Suche löschen...
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 14.10.1883
- Erscheinungsdatum
- 1883-10-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188310148
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18831014
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18831014
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1883
-
Monat
1883-10
- Tag 1883-10-14
-
Monat
1883-10
-
Jahr
1883
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 14.10.1883
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Nr. 72. — 3. Jahrgang. Verlags-Expedition: Alexander Wiede, Bnchdruckerei, Chemnitz, Theaterstraße <8 (ehemaliger Bezirksgericht), vjs-L-vin dem Casino. Sonntag, 14. Oktober 1883. Humoristisch-salyrische Plauderei. (Bon hier und dort.) Der erste Schnee war da, wir haben die feine», dünnen Flöck chen herabrieseln sehen, es waren ihrer allerdings nur wenige und sie zeri- Mn auch sofort, als sie mit der Mutter Erde in leibhaftige Berührung kamen, aber das ändert alles nichts an der Thatsache, daß sich die ersten leichten Vortruppen des Winters schon gezeigt haben. Die ersten Schneeflocken — sie erwecken so manche Ge danken, bald heiterer, bald ernster Natur! Die fröhliche Kinder welt denkt schon wieder an die tollen Fahrten auf dem kleinen, meist so primitiven Holzgestelle, auf dem der übermüthige Knabe und das zaghafte Mädchen vereint die schneebedeckten Berglehnen herunter sausen, an die gravitätischen Schneemänner, die lustigen Schnee ballenschlachten und an die herrlichen Schlittschuhfahrten auf den spiegelblanken Eisflächen, während in: Hintergründe der lichter strahlende Weihnachtsbaum mit all' den wunderbaren Sachen er scheint, die sich geheimnißvoll unter seinen Zweigen bergen. Die reifere Jugend wird beim Anblick der ersten herabtanzenden Flocken an die reizenden Winterbälle im Casino und an den Eissport auf Teich und Fluß erinnert, wo selbst dem zaghaftesten Jüngling die mannichfaltigste Gelegenheit geboten ist, sich in unverdächtiger Weise dem Gegenstände seiner geheimen Herzenssehnsucht zu nahen. Für Papa besagt das erste Erscheinen des Schnee's, daß nun die gemüth- lichen Tarokabende mit ihrer angenehmen Beigabe von Grog und Virginias-Knaster wieder nahe sind, während Mama aus dem An blick der ersten Schneeflocken den Schluß zieht, daß es nunmehr an gebracht sei, die herkömmlichen Familienabende zu veranstalten, deren Hauptzweck es ist, die erwachsenen Töchter des Hauses unter die Haube zu bringen. Der erste Schnee erweckt aber auch Gedanken Weniger angenehmer Natur; der arme Teufel sagt sich jetzt, daß die Zeit jenes Martyriums wieder nahe ist, in welcher er stierend und zähneklappernd auf seiner einsamen Dachkammer sitzen muß, höchstens in eine alte Decke gehüllt, da sein schmales Budget die Mehrbelastung mit Ausgaben für Holz und Kohlen nicht vertragen würde; der Handwerksbursche zieht ebenfalls ein grämliches Gesicht, denn seinen zerrissenen Stiefeln und dürftigem Gewände bringen die ersten Schneeflocken keine Beruhigung, und selbst die Spatzen auf den Dächern schauen ziemlich mürrisch darein, sie scheinen ganz genau zu wissen, daß der erste Schneefall — und bestünde er auch in wenig Flocken — auch für sie den Abschluß der guten Tage und den Be ginn jener Zeit bedeutet, in der sie vor den