Suche löschen...
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 14.10.1883
- Erscheinungsdatum
- 1883-10-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188310148
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18831014
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18831014
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1883
-
Monat
1883-10
- Tag 1883-10-14
-
Monat
1883-10
-
Jahr
1883
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 14.10.1883
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
WWMMMWMWMWIWMNWW» 2. Anlage zum ..Chemmhn Anzeiger und Kt-Mbotc". Nr. 72. — 3. JahrMNst. Zerlags-Expedition: Alexander Wiede, Bnchdruckerei, Chemnitz, TheaUrstraße 48 (ehemaliges Bezirksgericht, gegenüber dem Casino) Sonntag, 14. Oktober 1883. Die Post im Marlttkorbe. Humoreske von L. Jungmann- Anna war die zweite und jüngste Tochter der verwitlwetcn Frau Gencralactieninspectionsräthin Rnnzelhausen, welche letztere für eine gar stattliche Dame gelten und ein noch immer blühendes volles Gesicht ausweisen konnte. Das Töchterlein war ein allerliebstes Kind mit rnuden Pfirsich bäckchen und einem reizenden Näschen, welches ihr gar lieblich zu Gesicht stand. Sie hatte bereits das achtzehnte Lebensjahr erfüllt und fand nun, wie fast jedes Mädchen, es für zeitgemäß, sich schleu nigst zu verlieben. In diesem Punkte folgte sie dem Beispiel ihrer um anderthalb Jahre älteren Schwester, die schon längst verlobt war. Mama hatte ihr diese oft als Muster vor Augen geführt, weil sie in dem Alter, in welchem Anna jetzt stand, bereits vollständig in die wirthschaftliche Thätigkeit in Haus und Küche eingerichtet gewesen war und darin haperte cs nun bei Acnnchen noch gar sehr. Aber sie verlobte sich dafür heimlich mit einem jungen Kaufmann, den sie bei Gelegenheit eines Balles, des ersten, an dem sie thcilgenommen, kennen gelernt hatte. Ms Mama von dieser Sache erfahren, war sie auf die Tochter sehr böse geworden. Von der Zeit an hielt sie die Kleine äußerst streng und verbot ihr aufs Schärfste, auch nur an Liebe zu denken. Konnte doch Anna nur erst nothwendig Kaffee kochen und auch den selten zur Zufriedenheit Mama's, die in Sachen der edlen Kochkunst äußerst streng war. Nun mußte das Mädchen erst die Wirthschast gründlich lernen und vor allen Dingen gute Fleischklöse und ähnliche kräftige Speisen tadellos Herstellen können. Denn im Vorhandensein einer solchen vortrefflichen Kost sah Frau Runzelhausen das sichere Fundament für einen glücklichen und geordneten Hausstand, und ein junges Mädchen mußte alle Griffe und Dinge von A bis Z, was nur die Küche betraf, im Kopfe haben, bevor ihr nur im entferntesten ein Gedanke an Liebschaft oder dergleichen aufdämmern durste. Aber Anna liebte nun einmal schon. Fleischklöse waren in ihren Augen eine sehr untergeordnete und prosaische Sache. Liebe braucht keine Fleischklöse, die sättigt sich mit süßen Blicken und Worten, Küssen und zarten Händedrücken. Doch diesen freien idealen Ansichten der Jugend war Mama nicht zugänglich. Es blieb dabei, Anna mußte tüchtig in der Küche wirthschaften, durfte aber, nachdem ihre Liebesangclegenheit zu Mama's Ohren gekommen war, niemals mehr allein ausgehen, zu keinem Concert, keinem Ball, keiner Theatervorstellung, und so konnte sie den geliebten Emil nicht sehen, noch weniger gar sprechen. Nun gab cs noch ein Verbindungsmittel zwischen den beiden liebevollen Herzen, man konnte