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«Schftscher LanveS.Anzeiger. Nr. II. Sonnabend, 14. Januar 1888. I« der Saide hat Frankreich also verloren und nur formell gewon nen, indem jene bisher unbeachtet gebliebene Erklärung fortfällt. Die Convention über den Suezkanal würde allerdings einigen Gewinn für Frankreich bedeuten; jetzt aber wird erst bekannt, daß eine Verein barung besteht, nach welcher die Bestimmungen der Convention nicht durchgrführt werden sollen, wenn sie ihrer Natur nach geeignet wäre», die englische Regierung an der Erfüllung der durch die Besetzung Egyptens übernommenen Verpflichtungen zu behindern. Selbstver ständlich kann Niemand anders als die englische Regierung selbst bestimmen, waS ihrer Thätigkeit in Egypten hinderlich werden kann, und da auch schließlich die Besetzung selbst zeitlich nicht begrenzt ist, so führt sich der Werth der Suezkanal-Convention aus einen zweifel haften moralischen Erfolg der französischen Diplomatie zurück, Wohl nur dazu bestimmt, deren Ansehen im Orient einigermaßen zu hebe». Italien. Die Kammern treten am 18. Januar in Rom zu sammen. — Das italienische Expeditionskorps, welches z»m Empfang der Abessynier bei Saati eine befestigte Aufstellung genommen hat, besteht auS 12,000 Mann und 50 Geschützen. Die Truppcnmacht deS Negus soll 75,000 Mann und 40 Geschütze stark sein. Ras Alula muntert seinen Herrn zum Angriff auf die Italiener auf, der König hat aber immer noch keine rechte Lust. — Der römische Ge meinderath hielt zum ersten Male nach der Absetzung des Bürger meisters, Herzogs Tvrlonia, auf dem Capitol eine Sitzung ab. Es War eine Demonstration für den Geinaßregelten geplant, sie unter blieb aber auf Zureden des stellvertretenden Bürgermeisters. England. Die „Times" läßt sich telegraphiren, die Türkei hätte sich auf Ansuchen der Großmächte bereit erklärt, den Prinzen von Coburg aufzufvrdern, Sofia zu verlassen. Eine anderweitige Bestätigung der jedenfalls verfrühten Nachricht liegt noch nicht vvr. Nachrichten der „Times" aus Sofia melden, der Kriegsrath hätte beschlossen, das Land gegen jede Executionsarmce, möge sie kommen, woher sie wolle, zu vertheidigcn. — Lord Salisbury hielt in Live» Pool vor einer großen Versammlung eine Rede über die irische Politik der Regierung, die er energisch vertheidigte. Entschieden sprach er gegen jede Sonderstellung Irlands. - Rußland. Das „Petersburger Journal" spricht sein Bedauern über den Putsch von Burgas aus und sagt, leider zögen Verletzungen deS Rechts andere Rechtsbrüche nach sich. Durch dergleichen Hand streiche könne die bulgarische Frage nicht in eine gesetzliche Bahn ge leitet werden, was aber doch im Interesse des Landes und der all gemeinen Ruhe geschehen müsse. Die russische Regierung sollte nur den Aufrührern kein Geld mehr geben, dann würden die Putsche schon von selbst aufhören. — Das neue russische Budget beträgt 851 Mil lionen Rubel. Der dazu gehörige Bericht des Finanzministers betont besonders, daß der Militärctat nicht vergrößert, sondern verringert worden sei. Man dürfe hoffen, daß diese Thatsache, indem sie einen neuen Beweis für die aufrichtige Friedensliebe der ruffischen Regier ung gebe, dazu beitragen werde, der Friedenspolitik des russischen Kaisers zum Siege zu verhelfen. Das klingt nun wieder einmal, als ob Deutschland und Oesterreich durchaus den Krieg wollten. — Bezüglich des neu entdeckten Attcntatsplaues wird gemeldet, daß die ganze Verschwörung durch die Hände eines Beamten der Bahnlinie Gatschina-Petersburg ging. Der Mann machte sich dadurch verdächtig, daß er aufs Genaueste die Reisepläne des Zaren nach Petersburg berichtete, eine darauf