Fenstern mitleidiger Menschen Nahrung suchen müssen. — Indessen, auch für diejenigen, welche dem Eintritt des Winters mit Gleichmuth entgegenschen können, sind die ersten Weißen Vorposten desselben diesmal zu zeitig und überraschend gekommen, denn den October Pflegt man doch als einen Monat zu betrachten, welcher im Allgemeinen ein Einsehen hat, und sich nur dann und wann ein Späßchen mit einem Herbststost erlaubt. Nun, hoffentlich entschädigt er uns noch durch eine Reihe sonniger Tage für den Schreck, den er uns durch den ersten Schnee so eigen mächtiger Weise eingejagt hat; der Winzer wie der Gärtner, und auch der Landmann werden cs dem LZgtvber gewiß nicht übel nehmen, wenn er uns das bischen Wärme und Sonnenschein, das wir von rechtswegen noch zu erwarten haben, nicht vorenthält. Gute Lust ist halbes Leben. Weitaus das wichtigste unter allen Lebensmitteln des Men schen ist die atmosphärische Luft, welche wir athmen und ein kräftiges normales Athmen in reiner, unverdorbener Luft ist für unsere Gesundheit, unser Leben unentbehrlich. Die atmosphärische Hülle, welche unfern Planeten umgiebt, bestekt aus einem innigen Gemenge von 21 Theilen Sauerstoff und 79 Theilen Stickstoff Die Nihilisten. Historische Novelle nach Jules Lavigne von S. With. (Fortsetzung.- Den folgenden Morgen, zur Stunde, wo man in Rußland aufwacht, gegen neun Uhr, klopfte sie an die Thür des Finanz mannes an Falschen, stisirt, rasirt, herausgcputzt, las schon seine Zeitung. Er warf, wie am Vorabend, einen mitleidigen Blick auf Nosimof, der, ganz angekleidet, noch fest schlief, nichts hatte ihn aufgeweckt. .Barine," sagte der Muschick, der ihin als Lakai diente sBarine bedeutet Herr), „eine Dame wünscht Euch zu sprechen „Soll ich sie hereinführen?" „Ist sie jung?" fragte Fritschcn. „Ich weiß es nicht, Banne." „Ist sie hübsch?" „Ich weiß es nicht." „Wie ist sie gekleidet?" „Ich habe es nicht beobachtet." „Bitte sie einzutreten." „Sogleich, Banne." Parlowna trat ein. Mit einem Blicke erkannte sic den auf dem Sopha schlafenden Nosimos. „Was verschafft mir die Ehre . . . ." sagte Flitschen gleich gültig, welchen das Aeußere Parlvwua's und ihr männliches Wesen wenig günstig stimmten. „Ich wünschte mit Ihnen allein zu sprechen," sagte Parlowna in reinem Deutsch. „Nun wohl — so wollen wir hinunter auf mein Bureau gehen." Sie gingen hinab, Nosimof zurücklaffend. Dieses Mal aber wachte er auf und sich mit einem leichten Frösteln schüttelnd wie ein Neufundländer der noch verschlafen ist, streckte und dehnte er sich ringsum blickend; ohne sich weiter zu verwundern, ging er Parlowna und Fritschcn hinunter nach. Dieser, im Begriff in sein Kabinet zu treten, drehte sich um. „Nun, Prinz, haben Sie gut geschlafen?" „Wie ein Mnrmelthier, ich danke Ihnen, ich gehe jetzt nach Hause." „Vergessen Sie unsere Bedingungen nichtI" „O, fürchten Sie nichts!" Parlowna betrachtete Fritschcn von der Seite, welcher übrigens von der Sorte Schwätzer war, die Alles sagen, ohne darum gebeten zu sein. „Dies ist der Prinz Nosimof, mein intimster Freund. Ein wenig leichtsinnig, unbedacht, aber die personifizirte Tapferkeit und Ehrenhastigleit. Gestern haben wir bis in die späte Nacht zu sammen gespielt." Indun er die Thür seines Kabinets zumachtc, sagte er: „Jetzt sind wir allein. Was wünschen Sie?" „Ihnen