corrcspondircn. Doch dies ging auch nicht auf gewöhnliche Weise durch die Stadtpost, denn da würde Mama jeden Brief aufgefangcn haben. So mußten sich die Liebenden eine besondere Post errichten, deren Erfindung und Einrichtung nicht wenig Mühe und Kopf zerbrechen machte, aber schließlich kam sie doch zu Stande. Nachdem man versucht hatte, die Briefe Emil's an Anna erst durch vermittelnde Hände einer Freundin, dann durch die des Dienst mädchens zu befördern, jedoch keiner vor dem Scharfblick Mama's verborgen an seine Adresse gelangt war, kam Emil auf den Einfall, die Mama selbst zum Postbeamten zu erheben und die so schwierige Correspondenz durch deren eigene Person befördern zu lassen. Und dieser kühnentworfene Plan der Liebesdiplomatie gelang auch wirklich recht gut. Mama ging nämlich Sonnabends früh auf den Markt, wobei Anna sie begleiten mußte, damit diese lerne, wie man als Hausfrau v ortheilhaft einkauft. Anna ging auch sehr gern mit, namentlich jetzt, wo sie sonst gar keine Gelegenheit mehr hatte, ausgehen zu können. Mit welcher Schlauheit wußte man nun, die Briefe Emil's in Mama's Marktkörbchen zu schmuggeln! Emil hatte bald erkundschaftet, daß Anna Sonnabends mit auf den Markt ging. Hierbei fügte es auch das Glück, daß der Markt weg Mama's an seinem Contorfenster vorbeiführtc, von wo er nun, so oft Mutter und Tochter auf der Straße vorbcikamen, nie ver säumte, Kußhände und Grüße hinter Mama's Rücken vorbei auf Anna zu werfen, welche sie auch zuweilen, wcnu cs unbemerkt anging, mit heimlichen Zeichen beantwortete. Einmal hatte Emil Gelegenheit gehabt, den Beiden nach der inneren Stadt zu folgen; Mama bemerkte ihn im Gedränge des Marktes nicht, wohl aber umsomehr Anna. Er merkte sich die Gemüsefrau, bei welcher die feindselige Mama einkauste. Nachdem die letztere mit Anna wieder gegangen war, setzte sich Emil mit der Frau ins Einvernehmen und gewann sie auch für sich, so daß sie ihm zusagte, jedesmal das ihr durch ihn übergebene Briefchen an Fräulein Anna zu übermitteln, aber so, daß Mama nichts davon bemerkte. So oft nun des Sonnabends Mama mit Anna kam und die Händlerin ihnen die Grünwaaren in's Körbchen packte, wußte sie geschickt das Briefchen mit hineinzubringen, während Anna in ihres Busens Falten ein Blättchen für Emil bereit hielt, welches diesem die Gemüsefrau mit weniger Schwierigkeit zustcllcn konnte. Zu Hause angekommcn, war Mama stets in Schweiß und mußte sich deshalb sofort umkleiden, während Anna dann sehr geschäftig die Sachen aus dem Korbe räumte. So geschah es, daß Mama keine Ahnung davon bekam, wie sie selbst den Briefträger ihres Töchterleins abgab. Es ging so den schönen Sommer lang auf's Beste. Aber da mußte eines Tages das feindliche Geschick die Sache ans Licht bringen und beinahe wäre die blühende, junge, zarte, sinnige, heiße und einzigschöne Jugendliebe grausam zerrissen worden. Man sehe nur, wie das zuging. Eines Sonnabends früh hatte Anna Kopfschmerz. Sie klagte ihr Leiden harmlos der Mama und diele, aus Besorgniß für die Gesundheit des Töchterleins, ordnete an, daß es zu Hause bleiben und die Magd an seiner Statt mitgehcn möge. Hätte Anna das vermuthet, so würde sie ihr Leben lang keinen Kopfschmerz bekom men haben. Sie gerieth in große Sorge um ihre Postangelegenheit, denn nun war doch Alles verloren! Entweder mußte Mama selbst oder das Mädchen den Brief Emil's in die Hände bekommen und von letzterer war auch keine Schonung