vorgcnommene Haussuchung führte dann zur Entdeckung des Komplotts. Orient. Wie der „Köln. Ztg." aus Sofia bestätigt wird, sind die Leichen Nabokow's und des bekannten „freien Kosacken" Aschinow in der Nähe der türkisch-bulgarischen Grenze aufgefunden worden Wahrscheinlich haben die Beiden unter den Knüppeln ergrimmter -v«»ruul,,uic. ouiirr» lyr Leven ausgcyaucyr. Hciuplincinn Nabokow gehört zu jenen russischen Offizieren, welche durch die Entwicklung der bulgarischen Verhältnisse einer ruhigen militärischen Thätigkeit entrisse» und in das wechselvolle Dasein eines Unruhestifters und Verschwörers hineingeschlcudert wurden. Bis zum Staatsstreich von Philippvpel hatte er als Drillmeister im ostrumelischen Heere gedient; mit den anderen russischen Offizieren abberufen, lungerte er nun Monate lang am Strande von Burgas umher und spähte nach einer Gelegenheit, dem Zaren als Verschwörer zu dienen. Die Gelegenheit erschien, als Fürst Alexander für den 21. Mai 1866 seinen Besuch in Burgas angckündigt hatte. Aber die sorgsam vorbereitete Ver schwörung wurde von dein Bauer Michailow verrathen. Noch ein mal erschien Nabokow in Burgas, als der Sturz des Fürsten Alexander nicht den erwarteten Umschwung brachte. In der Nacht vom 3. zum 4. November 1886 überrumpelte er die Stadt und brachte dieselbe auf 36 Stunden in seine Gewalt, allein die an rückenden bulgarischen Truppen machten seiner Herrlichkeit bald ein Ende. Er wurde gefangen und zum Tode verurtheilt, aber au' Drängen Rußlands ließ man ihn laufen, nachdem er versprochen hatte, nichts mehr gegen Bulgarien zu unternehmen. Anfangs dieses Monats versuchte er dann abermals einen Putsch, der aber völlig mißlang. Auf der Flucht hat er dann seinen verdienten Lohn gr ünden. — Der Botschafter Shakir Pascha machte der Türkei die Mittheilung, Deutschland habe-in Petersburg erklären lassen, es halte die türkische Besetzung Ostrumeliens so lange für nicht gerechtfertigt, als nicht ernstliche Ruhestörungen daselbst stattfinden. Aus Philippopcl wird berichtet, an verschiedenen Orten seien verkappte russische Agenten estgenommcn, die durch Geldvertheilung vstrumelische Bauern aufzu- tacheln versuchten. Vom sächsischen Landtag. Die II. Kammer hielt am 12. Januar eine nur kurze Sitzung ab. Es standen vier in den letzten Tagen cingegangene Dekrete zur Vorberathung. Ohne Debatte wurde das Dekret über die Rechte der Landes-Jrrenanstalten am Nachlasse der darin Verstorbenen der Gesetzgebungsdeputation überwiesen. Zu den beiden Dekreten über die Ergebnisse der Alter srentenbanl und einen hieraus resultirenden Nachtrag zu dem Gesetze über die veränderte Einrichtung der Altersrentcnbank vom 2. Januar 1879, welcher an die Recheuschaftsdcputation verwiesen wurde, konstatirt Abg. Grahl die erfreuliche Entwickelung des Instituts auf Grund der Zunahme der Einlagen. Leider sei trotzdem in den letzten 4 Jahren nur ein Gewinn von 56,190 M. erzielt worden, während die Kosten 237,000 M. betragen; es sei ein effektiver Verlust von 107,621 M. vorhanden. Die Ursache sei in der falschen Ausstellung der Sterb- lichkeitstabclle zu suchen, deren Unterschiede gegen die der Kaiser- Wilhelmspende her Redner hervorhebt. Ins Gewicht falle auch das Sinken des Zinsfußes. Wenn die Bank bei dem jetzigen Verfahren Schaden erleide, so solle man zu den früheren Bestimmungen zurück kehren und die Grenze des Eintritts in die Altersversorgung an' 64 Jahre festsetzen. Regierungskommissar Geh. Rath Meusel eiw gegnet, daß die Regierung der Ansicht sei, zu diesem Radikalmittel nur im äußersten Falle greifen zu sollen. Die Regierung habe des halb nach einem Ausweg gesucht und das im Dekret