von der Gräfin Stasia zu sprechen!" ,^st es möglich?" und von diesen beiden Luftarten kann man den Sauerstoff als die wahre Lebenslust bezeichnen, denn der Sauerstoff, welchen wir bei jedem Luftzug einathmeu, bedingt und unterhält das Leben und zerstört nach dessen Aufhören die organischen Formen. Je mehr daher eine Luft Sauerstoff enthält, mit desto größerem Rechte können wir sie als rein und unverdorben bezeichnen, — leider ent- hält aber die Luft, in welcher wir leben und unS bewegen, nur zu oft große Mengen schädlicher Beimischungen, als organischer und unorganischer Staub, Kohlenoxydgas, Schwefelwasserstoff Ammoniak und andere Substanzen, welche in die Lungen und ttzeilweise in das Blut übergehen und dadurch der Gesundheit ganz bedeutend schaden. Wir haben deshalb die Pflicht, uns täg. lich mit kräftigen Athemzügen der freien atmosphärischen Luft auszusetzen und, wenn wir durch Beruf und Häuslichkeit dazu veranlaßt werden, uns in geschloffenen Räumen aufzuhalten, doch immer in unseren Wohnzimmern und Schlasräumen für reine und unverdorbene Luft zu sorgen. Aber freilich, gerade in letzterer Beziehung wird so unendlich viel gesündigt, theils aus Bequem lichkeit, Geiz, Leichtsinn, theilS aus — Noth und dieses letztere gilt gerade für die so zahlreiche ärmere Bevölkerungsklasse. Wer einmal Gelegenheit gehabt hat, aus der belebenden Frische der freien Nacht- oder Morgenluft in irgend ein beliebiges Schlaf zimmer des „Volkes" einzutreten und die Duftgemenge der schlafen den Menschen einzuschlürsen, der erhält dann einen Begriff davon, in welcher Atmosphäre der größte Theil unseres Volkes.athmet. Fünf, sechs und noch mehr Personen liegen da in einem Raume neben einander, welcher kaum genügen würde, um zwei Menschen Luft in hinlänglicher Weise zuzusühren und welche Luft dann in einem solchen Schlafzimmer schon während der ersten Hälfte der Nacht entsteht, kann sich Jeder denken. Nun sind unsere socialen Zustände allerdings nicht darnach angethan, daß sich die Angehörigen der ärmeren Bevölkerungs- klessen das Schlafen in hohen und luftigen Räumen gestatten könnten, ist dies doch manchen besser situirtcn Familien nicht ein mal möglich, aber für den Zutritt der frischen Nachtluft kann man auch in dem engsten Schlafzimmer sorgen. Hier steckt in dessen gerade der Haken, hier stoßen wir auf den Widerstand der Bevölkerung selbst, denn es ist ein nicht nur in den untern, sondern auch in den sogenannten besseren Ständen allgemein verbreiteter Glaube, daß die von außen in das Schlafzimmer eindringende Nachtluft den Schläfern schädlich sei. Dieser Wahn, daß eine eingesperrte und sauerstoffarme, stinkende, mit Kohlensäure und übelriechenden Gasen erfüllte Nachtluft gesünder und heilsamer als die reine, äußere Nachtatmosphäre sei, ist schier unausrottbar und doch gilt es, schon im Interesse des Heranwachsenden Geschlechtes immer wieder gegen diesen Köhlerglauben anzukämpfen. Wer sich wirklich vor dem frischen Lufizuge von draußen fürchtet» der mag vor dem geöffneten Fenster den Vorhang herunterlassen, aber Hauptsache ist es, die Fenster der Schlafzimmer zu öffnen, damit die frische hereinströmende Nachtlufr die unreine Schlafzimmerluft binaustreibt; daß man dabei auch tagsüber die Schlafzimmer fleißig zu lüften hat, erscheint fast selbstverständlich