oder Verheimlichung zu erwarten. Die Gemüsefrau wurde anfangs etwas unschlüssig darüber, ob sie den Brief wie immer in den Korb practiciren sollte, da sie be merkte, daß Anna nicht mitkam. Sic erkundigte sich nach der Ursache des Zuhauseblcibens und als ihr Mama sagte, Acnnchen sei unwohl, gab sie ihrem Bedauern Ausdruck und ließ dabei das Briefchen mit in den Korb gleiten. Emil hatte ihr ja noch besonders gesagt, nur diesmal den Brief ja genau zu besorgen, und sie hoffte auch, Anna werde, da sie den Brief doch bestimmt erwarte, ihn schon glücklich herausbekommen. Und cs wäre auch wirklich noch Alles gut abgelaufen, wenn das Dienstmädchen nicht unterwegs hätte den Korb öffnen müssen und Mama dann hineingesehen, ob nicht etwas vergessen worden sei. Dabei sah sie den Weißen Umschlag unter dem Grünzeug hervor schimmern und zog das Briefchen heraus. „Wo kommt denn der Brief her?" fragte sie ganz verwundert, erstaunte aber noch uiehr, als sic beim Umwenden desselben die Schrift- zeichen .l. U. erkannte. Sofort war ihr klar, daß der Brief für Anna bestimmt sein müsse und zugleich kam ihr der Gedanke, daß das Dienstmädchen im Spiele sei und sie warf darum vorläufig ihren Zorn auf diese. „Wie kannst Du Dich unterstehen, meiner Tochter Liebesbriefe zuzutragen? Hast Du nicht schon früher gehört, daß ich dies nicht dulde? Ist das eine Aufführung für ein Dienstmädchen, hinter dem Rücken der Herrin die Kinder in so unsinnigen Liebesgeschichten zu unterstützen? Du kannst zum Ersten abziehen! Zum Zutragen für meine leichtsinnige Tochter brauche ich kein Dienstmädchen!" „Aber ich weiß ja gar nicht, wie der Brief in den Korb kommt, ich habe nicht . . . ." „Willst Du mir es noch weglügen, was ich selbst sehe? Du hast den Brief doch ganz gewiß unterwegs von Jemand bekommen, und wer weiß, wie oft das Mädchen schon solche Briefe bekommen hat, wenn sie selbst mit auf dem Markt war Ist es denn ganz und gar unmöglich, ihr diese Liebe aus dem Kopse zu bringen? Aber ich will es ihr heute geben, daß sie genug hat!" Das Dienstmädchen sagte nun: „Zuvor hat nichts im Korbe gelegen Ich habe hineingeschen, ehe wir die Rüben kauften; da war noch nichts darin, das weiß ich ganz bestimmt und kann darauf schwören!" „Dann wäre er wohl vielleicht gar durch die Gemüsefrau hinein- gekommen? Gehen wir noch einmal zurück zu ihr, — doch es ist vielleicht besser, ich sage vorläufig gar nichts darüber und warte bis nächsten Sonnabend, wenn das unartige Mädchen selbst wieder mit kommt. Also höre, ich will glauben, daß Du unschuldig an der Sache bist, aber daß Du Dir nichts merken läßt!" Beide ließen sich nichts gegen Anna merken, die sich bereits auf das Schlimmste gefaßt hatte. Sie kam nun zu der Ueberzeugung, daß die Gemüsefrau klug gewesen sei und den Brief diesmal be halten habe. Anna harrte mit Ungeduld des nächsten Sonnabends; da mußte sie doch gewiß wieder von ihrem Emil Nachricht erhalten. Und der Sonnabend kam wieder schritt sie mit Mama nach dem Markte. Zu ihrem Leidwesen unterhielt sich Mama aber diesmal so eifrig mit der Frau, und wandte die Augen auch keine Minute nach seitwärts, sodaß es Anna ganz unmöglich wurde, ihr Briefchen abgeben zu können. „Was hat Mama nur für eine Wuth, mich zu beobachten?" dachte Acnnchen bei sich. „Sie weiß doch gewiß nichts?" Sie kamen nach Haus und Anna machte sich, wie gewöhnlich daran, den Korb sofort auszuleeren, da — o Himmel! — nahm ihn Mama, was noch nie