nicdcrgelegte Mittel gefunden, welches gestatte, im höheren Alter noch Renten zu erwerbe», und zugleich die Staatskasse vor Verlusten schütze. Die älteren Personen von der Versicherung ganz auszuschließcn, habe die Regierung Bedenken getragen. Ohne Debatte ward schließlich der gleichfalls bereits mitgetheilte Gesetzentwurf wegen einiger Abände rungen der Verfassungsurkunde an die Gesetzgebungs-Deputation verwiesen. In der Sitzung der I. Kamminer am 11. Januar stand der Etat der kgl. Sammlungen für Kunst und Wissenschaft zur Verhand lung. Die Kammer genehmigte denselben. Weiter erstattete Senats präsident Dcgner Bericht über den Gesetzentwurf betreffs der Zustell ung und Bestellung von Schriftstücken in Angelegenheiten der nicht streitigen Rechtspflege. Debattelos wird der Entwurf nach den Vor schlägen der Deputation angenommen. VI. Verurtheilt. Zwölf ehrenhafte Männer, eingeschworen, nach bestem Wissen und Gewisse» das Urtheil über den des Mordes a» Stella Naimvnde angeklagten Richard Banmark zu sprechen, hatten den Angeklagten für schuldig bcsundcn und der Vorsitzende Richter hatte, wie cs das Gesetz vorschreibt, das Urtheil verkündet. Die Gerichtsverhandlung war damit zu Ende und die Ge- fängnißbeamten näherte» sich dem Bcrurthcilten, ihn »ach denTombs zurückzuführc». „Richard! Richard!" rief Graceaus, währenMch, ihr unbewußt ihre Auge» mit Thränen füllten. „Sei stark, mein Lieb!" ermunterte er sie mit klarer, fester Stimme. „Und jetzt laß »ns von einander scheiden. Die Beamten warten ans mich." Die Beamten legten ihre Hände auf seine Arme. Grace wankte, als ob sie zu Boden fallen wurde. „Spaird, Spaird," rief Richard dem Advokaten zu. „Sehen Sie nach ihr!" Spaird eilte herzu und sing Grace in seinen Arme» auf. Ihre Augen schlossen sich und die Besinnung verließ sic. Der Verurtheilte warf noch einen langen Blick voll unendlicher Zärtlichkeit aus das liebliche, jetzt so bleiche Gesicht Graccs und wendete sich dann zu den Gefängnißbcaniten: „Lassen Sie uns schnell gehen, bevor sie wieder zu sich kommt!" Die Beamten führten ihn durch die gaffende Menge nach dem Wagen, der ihn hergebracht und der ihn nun wieder in das Gefäng- niß zurücksührte. Als Richard Banmark seine Zelle betreten hatte, stand er einen Augenblick still, dann sank er ans den Stuhl nieder, der an der Wand stand, und vergrub sein Gesicht in die Hände. Einige Minuten verharrte er so wie geistesabwesend. * * * Man vergegenwärtige sich die ganze Entsetzlichkeit seiner Lage. Er, der vollkommen schuldlos, war zu einem schimpflichen Tode ver urtheilt. Es ist wahr, er hatte von allem Anfang gesehen, wie starke und belastende Verdachtsgründe gegen ihn Vorlagen, aber die Hoff nung ist so fest in des Menschen Herz eingcpflanzt, daß er niemals ernstlich den Gedanken, man könne ihn schuldig finden, in Erwägung gezogen halte. Nun war ec verurtheilt. Doch nur für einige Minute» ließ er sich von den Schrecknissen seiner Lage überwältigen. Dann ermannte er sich, er erhob sich als ein Mann, der fest entschlossen ist, was immer das Schicksal ihm auferlegen würde, mit männlicher Fassung zu ertragen. Sächsisches. — Dresden, 12. Jan. Der hiesige Conservative Verein wird am 16. Januar, dem Tage der Neuerrichtnug des Deutschen Reiches, eine volksthümliche Feier im größeren Stile im Ge- wcrbchause abhalten. Die Fest-Ansprache hält Herr Consistorialrath Or. Dibelius. Der Dresdner Männer-Gesang'crein hat den gesang lichen Thcil des Abends übernommen. — Eine hier wohnhafte, seit einiger Zeit schon schwermüthige Frau entfernte sich am Mittwoch Abend 6 Uhr von ihren 2 kleinen Kindern. Alle Nachforschung«» waren visyer vergevucy. — Nachdem vor Kurzem