folgten, sondern sich offenbar mit ganz anderen Dingen beschäftigten. „Was gedenken Sie jetzt zu thun, Herr Graf?" fragte der Jüngere der Beiden, als das Orchester endlich schwieg, indem seine Augen forschend aus dem Antlitze de» Anderen ruhten. Der Gefragte zuckte die Achseln. (Fortsetzung folgt.) Ererbte Schuld. Kriminal-Roman von Adolf Belot- (Nachdruck »erboten.) Erster The». 1. Kapitel. Das Verbrechen. Am zehnten Juli stand gegen sechs Uhr Abends eine Grupp« von etwa dreißig Personen vor einem bescheiden aussehenden Hanse der Nur Cardinet in BatignolleS, einer kleinen Vorstadt vo« Pari». Folgende» war geschehen: Die erste Etage diese» Hause» hatte eine etwa fünfzigjährige alte Dame, Frau Wittwe Dalissier, inne, welche sehr zurückgezogen, nur mit einer Dienerin Mariette, lebte. Nun hatte man den ganzen Tag weder Herrin noch Dienerin gesehen; die Vorhänge der Wohnung blieben unverändert geschloffen; Schlächter und Wasserträger hatten vergebens geschellt. Muthmaßungen, Unruhe erwachten und endete» bald in einem Auflauf. Eine Nachbarin, Frau Roussignö, trat eilig aus dem Flnr de» Hause». „Ich habe geläutet, geklopft, gerufen", sagte sie; „keine Ant wort! Sicherlich ist etwa» geschehen." „Wahrscheinlich ein Unglück", meinte Jemand. „Vielleicht auch ein Verbrechen." - „Man müßte einmal vom Garten au» hiueinsehen", bemerkt« ein Kaufmann Pelandat. Der an das Haus stoßende Garten lag allerdings recht» «ach der Rue de Couronue» hinaus, nach der ein Ausgang führte. Man eilte nach jener Seite und schaute durch die Gitterstäbe der kleinen Pforte. Auch hier die gleichen beunruhigenden Anzeichen: ge schloffene Vorhänge, Unbeweglichkeit, Schweigen. Nun zögerte man nicht länger; man benachrichtigt« die Polizei. Unter allerhand Muthmaßungen kehrt« die wartende Menge nach der Rue Cardinet zurück. Bald «schien der Kommissär mit einem Inspektor und zwei Agenten. Der Inspektor Moule, ein durch seine Geschicklichkeit be kannter Polizeibeamter, nahm mit Zustimmung des Kommissär» di« Leitung in die Hand. In wenigen Sekunden hatte er die Meinungen der Menge a«»- geforscht. Dann ließ er sich die Einrichtung des Hause» erklären. bestand aus einem großen Waarenlager im Erdgeschoß, au» einem ersten Stockwerk, welche» Frau Dalissier bewohnte, und eine« zweiten, welches an einen Beamten Namen» Sroslin vermiethet war. Moule trat in der Flur. „Kein Portier!" murmelteer. Also wahrscheinlich zwei Schlüffe! zu dieser Thür: der eiae für den Miether der ersten, der andere für den der zweiten Etage. „So ist's, sagte Frau Groslin", welche zitternd heradge- kommen war. Ein Schlosser wurde geholt, und man stieg in den ersten Stock hinauf. Nach einigen Schwierigkeiten fiel das Schloß zurück, doch di« Thür öffnete sich nicht. „Bon innen verschlossen," sagte der Inspektor. „Gut!" Tr stieg hinab. Jemand schlug vor, durch die kleine Gartenpforte einzudringen; Moule widersprach entschieden. In der That konnten anf jener Seite werthoolle Anzeichen zu schonen sein. So blieb nur das Erdgeschoß. Der Besitzer des Hauses, ein Herr Mortagne, ein Droguist, besaß daselbst ein bedeutendes Lag« für seine Produkte; ein Kommis schlief in dem Magazin, welche» jetzt geschlossen war. Mau sandte nach dem Eigenthümcr und dem Kommt». „Sie schlafen gewöhnlich hier?" fragte der Inspektor den Letzteren. „Ja", entgegnete der junge Mann etwas furchtsam. „Sie haben letzte Nacht nicht» Ungewöhnliches bemerkt?" Kein Geräusch über sich? „Nein, absolut nichts". Mau trat hinein. Im Hintergrund des Magazins befand sich eine Thür, welche auf de» Garten hinausging. Moule trat zu ihr und prüfte sie genau. „Sie ist lange nicht geöffnet worden?" fragte er den Eigeuthümer. „Ja, antwortete dieser. Moule forderte den Schlüssel und öffnete. Vor ihm lag der Garten, der rechts bi» zur Rue de Couronue» reichte; vor seinen Füßen führte link» eine äußere Treppe zu einem an das Hauptgebäude anstoßenden Seitenflügel, welcher im erste», wie im zwciün Stockwerk eine Küche und ein Mägdezimm« enthielt. Auf Befehl des Kommissärs stieg der Schlosser die Treppe hinauf, um die Thür zu öffnen. Vergebliche Mühe! Auch sie war von innen verschlossen. „Ich ahnte es," sagte der Inspektor. Dicht unter dem Fenster fielen ihm soeben Fußspuren auf. „Lassen Sie nur Ihre Instrumente," sagte er zum Schloff«, „klettern Sie über da- Geländer. — Gut! Nun suchen Sie — beugen sie sich, s» weit Sie können, hinaus — das Fenster zu er reichen. Er bezeichnte das Küchenfenster. Der Schlosser bemühte sich ohne Erf lg. „Das genügt," sagte Moule. „Kommen Sie mit einem Ihr« längsten Dietriche herab."
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