geschehen war, und sagte: „ich werde heute selbst auspacken." Sie that es und fand nun das Brieschen, welches die Gemüsefrau gewissenhaft und mit viel Geschick doch hineingebracht hatte. Einige Momente stumme Gruppe. — Dann aber begann eine Gcwittcrentladung des mütterlichen Zornes auf das Haupt der un folgsamen Tochter, daß diese am liebsten in den Erdboden gesunken wäre. Unter vielen anderen stieß Mama die klassischen Worte hervor: „Du ungerathcnes Mensch! Du leichtsinniges Ding! Du thörichtes Schulmädchen, kannst Du nicht Deiner erfahrenen Mutter gehorchen? Mußt Du Dich heimlich schon mit Herren abgeben? Ich hätte mich vor- der ganzen Welt geschämt, wenn ich nur mit fünf und zwanzig Jahren schon eine Liebschaft gehabt hätte und Du Gäns chen, kaum achtzehn Jahr alt, mußt schon einen Liebhaber haben? Aber ich werde Dich kurircn! Innerhalb eines halben Jahres kommst Du mir nirgends mehr mit einem Menschen zusammen, als hier vor mir, auf dem Zimmer! Du ungezogener Racker, Du!" Und Anna stand vernichtet, ohnmächtige Thränen weinend, nicht wagend, den Blick zu erheben. Sie zitterte und bebte vor Angst und Schmerz. Nicht einmal schriftlich sollte sie mehr lieben dürfen! Sie sollte ihrem Emil ganz entsagen. DaS schien ihr schlimmer als der Tod und als Mama ihren Sermon unermüdlich fortführte und immer heftiger schalt, da ward cs Anna ganz verzweifelt zu Mnthe und die Verzweiflung verlieh ihr die Kühnheit und Kraft einer Heldin,- Muthig erhob sie ihr Antlitz, stellte sich in Positur und rief, ^vie Mama todcskühn anblickend: / „Und ich werde nicht nufhörcn, ihn zu lieben! SchlqA mich meinetwegen todt, aber ich werde ihm treu sterben! Und ich weine mich zu Tode, wenn ich ihn nicht Wiedersehen und nicht einmal mehr lieben soll! Nie werde ich kochen lernen, nur für ihn wollte ich fleischklöse machen, aber sonst für keinen! eher werde ich sterben!" Und wie jede echte Heldin thut, stürzte Anna nach diesen Worten ab und flog hinauf in ihr Stübchen, daß sie hinter sich verschloß und auf kein Drohen und Bitten der Mama öffnete. Sie blieb den ganzen Tag oben und aß nichts, sodaß es der Mama endlich ganz bange wurde. Sic hatte schon wiederholt im Tageblatt gelesen, daß sich junge Mädchen aus Verzweiflung über unglückliche Liebe gctödtet hatten, ja sie hatte im Ctadtthcater einmal: „Romeo und Julia" spielen sehen und erinnerte sich noch immer mit Gruseln der Szene, wo sich Julia todtstach. So jung, ach es war so schrecklich! Wenn nun Anna auch so etwas that? Jetzt wurde Mama ganz weich vor Angst und Sorge um ihr Töchterlein, sie zitterte — Vielleicht hatte sie oben schon Gift genommen? oder sich gar tvdtgcstochcn, weil sie nicht öffnete und sich auch nicht rührte? Voller Sorge eilte sie wieder hinauf, rief, pochte und rief wieder lauter, endlich antwortete Anna drinnen mit schwacher Stimme. „Acnnchen" rief nun Mama durch's Schlüsselloch hinein, „be ruhige Dich! Du sollst ihn haben, Du sollst ihm schreiben, ihn auch hcirathen, wenn es einmal sein muß! Nur komme herunter, mache aus!" „Ist dies auch wirklich wahr, Mama?" fragte Anna drinnen. Nun ja, weil es einmal sein soll! Und du keine Vernunft an- nehmcn willst, kann ich es nicht ändern!" Da schloß Acnnchen auf und stieg mit Mama ganz erleichtert hinab. Sie hatte noch verweinte Augen, aber bald schwand jede Spur von Thränen und Kummer aus ihrem Gesicht und Herzen. Mama erhob keinen weitern Einspruch gegen die bestehende Liebe