mehrere tschechische Handwerksgesellen ausgewiesen worden sind, weil sie sich sozialdemo kratischer Umtriebe schuldig gemacht hatten, ist jetzt auch ein kroati scher Schneider, Namens Jaklenetz, seitens der Kgl. Amtshaupt mannschaft Neustadt-Dresden aus Sachsen ausgewiesen worden. — In dem sächsischen Kloster Marienthal bei Ostritz (Ober lausitz) fand am 10. Januar eine besondere Feierlichkeit statt, indem 3 Novizinnen, gebürtig ans Ostritz, Schirgiswalde und Hainspach i. B., vor dem Propst des Klosters Marienstern, Herrn Albcricus Hecht, und der Frau Abbatissin den Profeß ablegten, womit sie der Welt und ihren Freuden auf immer entsagen. (Des Menschen Wille ist sein Himmelreich!) — In Lungkwitz bei Kreischa brannte in der Nacht zum 12. Januar das Walther'sche Gut vollständig nieder. Die Kühe kamen um und nur mit Mühe gelang cs der Kreischa'er Feuerwehr, die Pferde zu retten. — Altgersdorf. Am Sonntag traf hier die telegraphische Nachricht ein, daß Herr ocrirä. tlraoi. Hoffman», Sohn des Fabri kanten August Hvfsmann hier, welcher sich gegenwärtig auf einer Reise durch Nordafrika nach Jerusalem befindet, in Tunis ver hastet sei. Der junge Mann hatte am Strande gezeichnet und Notizen gemacht und war dabei von den Franzosen beobachtet, als Spion angesehen und festgenommen worden. Die reichlichen Geld mittel, welche der junge Mann bei sich führte, bestärkten nur den Verdacht. Von Seiten der Eltern des Verhafteten wurden schleunigst Schritte bei der französischen Botschaft unternommen, um die Frei lassung des selbstverständlich unschuldigerweise Verhafteten herbeizu- sühren. — Nach einer weiteren Meldung ist die Enthaftung de- jungen Mannes auch bereits erfolgt. — Leipzig, 13. Jan. Die gestern Abend zur Förderung der freiwilligen Krankenpflege abgehaltene allgemeine Studenten- Versammlung war sehr zahlreich besucht. Das Präsidium führte der Rector magnificus. Der Hauptvortrag von Criegern über: „Die Ziele und Aufgaben der freiwilligen Krankenpflege mit besonderer Berücksichtigung der freiwilligen Krankenpfleger" fand lebhaften Bei fall. Der Rector sprach seinen Dank aus. Pastor Ziemser sprach über einen Abriß der Geschichte der sächsischen Felddiaconie. Viele Professoren waren anwesend. — Die des Mordes der Messinger'schcn Eheleute in Lindenthal dringend verdächtige Dienstperson Agnes Baier ist von dem Untersuchungsrichter bisher vielfach verhört worden, ohne daß dieselbe ein Geständniß abgelegt hat, noch über führt worden ist. In neuester Zeit hat man Blutflecken an einem Unterkleid der Baier gefunden, die chemisch untersucht werden sollen, um möglicherweise ihren Ursprung festzustellen. — Von dem flüchtigen Bankdirector Winkelmann fehlt »och immer jede sichere Spur und die Annahme erscheint gerechtfertigt, daß sich derselbe außerhalb der Möglichkeit der Festnahme befindet. Inzwischen nimmt die Ab wickelung der Geschäfte der Disc onto-Gesell schüft im Concurs ihren weiteren Verlauf und mit Spannung sieht man in den ge schäftlichen Kreisen dem Termin am kommenden 27. Januar entgegen, denn an diesem Tage wird beschlossen werden, ob gegen den Auf sichtsrath gerichtlich vorzugehcn ist oder nicht. — Oschatz. Auf Wunsch des am 5. Januar hier verstorbenen Frl. Valz hat die Erbin des Nachlasses derselben, Frau Fabrikant Ficker-Zschopau, der hiesige» Stadtgcmcinde 9000 M. überwiesen. Von der genannten Summe sind 3000 M. sür das Fricdrich-August- Stjft (Versorgungsanstalt für ältere Frauen und Männer), 3000 M. für die Verschönerung der Stadt und 3000 M. für ein neues Stadt krankenhaus bestimmt. — Großenhain. In der durch Dampskraft betriebenen Feilcnschleifcrei von Hönicke u. Thiele zersprang