und trotzdem werden auch hier nur allzu häufig Unterlassungssünden begangen. Wenden wir uns nun zu den Wohnräumen, so gilt auch hier die Mahnung, durch stetes Zuführen frischer Luft, also des uothwendigen Sauerstoffes, die sich durch daS Ausathmen der Menschen und Thiere ansammclnde Kohlensäure zu verdünnen. Im Sommer ist dieses ja sehr einfach dadurch zu erreichen, daß man die Fenster, besonders des Vormittags, offen läßt und an ungewöhnlich heißen Tagen auch die Thüren öffnet, tm Winter aber, wo doch Jeder ein warmes Grübchen liebt und Thüren und Fenster mögl'chst zuhält, gestaltet sich die Sache etwas schwieriger, such läßt sich auch in diesem Falle manches zur Beschaffung besserer Lust thun. E n gut ziehender Windoken ist in uniereu „Gewiß, ich kam nur deshalb." „Und sagen Sie mir — entschuldigen Sie, wenn ich so frage — kommen Sie im Aufträge der Gräfin?" „Mit Nichten. Die Gräfin weiß nicht und wird es wahrscheinlich auch nie erfahren, daß ich hierher gekommen bin." „Es ist eigen .... dieser Schritt. Sagen Sie mir wenigstens, wer Sie sind." „Ich bin eine intime Freundin der Gräfin, ich weiß, daß Sie dieselbe lieben; ich weiß, daß der Prinz Nosimof sie auch liebt, ich weiß, daß noch Andere Sie lieben. Ich gab der Gräfin Stasia deutschen Unterricht, sic hat das größte Zutrauen zu mir. Von Allen, die nach ihrer Hand, ihrem Vermögen streben, scheinen Sie mir, wenn nicht der Würdigste, doch der Aufrichtigste. Ich kann Ihnen nützlich sein." „Ich versteh«, versiehe," sagte Fritschcn verlegen. Er wurde es stets, wenn er irgend welche Ansprüche an seinen Geldbeutel befürchtete. „Ich verstehe . . . ." Und eine Miene tiefen Nachdenkens annehmend, überlegte er wirklich die Situation. Noch nie hatte er so viel an Stasia gedacht, als in de» letzten vicrundzwanzig Stunden. Alles schien darauf hin zuwirke», ihn dem jugendlich schönen Bilde seiner Träume näher zu bringen. Diese Lehrerin, war sie ihm nicht durch den Zufall zugeführt? Und Fritschcn, gewohnt zu spckulircn, fand es nicht auffallend, daß olle diese Konjunkturen mit einem gehcimnißvollcn Schutz, der über seinem Sch ckjal waltete, zusammcnhingen. „Wie heißen Sic?" fragte er nach einiger Zeit. „Parlowna." „Sie sind Nihilistin . . . ." „Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen." „Ich glaube," sagte Fritschen verlegen, „nach Ihrem Wesen, Ihrem Auftreten . . . ." „Bitte, verstricken Sie sich nicht. Ich kann Ihnen dienen und komme, um Sie zu fragen, ob Sie meine Dienste annehmen wollen. Sollte Letzteres der Fall sein, so handelt cs sich dämm, den Preis scstzusctzen. Ich bin arm und verlassen. Ich sage es Ihnen im Voraus, ich verfahre sehr offenherzig. So sprechen auch Sie ohne Umschweife, denn wenn Sie mich auch jetzt erst kennen lernen, so kenne ich Sie doch schon seit langer Zeit." „Nun wohl, lassen Sie mir Ihre Adresse und wenn ich nach gedacht haben werde . . ." „Nein, nein, Sie müssen sich gleich entschließen. Uebrigens hör.