des Töchter'chcns, worüber dieses ganz überglücklich wurde Mit wahrem Feuereifer warf sich nun Anna auf das Studium der Kochkunst, sodaß sie in dieser schon bald ihr Meisterstück liefern konnte, nämlich Fleischklöse, von derselben Güte und Schmackhaftigkeit, wie sie Mama liebte und nun stand dem Glücke Anna's und Emil's kein Hinderniß mehr im Wege Lernt wieder wandern! In unserer Zeit, wo man Hygiene-Ausstellungen veranstaltet, der Gesundheit der Einzelnen, wie des ganzen Volkes zu dienen, gegen Ueberbürdung der Schuljugend eifert und so Vieles vorschlägt und einführt, um den Anstrengungen der Geisteskräfte durch Stärkung des Körpers und seiner Kräfte theils eine gesunde Basis, theils ein nöthiges Gegengewicht zu geben, wird leider gerade eines der ein fachsten Mittel dazu: das Gehen und Wandern, am meisten ver nachlässigt. Statt dieses naheliegenden und billigsten Mittels zur Befriedigung der Gesundheit werden eine Menge andere, meist kost spielige, vorgeschlagen und bevorzugt: Turnen, Baden und Schwimmen, Rudern, Reiten, Schlittschuhlaufen, Ball- und Kegelspiele (Croquet) werden als heilsame Leibesübungen empfohlen und zwar für beide Ge schlechter ; in wochenlangen Ferien giebt man den Schülern und Schüler innen jeden Alters Gelegenheit, allein der Pflege des Körpers zu leben. So hat es ein großer Theil unserer Jugend im Turnen zu einer Gewandtheit gebracht, die es vielfach mit den Leistungen der Circus- Gymnastiker aufnimmt, so steht der Schwimm- und Rudersport, der Reit- und Eissport in voller Blüthe aber die meisten dieser kräftigen Turner sind zu bequem, einmalein paar Meilen zu wandern, und kom men sie zum Militär, so sind ihnen die Fußmärsche dabei meist die unangenehmsten Dienstpflichten. Und nun vollends das weibliche Geschlecht! Diese kühnen Schwimmerinnen und Eisläuferinnen, die ihrer Körperpflege noch nebenbei durch stundenlange kalte Waschungen, durch Herumflaniren in den Promenaden und Gassen der Großstädte, was sie „Bewegung in freier Luft" nennen, so viel Zeit widmen, fragt sie nur, ob sie bereit sind, einen Weg von ein paar Stunden „über Land" zu machen? — und sie werden erklären, daß sie dies nicht im Stande seien; ja sie werden dem Frager ins Gesicht lachen, wenn er ihnen zumuthet einen Weg zu gehen, den man mit Pferde oder Eisenbahn ebenfalls meist billig zurücklegen kann. Gewiß wäre es auch Thorheit, sobald es sich darum handelt, ein Ziel möglichst bald zu erreichen und unter dem Mitsprechen deS modernen Grundsatzes, daß Zeit Geld ist, eine Stunde gehend auf den Weg zu verwenden, wenn man fahrend und ruhend zu dem gleichen Ziel in der Hälfte oder noch weniger Zeit für wenig Geld gelangen kann — aber darum im Allgemeinen das Gehen sich fast ganz abzugewöhnen, das Wandern ganz außer Brauch zu setzen, er scheint als ein großer Mißgriff. Mit Ausnahme einiger Schulen und der Gebirgsvereine, welche das Wandern noch Pflegen, ist dasselbe auch als Vergnügungs- und Stärkungsmittel fast ganz abgekommen. Nicht allein, daß überhaupt Niemand mehr zu Fuß reist, sondern auch auf den großen Reisen in den herrlichsten Gebirgs- und Alpengegenden werden selten noch größere Fußtouren gemacht — es nimmt sich eben Niemand mehr Zeit und Mühe, mit der Natur, sozusagen, auch natürlich zu Verkehren, es soll Alles nur bequem und komfortabel sein. Landpartien zu Fuß, wie sie die frühere Generation der Mittelstände machte und die, weil ein fache Lebensmittel mitgenommen