Wirtschaftshof bot den Kaufleuten und insbesondere den Fernhändlern in Bautzen gleichermaßen Schutz, gute Geschäfte und Dienstleistungen. Das sind die Gründe, aus denen in der zweiten Hälfte des 11. Jh. die Anlage einer Kaufmannssiedlung anzunehmen ist. Es erhebt sich nur die Frage, wo lag diese Siedlung der Kaufleute? Wenn man den von K. Blaschke (1967) herausgestellten Kriterien der Nikolai- Kaufmannskirchen folgt, so treffen diese im wesentlichen auch für Bautzen zu. Diese Kirchen inklusive ihrer Siedlungen sind immer in einem gewissen Abstand vom Sitz der Feudalgewalt entfernt angelegt worden. Da Nikolaikirchen und -Siedlungen oftmals vor einem Flußübergang angelegt wurden, sucht K. Blaschke in Bautzen die Kaufmannssiedlung direkt unterhalb der Nikolaikirche, entlang der alten Handels straße in der Niederen und Oberen Gerbergasse, zwischen der Spreefurt und dem slawischen Dorf Broditz. Dieser Siedlungsteil könnte seit jeher durch einen Fußsteig verbunden gewesen sein, der den steilen Berghang hinauf zu der auf Fels gesetzten Nikolaikirche führt. Diese soll chronikalischen Nachrichten zufolge 1280 errichtet worden sein. Die Kaufmannssiedlung als solche könnte aber bereits aus der Zeit vor der eigentlichen Stadtentstehung stammen. 35 Der Burgkomplex und die Kaufmannssiedlung bilden bereits in der zweiten Hälfte des 11. Jh. einen gewichtigen Ansatzpunkt für die Entwicklung der Frühstadt. Bautzen kommt im Jahre 1076 in die Hand des böhmischen Herzogs Vratislav und von diesem als Heiratsgut seiner Tochter Judith an den Grafen Wiprecht von Groitzsch, der mit Unterbrechungen Nisane und Milzane von 1086 bis 1136 innehatte. Unter der Einwirkung des Fürstenpaares kam es in der Burgstadt um 1100 zur planmäßigen Anlage eines Marktes, welcher mit dem heutigen Hauptmarkt in annähernde Übereinstimmung zu bringen sein dürfte. 36 Die Fernhandelsverbindun gen mit Bautzen werden durch einen Hacksilberfund mit zwei sogenannten Wendenpfennigen vom Anfang des 11. Jh. unterstrichen (Dutschmann 1929, S. 130f., Abb.; Frenzel 1933, S. 70, 104f., Taf. II). Im Burgsitz von Bautzen mußten 1144 „nach Landesgewohnheit die Bewohner der bischöflichen Dörfer weiterhin Burgwerk und Wachdienst“ leisten, womit die übergeordnete Rolle dieser Burg gegenüber anderen Zentren der Burgwarde in urkundlicher Überlieferung bestätigt wird (Frenzel 1933, S. 82; Billig 1989 a, S. 28). Als dann um 1143 Bautzen wieder zur Mark Meißen zurückgelangte, wissen selbstverständlich der deutsche König Konrad III. wie auch der Meißner Markgraf Konrad von Wettin um die politische, wirtschaftliche und strategische Bedeutung der Verkehrsader durch Bautzen und bemühen sich tatkräftig um die weitere Befestigung dieser militärisch und handelspolitisch bedeutsamen Zwischenstation, wie dies recht illustrativ in der Ebstorfer Weltkarte des 13. Jh. deutlich zum Ausdruck kommt. Hier 35 Vgl. Blaschke 1989. R. Schrammek (1984, S. 45 — 60) versucht ohne zwingende Beweise, alle Kriterien der Kaufmannskirche auf die Liebfrauenkirche zu verlegen, wofür aber jegliche urkundliche bzw. chronikalische Beweisführung fehlt. 36 Vgl. Frenzel 1933, S. 74, Anm. 62, Abb. 11. Die Frage nach der Form der Marktsiedlung birgt erhebliche Schwierigkeiten in sich; dazu kommt der Mangel an urkundlichen Quellen (vgl. Sachsse 1926, S. 39f.).