ein 2,30 Meter im Durchmesser haltender 30 Centimeter starker Schleifstein in vier gleiche Theile und wurde durch einen dieser Theile der am Steine beschäf tigte Feilenschleiser Ihle ans der Stelle getödtet. Ein Theil zersprang in weitere drei Stücke, die alle bis auf den Hof des Grundstücks getrieben wurden. Der Stein war erst vor einigen Tagen eingestellt und erst gestern in Betrieb genommen worden. Er hatte ein Gewicht von nahezu 60 Centnern. — Für den Umbau des Bahnhofs in Aue enthält der diesjährige Etat des Staatshaushalts eine außerordentliche Forderung von 300,000 M. Die Finanzdeputation L. der II. Kammer beantragt die Genehmigung dieser Forderung. — Wildenfels, 11. Januar. Gestern während der Mittags zeit ging der Fabrikarbeiter Wappler von Langenbach in die hiesige gräfl. Solmsffche Waldung, um sich einen dürren Baum abzuhacken, wurde jedoch von dem Waldarbeiter Voigt aus Hartenstein dabei ge troffen und kam es zwischen Beiden zu Thätlichkeiten, wobei der Waldarbeiter Voigt den Elfteren mit einem Beil in den Arm hackte, so daß der Verletzte in das Hartensteiner Krankenhaus gebracht werden mußte. I,—. Steinach b. Reitzenhain. Ans Steinbacher Forstrevier verunglückte am 11. Januar der Hausbesitzer und Waldarbeiter Wil helm Günther aus Steinbach, indem ihn ein fallender Baum traf und sofort tödtete. — Ein ruchloser Bahnfrevcl wurde auf der Mülsen grund-Bahn verübt. Bei der Haltestelle Thurm, wo ca. 6 Min. Aufenthalt ist, war von einem böswilligen Subject ein Stück Schmiede eisen an den Rädern des letzten Wagens mit Draht befestigt worden, sodaß wohl ei» Entgleisen bezweckt war. Aufmerksam gemacht durch das mehrmalige Nothsignal, wurde der Zug noch rechtzeitig zum Stehen gebracht und das Hinderniß nach kurzem Aufenthalt beseitigt. Mit einem kleinen Schrecken kamen die Passagiere rechtzeitig noch nach Mosel. — Lößnitz. Der hiesige evangelisch-lutherische Männer- und Jünglingsvercin bringt alljährlich in der ersten Woche des Jahres sein „Christspiel" zur Aufführung; die diesjährigen Aufführungen er folgten am 2., 3., 4. und 6. bis 10. d. M. Das Christspiel hat hauptsächlich die Geburt Christi zum Gegenstände und zerfällt in acht Abthcilungen. Das Christspiel ist den Bewohnern unsrer Stadt und der Umgegend eine liebgewordene Einrichtung, und ein Ausfallen des- Richard Vanmark hatte, wie bereits erwähnt, keine Verwandten in Amerika; aber er hatte eine große Anzahl von Freunden und Bekannlc», thcils aus seinen geschäftlichen, thcils aus seinen gesell schaftlichen Beziehungen. Kurz »ach seiner Verhaftung waren drei oder vier seiner Freunde im Gefängniß erschienen, um ihn zu be- besuchen, er hatte aber dankend abgelehnt, sie in seiner Zelle zu em pfangen. Seit jener Zeit hatte Niemand wieder versucht, ihn zu spreche», ausgenommen sein Advokat und Grace Monteath. Grace erholte sich nur langsam von ihrem Ohnniachtsaufalle im Gcrichtssaal. Als sie wieder zu sich gekommen war, blickte sie suchend um sich. „Richard?" sagte sie in fragendem Ton. „Er ist bereits fort", antwortete Spaüd. „Kann ich zu ihm gehen?" fragte sie. „Heute nicht mehr", war des Advokaten Antwort. Er fürchtete, daß sie, wenn sie ihn in diesem Zustande sehen würde, nicht nur selbst zusammenbrechen würde, sondern auch dem Gefangenen die ihm so nöthige Fassung rauben würde. „Wann kann ich ihn sprechen?" fragte sie weiter. „Ich werde morgen früh um zehn Uhr bei ihm sein," ant wortete Spaird, „und es wird mich freuen, Sic dann dort zu treffen." „Ich werde da sein," antwortete sie. Dann nach einer Pause fügte sie hinzu: „Können Sic mich nach Hause bringen? Ich fühle mich so schwach." Der Advokat sandte unverzüglich