Sammlung der verstreuten Mitteilungen aus aller Welt zu dem Ergebnis, „daß keine der Kulturperioden bis Ende des 1. Jahrtausends n. u. Z. gänzlich ohne den Nachweis von Störungen des Stoffwechsels im Stützgewebe blieb, die oft genug den Verdacht einer Rachitis erweckten“. Soweit überhaupt eindeutig diagnostizierbar, hat die Ra chitis jedoch anscheinend kaum eine nennenswerte Bedeutung besessen.274 Allerdings deutet sich schon weit vor dem Einsetzen der industriellen Revolution bereits im europäischen Früh- und Hochmittelalter eine leichte Zunahme der Rachitis-Hinweise an. 27a Auch in Schirmenitz mangelt es an unwiderlegbaren Zeugnissen für Rachitis. Dennoch sollte sie gerade hier nicht a priori ausgeschlossen werden, nur weil es sich um eine Landbevölkerung gehandelt hat. Allein die Resorptionsstörungen im Gefolge des mit Sicherheit bestehenden chronischen Eiweißmangels dürften des öfteren zu einem Vi- tamin-D-Defizit geführt haben, das seinerseits über den geänderten Mineralhaushalt des Blutes die bekannten rachitischen Störungen der Knorpelverknöcherung und des Knochenwachstums ausgelöst hat. 274 275 Der für die Neuzeit als Ursache meist an erster Stelle genannte Mangel an UV-Strahlung mag diesen Mechanismus jahreszeitlich (Aufenthalt in lichtarmen Wohnungen) bzw. jahreweise (sonnenscheinarme Jahre mit Mißernten usw.) verstärkt haben. 276 Die Möglichkeiten, rachitische Symptome an archäologischem Skelettmaterial festzu stellen, sind allerdings begrenzt. Da die diagnostisch eindeutigeren Veränderungen der floriden Rachitis beim Kleinkind im Boden kaum Spuren hinterlassen (ganz abgesehen von der Überlieferung kleinkindlicher Skelette überhaupt), sind meist nur die weniger spezifischen Folgen der Spätrachitis (Rachitis tarda), besonders Defor mierungen der Langknochen, faßbar. 277 Von den für Rachitis in Anspruch genom menen Merkmalen 278 sind in Schirmenitz trotz der denkbar ungünstigen Quellenlage immerhin einige bei drei Individuen belegt. Die spätadulte Frau aus Grab 4 besaß anscheinend o-förmig deformierte Beine. Jedenfalls sind das beurteilbare linke Femur (Abweichung von der Mittelachse ca. 25 mm) und die stark beschädigte rechte Tibia säbelförmig im wesentlichen nach vorn, die Fibulae (Abweichung mindestens 15 mm) dagegen eher nach medial verbogen (Abb. 36,3,4). Eigenartigerweise läßt die linke Tibia eine solche Deformierung nicht erkennen. Die erhaltene linke Ulna fällt durch ihren ungewöhnlichen S-Schwung auf. 279 Nach vorn vorgewölbt war offenbar auch das linke Schienbein der jung verstorbenen Frau aus Grab 3; das rechte ist wieder 274 Vgl. H. Grimm 1972 b; ferner ders. 1972 c; d c r s. 1972 d (S. 14 Zitat); L. Vyh- n ä n c k 1974, S. 378. 274aVgl. C. Wells 1965, S. 117; ders. 1975, S. 753 f. 275 Vgl. z. B. P. Deäk 1966, S. 71 ff.; C. Oren di 1968, S. 35 ff.; F. Heuck 1976, S. 56 f. 276 Zur Konstruktion der Häuser vgl. P. Donat 1980, S. 26 ff., zur Frequenz von Mißernten vgl. S. 271 ff.; vgl. dazu C. Wells 1975, S. 752 f. 277 Diese stehen nach H. Grimm 1972 b, S. 100, Tab. 2, neben Schädelanomalien mit Ab stand an der Spitze der diagnostischen Kriterien. 278 Vgl. H Grimm 1972 b, S. 88 f. 279 Sie läßt sich gut mit dem ältesten Hinweis auf Rachitis im Elbsaalcgebiet aus einem neolithischen Grab von Rössen vergleichen; vgl. H. Grimm 1972 b, S. 91, Abb. 2.