-n Sie, was ich Ihnen Vorschläge: Sie eröffnen mir einen Kredit; wenn ich ihn mißbrauche, wird es immer Zeit sein, ihn auf- zuhcbcn. Ich sehe die Gräfin täglich. Morgen schon werden Sie bemerken, daß ich für Sie thätig war." Fritschcn fiel wie aus den Wolken; diese knappe Art, Geschäfte zu behandeln, setzte ihn in Erstaunen. „Vorerst," sagte Parlowna, „hier ist eine Photographie der Gräfin, ich verlange tausend Rubel dafür." Winterzimmern immer ein ausreichender Luftverbefferer, der ver dorbene Luft abführt, während die Fenster und Thüren durch ihre Ritzen immer kalte, frische Luft eindringen lassen; dennoch ver säume man nicht, jeden Morgen und auch des Tages über nach Bedürfniß durch Oeffnen des Fensters zu lüften. Nie soll man dabei die körperliche Bewegung im Freien vernachlässigen, selbst im Winter nicht, denn sehr richtig sagt ein namhafter ärztlicher Physiker: .Frische Luft im Freien ist Quellwasser, HauSluft ist Cloakenwasser l" Täglich sollte Jeder mindestens eine Stunde spazieren gehen, die regelmäßige Fortsetzung dieses Luftbades ist von vortheilhastester Wirkung auf daS gesammte Befinden Schwimmen und namentlich längere Fußwanderungen im Sommer' Schlittschuhlaufen im Winter sind ebenso ausgezeichnete Mittel, um' den Stoffwechsel im Freien zu beschleunigen und alle Funktionen des Organismus zu fördern. Wie steht es nun mit der Luft in solchen Räumen, in denen sich eine größere Anzahl von Menschen zusammenzudränqen Pflegt, wie Schulzimmer, Concertsäle, Theater u. s. w.? Es ist klar, daß sich hier durch das Ausathmen vieler Menschen eine ganz besonders große Menge von Kohlensäure ansammelt, welche noch durch die zahlreichen Gasflammen und anderen Lichter, welche ja alle auch Kohlensäure ausströmen, vermehrt wird, und daß hier durch in allen Versammlungsräumen eine sehr schlechte Lust erzeugt wird, liegt ebenfalls auf der Hand. In den letzten Jahrzehnten ist auf diesem Gebiete anerkennenswerther Weise Vieles geschehen, um die Ventilation der Lust zu erleichtern und zu regeln, aber es giebt auch hier noch so Manches zu moniren, ganz besonders mas die Dorfschulen in ärmeren Gemeinden anbelangt, wo beim Bau eines neuen Schulhauses ängstlich jede.unnöthige Ausgabe" gespart wird und hierbei natürlich auch die einfachste» Venti« latwiisvorrichtungen unterlassen werden, wie wir aus unser» Schul-Erinnerungen bezeugen können. In vielen Bauernstuben hat man in den Fenstern Lufträdchen als eine sehr einfache und zweckmäßige Ventilations-Vorrichtung und doch fehlen dieselben noch in vielen Schulhäusern und wären auch in so manchem Con- certsaal durchaus angebracht. Dasselbe wäre auch von Kranken- und Arbeitssälen zu sagen, obwohl auch hier durch sanitätspolizei liche Bestimmungen im allgemeinen für gute Ventilation gesorgt worden ist. Die abscheulichste Luft waltet jedoch ohne Frage in den Kneip- und Bierlokalen vor und daS ist auch wahrlich kein Wunder, denn wieviel Menschen pressen und drängen sich hier nicht womöglich schon vom Vormittag an bis in die späte Nacht hinein zusammen und wie wird da nicht die ohnehin schon so beklemmende Luft durch die Ausströmungen der Gasflammen, durch den Tobaks qualm und verschiedene andere kaum zu qualificirende Gerüche noch mehr verschlechtert! Und in dieser verpesteten Luft Abends ousharren, dies ist nicht nur eine „Erholung" für die Arbeiter, sondern auch für die Angehörigen der mittleren und Höheren stände und selbst das zarte Geschlecht nimmt an dieser Art von Erholung Theil — und dies nicht allzu selten. Freilich, es ist die Stimme eines Predigers in der Wüste, die hier ertönt, aber ausgesprochen muß es werden, daß gerade die Luft in den