wurden, äußerst billig waren, selbst wenn ganze Familien sich auf den Weg machten, sind jetzt fast ganz abgekommen — jetzt wird gefahren, wobei sich nicht nur das billige Fahrgeld für Viele summirt, sondern auch das Zehrgeld durch theuere Bahn-Restaurationen u. s. w. Schließlich ist aber der Genuß immer beeinträchtigt durch die Eile, auch rechtzeitig auf die Stationen zu kommen, das Gedränge daselbst u. s. w. Doch das ist Geschmacksachc! — Nur möge man bei den Kindern und bei der Jugend das Wandern Pflegen, um damit den Körper zu kräftigen und der Gesundheit zu dienen und weil in ihm selbst eine Herz und Nerven stärkende Macht liegt. Wer es kann, schließe sich den segensreich wirkenden Gebirgsvereine« an und unsere Jugend beider Geschlechter, die sich jetzt fast schämt, wenn sie nicht schwimmen, rudern, eislaufen u. s. w. gelernt (was ja viel Geld kostet und darum etwas gilt), lerne sich vielmehr schämen, wenn sie nicht gehen, nicht wandern kann, wezm ihr ein Paar Stunden Weg zu viel sind, zu viel, einmal dabei HHcn und Sturm, Sonnenbrand oder Kälte zu er tragen. Die Abhärtungen der Wanderschaft sind gewiß die gesündesten. > (Tr. Ztg.) ^ / Der Gablenzbach und sein Leid. In bedrängter und geengter Lage befindet sich jetzt der arme Gablenzbach, der nach dem Plan und Willen der Chemnitzer ganz von der Oberfläche des Erdbodens innerhalb der Stadt verschwinden soll. Schon hat man es glücklich zu Wege gebracht, ihn in der Mitte der Augustusburgerstraße, die er sonst mit seinen blauen Spicgelwellen zierte, in den dunklen Schooß der Mutter Erde ^u versenken.und auch an der oberen Brückenstraße ist seine Spur verloren. Man sieht an seiner Stelle einen ganz gewöhnlichen Weg mit Sand und den unfehlbaren granitnen Steinplatten, wo man sonst das melodische Rauschen des rinnenden Wassers vernahm. Wie ist es bedauerns- werth, daß sich der arme Bach muß also mißhandeln lassen. Diese Wellen, die sonst so lustig dahinjagten, sind jetzt verurtheilt, ihr Dasein im tiefsten Dunkel und der schwärzesten Vergessenheit dahinzuschleppen, wie die Acten einer resormatorischen Gesetzesvorlage beim russischen oder türkischen Staatsrath. Diese betrübende Thatsache veranlaßte mich, dem armen Gablenz- bache mein herzliches Beileid über sein ergreifendes Schicksal in den folgenden traurigen Versen erkennen zu geben: Du zogst herab ins Chemnitzthal Zu einem trüben Loose: Der du geblinkt im Sonnenstrahl, Gerauscht im Waldesschooße, Dich bannt man nun in finst're Nacht, Wo nimmer dir die Sonne lacht. Sonst nahmst du munter deinen Lauf Durch uns'rer Großstadt Straßen Du schautest keck zur Sonne auf Und küßtest frischen Rasen, Der dir am Ufer sproßte grün; Da konntest du Wohl fröhlich zieh'«. Nun mußt du wie in engem Sarg Dein Dasein stumm vertrauern, Es drückt dich sehr und preßt dich arg Die Schwere dunkler Mauern. Wirst fröhlich blinken nimmermehr, Da nun dein Lauf so freudenleer. Zwar hat die Einmauerung des Gablenzbaches vorläufig schon an der Biegung der oberen Brückenstraße ein Ende gefunden, wo der romantische Ziegelsleig einmündet, und die untere Brückcnstraße sowie die Mühlenstraße geben noch freie Passage, sodaß der liebe Gablenz bach noch frei und froh zwischen Gärten und Häusern, durch zahllose Brücken und Brückchen in allen möglichen Bauweisen und Bauformen dahinfließen und seine Düfte und Dünste verschiedener Art herauf zu I
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)