rasch um einen Wagen, half, als dieser vvr dem Gcrichtsgcbäude hielt, der Braut seines Clienten eiu- stcigcn und nahm an ihrer Seite Platz. Zurückgelchnt in die Kissen der Kutsche saß sie da, dumpf vvr sich hinbrütend. Nur einmal öffnete sie Heu Mund zu der Frage: „Giebt cs denn keine Hoffnung mehr für ihn?" „Darüber wolle» wir morgen berathcn," antwortete Späird. „Ich will noch heute Abend darüber Nachdenken. Aber so lange er lebt, so lange wollen wir hoffen!" Monteath war ein freundlicher, alter Mann, gutmüthig »nd weichen Herzens, der seine Tochter immer ihren eigenen Weg hatte verfolgen lassen. Als er aber den Ausgang der Gerichtsverhandlung wahrnahm, da hielt er cs doch an der Zeit, ihr das Ungebührliche ihres Benehmens vorzuhalten. „Jetzt, da er schuldig befunden ist, Grace," sagte er, „solltest Du Dich wohl von ihm zurückziehen." „Was! Ich soll Richard verlassen — jetzt!" rief sie aus. „Aber, ich dächte doch —" „Warum, Papa", unterbrach Grace ihren Vater, „warum sollte ich ihn jetzt im Stich lassen? Möchtest Dn, daß ich Dich in einer ähnlichen Lage verlassen sollte, weil Dich, obgleich Dn doch voll kommen schuldlos bist, ein paar Männer für schuldig erklärt haben?" „Ich hoffe, nie in eine solche schreckliche Geschichte verwickelt zu werden", sagte Monteath. „Dem Unglück ist Jeder ausgcsetzt." „Und überdies bin ich Dein Vater." „Und er ist mein verlobter Bräutigam, den ich mehr liebe, als mein Leben", antwortete Grace. „O Papa", fuhr sie fort, „Du mußt nicht von mir verlangen, daß ich ihn verlasse. Ich kann, ich darf cs nicht." Monteath zuckte mit den Schultern und drang nicht weiter in seine Tochter. Früh am nächsten Morgen verließ sie in Begleitung einer Dienerin das Haus. Was immer der Zweck ihres frühen Aus ganges gewesen sein mochte, er war jedenfalls nach ihrem Wunsche erledigt, denn ihre Mienen vcrriethen Zufriedenheit, als sie nach un gefähr einer Stunde nach Hause zurückkehrte. Fortsetzung folgt. Litterarisches. „Die Stiefbrüder", erzählende Dichtung von Th. Gampe. Dresden, Verlag von Fr. Tittel Nachfolger. Preis I Mk. Theodor Ga mve, der Verfasser der Dramen „Peter und Alexei", „Aaron", „Manfred", „Kambyscs", übcrgiebt hier der Lescrwclt ein kernfrisches, kleines Epos, das Niemand unbefriedigt aus der Hand legen wird. Es ist Handlung sich selbstverständlich um de» Helden der Erzählung selbst gruppirt,. nämlich »in de» losen und lustigen, herzgesnuden »nd mnthiaeu Amtmanns- sohn Friedrich, dessen harmlose Jugendstreiche ihn in allerlei schmerzliche und abenteuerlich ergötzliche Conslictc verwickeln, aus denen er schließlich in herr lichem Triumph an der Seite eines bramibezöpfte» »nd blauäugigen Pfarrers- töchtcrlcins hervorgcht. Doch, man mnß selbst lesen, wie der Inhalt sich in nenn kurzweiligen, von Gemüth und humorvoller Laune beseelten Kapitel» oder Gesängen abwickelt, man muß de» frische» Helden selber begleite» von dem „kleinen Malheur" an im Vaierhause, durch seine Studienjahre und seine interessante» Feldzngsabentencr hindurch, bis zu seinem endliche» und glück lichen „Einzug in's Herrenschloß", um das Büchlein lieb z» gewinnen. An- pruchs- und harmlos »nd doch unterhaltend und fesselnd ist dieser Inhalt, ind glatt und fließend rollen die bescheidene» Verse dahin, die »ns rasch und rcundlich von Scene zu Scene tragen, bis wir in behaglichster Stimmung am Schluß angclangt sind. Das Büchlein dürfte namentlich für die reifere männ liche Jugend einen willkommenen Lesestoff abgeben; doch auch jedem anderen Freund einer frischen und launigen Erzählung, sei er alt oder jung, männ lichen oder weiblichen Geschlechts, empfehlen wir Gampe's liebenswürdige Dichtung.