Schank localen die — allerdings freiwillig gesuchte Quelle zahlloser Er krankungen und Körperschwächen ist. In Summa — verdorbene und verfälschte Lebensmittel sind mit Recht verboten, aber insgesammt haben dieselben schwerlich so viel Unheil angerichtet, so viele Krankheiten und dauernde Kränklichkeiten verursacht, als verdorbene Luft; vielleicht, daß o,eje Zeilen ein Scherflein mit zu der Erkenntniß beitragen, daß ^verkümmerte Athemluft ein Nahrungs- und zugleich Genuß- mittel ersten Ranges ist, das Jeder rein und unverfälscht zu sich .»ehmen sollte. „Tausend Rubel!" „Nicht eine Kopeke weniger. Entweder find Sie verliebt, oder Sie sind es nicht!" „Entschieden," sagte Fritschen, „sind Abenteuer meine Bestim mung." Und da sein Herz nie so stark geschlagen hatte, die neue Welt, in die er glaubte eintreten zu können, ihm ungeahnte Aussichten «öffnete, griff er nach seiner Brieftasche, gab Parlowna einen Wechsel und stieß einen Seufzer aus. „Haben Sie bedacht," sagte alsdann Parlowna, „daß, wenn Sie die Gräfin geheirathet haben werden und diese erfahren wird, wie hoch Sie ihre Photographie gekauft haben, sie Sie ganz närrisch lieben wird?" Fritschen erröthete wie ein Kind, wie ein Schulknabe. „O, die Liebe," fügte Parlowna bei, ist ein großer Meister, der allergrößte. Ich bin seit einer Viertelstunde hier, Sie glauben Alle-, was ich sage, geben mir tausend Rubel für ein Bildchen; wenn ich wollte, zu wie viel Thorheiten könnte ich Sie veranlassen!" Fritschen schien zu erschrecken, die Lehrerin fuhr fort: „Aber fürchten Sie nichts. Zwischen uns ist es auf Leben und Tod. Nach einiger Zeit werde ich Ihnen ein Zeichen geben, dann können Sie mir sagen, ob ich gut gearbeitet habe." Und Parlowna, glücklich über ihren Gewinn, unwillkürlich stolz auf sich selbst, den Erfolg ihrer Absichten sehend, empfahl sich nach diesen Schlußworten. Fritschen, allein geblieben, überließ sich seinen Träumereien, und wer ihn einige Zeit nachher hätte beobachten können, würde gesehen haben, wie er mit Entzücken die Photographie Stasia's küßte, als ob sie selbst ihm dieselbe gegeben. Unterdessen eilte Parlowna, die Nihilisten aufzusuchen. Sie ging mit Windesschnelle. An der Ecke des Palastes des Czarowitz stieß sie mit Ribowski zusammen. „Bitte um Entschuldigung, Sie legen ja zehn Meilen in einer Stunde zurück. Wo eilen Sie mit solchen Schritten hin?" „Nach dem Wasili Ostrow-Ouartiere." „Um mit den Freunden zu frühstücken?" „Ja." „Da bin ich auch dabei," sagte Ribowski. „Wir wollen den Omnibus benützen." Wirklich fuhr eben ein ungeheuer großer Wagen, mit Leichtigkeit hundert Personen fassend, vorüber. Die Reisenden waren nach ameri kanischer Art untergebracht, das heißt überall, sie hingen wie Trauben an der Treppe, der impöriulo: die Tritte, vorn, hinten, Alles war besetzt, diese schwere Maschine defekt, schmutzig, ächzte in ihren Achsen. Eigenthümlicherweise las man im Innern: Charing Croß! Die Londoner Omnibusse, wenn sie in England unbrauchbar geworden sind, dienen noch in Petersburg. Ribowski nahm i» dem Wagen ei» höchst anständiges Benehmen an, er kreuzte die Hände über den Leib und schloß die Augen. E* isolirte sich dadurch von der bürgerlichen Gesellschaft, deren Berührung er genöthigt war zu ertragen.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)